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5. January 2004, 15:51   #1
Elli
 
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Julia Tavalaro - Bis auf den Grund des Ozeans

Julia Tavaloaro starb am 19.12.2003 im Kreis ihrer Familie und Freunde im Alter von 68 Jahren.

Wer war Julia Tavalaro?

Nachdem sie zwei Schlaganfälle erlitten hatte fiel die junge Mutter ins Koma. Das sie nach 8 Monaten wieder aufwachte bemerkte niemand da sie vollständig gelähmt war und sich niemandem mitteilen konnte. Die Behandlung die ihr vom Krankenhauspersonal zukam war dementsprechend meist lieblos und sogar grob und grausam - sie galt als hirntot.
Erst nach 6 Jahren wurde eine Sprachtherapeutin anhand von Julias Augenbewegungen darauf aufmerksam, dass sie sehr wohl bei klarem Verstand war.
Ihre Erlebnisse und Gefühle schrieb sie auf - mit Hilfe eines speziell für sie angefertigten Schreibcomputers in den sie mit der einzigen, mühsam erlernten kleinen Bewegung ihres Kopfes jeden Buchstaben einzeln eingab.
Das Buch - Bis auf den Grund des Ozeans - das Julia Tavalaro mit Hilfe das Schriftstellers und Lehrers für kreatives Schreiben Richard Tayson geschreiben hat ist das beeindruckenste Buch das ich jemals gelesen habe.
Unglaublich mit welcher Kraft diese Frau ihr Leben meisterte und sogar ihre Lebensfreude zurück gewann.
Für alle die im Gesundheitsbereich tätig sind sollte das Buch zur Pflichtlektüre werden und allen anderen kann ich es auch nur empfehlen.

Ich habe das Buch in einem Zug durchgelesen - es ist so fesselnd geschrieben, dass man es nicht mehr aus der Hand legen kann. Ein Buch das nachdenklich stimmt und Mut macht.

Auszüge aus dem Buch:

--Es ist der dritte Tag, nachdem ich aus dem Koma erwacht bin. Als sie meine Windeln wechseln und mich anziehen, höre ich eine der Schwestern sagen: -Die da kriegt heute Besuch. Eltern, glaube ich.-
Die andere sagt: -So eine Scheiße. Dann müssen wir sie saubermachen.-
Mein Herz setzt einen Schlag aus. Ich stelle mir vor, wie Mutter mit Rosen hereinkommt, wie Vater mich auf die Wange küßt und mir sagt, daß alles wieder gut wird. Wie soll ich ihnen sagen, daß ich wach bin?--

--Mein Vater steht mit tränenüberströmtem Gesicht am Fußende meines Bettes. Ich habe ihn nie zuvor weinen sehen, denke ich.
Er und meine Mutter glauben offensichtlich, daß es keine Hoffnung gibt. Ihr Kummer ist schwerer zu ertragen als der Schmerz in meinen Armen und Beinen, als meine Unfähigkeit, ihnen zu sagen, daß ich noch lebe.--

--Hallo, Mrs. Televaro-, sagt eine Stimme, die ich nicht kenne. -Können Sie mich hören?-
Ich will die Augen schließen und weiterträumen. Obwohl sie meinen Namen falsch ausspricht, lässt mich die Sanftheit in dieser Stimme zuhören. ...
-Ich bin Arlene Kraat von der Sprachtherapie. Wir wollen mal sehen, ob Sie sprechen können.-
Sie hält inne und ich spüre, dass ich einen Traum erlebe, einen Traum, der damit enden wird, dass ich als Närrin dastehen werde, während die Heldin sich abwendet und durch die Tür geht.
-Können Sie die Augen schließen, Mrs. Tavalaro?-
Diese Worte sind ein Schock, der mich in die Realität zurückreißt. Das ist kein Traum: Jemand spricht MIT MIR. Ich schließe die Augen. Ich öffne sie und sehe Arlenes Gesicht.
-Können Sie zweimal blinzeln?-
Ich tue es.
Stille füllt den Raum zwischen uns. Ihr Gesicht zeigt Schock und Trauer und Glück gleichzeitig. In den vergangenen Jahren war niemand auf die Idee gekommen, mir diese einfachen Fragen zu stellen.
-In Ordnung, Mrs. Tavalaro. Ich möchte, dass sie mit Augenbewegungen antworten. Können Sie die Augen nach oben bewegen, so?- Sie rollt die Augen zur Stirn hoch.
Ich beobachte sie dabei. Dann spüre ich, wie mein Geist sich mit einer schnellen Bewegung meiner Augen aus den Ozeantiefen des Schmerzes erhebt. Zum ersten Mal seit sechs Jahren fühle ich mich wie ein ganzer Mensch.--