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11. June 2008, 18:44   #314
Ben-99
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... die bereits angekündigte "Bombe" scheint nun tatsächlich hochgegangen zu sein. Und sicherlich, Sui, werden auch noch die österreichischen Blätter in großer Aufmachung darüber berichten. Der "Stern" informiert schon heute sehr detailliert über die unglaublichen Schlampereien und Vertuschungen, die jetzt durch den Abschlußbericht der Untersuchungskommission ans Tageslicht gekommen sind:

Zitat:
Die zehnköpfige Kommission hatte 166 Aktenordner gesichtet und 25 mit dem Fall befasste Polizeibeamte befragt. Die hochkarätigen Experten kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus: Sie bemängeln eine "bemerkenswert kritiklose Bereitschaft", wichtigen Spuren und Hinweisen nicht nachgegangen zu sein und sparen nicht mit klaren Worten: "Das Zusammentreffen dieser Umstände gepaart mit zum Teil bemerkenswert anlehnungsgeneigten und verunsichert agierenden Führungskräften führte schlussendlich zu einer Situation, in der teilweise geliehene Autorität bzw. Angst, persönliche Befindlichkeiten sowie die Frage nach einem "Schuldigen" vordergründiger erschienen als die fachlich saubere Aufarbeitung der eigentlichen Fragestellung: Was ist in den Wochen vor dem Verschwinden von Natascha Kampusch beziehungsweise in all den Jahren danach eigentlich wirklich passiert und wer hat dabei welche Rolle gespielt?" Ludwig Adamovich, Vorsitzender der Kommisssion, zum stern: "Dass gebremst wurde, das ist evident. Die Frage ist: Warum? Und wie? Und von wem?

(...)

Es geht um Sadomasopraktiken und Bisexualität, pädophile Netzwerke und Beziehungsgeflechte, Geldschiebereien und Steuerbetrug. Um schnelle Autos und ein armes Mädchen, das in offenbar katastrophalen Familienverhältnissen aufwuchs.

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So heißt es auf Seite 13 ihres so genannten "Abschlußberichts": "Die Staatsanwaltschaft Wien ... scheint die Wünsche aus dem Umfeld des Opfers in bemerkenswert kritikloser Bereitschaft akzeptiert zu haben. Dadurch konnte eine Anzahl von nicht vom Gericht bestellten Personen eine Art "Schutzschirm" um das Opfer Natascha Kampusch bilden, welcher die ohnehin schwierigen kriminalpolizeilichen Ermittlungen um und rund um Wolfgang Priklopil durch Vorgaben, Einschränkungen und Restriktionen erheblich erschwerte."

(...)

Eine andere Augenzeugin, die heute 22-jährige Ischtar A., eine damalige Schulkameradin, gab dagegen zu Protokoll, "ein zweiter Mann" sei "am Fahrersitz gesessen". Und bleibt bis heute bei ihrer Aussage, wie auch Natascha Kampusch.

Den Umgang mit dem Hinweis der Zeugin bewertet die Kommission auf Seite 32 so: "Mit der Aussage der (wenn auch damals noch unmündigen) Tatzeugin Ischtar A. über die Beteiligung (auch) eines - bisher nicht ausgeforschten - Fahrzeuglenkers lag ein von Anfang an fassbarer Hinweis in Richtung Mehrtäterschaft vor. Dies zudem in einem Verdachtskontext, der schwerwiegende Verbrechen zum Nachteil eines im Entführungszeitpunkt zehnjährigen Kindes und mit langfristigem sexuellem Kindesmissbrauch einen kriminellen Hintergrund zum Gegenstand hatte, dessen massives Gewicht keiner näheren Erörterung bedarf." Und: "Auch die in der Strafanzeige vom 22. September 2006 enthaltenen Angaben von Natascha Kampusch über das Verhalten des Wolfgang Priklopil während des Aufenthaltes in einem Waldstück bei Strasshof, vor der Anfahrt zum Wohnhaus in der Heinestrasse 60, wiesen in diese Richtung." Natascha war in diesem Wohnhaus, wie sie sagt, achteinhalb Jahre von Priklopil festgehalten worden. Mit anderen Worten: Offenbar hat Natascha Kampusch nach ihrem Auftauchen bisher nicht bekannte Aussagen gemacht, womöglich zur Aufklärung des Falls entscheidende Aussagen.

