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31. July 2002, 17:09   #12
tw_24
 
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Interessanter als das ganze Buch war bzw. ist die Diskussion, die es ausgelöst hat. Und deshalb, aber nur deshalb ist es vielleicht doch wieder lesenswert. Der Chef des FAZ-Feuilletons, der sonst zu den Fürsprechern Martin Walsers gehört(e), der auch keine Einwände gegen den Abdruck verschiedener Reden Walsers - "Paulskirchenrede" und dann wieder Walsers "patriotische" Gedanken zum 8. Mai 2002 - hatte, meinte, in dem Roman antisemitische Klisches entdeckt zu haben, weshalb er den Vorabdruck öffentlich ablehnte und den Roman, den damals noch kaum jemand kannte, heftig verriß. Da der in dem Roman karikierte Literatur-Papst, Marcel Reich-Ranicki, auch für die FAZ-Kulturseiten schreibt, ist das teilweise ein nachvollziehbares Verhalten, doch gleich mit der "Auschwitzkeule" zuzuschlagen, das halte ich für übertrieben. Der Roman ist einfach handwerklich schlecht gemacht, das hätte als Ablehnungsgrund völlig ausgereicht.

Der Roman besteht wesentlich aus drei Teilen, er beginnt und endet mit den Worten: "Da man von mir, was zu schreiben ich mich jetzt veranlaßt fühle, nicht erwartet, muß ich wohl mitteilen, warum ich mich einmische in ein Geschehen, das auch ohne meine Einmischung schon öffentlich genug geworden zu sein scheint." Das ist ein Satz, der BILD-Leser, die nur Hauptsätze kennen, schon einmal mächtig anstrengen könnte, Walser will damit als Ich-Erzähler wohl (schon ein wenig zu arrogant) Intelligenz vortäuschen.

Nun, in Teil 1 - "Verstrickung" - verschwindet ein Literaturkritiker, André Ehrl-König genannt, der wie Reich-Ranicki mit seiner vielgesehenen TV-"Sprechstunde" quasi das Meinungsmonopol darüber hat, was gute und was schlechte "doitsche Literatür" ist. Hans Lach, ein eben in der "Sprechstunde" verbal getöteter Autor, erscheint auf der After-Show-Party von Ehrl-König und beklagt sich bitterlich über die als ungerecht empfundene Kritik, er droht dem Kritiker: "Die Zeit des Hinnehmens ist vorbei. Herr Ehrl-König möge sich vorsehen. Ab heute nacht Null Uhr wird zurückgeschlagen." Eine Drohung, die "unter den Gästen, die samt und sonders mit Literatur und Medien und Politik zu tun hätten, mehr als Befremden, eigentlich schon Bestürzung und Abscheu ausgelöst, schließlich sei allgemein bekannt, daß André Ehrl-König zu seinen Vorfahren auch Juden zähle, darunter auch Opfer des Holocaust."

[Spätestens ab jetzt kann man den Roman als ein antisemitisches Werk lesen, muß man aber nicht, da Walser eigentlich auch nicht weiter darauf herumreitet, sondern sich auf die Karikatur der Sprechweise und Gestik von Reich-Ranicki beschränkt ohne darauf hinzuweisen, daß das irgendwie typisch jiddisch sei. Trotzdem, es ist natürlich eine gewisse Verbindung zwischen dem Holocaust-Opfer "Muster-Jude" und Ehrl-König hergestellt, die man gegen Walser verwenden könnte. Doch andererseits ist eine Kritik am Überkritiker Reich-Ranicki kaum möglich, ohne seine Ausdrucksweise und Gestik zu erwähnen - ohne diesen einen Satzversatz ("... daß André Ehrl-König zu seinen Vorfahren auch Juden zähle ...") wäre der Roman wohl nur ein schlechter Krimi geworden. Doch zurück zur Handlung.]

André Ehrl-König verschwindet noch in dieser Nacht, Hans Lach wird als potentieller Mörder festgenommen und inhaftiert.

Der Ich-Erzähler erfährt davon im Ausland (NL) und reist sofort nach München, denn er ist fest von der Unschuld Hans Lachs überzeugt, den er als Freund kennen will - "Ein Freund ist in eine Not geraten." Mit dem ermittelnden Kriminalhauptkommissar (KHK) Wedekind entwickelt sich dann sozusagen ein Wettlauf um die besseren Entlastungsargumente. Der Ich-Erzähler besucht und befragt allerlei Leute aus dem Literaturbetrieb, unter anderem die Frau des Verlegers Ludwig Pilgrim, der Hans Lach wie auch André Ehrl-König veröffentlicht.

Julia Pelz-Pilgrim steht wie der ermittelnde Ich-Erzähler auf allerlei Mystik, was die beiden am Ende noch zusammenbringen soll.

Doch noch sind wir nicht beim Happy End - Hans Lach gesteht den Mord ohne Leiche und landet in einer Irrenanstalt, während der Leser sich "nur" mit Teil 2 des Romans langweilt, der mit "Geständnis" überschrieben ist.

