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4. August 2002, 06:12   #1
Träumerle
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Kurt Tucholsky

Kurt Tucholsky war einer der bedeutendsten deutschen Satiriker und Gesellschaftskritiker im ersten Drittel des 20'ten Jahrhunderts. Als Schriftsteller, Lyriker, Journalist schrieb er zum Beispiel unter den Pseudonymen: "Theobald Tiger, Ignaz Wrobel, Peter Panter, Kaspar Hauser". Tucholsky wurden am 9. Januar 1890 in Berlin geboren. Der Sohn eines jüdischen Fabrikanten studierte in Berlin und Genf Jura und promovierte 1915 in Jena. Ab 1907 veröffentlichte er Rezensionen, Gedichte und Glossen. Zunächst Mitarbeiter der linksliberalen Zeitschrift "Schaubühne" (später "Weltbühne"), wurde er ab 1926 deren Leiter. 1926 liess er sich in Schweden nieder. 1933 verlor er die deutsche Staatsbürgerschaft. Aus Verzweiflung über den Sieg des Nationalsozialismus nahm er sich am 21. Dezember 1935 in Hindas/Schweden das Leben. Tucholsky's Bedeutung liegt vor allem in seiner Zeitkritik: seinem Kampf für die Demokratie und Frieden sowie seiner Polemik gegen den Nationalsozialismus. Bekannt wurde seine satirisch-kabaretistische Kleinlyrik und seine Prosa mit dem Wortwitz der Umgangssprache und seinem typischen Berliner Humor.
 
4. August 2002, 06:13   #2
Träumerle
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An das Baby


Alle stehn um dich herum:
Fotograf und Mutti
und ein Kasten, schwarz und stumm,
Felix, Tante Putti...


Sie wackeln mit dem Schlüsselbund,
fröhlich quietscht ein Gummihund.
"Baby, lach mal!" ruft Mama.
"Guck", ruft Tante, "eiala!"


Aber du mein kleiner Mann,
siehst dir die Gesellschaft an...
Na, und dann--was meinste?
Weinste.


Später stehn um dich herum
Vaterland und Fahnen;
Kirche, Ministerium,
Welsche und Germanen.


Jeder stiert nur unverwandt
auf das eigne kleine Land.
Jeder kräht auf seinem Mist,
weiß genau, was Wahrheit ist.


Aber du, mein guter Mann,
siehst dir die Gesellschaft an...
Na, und dann--was machste?
Lachste.
 
4. August 2002, 21:29   #3
Wire
 
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Vor nicht allzu langer Zeit kam sein Name auch wieder ins Gerede.
Mit der Abwandlung " Soldaten sind Mörder". Was einigen geläufiger sein sollte


Ciao Wire
 
5. August 2002, 06:43   #4
Träumerle
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Für alle denen "Soldaten sind Mörder" nicht geläufig ist, habe ich hier den Text mal rausgesucht.


DER BEWACHTE KRIEGSSCHAUPLATZ

Im nächsten letzten Krieg wird das ja anders sein... Aber der vorige Kriegsschauplatz war polizeilich abgesperrt, das vergißt man so häufig.
Nämlich:

Hinter dem Gewirr der Ackergräben, in denen die Arbeiter und Angestellten sich abschossen, während ihre Chefs daran gut verdienten, stand und ritt ununterbrochen, auf allen Kriegsschauplätzen, eine Kette von Feldgendarmen. Sehr beliebt sind die Herren nicht gewesen; vorn waren sie nicht zu sehen, und hinten taten sie sich dicke. Der Soldat mochte sie nicht; sie erinnerten ihn an jenen bürgerlichen Drill, den er in falscher Hoffnung gegen den militärischen eingetauscht hatte.

Die Feldgendarmen sperrten den Kriegsschauplatz nicht nur von hinten nach vorn ab, das wäre ja noch verständlich gewesen; sie paßten keineswegs nur auf, daß niemand von den Zivilisten in einen Tod lief, der nicht für sie bestimmt war. Der Kriegsschauplatz war auch von vorn nach hinten abgesperrt.

"Von welchem Truppenteil sind Sie?" fragte der Gendarm, wenn er auf einen einzelnen Soldaten stieß, der versprengt war. "Sie" sagte er. Sonst war der Soldat "Du" und in der Menge "Ihr" - hier aber verwandelte er sich plötzlich in ein steuerzahlendes Subjekt, das der bürgerlichen Obrigkeit Untertan war. Der Feldgendarm wachte darüber, daß vorn richtig gestorben wurde.

