... und ich Böser komme erneut auf Dinge zu sprechen, die man bei der gegenwärtigen EM-Euphorie offenbar auch hier nicht gern hören will. Aber ich erzähle Euch trotzdem mal, wie es mir am letzten Donnerstag in Hamburg während einer U-Bahn-Fahrt ergangen ist.
Die Strecke bis zur Hafen-Haltestelle "Landungsbrücken" fahre ich seit Jahren oft, und sie dauert normalerweise etwa 15 Minuten. Da könnt Ihr Euch sicherlich vorstellen, wie glücklich ich war, als ich an diesem Nachmittag endlich nach
50 Minuten ankam. Und natürlich hat es mir unheimlich gut gefallen, an mehreren Haltestellen in einem Abteil, in dem sich die Menschen zusammenquetschen mußten, unendlich lange an jeder Station zu verweilen.
Das hat sicherlich auch dem Fahrer der U-Bahn Spaß gemacht, der spätestens bei der Haltestelle "Hauptbahnhof-Süd" in Panik sein Kippfenster schließen mußte, weil offenbar auch ihm perverse Fußball-"Fans" an den Kragen wollten. Ich saß zufällig im ersten Wagen direkt hinter ihm und konnte das alles hautnah miterleben. Dabei hatte ich noch Glück, denn die ganzen EM-Fans, mit denen ich eng zusammengepreßt im Abteil stand und die alle zur Großleinwand auf St. Pauli wollten, waren noch von der harmlosen Sorte: Sie schrien zwar unentwegt irgendwelche albernen Balltreter-Verse, aber wirklich aggressiv war niemand von ihnen.
Ganz anders die kreischende Menge auf dem Bahnsteig. Das pöbelnde, schon am frühen Nachmittag besoffene Fußballvolk sah zwar, daß diese U-Bahn bis auf den letzten Stehplatz bereits voll besetzt war, doch das hinderte die Bescheuerten nicht daran, wie wild auf die Fensterscheiben einzuschlagen, so daß auch mir allmählich der Spaß verging, zumal die brodelnde Masse auch noch versuchte, den Wagen umzukippen. Und wenn man dann ständig das "Deutschland, Deutschland!"-Gegröle hört und durch die Fensterscheibe aus einer Entfernung von nur wenigen Zentimetern in die haßerfüllten zu Fratzen erstarrten Gesichter dieser deutschen "Fußball-Fans" schaut, dann kann es einem schon sehr mulmig werden.
Woher kommen diese Aggressionen? Wer schürt nur diesen abgrundtiefen Haß? Nun, ich hatte ja bereits vorgestern auf einen meines Erachtens gefährlichen Beitrag des "Bild"-Demagogen F.J. Wagner hingewiesen, wie er auf schäbige Art die dumme Masse glauben machen will, daß der verdiente österreichische Sieg gegen uns vor 30 Jahren in Argentinien eigentlich nicht der Rede wert war. Wegen Politik und so. Und weil sich das kleine, hinterwäldlerische Bergvolk der Ösis sowieso nicht anmaßen darf, sich mit unseren glorreichen Spielern des großdeutschen Reichs zu vergleichen.
Ganz anders ist es natürlich, wenn eine deutsche Lichtgestalt wie Ballack den Ball ins österreichische Tor befördert, dann fallen bei F.J. Wagner alle Schranken:
Zitat:
Lieber Michael Ballack,
gratuliere zum Hammer–Jahrhundert-Tor. (...) Diesem Schuss mit Vollspann und der unvorstellbaren Geschwindigkeit von 121 km/h sind schlaflose Nächte und unentwegte Zerknirschungen vorangegangen. Was läuft falsch bei uns? Warum spielen wir sch ...e?
Wie Wasser auf dem Herd, wenn es zu kochen beginnt, reifte Ihr Schuss. Es war ein Gewaltschuss. Es war ein Schuss gegen alle Laptops, Designer-Trainer. Es war ein Schuss von der Straße. Es war ein Schuss: Du oder ich. Es war ein Schuss wie aus den wilden Zeiten. Mann gegen Mann. Es war ein Schuss, über den wir noch lange reden werden, weil er ein Schuss gegen die Angst war.
Post von Wagner: Lieber Michael Ballack,
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Ja, so ist das eben für Springer-Schmierer wie F.J. Wagner und all die anderen, die auch heute noch darüber höhnen, daß sich die meisten Ösis damals unter Hitler nur zu gern dem "Großdeutschen Reich" angeschlossen haben, was übrigens sogar stimmt.
Aber ist es ein Grund, nach so langer Zeit auch heute immer wieder den Haß nicht nur gegen Österreicher, sondern vor allem auch gegen Polen, Italiener, Holländer und Türken zu schüren? Okay, der Begriff "Laptop" wäre in einem Propaganda-Artikel zu Zeiten des Dritten Reichs nicht vorgekommen. Ansonsten unterscheiden sich die beiden Beiträge von Wagner jedoch nicht im geringsten von dem, wodurch die Deutschen seinerzeit unter Hitler durch die Hetze der Hugenberg-Presse auf einen Krieg gegen Länder vorbereitet wurden, deren Einwohner man für zweitklassig, wenn nicht gar "minderwertig" hielt.
Seht mich ruhig als Spaßbremse, weil mir schon wieder dieses ekelhafte "Deutschland (über alles!)"-Gegröle gewaltig auf den Sack geht. Aber wenn auch ich nachmittags um 16.00 Uhr in einem U-Bahn-Abteil davor Angst haben muß, daß eine Horde besoffener, fahnenschwingender "Fans" von außen die Scheiben einschlagen könnte, dann ist es mit meiner Toleranz vorbei. Und hoffentlich merken irgendwann auch mal die Verantwortlichen beim Springer-Verlag, daß der noch immer schwierige Entwicklungsprozeß zu einem geeinten, vereinigten Europa, nicht durch solche primitiven Hetzartikel eines F.J. Wagners aufs Spiel gesetzt werden darf.
Gruß Ben