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1. January 2006, 21:19   #32
tw_24
 
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Zitat von Ben-99
Und vor allem: Was ist eigentlich die Aufgabe der sogenannten unabhängigen "Wahlbeobachter", die solche Manipulationen verhindern sollen?
Internationale Wahlbeobachter sind, will man es ganz böse formulieren, im Zweifelsfall kaum mehr als Dummköpfe, die sich, mehr oder weniger idealistisch, verheizen lassen als ein Aushängeschild für manchmal auch sehr üble Diktaturen. Ihre Anwesenheit wertet nämlich in den Augen der Untertanen auch noch die allergrößte Wahlfarce ungemein auf. Seht her, kann ein Diktator verkünden, die UNO schickt Leute als Beobachter, also lügt diese vaterlandslose Opposition, wenn sie sich unterdrückt wähnt.

Andererseits gewährleisten Wahlbeobachter aber doch, daß Unregelmäßigkeiten entweder gleich ausbleiben oder zumindest nicht unentdeckt bleiben und die Information darüber auch öffentlich wird. Sie sichern insofern also zumindest, daß eine Wahl oder Abstimmung weitgehend den Ansprüchen genügt, die die Veranstalter verkünden. Ernsthaft verhindern können sie eine inszenierte Scheindemokratie nicht, ihre administrativen Befugnisse sind ja auf das Zuschauen beschränkt.

Im Irak nun fand tatsächlich eine demokratische Wahl statt, deren Ergebnis nicht vorherbestimmt war bzw. ist. Es gab diverse Verstöße gegen die 'demokratischen Sitten', die das Endergebnis unterdessen nicht wesentlich verfälschen, etwa im Sinne einer bestimmten Partei oder Gruppierung, die eigentlich chancenlos ist, oder gar in dem der "Besatzer". Verstöße, die es gab, wurden gemeldet und werden von der Unabhängigen Wahlkommission geprüft.

Und im Ergebnis dieser Prüfung werden - sofern als nötig befunden - auch Nachwahlen angeordnet werden, (bürgerliche) Demokratie wird bzw. wurde im Irak jedenfalls nicht nur simuliert, zumal ja auch durchaus kritische Wahlbeobachter zugelassen wurden - wie etwa André Brie von der Linkspartei.PDS, der aus seiner Ablehnung der "Besatzer" kein Geheimnis macht. Geht er hinsichtlich der jüngsten Wahl nicht auf die Barrikaden, dann muß Alawi sich wohl irren.

Die Vorwürfe, die letzterer äußerte, sind unterdessen auch vergleichsweise einfach zu entkräften. Daß zumindest im kurdisch dominierten Nord-Irak die kurdische Liste aus KDP und PUK teilweise sehr hohe Zustimmung erzielte, verwundert nicht, wenn man bedenkt, daß die großen Parteien im Irak 'ethnische' Parteien sind - Kurden wählen eben Kurden, Schiiten Schiiten und Sunniten diesmal nicht den Wahlboykott.


Frauenpower ... trotz oder wegen der Kopfbedeckung

Ich halte das Konzept dieser 'ethnischen' Parteien für problematisch, begrüßenswert wären sicher mehr und - vor allem - gewichtigere Parteien, die wegen ihrer gesamtirakischen Ansichten gewählt werden (oder eben auch nicht), die sich jedenfalls nicht über eine ethnische Zugehörigkeit definieren, also quasi ethnisch-säkulare Parteien wie beispielsweise die Kommunistische Partei die für Kurden ebenso (un-)wählbar ist wie gleichermaßen für Bewohner des irakischen Südens.

Noch allerdings geben die 'ethnischen' Parteien den Ton an, auch sie haben ja durchaus ihre Berechtigung. Die kurdischen Parteien (angetreten als eine Liste) etwa haben es sich zur Aufgabe gemacht, die weitgehende Autonomie des Nord-Irak innerhalb des Irak zu erhalten oder institutionell soweit zu festigen, daß daran nicht mehr gerüttelt werden kann, während sie im Nord-Irak ja durchaus konkurrieren - und sich unbeliebt machten wegen Vetternwirtschaft und Korruption. Normale Politik eben ;-).

Deshalb war diesmal im Nord-Irak die Wahlbeteiligung unterdurchschnittlich, freilich dennoch hoch genug, um das parlamentarische System als solches zu legitimieren. Sunniten, im Bath-Faschismus das herrschende "Volk", boykottierten die Wahlen nicht, was letztlich auch für die neue Demokratie spricht. Daß sie nun Manipulationen vermuten, auch schon auf die Straßen gingen, um zu protestieren, liegt unterdessen daran, daß sie eine Minderheit im Irak darstellen.

Und wenn sie, wie schon dargelegt, ethnisch wählen, können sie letztlich in der neuen Regierung auch gar keine Mehrheit bekommen - und müssen mit dem Wahlergebnis, das hoffentlich bald veröffentlicht wird, unzufrieden sein. Deshalb gibt es aber ja auch in der Verfassung festgelegte 'Quoten', die den Minderheitenschutz gewährleisten sollen. Frauen gehören übrigens auch dazu, 25 Prozent der Parlamentssitze sind ihnen sicher, eine Frauenpartei gab es, soweit ich das überblicke, indes nicht.

Gut wäre es aber, gäbe es eine solche Partei in dieser doch noch sehr patriarchalisch geprägten Gesellschaft, Frauenquoten sind nämlich im Grunde auch recht zweifelhaft, eher eine Art Almosen denn Zeichen wirklicher oder verwirklichter Emanzipation, aber in dieser Hinsicht befindet der Irak sich sowieso erst am Beginn eines sicher noch längeren Weges, die Bundesrepublik Deutschland brauchte ja auch Jahrzehnte, um sich dann noch ausgerechnet die Merkel zu gönnen ...

Wie auch immer, die Unregelmäßigkeiten, die es bei dieser Wahl gab, halte ich für zwar bedauerlich, sie sind aber vernachlässigbar. Stimmzettel, so ein Gerücht, seien im Umlauf, die im Iran staatsprofessionell gefälscht wurden - hat es sie gegeben, sind sie entdeckt worden. Schwerer wiegt unterdessen die Tatsache, daß nicht wenige Wahlwillige nicht wählen durften, da sie nicht in den Wählerlisten aufgeführt waren. Allerdings diskreditiert das eher die langsame Bürokratie als das konkrete Wahlergebnis, traf dieses 'Wahlverbot' doch Bürger in allen Landesteilen.

MfG
tw_24