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26. June 2002, 17:05   #1
tw_24
 
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Die "Moffen" kommen - das deutsch-niederländische (Nicht-) Verhältnis

Es ist gar nicht so einfach, Artikel über niederländische Vorurteile gegenüber Deutschen zu finden - vom leidigen Thema Fußball einmal abgesehen.

Dies könnte nun einerseits belegen, daß es den unterstellten Deutschenhaß nicht gibt oder dessen Thematisierung noch mehr tabuisiert wird als stramm-doitscher Antisemitismus. Dann wäre allerdings wirklich zu fragen, wieso dies geschieht.

In Ermangelung eigener Erfahrungen mit im Sinne der Anklage schuldigen Niederländern kann ich dazu auch nicht viel sagen; wie mein geschätzter Kollege Droste würde ich ja ohnehin viel lieber Belgien bombardieren ;-).

Wie auch immer, ein paar Bemerkungen, die das manchmal anscheinend doch recht gespannte Verhältnis der Holländer zu den "Moffen" bestätigen, habe ich gefunden und werfe sie Euch nun erstmal unkommentiert zum Fraß vor ...

Zitat:
Haß auf "Moffen" ist schon Tradition

von Falk Madeja

Der niederländische Libero Ronald Koeman konnte seiner Freude vor einigen Jahren nicht anders Ausdruck verleihen: Nach dem Sieg seiner Elf gegen Erzfeind Deutschland im EM-Halbfinale wischte er demonstrativ mit einem deutschen Trikot sein Hinterteil ab. Auch Verteidiger Frank Rijkaard zeigte deutlich, was er ganz allgemein von seinen Nachbarn hält: Er spuckte ausgerechnet einem lebenden Denkmal der Deutschen, Rudi Völler, Gift und Galle ins Gesicht.

Wer denkt, daß dies lediglich Entgleisungen sind, irrt. Trotz des wohlmeinenden Arbeitsbeschaffungsprogramms der Deutschen, das etwa bewirkte, daß mittlerweile niederländische Arbeitskräfte die TV- und die Tomaten- Branche dominieren, mögen die uns immer noch nicht. Es ist sogar so, daß 99 von 100 Niederländern glauben, Rudi hätte statt Rijkaard gespuckt! Doch es ist noch schlimmer. Eine Untersuchung des Cingendael-Institutes für Internationale Beziehungen in Den Haag unter 1.800 niederländischen Teenies brachte deprimierende Ergebnisse: Demnach glaubt die Hälfte aller Jugendlichen, daß die Deutschen auch 48 Jahre nach Hitler noch Krieg und die ganze Welt erobern wollen. Sechs von zehn halten ihre östlichen Anrainer für arrogant, drei von vier empfinden sie als zu dominierend. Niemand in Europa ist in den Niederlanden demnach unbeliebter als die "Moffen" (so lautet der Schimpfname für die Deutschen).

Selbst Untersucher Lutsen Jansen war erschrocken: "Anscheinend bekommen die Kinder das bei uns mit der Muttermilch eingetrichtert." Das habe natürlich mit den Verbrechen des Zweiten Weltkrieges zu tun, aber auch damit, daß sich viele Niederländer von dem übergroßen Deutschland immer in die Defensive gedrängt fühlen. Auf der Straße, in der Schule und zu Hause werden eifrig Vorurteile gepflegt, Informationen aus dem Nachbarland so lange gefiltert, bis sie ins Negativbild passen. Als Symbol gelten dabei die Deutschen, die ihr Übergewicht an die holländischen Nordseestrände Scheveningen und Zandvoort wuchten. Jansen: "Der Deutschenhaß gehört in den Niederlanden schon zur Folklore, ist Tradition."

Daß Deutschland, immerhin größter Handelspartner der Niederlande, nicht immer so negativ dastehen solle, bewegte die Regierung in Den Haag schon zu einer rührigen Aktion. Sie bezahlte eine sogenannte "Postbus 51 Kampagne". In Gemeinderäumen, Bibliotheken und auf Postämtern hing der ernstgemeinte Satz: "Auch Deutsche sind gewöhnliche Menschen." Der Erfolg blieb aus. Nicht einmal die Hälfte der Jugendlichen möchte heute überhaupt etwas mit den Deutschen zu tun haben.

