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13. March 2007, 17:54   #28
Ben-99
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... starke Worte von Claus Peymann in einem sehr lesenswerten "Spiegel"-Interview, in dem er gleich zu Anfang seine "Sympathie für Klars Kapitalismuskritik" betont:

Zitat:
denn er hat im Kern doch Recht. Auch wenn er sie in diesem altmodisch linken Kauderwelsch formuliert, ist sie deshalb nicht falsch (...) Ich denke, er muss die heutige Sprache erst mal neu erlernen. Im Gefängnis, noch dazu bei jahrelanger Isolation, fehlen einem - im wahrsten Sinne - die Worte, die Möglichkeit zur Anpassung an neue Sprechweisen. Gleichzeitig zeigt es die Perversität unserer Situation: dass wir heute nicht einmal mehr von einer Revolution sprechen dürfen. Ich glaube, dass drei Viertel der Weltbevölkerung die Probleme, die Klar angesprochen hat, durchaus ähnlich sehen.
Er weist zu recht auf die "zunehmende Gewaltbereitschaft, die Erosion aller ethischen Grundlagen, korrupte Politiker, Gewerkschafter und Manager" hin und macht noch einmal deutlich: "Das folgerichtige Scheitern der kommunistischen Diktaturen ist keine Legitimation für eine Diktatur des Kapitals". Und auf die Frage, warum die Diskussion über die letzten noch einsitzenden RAF-Häflinge derzeit so erbittert geführt wird, sagt er dasselbe, was auch ich hier schon vor Wochen betont hatte: "Da kommt ein neuer Fundamentalismus hoch, mittelalterliche Rachegedanken, ein Bedürfnis nach Vergeltung."

Und er lehnt es ab, daß die ehemaligen RAF-Mitglieder in einen Topf mit gewöhnlichen Verbrechern geworfen werden:

Zitat:
Es war auf jeden Fall nicht so, dass da eine Horde isolierter Desperados aus Mordlust einfach mal herumgeschossen und gebombt hätte. Am Anfang stand ein großer Aufbruch, der den besten Teil der Jugend erfasste, die aus dem Biedermeier der Adenauerzeit ausbrechen wollte. In Berkeley, in Paris, in Prag, überall suchten junge Menschen nach neuen Wegen. Von ihnen sind in diesem Land ein paar Minister geworden, etliche Journalisten und Verleger, wieder andere Theaterleute - und einige sind zu RAF-Leuten geworden.

Aber nicht - und das ist ein wichtiger Unterschied, der gerne unterschlagen wird - zu gewöhnlichen Mördern, die töten, nachdem sie eine Frau vergewaltigt haben oder die töten, um sich zu bereichern. Diese Terroristen haben getötet, weil sie glaubten, mit ihren Morden etwas gegen die Ermordung von hunderttausenden von Kindern und Frauen in Vietnam tun zu können, weil sie glaubten, etwas gegen das Elend in der Dritten Welt tun zu müssen. Wie Brecht seine Johanna der Schlachthöfe sagen lässt: "Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht...". Für mich ist Christian Klar deshalb eine tragische Figur.
Und dann macht Peymann klar, warum nicht nur er, sondern zum Beispiel auch ein ehemaliger Steine werfender Taxifahrer, der später zunächst als deutscher Außenminister jobbte und derzeit ohne Abi sogar im lustigen Amiland als "Professor" viel Kohle machen darf, damals vor über 30 Jahren in bezug auf die politischen Ansichten gar nicht so weit entfernt von Baader, Meinhof & Co. waren:

Zitat:
Ich stand Anfang der siebziger Jahre auch an diesem Scheideweg, an dem Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin oder auch Christian Klar standen. Ergreifen wir einen Beruf? Gehen wir zum Theater oder gehen wir in den Widerstand? Nehmen wir Steine und Knüppel, wie ein späterer Außenminister, oder nehmen wir auch eine Knarre, wenn ein Demonstrant von einem Polizisten erschossen wird, der friedlich gegen den Schah und sein Folterregime protestierte? (...) Ich habe keine Schuldgefühle, ich habe nur gelernt, die Beweggründe der Menschen zu erforschen. Sonst könnte ich keine Stücke von Kleist, Tschechow oder Handke inszenieren.
Und zu der bei solchen Gesprächen immer gern gestellten Frage, ob es denn nicht "Selbstanmaßung" der RAF-Leute gewesen sei, für das Wohl des Volkes auch mit Waffengewalt zu kämpfen, obwohl doch die vielzitierte "Arbeiterklasse" gar nicht hinter ihnen stand, fragt er klug zurück:

Zitat:
War die französische Revolution eine Anmaßung? Ist politische Utopie Anmaßung? Ist der Kampf für eine bessere Welt Anmaßung? Für ihren Lebensirrtum haben diese Menschen jedenfalls entweder mit ihrem Tod - oder mit einer sehr, sehr langen Gefängnisstrafe bezahlt. (...) Ja, wenn man den historischen Hintergrund, den Vietnamkrieg und den großen Weltverbesserungstraum ausblendet, dann stehen die Terroristen nur noch als kalte Killer da. Eine RAF-Debatte, die Sinn machen soll, müsste aber genau diesen Kontext rekonstruieren. Warum, müssten wir fragen, ist ein großer Traum so grausam umgekippt? Wie wurde aus dem Traum der Befreiung der Alptraum des Terrorismus?
Bemerkenswert auch, was ihm zu den beiden schrägen Kanzlern Helmut Kohl und Gerhard Schröder einfällt:

Zitat:
Wir haben es ja inzwischen auch mit Politikergenerationen zu tun, deren Spitzenvertreter sich als käuflich erweisen. Ich hätte vor 30 Jahren nie geglaubt, dass man einen Bundeskanzler kaufen kann. Mittlerweile haben wir schon zwei dieser Sorte hinter uns gelassen: Kohl, der die Namen seiner diskreten Großspender wohl mit ins Grab nehmen wird, und Schröder, der nicht zuletzt deshalb so ein guter Kumpel von Putin war, weil für ihn dann ein prima Job rausspringt. Jedenfalls ist die Optik so.
Und zu der heute leider auch immer noch von gefährlichen Pseudo-Moral-Spießern vertretenden Ansicht, daß nur Straftäter begnadigt werden sollten, die sich hernach entweder als Spitzel für den Geheimdienst verdingen oder wenigstens ihre früheren Kameraden denunzieren, hat Peymann auch die richtige Antwort parat:

Zitat:
Dafür dass sie letzteres nicht getan haben, sondern geschwiegen haben, saßen oder sitzen sie mindestens zehn Jahre länger im Gefängnis, als die RAF-Leute, die als Kronzeugen ausgesagt haben. Mir ist ohnehin wohl persönlich jemand lieber, der noch Reste seines alten Denkens bewahrt hat, auch um überhaupt die jahrelange Isolation im Gefängnis und über 20 Jahre Haft zu überleben, als ein Heuchler, der verlogen zu Kreuze kriecht. Gleichzeitig bin ich davon überzeugt, dass alle ehemaligen RAF-Leute wissen, dass ihr bewaffneter Kampf politisch und moralisch ein schwerer Fehler war.
So, und nun hoffe ich, daß dieses Interview für möglichst viel Aufregung sorgen wird. Wer den ebenso klugen wie mutigen Theater-Intendanten Claus Peymann allerdings schon etwas länger kennt, muß nicht befürchten, daß irgend ein Wichtel wie zum Beispiel der auch sonst aufgrund seines ganz offensichtlich begrenzten geistigen Horizonts oft ulkig wirkende CDU-Generalsekretärs Ronald Profalla mit seinen lächerlichen Rücktritts-Forderungen durchkommt. Denn an Claus Peymann haben sich in den letzten Jahrzehnten schon ganz andere Leute den Arsch verbrannt. Inzwischen gehört zwar auch er zu den Greisen unter den deutschen Intellektuellen, um so massiver ist währenddessen aber auch sein moralischer Eichen-Stamm gewachsen. Und er wird sich genüßlich ein Ei darauf backen, ob sich irgendeine unbedeutende Sau daran kratzt.

"Christian Klar ist eine tragische Figur"

Gruß Ben