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Damals hatte die Gendarmerie aufgrund der Beschreibung der Zeugin - Natascha Kampusch sei in ein "großes hohes Auto, weiß lackiert, mit schwarzen Scheiben und einem Buckel" eingestiegen - insgesamt 1520 Zulassungsbesitzer von Fahrzeugen sowie weitere 650 Personen überprüft. Priklopil gab damals an, er habe die Polizisten bereits erwartet: Er zeigte ihnen sein Auto, er hatte nichts dagegen, dass die Beamten ein Polaroid-Foto schossen, und er sagte, er sei am fraglichen Tag allein zu Haus gewesen. Dies werteten die Beamten als "Alibi". Später, so ist in den dem stern vorliegenden Polizeiprotokollen zu lesen, soll Priklopil seinem Geschäftsfreund Ernst H. zufolge, gesagt haben: "Glaublich sagte er ..., dass die Bullen sowieso Stocktrotteln seien. Wenn man ihnen eine intelligente Erklärung geben könne, könne man ohnehin alles machen."

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Im brutal verspielten Österreich wird das Drama seit fast zwei Jahren als Soap Opera inszeniert, die führenden Medien des Landes haben ihre Natascha zu einer Art "Ikone" gemacht, einer moralischen Instanz, die Gutes tut und Weises sagt. Dass zum Beispiel die Nazi-Vergangenheit noch nicht so richtig aufgearbeitet ist. Natascha Kampusch sieht gut aus und spricht druckreif, sie formuliert schlaue Sätze, sie scheint seltsam entrückt und doch so gescheit nach all den Jahren der Isolation. Sie redet mit der englischen BBC und der deutschen "Bunte" und macht Quote auf RTL. (...) Im Fall Kampusch geht es auch immer um eine Menge Geld und darum, ob man das, was man für die Wahrheit hält, auch so schreiben kann. Denn alle Protagonisten sind umgeben von Anwälten, die gleich mit Klagen drohen, sollte man ihren Klienten zu sehr auf die Füße treten.

(...)

Nicht mal zwei Tage nach dem Auftauchen Kampuschs hatten Staatsanwaltschaft und Untersuchungsrichter offenbar vereinbart, dass Aussagen Kampuschs in keiner Form weitergegeben und die aufgenommenen Niederschriften im Original sofort dem Untersuchungsrichter vorzulegen seien - nicht einmal dem damaligen Chef des Bundeskriminalamtes Herwig Haidinger, der sich darüber über mehrere Wochen hinweg in zahlreichen Emails bitterlich beklagte. Als er mit seinen Klagen intern nicht gehört wurde, ging er im Frühjahr dieses Jahres an die Öffentlichkeit. Seine Beschwerden führten schließlich im Februar zur Einrichtung der Untersuchungskommission.

(...)

Jetzt sind die Ermittlungsbehörden wieder am Zug. Den Polizeibeamten liegen Aussagen und Berichte vor, die vor zehn oder zwei Jahren schon längst hätten ausgewertet werden können. Die neue Ermittler könnten sich jetzt, unabhängig von dem Untersuchungs-Ergebnis der Adamovich-Kommission, auch mit Zeugen in Verbindung setzen, die bisher nicht gehört wurden. Oder nicht zur Polizei gegangen sind, weil sie sich mit ihren Beobachtungen nicht ernst genommen gefühlt hatten.

Denn in den vergangenen Jahren hat sich eine Art Bürgerinitiative formiert, die geduldig Zusammenhänge herstellt und aufschreibt, was der Polizei nicht mehr erlaubt war. Treibende Kräfte sind Natascha Kampuschs ehemalige Nachbarin Anneliese Glaser und der Privatdetektiv Walter Pöchhacker. Ausserdem verhandelt ein Bezirksgericht in der Steiermark in einem Zivilprozeß gerade darüber, ob der ehemalige Familienrichter Martin Wabl weiterhin behaupten darf, Natascha Kampuschs Verschwinden sei eine fingierte Entführung gewesen und ihre Mutter habe damit zu tun. Beide, sowohl die Mutter als auch Natascha Kampusch, bestreiten das. Kurz nach Natascha Kampuschs Auftauchen hatte sich die Mutter bei der Polizei beklagt, dass ihr Kind endlich Ruhe brauche.

Wie dem auch sei: "Wenn wirklich bekannt würde, was alles schiefgelaufen ist, hätte niemand mehr Vertrauen in die Polizei", sagt ein mit dem Fall befasster Beamter. Er ist inzwischen pensioniert. Andere noch nicht.

Ermittlungspannen : Fall Kampusch wird neu aufgerollt - Politik - stern.de
Gruß Ben


[edit]

Vielleicht war ja die erste Folge von Nataschas Märchenstunde - korrekt heißt die Sendung "Natascha trifft" - auch gleichzeitig die letzte. Um so schöner, daß nun auch wir Deutschen heute abend um 23.30 Uhr endlich dem Geschnatter ("auf hohem Niveau") des fidelen Kellerkindes mit dem lustigen Niki auf "N24" lauschen dürfen:

Kampusch auch im deutschen Fernsehen