Der Ich-Erzähler sitzt im Zug und sorgt sich um einen in einem Hotel vergessenen Briefumschlag, der Honorargelder enthält, als er die Nachricht liest: "Hans Lach hat gestanden. Als ich im Zug saß, merkte ich, daß ich mein Honorar nicht mehr hatte. Nirgends mehr. Alles durchgestöbert, durchgeblättert, egal wie das auf Mitreisende wirkt." Das Honorar jedenfalls wird gefunden, der Ich-Erzähler ermittelt tapfer weiter, um Hans Lach zu entlasten. KHK Wedekind versorgt ihn mit Tonbändern einer Studentin, die eine Arbeit über die Persönlichkeit Hans Lachs anfertigt ("... eine Verehrerin von Hans Lach, sie schreibt eine Doktorarbeit über Identität bei Hans Lach ...). Der Ich-Erzähler schildert eindrucksvoll einen Besuch in der Irrenanstalt - "Es war ein langer Marsch von der Hauptpforte bis zu Nummer 21, diesem ins Waldwiesengelände gebauten Flugzeugträger aus Beton. Betonwände, mindestens sechs Meter hoch, oben drauf noch Stacheldrahtspiralen. Das heißt also die Burg. Eine Tür ohne jede Aufschrift. Aber ein Hinweis, der einen leiten kann. Man läutet, zwei Meter nach der Tür steht man vor einem Gebäude, wieder eine Tür, elektronische Schleuse, alles abgeben, bis auf das Taschentuch und zwei Zigaretten." - und erfährt, daß sein Schützling Hans Lach nicht nur therapiert wird, sondern sich selbst als Kritiker betätigt, der in einem "Mit-Irren" ein literarisches Talent entdeckt zu haben glaubt.

Mani heißt dieses "Talent", das Tonband um Tonband besprochen hat, mit denen Martin Walser dann seitenlang langweilt. Schnell weiterblättern ... (Ach ja, Mani begeht irgendwann Selbstmord.)

"Der Rosenmontag, immer der schmerzlichste Tag, wartete diesmal wenigstens mit einer alles andere außer Kraft setzenden Nachricht auf: André Ehrl-König lebt. Am Samstag ist er zurückgekehrt. Von Schloß Syrgenstein. Und das erfuhr man durch ein Interview."

André Ehrl-König ist wieder da! Wortgewaltig und lebendig. Und als geübter Selbstdarsteller dominiert er natürlich wieder die Medien; er war verliebt in die Schloßherrin Syrgenstein, erklärt er, doch das war nur ein Ausrutscher, nun wolle er zurück zu seiner Angebeteten Nancy, die er um Vergebung bittet. "Er habe außer Nancy nie eine Ferau geliebt. Und Nancy liebe er immer noch, wie er sie von Anfang an geliebt habe. Er habe, seit er von Syrgenstein zurück sei, Nancy noch nicht gesehen. Er rufe ihr aus allen Fernsehperogerammen zu, wie schon öfter, wie eigentelich immer. Und er wage es, sie so öffentelich um Verzeihung zu bitten, weil er sich seiner Liebe zu ihr so ganz und gar sicher sei und deshalb wisse, er gehöre zu ihr, sie gehöre zu ihm. Wem auch immer er da und dort erotischen Kauderwelsch zugerufen oder - geraunt habe -, da sei weniger gewesen als einmal die Händewaschen und geleich darauf abgeterocknet."

Hans Lach wird entlassen und enttarnt sich wenig origninell in Teil 3 als der Ich-Erzähler der vorherigen beiden Teile.

Unter der Überschrift "Verklärung" pflegt Hans Lach dann nur noch sein eigenes Ego. Als neuer Mann an der Seite der Frau seines inzwischen verstorbenen Verlegers feiert er die wiedergewonnene Freiheit auf Fuerteventura, wo sie aus dem Ich-Erzähler Michael Landolf wieder einen Hans Lach machen will. ("... Auch gefiel mir Michael Landolf immer besser. Julia Pelz hatte das alles nicht gelten lassen können. Sie werde mich zurückführen zum eigenen Namen ...")

Hier philosophiert Walser dann wenig mitreißend über Weißbier, die spanische Sprache, sein Verhältnis zur eigenen Frau, die er längst verlassen hat, und über das Verrücktsein.

Die Spannung - so sie jemals vorhanden war - ist raus, die Buchstaben langweilen nur noch. Walser beschreibt eine infantile Liebesgeschichte, die auf dem gemeinsamen Interesse am Mysteriösen, Esoterischen basiert, den Leser aber nicht weiter zu fesseln vermag.

"Der Tod eines Kritikers" ist einfach nur langweilig. Allerdings gewährt er einen Einblick in die Eitelkeiten des mediengeilen Literaturbetriebes in Deutschland, doch da Walser sich selbst als Teil dieses Zirkuszeltes sieht und selbstverliebt nicht in der Lage ist, die gebotene Distanz des unparteiischen "Reporters" zu wahren, ist der Roman einfach nur mißglückt.

MfG
tw_24