Für viele war das gar nicht nötig. Die Hammel trappelten mit der Herde mit, meist wußten sie gar keine Wege und Möglichkeiten, um nach hinten zu kommen, und was hätten sie da auch tun sollen! Sie wären ja doch geklappt worden, und dann: Untersuchungshaft, Kriegsgericht, Zuchthaus, oder, das schlimmste von allem: Strafkompanie. In diesen deutschen Strafkompanien sind Grausamkeiten vorgekommen, deren Schilderung, spielten sie in der französischen Fremdenlegion, gut und gern einen ganzen Verlag ernähren könnten. Manche Nationen jagten ihre Zwangsabonnenten auch mit den Maschinengewehren in die Maschinengewehre.

So kämpften sie.

Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.

Es ist ungemein bezeichnend, daß sich neulich ein sicherlich anständig empfindender protestantischer Geistlicher gegen den Vorwurf gewehrt hat, die Soldaten Mörder genannt zu haben, denn in seinen Kreisen gilt das als Vorwurf. Und die Hetze gegen den Professor Gumbel fußt darauf, daß er einmal die Abdeckerei des Krieges "das Feld der Unehre" genannt hat. Ich weiß nicht, ob die randalierenden Studenten in Heidelberg lesen können. Wenn ja: vielleicht bemühen sie sich einmal in eine ihrer Bibliotheken und schlagen dort jene Exhortatio Benedikts XV nach, der den Krieg "ein entehrendes Gemetzel" genannt hat und das Mitten im Kriege! Die Exhortatio ist in dieser Nummer nachzulesen.

Die Gendarmen aller Länder hätten und haben Deserteure niedergeschossen. Sie mordeten also, weil einer sich weigerte, weiterhin zu morden. Und sperrten den Kriegsschauplatz ab, denn Ordnung muß sein, Ruhe, Ordnung und die Zivilisation der christlichen Staaten.


Ignaz Wrobel (Kurt Tucholsky), in: Weltbühne 191, 4.8.1931
 
5. August 2002, 06:49   #5
Träumerle
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Verlautbarung der Pressestelle des Bundesverfassungsgerichts Nr. 46/95 I.


In den vier Verfassungsbeschwerdeverfahren, in denen es um Äußerungen wie "Soldaten sind Mörder" oder "Soldaten sind potentielle Mörder" ging, hat das Bundesverfassungsgericht Erster Senat - die Verurteilungen der Beschwerdeführer auf gehoben.



Die Beschwerdeführer sind damit aber weder freigesprochen noch hat das Bundesverfassungsgericht die Gleichstellung von Soldaten mit Mördern für zulässig erklärt. Die Verurteilungen sind vielmehr aufgehoben worden, weil die Strafgerichte sie zum Teil auf Überlegungen gestützt hatten, die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit nicht vereinbar sind. Die Sachen sind an die zuständigen Strafgerichte zurückverwiesen worden. Diese müssen unter Beachtung der Anforderungen von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG erneut entscheiden. Ein bestimmtes Ergebnis ist ihnen dabei nicht vorgeschrieben. Die Entscheidung ist im Fall des Beschwerdeführers zu 2) im Ergebnis einstimmig, in den übrigen Fällen mit 5 zu 3 Stimmen ergangen.

II. Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts liegen vor allem drei Erwägungen zugrunde:

1. Das Bundesverfassungsgericht hat mit den Strafgerichten in der wertenden Gleichstellung eines Soldaten mit einem Mörder eine tiefe Kränkung gesehen. Die Gerichte haben sich aber nicht hinreichend vergewissert, daß die umstrittenen Äußerungen diesen Sinn auch wirklich hatten. In allen vier Fällen ergaben sich aus dem Kontext oder den Begleitumständen der Äußerungen Anhaltspunkte, die eine andere Deutung zumindest als möglich erscheinen ließen, nach der es sich um die Herabwürdigung von Soldaten als Personen, sondern um die Verurteilung von Soldatentum und Kriegshandwerk ging, weil diese im Ernstfall mit dem Töten anderer Menschen verbunden sind. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfen die Gerichte eine zur Bestrafung führende Deutung nur zugrunde legen, wenn sie zuvor die anderen Deutungsmöglichkeiten mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen haben. Daran fehlte es, und dies müssen die Strafgerichte nachholen.

2. Art. 5 Abs. 2 GG erlaubt Beschränkungen der Meinungsfreiheit zum Schutz der persönlichen Ehre. Die herabsetzenden Äußerungen müssen also einzelne Personen betreffen. Daran konnten hier Zweifel bestehen, weil es in sämtlichen Äußerungen ihrem Text nach um Soldaten schlechthin, nicht um einzelne Soldaten oder um Soldaten eines bestimmten Staates ging.

