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21. April 2007, 14:32   #66
Ben-99
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... abwarten, liebes tschubblchen *g*.

Ich habe keine Kinder. Deshalb weiß ich auch nicht, wie man solche Fragen am einfachsten beantwortet. Und einem ausgewachsenen Ogino kann man ja schlecht sagen: Das lernst Du alles noch, wenn Du groß bist ;-)

Nein, ernsthaft: Natürlich geht es um die subjektive Wahrnehmung bei Terroristen/Freiheitskämpfern, die im Gegensatz zu irgendwelchen Lustmördern ganz sicher nicht "aus Spaß" töten. Vielmehr meinen sie im Recht zu sein, weil sie sich vom Staat, von einer Besatzungsmacht oder weiß der Himmel von wem auch immer bedroht fühlen und meinen, sich und andere "befreien" zu müssen.

Bei manchen Terroristen/Freiheitskämpfern sind die Motive nachvollziehbar. Und wenn der Großteil der Bevölkerung hinter ihnen steht, können sie durch gezielte Anschläge tatsächlich etwas bewegen. So zogen sich zum Beispiel die Engländer aus Israel zurück, nachdem der damalige Terrorist/Freiheitskämpfer Menachem Begin mit einer Bombe Zivilisten, darunter Angehörige der Besatzungssoldaten, also auch Frauen und Kinder, in die Luft sprengte. Und auch noch viele Jahre später, als der ehemalige Terrorist/Freiheitskämpfer als Ministerpräsident an der Spitze Israels stand, war er noch immer stolz auf den von ihm geleiteten Terror-Anschlag auf das "King David"-Hotel in Jerusalem:

Zitat:
Weltweit bekannt wurde das Hotel für den Bombenanschlag am 22. Juli 1946 durch die von Menachem Begin geführte radikal-zionistische Untergrundorganisation Irgun. Das Hotel beherbergte damals einige Abteilungen der britischen Mandatsregierung und Büros des Generalstabs der britischen Armee für Palästina. Der größte Teil des Komplexes wurde aber immer noch als Hotel genutzt.

(...)

Die ehemalige Irgun-Aktivistin Sarah Agassi, die zu den Tätern gehörte, sagt, der Anschlag sei „kein Terror” gewesen. „Wir haben für unsere Unabhängigkeit gekämpft. Wir wollten, dass die Briten verschwinden.”

King David Hotel - Wikipedia
Ich denke mal, daß es ihm und der israelischen Bevölkerung damals schnuppe gewesen wäre, ob ein Ogino die Tötung von über 90 Menschen für einen "feigen, grundlosen, sinnlosen und hinterhältigen Mord" hält. Am Ende zählt nur das Ergebnis, wer gesiegt hat und was später in den Schulbüchern darüber zu lesen ist. So werden dann, je nach Sichtweise, aus Terroristen Freiheitskämpfer oder umgekehrt. Daß die Begriffe austauschbar sind, ist längst eine Binsenweisheit und sollte eigentlich nicht zum 100. Mal erneut erklärt werden müssen.

Oder Du hättest auch die damalige deutsche Bevölkerung fragen können: Was meint Ihr, wäre ein Attentäter, der Hitler mit einer Bombe in Stücke reißen läßt, ein glorreicher Held oder ein feiger Mörder? Ich muß Dir ja wohl nicht sagen, welche Antwort Du erhalten hättest. Aber nach '45 "wußte" natürlich jeder, daß Leute wie Stauffenberg edle Freiheitskämpfer waren.

Und was ist mit den Leuten, die mit der blutigen französischen Revolution überhaupt erst die Grundlage für ein größtenteils freies demokratisches Europa geschaffen haben? Waren es auch alles nur "feige Mörder"? Oder diejenigen, die alles andere als gewaltfrei das Ende der Zaren-Herrschaft herbeiführten? Oder Castro und Guevara, die den Diktator Batista aus dem Land jagten? Hat das kubanische Volk etwa auch nur "feigen Mördern" zugejubelt?

Ob es uns paßt oder nicht: Auch die RAF-Leute sahen sich damals in dieser Tradition als Freiheitskämpfer. Sie suchten sich ihre Opfer gezielt aus, die allesamt Repräsentanten des für sie so verhaßten kapitalistischen Systems waren und nahmen das Schicksal der Fahrer und Begleiter, auch den Tod von Polizisten, als "Kolateralschaden" in Kauf. Da ihr brutales Vorgehen, ihre wirren Forderungen und überhaupt ihre Motive aber kaum nachvollziehbar waren, auch für mich nicht, blieb die erhoffte Unterstützung seitens der Bevölkerung aus. Und so endeten die RAF-Leute entweder im Sarg (es sind ja mehr von ihnen selbst umgekommen als Menschen durch ihre Anschläge) oder im Gefängnis. Eigentlich eine ganz normale "Karriere" für Terroristen/Freiheitskämpfer, die es nicht geschafft haben, ihren Feind, die Staatsmacht, zu "besiegen", was im Fall der RAF sicherlich auch gut war. Aber auch das ist nur meine subjektive persönliche Meinung. Wie man weiß, gab es damals nicht wenige Bürger, die aus ihrer "klammheimlichen Freude" keinen Hehl machten. Und zu ihnen gehörten auch Leute wie Heinrich Böll, die alles andere als "dumm" oder gar Sympathisanten "feiger Mörder" waren.

Allerdings sollte man auch bedenken, daß Deutschland in der sogenannten "'68er"-Zeit noch etwas anders als heute aussah: Nicht nur an den Schulen und Universitäten tummelten sich Alt-Nazis unter den Lehrern und Professoren, darunter viele, die tatsächlich "feige Mörder" waren. Es gab sie auch in der Politik. Und vor allem gab es eine militante Springer-Presse, die täglich das Volk gegen linke Studentenführer und ihre Anhänger aufhetzte, von denen die meisten damals noch sehr wohl zwischen "Gewalt gegen Sachen" und "Gewalt gegen Personen" unterscheiden konnten und auch wollten. Das galt auch für die späteren Gründer der Baader-Meinhof-Gruppe, die nachweislich zunächst gar nicht vorhatten, auch Menschen zu töten. So sind manche Historiker auch heute noch der Meinung, daß die viel zu überzogene und weitgehend demagogische Berichterstattung, etwa über den Prozeß, in dem es um eine vergleichsweise noch harmlose Kaufhausbrandstiftung ging, überhaupt erst dafür sorgte, daß aus den "gemeingefährlichen" Tätern, als die sie ständig bezeichnet wurden, später dann wirklich Mörder wurden.

Aber das führt jetzt alles zu weit. Wem es Mühe macht, die damalige Situation in Deutschland nachzuvollziehen, wer sich vielleicht auch nicht mal später darüber informiert hat, der soll halt weiterhin die Dinge nur aus heutiger Sicht bewerten und stolz darauf sein, daß er natürlich fähig ist, jederzeit einen Terroristen von einem Freiheitskämpfer zu unterscheiden. So was "weiß" man ja schließlich. Das hat man auch im "Gefühl" und muß sich daher auch gar nicht erst umständlich mit irgendwelchen langweiligen Geschichtsbüchern befassen.

Gruß Ben