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7. May 2007, 00:04   #93
Ben-99
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... hast Du wirklich den Artikel von Bettina Gaus gelesen? Und, falls ja, auch tatsächlich verstanden? Hier noch mal ein Ausschnitt, in dem die Kernproblematik von ihr sehr treffend beschrieben wird. Mensch, Ogino, freu' Dich doch lieber darüber, daß die Probleme der Welt nicht nur immer aus den Farben Schwarz und Weiß bestehen. Bereit zu sein, auch die Palette der vielen interessanten Grau-Abstufungen zu erkennen, die dazwischen liegen, mag zwar zunächst etwas beschwerlicher sein, dafür wird man am Ende aber durch die Einsicht belohnt, ab jetzt nicht mehr von den Möchtegern-"Vordenkern" des Springer-Verlags und anderen Demagogen abhängig zu sein oder von dem Kumpel am Stammtisch, der am lautesten schreit, wenn er die Parolen nachplappert. Denn auch akustisch gibt es diesen wichtigen Bereich zwischen dem Schweigen der eierlosen Weggucker und dem dröhnendem Gejohle derjenigen, die sich immer den lautesten Grölern anpassen, weil sie meinen, daß es auch für sie besser sei, mit der Masse zu schwimmen. Daß wir Deutschen mit dieser Einstellung schon mindestens zweimal in der jüngeren Geschichte erbärmlich untergegangen sind, wollen die meisten von ihnen leider immer noch nicht begreifen.

Zitat:
Die beiden Menschen, die das Gnadengesuch unmittelbar betrifft und direkt angeht, melden sich nicht zu Wort. Sie können es nicht, sie dürfen es nicht. Horst Köhler und Christian Klar werden in diesen Tagen auf seltsame Weise zu Leidensgenossen: Sie sind gleichermaßen zum Schweigen verurteilt.

Würde Christian Klar sich jetzt äußern, dann wäre der Eindruck unabweisbar, dass er auf dem Umweg über die Medien versuchte, Druck auf den Bundespräsidenten auszuüben. Es kann bezweifelt werden, dass dies seinem Wunsch nach Begnadigung förderlich wäre. Abgesehen davon: Es gehörte sich einfach nicht.

Was sollte Klar denn sagen? "Wie ich dem Bundespräsidenten bereits geschrieben habe" oder auch: "Was ich in meinem Gnadengesuch zu erwähnen vergaß, nach dem dankenswerten Hinweis der Bild-Zeitung jetzt aber gerne nachtragen möchte"? Alle Forderungen nach einer öffentlichen Stellungnahme des Häftlings sind nur eines: populistisch. Christian Klar hat sich der Gnade ausgeliefert. Damit hat er sich zugleich - wenigstens vorübergehend - der Möglichkeit begeben, sich selbst zu erklären.

Auch der Bundespräsident kann und darf sich nicht äußern. Ein schwebendes Verfahren ist ein schwebendes Verfahren. Jeder konkrete Hinweis auf seine eigene Position oder auf die Haltung des Gefangenen verletzte dessen Persönlichkeitsrechte. Aber ja doch: Auch ein Mörder hat Rechte. Und eine Persönlichkeit.

taz 31.1.07 Über die Gnade
Gruß Ben



[edit]

Die Demagogen der "Bild" haben in ihrer Primitiv-Berichterstattung übrigens heute noch einmal nachgelegt, indem sie allen Ernstes heuchlerisch die bescheuerte Frage stellen, ob jetzt auch etwa andere Mörder auf eine vorzeitige Entlassung durch Horst Köhler hoffen können.

Da sieht man mal wieder, für wie dumm "Bild" seine Leser hält. Denn bei allen drei genannten, durch die Boulevard-Presse sattsam bekannten Mördern kann getrost davon ausgegangen werden, daß Gutachter ihnen auch heute noch eine erhebliche Gefahr für andere Bürger attestieren würden. Und genau darauf kommt es besonders bei der Frage an, ob ein Straftäter vorzeitig durch eine Begnadigung des jeweiligen Bundespräsidenten entlassen werden kann.

Aber an den Stammtischen, da wette ich jeden Einsatz, wird dieser ebenso dümmliche wie ekelhafte "Bild"-Artikel morgen ganz sicher wieder für die übliche Begeisterung sorgen:

Köhler fuhr zu RAF-Mörder Klar