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17. May 2008, 14:02   #15
Akareyon
 
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Schon wieder! Inhalt und äußere Form...

Im letzten Beitrag hatte ich Ben ja inhaltlich weitesgehend beigepflichtet. Den Dalai Lama in allen Ehren als "spirituelles Oberhaupt" (was auch immer das heißen mag) nicht nur des tibetischen Buddhismus, sondern auch als Wegweiser, Meister und Lehrer vieler anderer Anhänger buddhistischer und weltanschaulicher Strömungen. Ich habe ihm die Visualisierung zu verdanken, die er mal so beschrieben hat: wenn jemand Dich wirklich anmotzt und seinen inneren Unfrieden an Dir auslassen will, stelle ihn Dir vor Deinem geistigen Auge vor als kleines Kind, wie er allein auf der Bühne vor Publikum steht und herzzerreissend weint. Automatisch empfinden wir Mitgefühl und Liebe für diesen Menschen, nehmen ihn geistig in den Arm und trösten ihn, anstatt auf seine Forderung nach Gefecht einzugehen. Ich kann nicht leugnen, daß dieser Tip schon so mancher spannungsgeladenen Situation an meinem Arbeitsplatz die Schärfe genommen hat.

Allerdings bin ich der Überzeugung, daß Seine Heiligkeit manchmal noch ein wenig zu kurz denkt. Es geht nicht nur um Tibet, es geht um die gesamte menschliche Spezies; das Leid der Welt und die Situation, in der wir uns kollektiv befinden, ist nicht mit karmischen Vergangenheitsaufarbeitungen zu lösen (so ist es halt gewollt und deswegen ganz gut), sondern "progressiv, dynamisch, mit Phantasie - aber sachlich" (Franz Josef Degenhardt) und zukunftsgewandt. Hier sollten er und der Pontifex aus Rom vielleicht mal aus dem goldenen Käfig ihrer Regentschaft über Millionen Gläubige heraustreten und ihre mediale Dauerpräsenz, wenn sie denn schon angeblich so ungeliebt und ungewollt ist, dazu nutzen, mal klare Worte zu sprechen. Der historische Buddha hat seine Weisheit nicht vom Throne in seinem Palast aus erlangt, sondern indem er vor die Tore trat und das Leid hautnah erlebte, extreme Wege beschritt, um zu seiner Mitte zu gelangen. Ich sage nicht, daß der Lama nicht weiß, was abgeht und spreche ihm nicht lebenslange Erfahrung ab. Ich behaupte jedoch, daß sein Status, seine Beliebtheit und sein regelmäßiger Verkehr mit den Mächtigen der Welt den Blick auf die Sicht der Dinge verklärt hat. Seine wirkungslos gebliebenen Reden vor UN-Vollversammlungen entlarvten ihn lediglich als König ohne Macht, Land, Thron und Volk, und so verkommt er - und gewiss nicht ohne sein Zutun - zu einem drolligen Kerlchen, das zwischen Politikern hin- und hergereicht wird; schon sind die Marionetten ohne Macht unter sich, als fotogene Kulisse für die Volksmassen zur Beruhigung und Simulation spiritueller Friedensbemühungen. Er ist kein Prophet, Propheten sind unbequem und sprechen Wahrheiten aus, die niemand hören will; Wahrheit wird nicht in der Bild gedruckt.

Jetzt zur Form. Wie tommy gehe ich zu Bens Gunsten davon aus, daß er nur mal wieder provozieren und polarisieren wollte und deswegen bewußt ganz mutig auf den armen Dalai Lama eingeprügelt hat, hier, wo ihm der Gute nicht höchstpersönlich mit dem Todesstrahl der Shaolin plattmachen kann. Wie ich bereits in meiner philosophischen Auslassung über Form und Inhalt an anderer Stelle darlegte, gibt die Form den Inhalt vor; d.h. in ein Wasserglas paßt die Flasche Bier nicht rein. Inhaltlich sollte wohl politische Kritik an der Oberflächlichkeit des medialen Lama-Hypes geübt werden, formell handelt es sich jedoch um nichts weiter als eine auf böse gebürstete F.J.-Wagner-Kolumne. Was haben die Armutsstatistiken (30.000 hungertote Kinder täglich) und das Massensterben in Afrika mit dem Besuch des Dalai Lama bei Jürgen Rüttgers zu tun - seit wann ist Leid vergleichbar? Seit wann wird der Dalai Lama "willkürlich" ausgeguckt - ist das nicht ein wenig spitz formuliert angesichts der Tatsache, daß da eine Menge Orakelbefragung ("Okkultismus", wie Lizas Welt schreibt) mit im Spiel ist?

Und was soll das heißen, Afrika habe keinen "Komischen Heiligen" zu bieten - was ist denn mit Nelson Mandela? Was ist aus der Saat seiner Bestrebungen für den schwarzen Kontinent geworden?