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5. July 2002, 15:37   #18
tw_24
 
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Der "Fall Ludin" beschäftigt die Gerichte und Fereshta Ludin schon seit Jahren. Als Referendarin war ihr gestattet worden, mit Kopftuch zu unterrichten - in einer Grundschule im Dorf Plüderhausen in Baden-Württemberg. Erwin Teufel (CDU) hatte 1997 als Ministerpräsident sogar Sympathien für die junge Frau. Er meinte nämlich, wichtiger als dessen Umhüllung sei, was in einem Kopf stecke. Und das war anscheinend eine ganze Menge, denn Fereshta Ludin beendete ihre Ausbildung zur Lehrerin mit ausgezeichneten Leistungen - trotz Kopftuch.

Wegen des Kopftuchs jedoch - und nicht etwa wegen mangelnder Qualifikation - verweigerte man ihr die Übernahme in den Schuldienst. Das Kopftuch würde die "negative Religionsfreiheit" ihrer Schüler beeinträchtigen, meinte damals die Kultusministerin Anette Schavan, die neuerdings auch für Edmund Stoiber Kompetenz heucheln soll, das Kopftuch sei ein "politisches Symbol", und man wisse schließlich nicht, "was am Ende dabei herauskommt". Der Fall beschäftigte 1998 sogar den Landtag von BaWü, wo Die Republikaner mit ihrem Appell für kopftuchfreie Schulen zwar scheiterten, inhaltlich aber doch siegten, denn selbst SPD und "Bündnis 90/Die Grünen" wollten Fereshta Ludin nicht als Lehrerin sehen - wegen des Kopftuchs.

Eine Lehrerin mit hervorragendem Zeugnis scheitert(e) an einem Kleidungsstück - man müßte wirklich lachen, wenn es PISA nicht gäbe.

Als Referendarin war der Kopftuchträgerin offenbar nichts vorzuwerfen, vom Ort ihres Wirkens jedenfalls war nichts zu hören, was auf einen negativen Einfluß des Kopftuchs schließen ließe. Doch als Lehrerin mit Kopftuch gilt sie als Gefahr - sowas können in der Tat nur xenophobe deutsche Richter und Minister beschließen, die wohl nichts gegen kopftuchtragende Putzfrauen haben, aber Angst haben vor Lehrerinnen, die das gleiche Kleidungsstück tragen.

"Ach, sie sind Deutsche?" fragte dann zum Beispiel auch ein deutscher Pförtner damals ein paar deutsche Frauen, die mit Kopftuch - als Musliminnen - der damaligen Landtagssitzung in BaWü beiwohnen wollten (Kopftuch = Putze? Es lebe das Vorurteil!).

Es ist bemerkenswert, daß sich dieser Streit nun schon ein halbes Jahrzehnt nicht etwa um die Leistungen der Fereshta Ludin dreht, sondern darum, daß ein Kopftuch, ihr Kopftuch, anscheinend irgendwie eine negative Ausstrahlung hat, obwohl es dafür keine handfesten Beweise gibt - denn Fereshta Ludin hat ja als Referendarin schon gelehrt.

Sicher, es gibt gewisse dresscodes, etwa das beliebte Pali-Tuch in der linksrassistischen Szene oder LoNSDAle-Produkte in der rechtsextremen organisierten Kriminalität, doch am Ende sind diese Identifikations- oder Integrationsmarken vielleicht auch nur von außen zu "gefährlichen" Symbolen stilisiert worden, die dann von den jeweils Betroffenen natürlich als "Provokation" ganz bewußt getragen werden. Doch nicht jeder Pali-Tuch-Träger ist ein linker Antisemit, und nicht jeder LoNSDAle-Fetischist ist auch ein Faschist. Und allein durch den Anblick solcher Bekleidung wird der Betrachter noch lange nicht zum Opfer einer "Gehirnwäsche".

Ich sehe täglich viele verschleierte Frauen, weil ich einfach in einer "bunten" Gegend wohne, doch irgendwie verspüre ich noch lange nicht das Bedürfnis, mehrmals am Tag mein Haupt gen Mekka verneigen zu müssen. Andere Bekannte wiederum tragen offen Halskettchen mit einem Kreuz - es hat mich nicht missioniert, und die bedauernswerten Zeugen Jehovas, die ich mir mal ganz bewußt eingeladen hatte, um die Inhalte der Bibel erklärt zu bekommen, mühten sich zwar redlich meine Fragen zu beantworten, scheiterten aber dennoch kläglich und sind mir trotzdem zu Freunden geworden, wenn es nicht gerade um höhere Wesen geht.

Gut, ich bin kein Schüler mehr, doch wenn ich mir vorstelle, daß Fereshta Ludin mir erklären würde, daß 1+1 2 ergibt, würde mich das vermutlich nicht davon überzeugen, daß Allah dies beschlossen haben könnte. Und ich sehe auch nicht, wie ein Kopftuch mich einfach nur durch seine Existenz weltanschaulich indoktrinieren sollte. Wenn Richter das so sehen, dann sind sie zu bedauern.

Konsequent müßte man dann nämlich wieder Geschlechtertrennung in der Schule einführen (Eine Lehrerin als phantasiertes Lustobjekt pubertierender Knaben - Skandal!!), Schuluniformen ("Meine Schuhe sind von Nike und Deine vom Aldi, Du Versager!") und wirklich alle möglichen sozialen Widersprüche verleugnen (, die es aber trotzdem gibt).

Fereshta Ludin kann trotz Kopftuch einfach nur eine gute Lehrerin sein - Wozu gibt es denn Lehrpläne? -, als Referendarin hat sie das bewiesen, wenn ihr nun ihr - freiwilliges und passives - religiöses Bekenntnis zum Vorwurf gemacht wird, dann empfinde ich das als unheimlich blöden Rassismus, denn gerade als bekennende Kopftuchträgerin und Lehrerin macht sie doch deutlich, wie sehr sie sich von dem tradierten Frauenbild emanzipiert hat, das ihre Gegner mit dem Symbol Kopftuch assoziieren. Fereshta Ludin ist ein Vorbild.

Uniformierte "Jugendoffiziere" der Deutschen Bundeswehr dürfen jede deutsche Schule betreten und für staatlich sanktioniertes Morden werben, denn die "Friedensarmee" braucht schließlich Kanonenfutter. Kopftuchtragende Frauen dagegen, die nicht als Putze daherkommen, stellen eine Gefahr für Schüler und Schülerinnen dar. In welchem Jahrhundert leben wir eigentlich?

MfG
tw_24