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18. June 2007, 16:50   #13
tw_24
 
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Über den WASG-Mitbegründer Ernst Ulrich, Mitglied der von Oskar Lafontaine zusammen mit Gregor Gysi geführten Linksfraktion im Reichstag, schrieb der SPIEGEL kürzlich (23/2007, S. 60) anerkennend, dieser führe sich im Zusammenhang mit der Entlassung einer schwangeren Mitarbeiterin auf "wie ein Kapitalist alter Schule". "Er bestehe darauf, heißt es in einem Schriftsatz seiner Anwälte, 'dass ein weiterer Arzt noch einmal Schwangerschaft und den mutmaßlichen Tag der Entbindung schriftlich bescheinigt'. Sogar die Vorlage eines Mutterpasses wurde verlangt."

Ernst Ulrich soll - in der Linksfraktion - kein Einzelfall sein. "Es habe, heißt es in einem Ver.di-Papier, bereits im 'ersten Jahr der Legislatur Entlassungen in zweistelliger Höhe' gegeben. Ein Fraktionsmitglied etwa, langgedienter Gewerkschafter, hätte sein komplettes Team ausgetauscht, andere erst reihenweise Leute auf 400-Euro-Basis beschäftigt, später die Verträge wieder aufgelöst. Wiederum andere würden einstellen und entlassen, wie es ihnen passt - schließlich haben sie ja bei Betrieben bis zu zehn Beschäftigten relativ freie Hand." Und keinen Betriebsrat, der sie bremste.

Wie glaubwürdig ist eine Bundestagsfraktion, die lautstark einen Mindestlohn fordert, woran nichtmal etwas auszusetzen ist, dann aber - unter den Augen des zum Parteichef gekrönten Oskar Lafontaine - im eigenen Laden sich Praktiken leistet, die sogar die FAZ erfreuen dürften? Darf man es als Armutszeugnis bezeichnen, wenn ver.di ausgerechnet für Mitarbeiter linksfraktioneller MdBs auf deren Wunsch "eine Sprechstunde" anbieten und versichern muß, "alle Angaben und Informationen werden selbstverständlich absolut vertraulich behandelt"?

Oskar Lafontaine im Kampfanzug ließe sicher noch den edlen Che Guevara erblassen, aber wer sich positiv auf ihn bezieht, der auf so vielen T-Shirts von linken wie rechten Nazis stolz umhergetragen wird, müßte wiederum auch von einer Linken, die glaubwürdig Pazifismus für sich beanspruchen will, zum Teufel gejagt werden. Denn die Permanente Revolution, die Guevare in Lateinamerika entfachen wollte, war doch nichts anderes als politisch motivierte Gewalt, die auch über Leichen Unschuldiger zu gehen bereit war, laut Oskar Lafontaine also Terrorismus.

Doch wo bleibt Oskar Lafontaines Distanzierung vom - nach Lafontainscher Definition wohlgemerkt - Terroristen Guevara? Wo die Distanzierung der Linken von Che-Verehrern, Terrorismus-Sympathisanten mithin?

Zitat:
Zitat von Ben-99
Lafontaine hätte vielleicht deutlicher betonen sollen, daß er natürlich die Erfolge Chavez im Bereich der Bildung und im Kampf gegen die Armut meint.
Wie Armutsbekämpfung in Chavez-Land aussieht, durften nicht nur die 19.000 entlassenen PDVSA-Mitarbeiter erfahren, sondern auch all jene, die darauf angewiesen sind in den staatlichen Mercal-Läden einzukaufen. Dort werden subventionierte Waren aus Kooperativen angeboten - durchschnittlich liegen die Preise 42% unter den Marktpreisen -, doch sie binden die Armen doppelt an den Staat: einmal nämlich als Konsumenten und zugleich aber auch als ärmlichst entlohnte Produzenten in den Kooperativen, möglich machen es die Öl-Einnahmen.

"Die Mercal-Supermärkte, beaufsichtigt vom neu gegründeten Ernährungsministerium, werden von Kooperativen in den Barrios und ländlichen Gebieten betrieben. Auf die Reis-, Maismehl-, Nudel-, Trockenmilch- oder Zuckerpackungen, die die Mercal-Filialen vertreiben, druckt man Comic-Zeichnungen, die wichtige Artikel der neuen Verfassung illustrieren. 'Durch die Produkte bekommen die Leute nicht nur Nahrungsmittel', erklärt der stolze Betreiber eines Mercal-Marktes im Stadtteil La Vega, 'sondern sie ernähren sich auch geistig, weil sie die Verfassungsartikel lesen.'" schreibt Christoph Twickel in seiner Chavez-Biographie (Hamburg 2006).

So bindet Chavez die Armen an sich, führt ihnen bei jedem Einkauf vor, was sie ihm schulden. Und begehren sie gegen diese Abhängigkeit auf - nun, das Mercal-System ist nicht nur auf Supermärkte beschränkt, es bringt auch genügend Blockwarte hervor, die Abweichler schon rechtzeitig wieder auf den richtigen Kurs und ins Kollektiv zurück bringen werden. Und die, die sich widersetzen sind eben Agenten des Imperialismus mit allen Folgen, die ein solcher Vorwurf in autoritär geführten Diktaturen haben kann.

Ökonomisch mag das momentan funktionieren, weil Venezuela über einiges Öl verfügt, mit dem es auch die aus Kuba importierten Ärzte bezahlt, die dann aber dort selbstverständlich fehlen, womit das ohnehin schon zu einem Zweiklassensystem - die einen Patienten haben Dollars, die anderen dürfen beten - verkommene Gesundheitssystem weiter geschwächt wird. Nur geht Chavez-Land das Öl aus oder wird etwas billiger, ist es aus mit dem "Sozialismus des 21. Jahrhunderts", der ein ruiniertes Land hinterlassen wird.

Eine Linke, die das nicht sieht, nicht sehen will, weil Hugo Chavez so liebenswürdig gegen George W. Bush wettert oder zusammen mit seinem iranischen Freund Machmirdendshihad gegen die "zionistische Weltverschwörung", handelt eigentlich ziemlich unverantwortlich - vor allem gegenüber der venezolanischen Bevölkerung bzw., wie es wohl unter Linken richtiger heißt, dem "venezolanischen Volk". Denn diese bzw. das wird unter der Politik Hugo Chavez' am meisten zu leiden haben, und zwar mit einiger Sicherheit mehr als die Bürger einer beliebigen bürgerlichen Demokratie unter dem Kapitalismus.

MfG
tw_24