Das Bundesverfassungsgericht ist dem Bundesgerichtshof, auf den sich die angegriffenen Entscheidungen berufen haben, allerdings darin gefolgt, daß auch in Äußerungen über ein Kollektiv unter Umständen ein Angriff auf die persönliche Ehre seiner Mitglieder liegen kann. Es hat zugleich hervorgehoben, daß der Bundesgerichtshof im Interesse einer rechtsstaatlichen Eingrenzung der Strafnormen eine persönliche Kränkung dann nicht mehr für gegeben hält, wenn es sich um sehr große, im einzelnen unüberschaubare Kollektive (alle Katholiken, alle Frauen, alle Gewerkschaftler) handelt, weil sich die Kränkung hier sozusagen in der unübersehbaren Menge verliert und auf den einzelnen Gruppenangehörigen nicht mehr durchschlägt. Das Bundesverfassungsgericht hat ferner die Auffassung der Strafgerichte gebilligt, daß die (aktiven) Soldaten der Bundeswehr eine hinreichend überschaubare Gruppe bilden. Der Äußerung muß dann allerdings zu entnehmen sein, daß sie sich gerade auf die Soldaten der Bundeswehr und nicht etwa auf alle Soldaten der Welt bezieht. Andernfalls würde die Eingrenzung des Straftatbestandes, die der Bundesgerichtshof aus rechtsstaatlichen Gründen für nötig hielt, wieder rückgängig gemacht.

3. Kommt es zu einem Konflikt zwischen Meinungsfreiheit und Ehrenschutz, so muß nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Abwägung zwischen der Schwere der Beeinträchtigung vorgenommen werden, die jedem der bei den Rechtsgüter droht. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Eine solche Abwägung erübrigt sich allerdings, wenn es sich bei der Äußerung um Schmähkritik handelt. In diesen Fällen geht der Ehrenschutz nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts regelmäßig der Meinungsfreiheit vor. Schmähkritik, die eine Abwägung überflüssig macht, liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aber nicht schon vor, wenn eine Äußerung überzogen oder ausfällig ist. Zur Schmähkritik wird sie vielmehr erst dann, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung einer Person im Vordergrund steht. Bei den umstrittenen Äußerungen standen dagegen die Auseinandersetzung mit Soldatentum und Kriegshandwerk und das Bekenntnis zum Pazifismus im Vordergrund. Die Strafgerichte durften also auf eine konkrete Abwägung zwischen den betroffenen Rechtsgütern der Meinungsfreiheit und der Ehre nicht verzichten und müssen diese nachholen.

III. Die Richterin Haas hat der Entscheidung in den Fällen 1), 3) und 4) eine abweichende Meinung beigefügt, in der dargelegt wird, daß das Bundesverfassungsgericht die Deutung der Äußerungen durch die Strafgerichte nicht nachzuprüfen habe und daß die Äußerungen im übrigen den von den Strafgerichten angenommenen Sinn hätten und auch zutreffend als Schmähkritik eingestuft worden seien. Eine Rechtsordnung, die junge Männer zum Waffendienst verpflichtet und von ihnen Gehorsam verlangt, müsse denjenigen, die diesen Pflichten genügen, Schutz gewähren , wenn sie wegen dieses Soldatendienstes geschmäht oder öffentlich als Mörder bezeichnet werden.

Beschluß vom 10.10.1995, 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92 und 1 BvR 221/92

Karlsruhe, den 7. November 1995


Was haltet Ihr davon?
Würdet Ihr auch so entscheiden?
Eure Meinung würde mich interessieren !
 
5. August 2002, 07:56   #6
jupp11
 
Registriert seit: January 2002
Beiträge: 4.013
Zitat:
Die herabsetzenden Äußerungen müssen also einzelne Personen betreffen.
Diese Bedingung muss meines Erachtens nach erfüllt sein, wenn ein Einzelner gegen das Tucholsky-Zitat erfolgreich klagen will.

Denn wenn ein allgemeiner Konsenz besteht, das Krieg im allgemeinen zu verurteilen ist, dann ist es auch zulässig, die ausführenden Personen als "potentielle Mörder" zu bezeichnen.
 
5. August 2002, 16:54   #7
tw_24
 
Benutzerbild von tw_24
 
Registriert seit: May 2002
Beiträge: 1.018
Zitat:
Zitat von jupp11
Diese Bedingung muss meines Erachtens nach erfüllt sein, wenn ein Einzelner gegen das Tucholsky-Zitat erfolgreich klagen will.
Beim letzten "öffentlichen" Gelöbnis der Bundeswehr in Berlin am 20.07.2002 war der Tucholsky-Spruch schon im Vorfeld verboten worden. Es hätte ja sein können, daß ein einzelner uniformierter Held ihn zu Gesicht bekommen könnte, weshalb dann auch der Fall der "persönlichen" Beleidigung eingetreten wäre.

Das ist natürlich eine seltsame Präventiv-Argumentation, aber so sind sie, die deutschen Richter ...

Allerdings gibt es ja mittlerweile die eine oder andere Alternativformulierung: "Tucholsky hat Recht!" etwa oder "Soldaten sind Faxgeräte!" (was zumindest Wiglaf Droste-Fans verstehen).

MfG
tw_24
 
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