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15. June 2001, 22:43   #2
Hanns
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Registriert seit: June 2001
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Nun, mein lieber Eyewitness, auf das angesprochene Thema will ich eigentlich garnicht eingehen, sondern im Prinzip nur auf die Gründe, wieso ich nicht darauf eingehen will.

Was hier eigentlich seit Jahren, Jahrzehnten versucht wird, zu erreichen, ist, nicht ohne weiteres greifbare moralisch-ethische Themen in klare, allgemeingültige Gesetze zu übersetzen. Das ist kein Problem, solange der allergrößte Teil der Bevölkerung ein ähnliches Moralempfinden besitzt - über das Verbot und die Sanktion von Mord und Diebstahl ist bestimmt nie lange diskutiert worden. Aber im Endeffekt kommt der Beschluß, das Beenden des Lebens eines anderen Menschen unter Strafe zu stellen, doch nur aus dem "Innersten" jedes einzelnen Menschen - es gibt keine wirklich faß- und greifbaren Gründe dafür, wieso Mord schlimm sein soll, außer dem moralischen Empfinden jedes einzelnen Menschen (wenn man mal davon absieht, daß ein bestimmter Mensch evtl. eine strategisch wichtige Position besetzt o.ä.). Ebenso richtet sich das, worauf jeder Mensch ein Recht haben sollte, auch nach dem moralischen Empfinden jedes einzelnen Menschen. Und hier kommen wir jetzt bei unserem Problem an: Sollte es das Recht jedes Menschen sein, einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen, weil sonst seine freie Persönlichkeitsentfaltung beeinträchtigt wird?

Um die Stärke dieses "Vorteils" des Schwangerschaftsabbruchs beurteilen zu können, müssen wir erst einmal beurteilen, wie stark die Argumente gegen den Schwangerschaftsabbruch aussehen. Allgemein wird befürchtet, daß eine Abtreibung einem Mord am ungeborenen Kind gleichkommt, und da Mord ja laut moralischer Übereinkunft einer überwältigenden Mehrheit der Menschheit inakzeptabel ist, wäre ein Schwangerschaftsabbruch ebenso inakzeptabel. Soweit stimmen Gegner und Befürworter des Schwangerschaftsabbruches überein.

Jetzt kommen wir also zum Kern des Ganzen: Ist es Mord, ein ungeborenes Kind zu töten? Dazu müssen wir folgende Fragen klären:
a) Was genau ist schützenswert? Leben oder menschliches Leben?
b) Wie ist Leben definiert? Durch bestimmte Stoffwechselvorgänge oder durch das Vorhandensein eines Bewußtseins der eigenen Existenz?
c) Ab wann, welchem Lebensalter ist dieses Bewußtsein vorhanden? Ist ein komatöser Patient nicht mehr am Leben, weil er nicht mehr bei Bewußtsein ist?

Hier trifft unser "moralethisches Empfinden" an die Grenzen des realexistenten, greifbaren und es wird klar, daß beide nicht so ohne weiteres vereinbar sind. Wenn ein Spermium noch entbehrlich ist, wo fängt das schützenswerte Leben an? Im Vierzellstadium? 8 Zellen? 16? 32? 64? In der dritten/vierten/fünften Woche? Im dritten/vierten/fünften Monat? Bis zur Ausbildung der Erkenntnis des eigenen Seins? Also bis zum dritten Lebensjahr? Oder bis zur vollen Ausbildung des Geistes, also postnatale Abtreibung bis zum 18. Lebensjahr? Was ist mit einem behinderten 35jährigen mit dem Intellekt eines Vierjährigen?
Soooo viele unbeantwortete, teils unbeantwortbare Fragen, weil sie alle eine konkrete, faßbare Definition eines unkonkreten, unfaßbaren Dings verlangen.

Wie kommen wir nun aus diesem Dilemma heraus? Ein Abdriften in die Beliebigkeit, Fatalismus at its best? Nein, im Endeffekt kann jeder nur selbst bewerten, wie er sich ein Zusammenleben mit anderen vorstellt. Alles was wir in einer solchen Diskussion machen können, ist, nicht bedachte ethische Fallstricke und Dilemmata aufzuzeigen, die der Diskussionspartner evtl. nicht bedacht hat. Aber im Endeffekt können wir an der persönlichen Gewichtung der Argumente nichts ändern, denn diese sind von Person zu Person verschieden.
Es mag in dieser Thematik auch ein paar rationale, greifbare Argumente geben ("Abgetriebene Föten können zur Stammzellenforschung verwendet werden" / "Abtreibung belastet die Krankenkassen"), aber im Endeffekt sind sie nicht das, was dieser Thematik ihre besondere Brisanz gibt, der Knackpunkt des ganzen ist der moralische Vorbehalt vieler Menschen gegenüber einer Tötung ungeborenen Lebens (oder, neutraler, der frühzeitigen Beendung einer Schwangerschaft).
Niemand, und ich glaube wirklich NIEMAND, wird seine moralischen Überzeugungen aufgrund einer Diskussion im Skats-Board ändern. Unter Umständen sind einzelne von uns nicht genug aufgeklärt über Schwangerschaftsabbrüche so daß ihre Meinung über den Schwangerschaftsabbruch durch Aufklärung verändert werden kann, doch seine moralischen Grundsätze wird dieser jemand nicht verändern, er kann höchstens seine Bewertung des Schwangerschaftsabbruchs aufgrund neuer Fakten ändern.
Und das ist der Grund, wieso ich es größtenteils sinnlos finde, unter, so hoffe ich mal, über den technisch-reellen Teil des Schwangerschaftsabbruchs aufgeklärten Menschen über die moralische Vertretbarkeit desselben zu diskutieren.

Moralische Entrüstung besteht in den meisten Fällen zu 2 Prozent aus Moral, 48 Prozent aus Hemmung und 50 Prozent Neid.
(Friedrich Nietzsche, dt. Philosoph, 1844-1900)