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14. January 2006, 09:42   #3
tw_24
 
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Am Dienstag/Mittwoch berichtete die Süddeutsche über BND-Aktivitäten im Irak, teilweise griff sie dabei zurück auf Meldungen, die schon im November etwa in der LA Times nachzulesen waren. Am Donnerstag dann hatte sich das Thema bis zu den Lokalblättern durchgesprochen, "nach Medienberichten hat der BND ..." gaben sie wieder, was zuvor eben in "den Medien" für Aufruhr sorgte, zu denen sie sich offenbar nicht zählen.

Der SPIEGEL scheint schon seit einiger Zeit in einer ähnlichen Position zu sein. Er macht nicht mehr Nachrichten, sondern sammelt sie nur und bringt sie gebündelt am Sonntag/Montag auf einen Markt, der schon wieder auf der Suche nach neuen Neuigkeiten ist. Ein Wochenblatt vom Gewicht einer ZEIT oder vom intellektuellen Anspruch eines Freitag oder einer Jungle World ist er aber auch nicht.

Der SPIEGEL hat mächtig an Bedeutung verloren, vor Enthüllungen durch ihn muß niemand mehr sich fürchten, zugleich setzt er aber noch auf eine vermeintliche Aktualität, die längst keine mehr ist, statt - wie reine Wochen- oder Monatsblätter - auf die (selbst-)kritische Reflexion des Zeitgeschehens, also auf nachdenklichen Tiefgang, auch wenn dabei manchmal ziemlicher Unfug herauskommt ;-).

Mit drei-, vier-, fünfseitigen Bleiwüsten kann das Deutsche Nachrichtenmagazin nicht mehr fesseln, was am Publikum liegen mag, das eben auf kurze und verkürzte Information konditioniert ist, nicht auf Zusammenhänge, und so bleibt den Hamburgern tatsächlich nur die Boulevardisierung, womit es Gefahr läuft, als eine ziemlich teure 'Wochen-BILD' langfristig gründlich zu scheitern.

Inzwischen aber sind ja noch etwas intellektueller Anspruch und Image da, so daß der Leser sich noch immer etwas elitärer vorkommen darf als der BILD- oder B.Z.-Konsument. Daß SPIEGEL und Boulevard sich inhaltlich in der Tat annähern, merkt er so gar nicht, wobei es hier sogar bedenklicher ist, wenn der SPIEGEL sich plötzlich zur moralhüterischen Institution berufen fühlt - dafür sind die Kirchen zuständig ;-).

Das Boulevard vergißt spätestens morgen, was es gestern noch als gut zum Vorbild erkor - man schaue sich nur die Schlagzeilen zu Susanne Osthoff an -, und sichert insofern eine freilich etwas seltsame Art Meinungsvielfalt, der SPIEGEL hingegen bleibt länger auf einer durchaus meinungsbildenden Linie, die im Moment darauf orientiert zu sein scheint, dem Publikum das selbständige Denken abzugewöhnen - beim "Tagesschauskandal" etwa, der nur dann einer wäre, hätte die Sendung den Begriff Terrorist durch Regimegegner (und nicht Aufständischer oder Widerständler) ersetzt.

Oder aber bei der Ausrufung der deutschen Schicksalsgemeinschaft im Rahmen einer Serie über die Goldenen 1950er, eines kollektiven Wir, was letztlich hinausläuft auf die Verteufelung gerade des selbständigen Individuums, das doch mit dem Spruch "SPIEGEL-Leser wissen mehr" angesprochen werden soll(te), zugunsten einer Volksgemeinschaft, in der angeblich alle gleich sind nach dem alten Motto: "Ich kenne keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche." Aber von einem Deutschen Nachrichtenmagazin ist es anders wohl nicht zu erwarten.

Zitat:
77-Jährige überlebte - weil sie am Handtuch saugte
Die Meldung vom Handtuchsaugen ist natürlich für all jene nicht uninteressant, die mit der Zahl 42 etwas anfangen können ;-) ...

MfG
tw_24