Thema: Stichtage
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8. August 2006, 07:31   #252
Jules
 
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08. August 1991: Das bis heute höchste Bauwerk aller Zeiten stürzt ein

Der Radio-Warschau-Mast, ein Sendemast in Konstantynów, Gemeinde Gąbin war das höchste Bauwerk aller Zeiten.

Der 1974 von Jan Polak fertiggestellte und 1991 eingestürzte Mast war ein 646,38 m hoher, gegen Erde für eine Spannung von 120.000 Volt isolierter selbststrahlender Sendemast mit einem Gewicht von 420 t. Er diente dem 2.000 kW starken Langwellensender (Sendefrequenz: 227 kHz, ab 1. Februar 1988 225 kHz) des polnischen Rundfunks als Antenne in Form eines Halbwellenstrahlers. Der auf einem zwei Meter hohen Isolator stehende Sendemast war als Fachwerkkonstruktion aus Stahlrohr ausgeführt und hatte einen Querschnitt in Form eines gleichseitigen Dreiecks mit 4,8 m Seitenlänge. Der Durchmesser der Stahlrohre der Eckstiele betrug 24,5 cm, die Wandstärke der Stahlrohre der Eckstiele variierte in Abhängigkeit der Höhe zwischen 8 und 34 mm.

Die Mastkonstruktion bestand aus 86 Elementen von jeweils 7,5 m Länge und war in 5 Ebenen mit Pardunen von 50 mm Durchmesser, die mit Isolatoren unterteilt waren, abgespannt. Die Pardunen und Isolatoren des Mastes wogen zusammen 80 t. Zur besseren Zugänglichkeit der Flugsicherheitslampen und anderer Bauelemente des Mastes war in seinem Innern ein Aufzug installiert. Dieser Aufzug besaß eine maximale Fahrgeschwindigkeit von 0,35 m/s, benötigte also für eine Auffahrt 30 Minuten.

Das Sendergebäude, welches ein Volumen von 17.000 Kubikmetern besaß, befand sich ca. 600 m entfernt von dem Sendemast. Es beherbergte die Sendeanlage, die aus zwei parallelgeschalteten Sendern von Brown-Boveri und Cie mit einer Leistung von 1000 KW bestand. Die Sendefrequenz, welche als Eichfrequenz diente, wurde von einer Atomuhr erzeugt. Zur Sendeanlage, die eine Fläche von 65 ha beanspruchte, gehörte ferner noch ein Richtfunkmast für die Zuspielung des Radioprogramms.

Der offizielle Name der Anlage lautete Radiofoniczny Ośrodek Nadawczy w Konstantynowie, Radiowe Centrum Nadawcze w Konstantynowie oder Warszawska Radiostacja Centralna (WRC) w Gabinie.

Am 8. August 1991 um 18.00 Uhr MESZ stürzte der Sendemast beim Austausch der Pardunen in der obersten Abspannebene ein. Gelegentlich wird behauptet, dass der Einsturz auf Sabotage von sowjetischen Geheimdiensteinheiten beim Austausch der Abspannseile zurückzuführen ist. Technisch gesehen ist dies durchaus möglich, allerdings fehlen konkrete Beweise, ob dies seinerzeit geschah. Beim Einsturz sollen 3 Arbeiter getötet und 12 weitere verletzt worden sein, andere Quellen sagen, dass es weder Verletzte noch Tote gab.

Nach dem Einsturz des Sendemastes übernahm der Sender in Raszyn mit seinem 335 m hohen Sendemast die Aufgabe der Sendeanlage in Konstantynów. Dieser Sender dient seit 1974 zur Verbreitung des zweiten Programms des polnischen Rundfunks im Langwellenbereich während der Tagstunden auf der Frequenz 198 kHz. Allerdings konnte diese Anlage nur für eine Sendefrequenz genutzt werden. Die Ausstrahlungen auf der zweiten Frequenz 198 kHz mussten eingestellt werden, so lange nur eine Sendeanlage für Langwellenrundfunk zur Verfügung steht. Da die Langwellenfrequenzen des polnischen Rundfunks insbesondere für die Versorgung von im Ausland lebenden Polen mit heimischen Rundfunkprogrammen unentbehrlich sind, wurde geplant den Sendemast in Konstantynow wiederaufzubauen. Die denkbare Alternative, den Sendemast in Raszyn mit einer Frequenzweiche auszustatten, welche eine Nutzung der Anlage für beide Sender ermöglicht hätte, stand nicht zur Diskussion, da eine solche Einrichtung die Zuverlässigkeit und Effizienz der Sendeeinrichtungen reduziert hätte.

Allerdings scheiterten diese Pläne 1995 am Widerstand der ortsansässigen Bevölkerung und so musste ein neuer Standort für den zentralen polnischen Langwellensender gesucht werden. Dieser wurde auf dem Areal eines ehemaligen Truppenübungsplatz bei Solec Kujawski gefunden, wo zwischen 1998 und 1999 eine neue Langwellensendeanlage gebaut wurde. Diese Anlage, die am 4. September 1999 ihren Betrieb aufnahm, verwendet als Sendeantenne eine Richtantenne, bestehend aus einem 330 m und einem 289 m hohen Sendemast, die beide geerdet sind und wie die Sendemasten des Deutschlandfunks in Aholming und Donebach über eine Obenspeisung verfügen.

Mit der Inbetriebnahme dieser Anlage nahm der Sender in Raszyn wieder die 1991 unterbrochenen Ausstrahlungen des 2. Programms des polnischen Rundfunks auf der Langwellenfrequenz 198 kHz auf.

Ob heute noch das Sendergebäude und der Richtfunkmast der ehemaligen Station in Konstantynów existieren und welcher Nutzung sie unterliegen, ist nicht bekannt.

Seit dem Einsturz des Sendemastes ist der UKW- und TV-Sendemast Olsztyn-Pieczewo mit einer Höhe von 360 m das höchste Bauwerk in Polen. Der KVLY-Mast in Blanchard (North Dakota) ist seitdem wieder das höchste Bauwerk der Welt.

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