Die andere Hälfte kündigte zumindest verbal an, mit deutschen Jugendlichen Kontakt aufnehmen zu wollen. Außerdem, das Bonmot scheint zu stimmen: "Alle Niederländer hassen die Deutschen, mit der Ausnahme derer, die sie persönlich kennen." Von den Teenies, die sich wirklich für Deutschland interessieren, haben nur unwesentliche acht Prozent ein Negativbild vom Nachbarland.

(taz 05.04.1993, s. 20)
Zitat:
Die Kunst der Kollektivbeschimpfung
Gerade mal Polen und Holländer beherrschen sie noch

von Christian Semler

Bekanntlich schwanken wir Deutschen zwischen Minderwertigkeitsgefühlen und Größenwahn. Kollektivbeschimpfungen seitens unserer Nachbarn tun uns gut, wir dürfen kollektiv beleidigt sein, unser Selbstmitleid wird gestärkt, unsere zerrüttete Identität richtet sich auf. Gott sei Dank, niemand kann uns leiden!

Unglücklicherweise zeigt dieses Schutzschild der Rundrum-Beleidigungen neuerdings Risse. So mußte die um das Ansehen der Deutschen im Ausland stets besorgte FAZ kürzlich melden, daß in Frankreich der gute alte "Boche" nahezu außer Gebrauch geraten ist. Gut hundert Jahre tat das Schimpfwort, dessen Herkunft je nach wissenschaftlicher Laune entweder auf tête de boche = Holzkopf oder, noch älter, auf caboche/ cabos = Dickschädel zurückgeführt wurde, gute Dienste. Jetzt ist kein Ersatz in Sicht. Denn das von S. M. Carrère im Auftrag der Pariser Polizei herausgegebene Wörterbuch des Argot verzeichnet nur matte Synonyme: haricot vert (=grüne Bohne), Fridolin, frisé (=gekräuselt) und das unvermeidliche, gemeineuropäische "Fritz".

Schwächlich auch, was die Italiener anbieten. "Crauti" ist angloamerikanischer Abklatsch, "crucchi" beleidigt möglicherweise nur die Behinderten. Die Dänen haben rein gar nichts vorzuweisen, außer den "Polse-Tysker" (Wurst- Deutschen), eine schwächliche Replik auf die Bezeichnung "Speck- Dänen", die zudem längst aus der Mode ist.

Im Westen schwenken nur noch die Holländer das aufrechte antideutsche Fähnlein. "Moffen", etymolgisch mit Muffel verwandt und ursprünglich einen ungehobelten Klotz bezeichnend, hält nach Ansicht des Kölner Instituts für Niederlandistik die absolute Beschimpfungs-Monopolstellung und erfreut sich allgemeiner und regelmäßiger Verwendung.

Gut im Kurs liegt auch noch das Schweizer "Schwab", ein Schimpfwort, das die bekannten schlechten Eigenschaften dieses Volksstamms (Belehrungssucht, Geiz, Auftreten in Rudeln) umstandslos auf die Deutschen in toto überträgt. Hingegen verfügen die benachbarten Österreicher nur über das matte "Piefke", dessen preußischer Adressat sich längst aus der Geschichte abgemeldet hat und das jetzt nur noch die kleine Minderheit der wendisch-stämmigen Berliner (Suffix -ke) verunglimpft.

Schauen wir uns im Osten etwas genauer um, so darf den Tschechen bescheinigt werden, daß sie treu an "skopcák" festhalten, was wörtlich die "Leute von den Hügeln" heißt, aber konkret auf die hinterwäldlerischen Sudeten- und Böhmerwald-Deutschen gemünzt ist. Bedauerlicherweise hat das "Dederoni" den Zusammenbruch des gleichnamigen Staatswesens nicht überlebt.

Bleiben uns als zuverlässigste Beschimpfer die Polen. "Szwab" hat eine ähnliche Funktion wie sein Schweizer Pendant. Das mit dem tschechischen verwandte "szkop" gilt als besonders gemein, wird aber nur begrenzt verwendet. "Hitlerowcy", Synonym für "Nazis", ist auf die ältere Generation beschränkt. Aber die Polen, sprachschöpferisch wie sie sind, haben ein neues, dem alten "Fryc" (= Fritz) nachgebildetes Schimpfwort hervorgebracht. Es lautet "Helmut", weibliche Form aparterweise "Helmutka", und stammt aus dem Milieu des freien, hauptsächlich mit Autohandel beschäftigten Unternehmertums.

Aber stehen wir Deutsche selbst denn besser da? "Spaghetti", "Polaken" (sprachlich sogar korrekt von "polak"), Fidschis (auch nur eine Inselgruppe), der "Iwan", der "Tommy", der "Ami" - kann aus diesem Material wirklich eine zeitgemäße, euro-atlantische Beschimpfungsfront aufgebaut werden?

