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29. August 2002, 12:43   #36
tw_24
 
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Zitat:
Zitat von peet
Ist ihre Angst, Verzweifelung und Trauer, sind ihre Traenen und ihr Schmerz weniger als der Schmerz eines anderen?
Ich finde den Vergleich mit dem Tode eines Kindes in der 3. Welt oder in Irak unmoeglich.
Der Einwand ist berechtigt, allerdings würde ich es heute auch nicht anders formulieren. Mir ging es gar nicht darum, Leiden gegeneinander aufzurechnen, was mich aber stört - und daher auch Begriffe wie "Heuchelei" etc. - ist die mediale Nichtbeachtung solcher alltäglichen Katastrophen, während vor allem die eher dem Boulevard verpflichteten Medien mit Vorliebe die verzweifelten Gesichter von Menschen, die aus der Evakuierung in ihre zertörten Häuse zurückkehren, in Großaufnahme zeigen und Mitleid heucheln. Dabei sind die Betroffenen, denen es wirklich dreckig geht, doch nur Kanonenfutter, mit dem die Pausen zwischen den Werbeblöcken gefüllt werden - und, nebenbei, die zahlreichen Hilfsorganisationen melden ausgesprochen geringe bis gar nicht vorhandene Spendeneingänge für die Opfer des Hochwassers in China ...

Mich selbst hat das Hochwasser verschont, unser Mitglied Cli dagegen zum Beispiel leider nicht :-(. Ich hatte zwei Tage lang kein Kabel-TV, für ein paar Stunden fiel auch mal die Warmwasserversorgung aus, doch das sind Bagatellen - trotzdem traf mich der TV-Ausfall hart, denn das lokale Dresden-TV brachte wirklich gute und informative Sendungen in den Tagen, in denen das Chaos zu herrschen schien.

Allerdings war und bin ich eigentlich auch nachmittäglich für ein paar Stunden irgendwo im (freiwilligen) Hilfseinsatz, denn in den am schlimmsten betroffenen Stadtteilen von Dresden gibt es wirklich viel zu tun. Gestern war ich zum Beispiel in Dresden-Laubegast, wo das Wasser mindestens die Erdgeschosse vieler Häuser "erobert" hatte. Die Straßen sind nun voll von nicht mehr zu gebrauchenden Wohnungseinrichtungen - wenn da gelegentlich Vergleiche mit 1945 gezogen werden, kann ich das an dieser Stelle durchaus nachvollziehen. Schlimmer noch sehen dann die leergeräumten Wohnungen und Geschäfte aus - ganze Parkettböden hat das Wasser hochgehoben, Fließen aus den Wänden gerissen und eine nicht gerade angenehm riechende Schlammschicht hinterlassen, in der sich immerhin Mücken ganz prächtig zu vermehren scheinen.

Aber neben all den Zerstörungen gibt es doch noch einige Lichtblicke - für das leibliche Wohl, wie das so schön heißt, ist nämlich geradezu hervorragend gesorgt. Zumindest in Dresden, das als Metropole und "Weltstadt" natürlich etwas bevorzugt behandelt wird, gibt es nun richtig internationale Küche für die Helfer. Ich jedenfalls habe in den letzten Tagen Dinge verspeist, von deren Existenz ich bisher nicht die geringste Ahnung hatte - es macht also auch irgendwie "Spaß", als Katastrophenhelfer mit zuzugreifen, wobei der Anlaß freilich alles andere als lustig war und ist.

Unabhängig davon werde ich mich aber auch nicht zurückhalten, wenn es um eine politische oder abstraktere Analyse geht - das mag dann zynisch wirken, aber ich kann damit leben und dazu stehen.

Im nicht betroffenen Gebiet von Dresden steht zum Beispiel die "Gläserne Manufaktur" von VW, in der das Nobel-Mobil "Phaeton" zusammengeschraubt wird. Das Auto sieht ästhetisch nicht nur erbärmlich aus, es schluckt unter Idealbedingungen auch noch satte 17 Liter Super Plus auf hundert Kilometern - in der Praxis dürften es dann also mindestens 20 Liter sein. Prominente Nutzer dieser fahrbaren Umweltkatastrophe sind zum Beispiel Gerhard Schröder und dessen neue Wunderwaffe Peter Hartz.

Wenn mir da nun ein Gerhard Schröder eine "nationale Katastrophe" unterjubeln will, dann würde ich diese (nicht nur verbale) Dreckschleuder, die sich Kanzler nennt, am liebsten in der Elbe ertränken.

Und da wären wir auch schon beim nächsten Begriff, der mich - politisch betrachtet - unheimlich stört: "nationale Katastrophe". Klar, eine Katastrophe ist es, doch warum sollte sie "national" sein? Mich hat niemand beim Sandsack-Stapeln nach meinem Paß gefragt, und ich habe auch nicht gefragt, ob ich nun möglicherweise Deutschen helfe oder etwa einer vietnamesischen Familie. Natürlich entsteht bei der Hilfe ein gewisses "Wir-Gefühl", doch wenn da nun unsere politische Klasse eine vollendete "Einheit der Deutschen" (Gerhard Schröder) erblickt, dann widert mich das einfach an - es haben, gerade in Dresden, auch unzählige Nicht-Deutsche mitgeholfen und bis auf die NPD und deren JungnaziOrganisation hat auch niemand gesagt: "Ich bin Deutscher, und genau deshalb helfe ich mit."

Ebenso habe ich Bauchschmerzen, wenn ich an der Seite von Bundeswehrsoldaten arbeite - nicht weil ich die Soldaten nicht mag, sondern weil ich die Organisation Bundeswehr am liebsten abschaffen würde, die jetzt natürlich mal wieder ihr Image aufpolieren kann.

Doch das sind alles Probleme, die vor Ort einfach nicht zählen - das kommt erst, wenn ich zu später Stunde im Biergarten sitze und auf den Tag zurückblicke.

Denn das ist ja auch noch eine wirklich seltsame Situation im Katastrophengebiet Dresden - auf der einen Seite herrscht allerschönste Normalität, während keine dreihundert Meter weiter zumindest noch die Keller von Wohnhäusern trockengelegt werden.

Ikea legte mir gestern den neuen Katalog in den Briefkasten - Ikea Dresden ist zumindest teilweise abgesoffen.

Auf einem Plakat, das für ein Mineralwasser wirbt, sehe ich fünf nette Mädchen in einem Boot einen Fluß befahren - darüber steht: "Hier sind wir zuhaus'.", eine Werbung für ein anderes Mineralwasser zeigte jüngst den Zwinger überschwemmt von bläulich-prickelndem Mineralwasser - heute käme vermutlich niemand mehr auf den Gedanken für ein solches Werbemotiv.

Es sind einfach seltsame Zeiten ...

MfG
tw_24