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10. May 2002, 17:59   #36
tw_24
 
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In der heutigen Ausgabe der Tageszeitung "Junge Welt" erschien ein Kommentar,
der beinahe schon ein hervorragendes Beispiel ist für den latent vorhandenen
Anti-Semitismus mancher Zeitgenossen.

Werner Pirker als Kommentator übertrifft mit diesem Meinungsbeitrag auch noch
alles, was er bisher geschrieben hat. Allein schon der erste Satz ist ein her-
vorragendes Beispiel für "modernen" Anti-Semitismus, der sich als Kritik am
Vorgehen der israelischen Regierung tarnt:

"Der selbstmörderische Widerstand von Teilen der palästinensischen Befreiungs-
bewegung hat längst den Beweis erbracht, daß die israelische Aggression in den
Autonomiegebieten der Sicherheit der Israelis keineswegs förderlich ist."

Was an diesem Satz möglicherweise noch stimmt, ist allein der Schluß, daß mit
militärischem Vorgehen ein Frieden schwer zu erzielen ist. Allerdings sugge-
riert der Kommentator auch, es würde einfach ausreichen, wenn die israelische
Armee sich mal eben nur zurückzöge.

Doch genau davon kann wohl nicht ausgegangen werden, richtet sich der "selbst-
mörderische Widerstand von Teilen der palästinensischen Widerstandsbewegung"
doch erklärtermaßen gegen die Existenz Israels.

Erschreckend - allerdings nicht untypisch für Werner Pirker - ist vor allem
die Wortwahl. Zynisch wird Terrorismus als "selbstmörderischer Widerstand" bei-
nahe schon gepriesen, mit einer "Befreiungsbewegung" gleichgesetzt.

Eindeutig auch die Schuldzuweisung: Israel ist verantwortlich, die Terroristen,
die gezielt (!) sich und andere Zivilisten in die Luft jagen, sind dagegen Be-
freiungskämpfer. Auf diese zynische Weise, wird schon in diesem kleinen Satz
die Botschaft vermittelt, Israel sei ausschließlich selbst verantwortlich, die
Zivilisten, die zerfetzt, verstümmelt, verletzt werden, seien am Ende selber
schuld an ihrem Schicksal.

Und dieser einseitige Zynismus setzt sich dann auch im gesamten Kommentar fort,
den ich hier allerdings nicht weiter zerpflücken will.

(Wer ihn lesen will, klicke hier.)

Dieses kleine Beispiel illustriert hoffentlich überzeugend, wann und wie aus
berechtigter Kritik an Israel blanker Anti-Semitismus wird oder zumindest so
wahrgenommen werden kann. Beim oberflächlichen Lesen fällt diese anti-semi-
tische Tendenz vielleicht gar nicht auf, aber genau deshalb ist diese durchaus
intelligente Art der Kommentierung so gefährlich.

Freilich fehlt dem Kommentar noch ein Verweis auf die Juden, die in Deutschland
leben, dann wäre er wirklich "perfekt", würde er sich dann nämlich über die
Kritik an Israel auch noch gegen die deutschen Juden richten, die mit dem Kon-
flikt im Nahen Osten direkt nicht viel zu tun haben.

Noch ein Wort zur "Jungen Welt": In der DDR richtete sie sich, herausgegeben
von der FDJ-Spitze, als Tageszeitung an den Nachwuchs. Heute ist sie parteiun-
abhängig und hat auch ein paar lesenswerte Autoren wie Rainer Balcerowiak oder
Rainer Rupp zu bieten. Letzterer war einst als MfS-"Kundschafter" bei der NATO
in Brüssel "unser bester Mann" und kann daher wohl durchaus als Militärexperte
bezeichnet werden. Werner Pirker dagegen ist eine glatte Fehlbesetzung. Aber
mit Österreichern hatten die Deutschen ja immer gewisse Probleme ;-).

MfG
tw_24