(taz 15.03.1996, s. 20)

Zitat:
Gemischte Gefühle
Helmut Kohls "Arbeitsbesuch" in den Niederlanden

von Henk Raijer

Der zweitägige "Arbeitsbesuch" Helmut Kohls in den Niederlanden ist vor allem ein geschickter Kompromiß. Eigentlich sollte der deutsche Regierungschef schon vor 17 Tagen reisen. Als im Vorfeld der Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Befreiung von der Nazi-Besetzung Hollands Regierung auf die delikate Idee verfiel, erstmals seit Kriegsende gemeinsam mit dem heute befreundeten Nachbarn zu gedenken, gab es umgehend die rote Karte für Premier Wim Kok. Mit den Deutschen gemeinsam gedenken? "Auf keinen Fall", hieß die empörte Reaktion ehemaliger Widerstandskämpfer, Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge, "nicht solange wir noch am Leben sind."

Aus der Feierstunde, die die immer wieder auflebenden "atmosphärischen Störungen" hätte besänftigen sollen, ist ein Arbeitsbesuch geworden. Aber auch wenn es sich offiziell um eine Routinebegegnung mit Routinethemen handelt - der Besuch jenes Elefanten, dem noch jedes Porzellan zum Opfer fiel, ruft auch zwei Wochen nach dem 5. Mai bei vielen Niederländern böse Erinnerungen wach.

Die Deutschen können machen, was sie wollen - kein anderes Volk in Europa ist in Holland unbeliebter als die "Moffen". Deswegen auch hat Kohls Besuch in Den Haag und Amsterdam, ganz besonders aber in Rotterdam, der angesagten "Routine" zum Trotz Symbolcharakter. Gerade die Rotterdamer tun sich schwer mit Versöhnung. Zehn Minuten nur brauchten die deutschen Bomber am 14. Mai 1940, um die Hafenmetropole für Jahrzehnte zu einem Mekka für Städtebauer zu machen. Kein Wunder, daß vor allem die gestrige Kranzniederlegung am Mahnmal auf dem "Plein 1940" von der holländischen Öffentlichkeit mit Argusaugen registriert wurde. Hier streckt inmitten einer hypermodernen Skyline Ossip Zadkines Bronzestatue "De verwoeste stad" (die zerstörte Stadt) verzweifelt beide Arme gen Himmel, das Herz ist der Figur aus dem Körper gerissen.

Trotz dynamischen Wiederaufbaus können mit den Rotterdamern viele Holländer nur schwer vergessen. Mögen der deutsche und der niederländische Regierungschef noch so oft die Normalität in den Beziehungen beider Länder beschwören - spannungsfrei ist das Verhältnis zwischen Deutschen und Holländern auch ein halbes Jahrhundert nach der allzu heftigen Umarmung durch das "arische Brudervolk" nicht. Daß hier nicht nur holländische Selbstgerechtigkeit im Spiel, vielmehr nach wie vor Mißtrauen angebracht ist, zeigt gerade die jüngste, für den Geschmack der Niederlande allzu exklusive Zurschaustellung deutsch-französischer Busenfreundschaft.

(taz 23.05.1995, s. 10)
Ach ja, da fällt mir dann doch noch ein Argument für holländische Verschnupftheiten gegenüber Deutschen ein: der Schlieffen-Plan. Wenn man bedenkt, mit welchem Größenwahn da der am Ende gescheiterte Stratege die Benelux-Länder quasi im Handstreich übernehmen wollte, um dann über Frankreich herzufallen, ist die mentale "Gegenwehr" historisch sicher nicht unberechtigt. Und wenn ich daran denke, daß es offiziell als "Normalität" betrachtet wird, wegen Auschwitz-Birkenau wieder Kriege in aller Welt zu führen, dann möchte ich beinahe zur Pistole greifen und mich selbst richten wegen (m)eines Kanzlers, der die "Enttabuisierung des Militärischen" ernsthaft als "Erwachsenwerdung" feiert - die NSDAP ging mit ihrer Verurteilung der "Schanddiktate von Versailles" im Grunde ganz ähnlich vor, allerdings bekam diese spezielle Rückkehr Deutschlands zur "Normalität" weder den Niederländern gut noch einigen anderen europäischen Staaten, Deutschland eingeschlossen ...

MfG
tw_24