Thema: Dresden
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14. March 2006, 14:37   #22
tw_24
 
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Ich glaube gern, daß die "seitenlange Auflistungen von sich widersprechenden Opferzahlen ermüdet" *), nur findet die erstens gar nicht seitenlang - das Kapitel Zahlenspiel mit Toten ist 11 Seiten kurz - statt und ist sie wohl unumgänglich, will man aufzeigen, wie aus den im Tagesbefehl 47 (März 1945) vom "Höheren SS- und Polizeiführer Dresden" genannten 20.204 Toten die 250.000 Toten wurden, die beispielsweise die NPD in ihrer "Dokumentation der Debatte über den 'Bomben-Holocaust'" nennt, oder die "etwa 40.000 Menschen", die ein aktuelles Schulbuch in der "von Flüchtlingen überfüllten Stadt" als Tote gezählt haben will.

Letzteres verbreitet übrigens gleich zwei Lügen. Zur eher geschätzten als belegten Opferzahl kommt hier nämlich die Behauptung einer "überfüllten Stadt", die Dresden nicht war, weil es als Transportknotenpunkt im schon beträchtlich geschrumpften Reich eben tatsächlich sehr kriegswichtig war und deshalb Flüchtlinge, damit diese die Stadt und die Schienen- wie Straßenwege in ihr und um sie herum nicht verstopften, schnellstmöglich weiterbefördert wurden - inoffiziell war Dresden seit Ende 1944, offiziell seit April 1944 Festung, also militärisch doch nicht ganz unwichtig.

Ob Dresden nun kriegswichtiger als die andere Elbestadt war, um die aber auch nicht solch ein Opferkult betrieben wird wie um Dresden - jedenfalls fiel mir in Hamburger Buchläden recht angenehm ein verglichen mit Dresden nicht allzu üppiges 'heimatkundliches' Angebot auf -, vermag ich nicht zu sagen. Fest steht aber, daß Dresden neben seiner Rolle als Verkehrsknotenpunkt tatsächlich auch noch einige Industrie zu bieten hatte, vor allem im präzisionsoptischen Bereich und auf dem Gebiet der Flugzeug-Entwicklung. Dresden besteht eben nicht nur aus Frauenkirche - mit Nazi-Pastor! - und Semper-Oper.

Im schon von mir erwähnten Kommentar der Süddeutschen Zeitung wird übrigens auch noch etwas zur angeblichen "Sinnlosigkeit" der Bombardierung nicht nur Dresdens oder der These, der Krieg sei doch schon entschieden gewesen, gesagt: "Auch deutsche Historiker wie der Luftkriegs-Experte Rolf-Dieter Müller nehmen an, dass der Zweite Weltkrieg ohne die alliierten Bombenflugzeuge bis zu zwei Jahren länger gedauert hätte. 'Churchill hat Hitler besiegt', schreibt Müller, 'und dafür können wir ihm dankbar sein' - und zu diesem Sieg haben die Bomber beigetragen." Daß man das in Deutschland, besonders aber in Dresden nicht gern hört, weiß ich wohl - auch aus eigener Erfahrung mit Überlebenden, die aber wenigstens nicht irgendwelche Tiefflieger oder Kinovorführungen erfinden.

Zitat:
Zitat von Jules
Du erwartest wirklich das man sich nach 60 Jahren noch genau an einen Zeitablauf, Kinoschließungen, Filmvorführungen usw. ganz genau erinnern kann ?
Nehmen wir mal an, Du lebtest in der Stadt, um die der Bombenkrieg bisher weitgehend einen Bogen gemacht hat. Und dann kommt da dieser massive Angriff, den Du überlebst. Glaubst Du nicht, daß Du Dich auch in ein paar Jahrzehnten noch ziemlich genau daran erinnern könntest, was Du unmittelbar vorher oder nachher gemacht hast? Ich weiß ziemlich genau, was ich am 11. September 2001 machte, als die Twin Towers zusammenfielen - beim 11. September 2002 kann ich es nicht mehr sagen. Und selbst wenn die Erinnerung den Guido Knopp-"Zeugen" verlassen haben sollte, so wäre es Aufgabe des Guido Knopp gewesen, dessen Angaben auf Plausibilität zu prüfen - ein einstündiger Besuch im Stadtarchiv hätte dazu ausgereicht. (Gerade bei Oral History ist sowas ungemein wichtig, das lernt der Geschichts-Student spätestens im zweiten Semester.)

*) Der "Klappentext", den Amazon liefert, stimmt übrigens nicht ganz mit dem überein, der den Buchrücken tatsächlich ziert, aber das nur nebenbei ;-) ...

MfG
tw_24