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19. April 2008, 13:16   #1
Irata
Junge mit Mundharmonika
 
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Ort: Bonn
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Brillenkauf bei F...

Ich wollte es mir eigentlich nicht eingestehen, aber es kommt der Zeitpunkt, an dem man sich die Frage stellt, ob Eitelkeit über Eingestehen stehen soll.

Manchmal kommuniziere ich über kleine Textnachrichten per Mobilfunktelefon, sog. SMS, und gerate dabei häufiger in Erklärungsnotstand, ob es sich bei meinem Text um eine neue schriftliche Kunstform handelt oder ich beim Erstellen der Nachricht unter dem Einfluß von bewußtseinsfördernden Drogen gestanden habe. Meist begegnete ich diesen Vorwürfen mit einem gemurmelten "die blöde Tastatur ist irgendwie defekt". Es passiert aber auch häufiger dass ich meine Sekretärin anpflaume, weil mein Vorlagentext nicht in der gewohnten Schriftgröße erstellt wurde, und mir im Verlauf einer Sitzung die Arme zu kurz wurden. Und überhaupt gibt es an Uhren, PDAs oder Digitalkameras Knöpfe, die ich nur mit viel Glück erkennen kann.

Es war ein schwerer Schritt, aber ich habe ihn getan - der Gang zum Optiker. Knauserig wie ich bin, führte mich mein Weg direkt in eine Filiale von F..., dem Anbieter mit der "Nulltarif-Collection, Markenbrille oder Topmodelle internationaler Couturiers". Ich hätte es eigentlich wissen sollen, Niemand hat Geld zu verschenken, vielleicht war ich aber auch einfach nur zu optimistisch. In der Werbung sieht das klasse aus, ein braungebrannter schwarzhaarig-leicht graumellierter Typ mit einer wahrhaft tollen Brille auf der Nase. Bis auf die Brille nahezu ein Ebenbild meiner Selbst.

Am Eingang dann die erste Hürde, eine Schlange bis an die Türe aufgereiht vor 2 schalterähnlichen Verkaufstheken, die aber aufgrund von ständig nachströmendem Verkaufspersonal recht zügig abgearbeitet wurde. Und dann kam sie, der fleischgewordene Traum eines jeden Brillenkunden im mittleren Alter, auf mich zu und hauchte mit einer Stimme, die ohne Weiteres an einer entsprechenden Hotline an einem Tag mehr Kohle machen könnte als in einem Monat Verkaufstätigkeit, einen freundlichen Gruß in meine Richtung und fragte was sie für mich tun könne. Hätte ich die Frage ehrlich beantwortet, wäre mir eine dicke Rechnung erspart geblieben, aber ich Depp antwortete halb in Trance nur "Brille haben wollen". Meine Frau schaute übrigens recht ungläubig, ist sie es doch gewohnt dass ich ansonsten in vollständigen Sätzen kommuniziere.

Nach dem üblichen Smalltalk führte sie mich in einen Hinterraum und ich war recht überrascht, dass sich seit der Zeit meines letzten Augentests anläßlich meiner Musterung zum Grundwehrdienst die Gerätschaften nicht verändert haben. Und dann kam der Punkt, an dem ich meinen Vorsatz, nur 2 Lesebrillen mit Nulltarifgestell zu kaufen, über Board warf und mich endgültig den beiden Verkaufsargumenten der Verkäuferin hingab. Während sich mein Kopf in dieser Augenmaschine befand und mein Sehvermögen mittels diverser Linsen schlagartig auf einen Zustand von vor 20 Jahren geriet, beugte sich die Beste vor das Gerät und eröffnete einen Blick in ein Dekolleté, dass es eher wert war in den letzten Tagen auf den Titelseiten zu erscheinen als dem Angie seins. Uns sie fummelte lange an der Maschine, fast schon zu lange für meine Verhältnisse, was mich aber nicht davon abhielt den Sehtest noch weiter ein wenig in die Länge zu ziehen.

Schon klar dass ich mich, dermaßen manipuliert, nicht für die Nullkollektion entschied, sondern mit einer Rechnung von ein paar hundert Euro den Laden verließ, obwohl meine Marschrichtung ganz klar lautete: 2 x Nullgestell und Gläser ohne Firlefanz. Einzig meine Frau fragte, ob man mich im Hinterraum zur Verstandabgabe gezwungen habe, aber ich habe die leise Hoffnung, dass ich den Anblick, jedesmal wenn ich demnächst die Brillen auf die Nase setzte, wieder vor Augen haben werde - undzwar scharf und klar.