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20. March 2001, 23:37   #1
Happy
 
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Wehe, wenn der Kaiser zürnt

<FONT face="Comic Sans MS"><FONT COLOR="Gold">Franz Beckenbauer ist eigentlich ein friedliebender Mann mit Hang zu fernöstlichen Lehren – so lange der FC Bayern siegt

Jetzt hat er den Inder Jiddu Krishnamurti entdeckt. Franz Beckenbauer, immer auf der Suche nach Bewusstseinserweiterung, schätzt dessen Buch „Einbruch in die Freiheit“ als Nachtlektüre. „Krishnamurti lehrt, das eigene Leben und die Umwelt täglich als etwas Neues, Unbekanntes zu erleben und so sich neuen Dimensionen der Schönheit und Fülle zu offenbaren.“ Sagt Beckenbauer. Aber das war vor dem Spiel des FC Bayern in Lyon.
Das Hier und Jetzt und fernöstliche Weisheiten wollen manchmal doch nicht zusammenpassen. Beckenbauer erlebte nichts Neues, Unbekanntes, keine Schönheit, sondern seine Mannschaft, wie sie zuletzt häufig spielte, gegen Frankfurt, Rostock, Unterhaching. Erfolglos. Wenn sie wenigstens in Schönheit gestorben wären, aber sie bevorzugten die Faulheit. Das sahen alle.

Der Bayern-Präsident jedoch sah noch ein wenig mehr. Wenn er zu Scherzen aufgelegt ist, gelingen ihm schon mal ebenso plastische wie originelle Wortschöpfungen. Die Nationalelf animierte ihn zum Begriff „Rumpelfußball“, darin steckt sogar noch ein wenig amüsierte Nachsicht. Solche Gefühle hegte er nach dem 0 : 3 bei Olympique Lyon nicht. Im Saal „Tete d'Or“ („Goldhaupt“) des „Hilton“ von Lyon wusch er seinen Profis den Kopf. Er sprach davon, dass das kein Fußball gewesen sei, sondern „Uwe-Seeler-Traditionsmannschaft“, und dann kam ein Satz wie Donnerhall: „In Zukunft könnt ihr das nicht machen, sonst müssen wir uns alle einen anderen Beruf suchen, das ist vielleicht gescheiter.“




Franz Beckenbauer







Als Spieler und Trainer verdiente sich der 55-Jährige den Ehrentitel „Kaiser Franz“.

• Fünfmal Deutscher Meister
mit Bayern München (69, 72, 73, 74) und dem Hamburger SV (82); Weltmeister 74, Europameister 72; 103 Länderspiele, 424 Bundesliga-Einsätze
• Bilanz als Trainer und Teamchef
Weltmeister 90 (1 : 0 gegen Argentinien), Dt. Meister 94 mit FC Bayern

• Ehrungen und Auszeichnungen
Europas „Fußballer des Jahres“ 72 und 76; dt. „Fußballer des Jahres“ 66, 68, 74 und 76; Bundesverdienstkreuz, Fifa-Ehrennadel







Da war es wieder, das Phänomen des deutschen Fußballs. Ein Franz Beckenbauer eignet sich, selbst wenn er nur spricht, immer noch für die ganz großen Buchstaben. Dass diesmal von seinen Äußerungen so viel Aufhebens gemacht wurde, hat einen simplen Grund. Der Boulevard hat seit einiger Zeit den auflagensteigernden Wert der bloßgelegten Seelen entdeckt. Von Container-Knallchargen über Jenny Elvers, Boris und Barbara Becker plaudert die Pseudo- und die echte Prominenz ungeniert übers Innenleben. Es kann durchaus der Eindruck entstehen, dass hier eine völlig neue, medienspezifische Motivationsart, nämlich die eines Offenbarungs-Neides, entstanden ist, der der Wunsch nach großflächiger Erwähnung zu Grunde liegt, eine Entblößungshysterie, der selbst erfolgreiche Manager wie der frisch verliebte Vorstandsvorsitzende eines Münchner Buchverlags nicht widerstehen können.

„Wenn ich in ihre Augen schaue, dann ist das, wie in einen Bergsee einzutauchen. Mit ganz vielen Perlen am Grund, die glitzern“, ließ der Mann veröffentlichen, dessen Autoren glücklicherweise nicht so schreiben, wie er redet, weshalb er auch einen Umsatz von acht Milliarden Mark verantwortet.

Auch Beckenbauer legte seine Gefühle bloß, aus ihm kam jedoch nicht der Schwulst, sondern der Frust zum Vorschein. Er saß ganz tief im Inneren, er musste einfach raus, nachdem er sich so lange zurückgenommen hatte. Da war endlich wieder einmal ein heftiger, ehrlicher Ausbruch von dem, der auf dem Weg zum Meister des Unverbindlichen schien.

In den Jahren seiner Tätigkeit als Stimmenbeschaffer für die Wahl Deutschlands zum Veranstalter der WM 2006 hatte sich Beckenbauers diplomatisches Talent so ausgeprägt, dass er davon scheinbar nicht mehr loskam. Er plauderte in jüngster Vergangenheit, auch nach der EM-Pleite der Nationalelf und in der Daum-Affäre, so konturenlos, dass er plötzlich den Namen „Firlefranz“ weghatte. So kann es kommen, wenn einer zu viel seinem Harmoniebedürfnis unterordnet. „Am liebsten wäre mir eine friedfertige Welt, in der jeder die Menschen in zwei Gruppen einteilt, in die, die er liebt, und in die, die er achtet – und die er wenigstens nicht verletzen will.“

Frommer Wunsch. Die Realität des Fußballs ist leider so, dass er eine Gruppe oft gar nicht lieben, auch nicht achten kann: die Profis. Wenn er dann seiner Fürsorgepflicht für die Fans nachkommt und seinen Millionären ihre Gegenleistung für die Wahnsinnsgagen vorrechnet, dann sollte bei den Betroffenen die Scham eigentlich größer sein als die Verletzungen. Diese wären auch gar nicht so schmerzhaft gewesen, hätten nicht Sportjournalisten in den Wunden gestochert. Genüsslich. „Ihr seid eine Schande“, formulierte die „tz“, „Bild“ und „Abendzeitung“ legten mit Vorschlägen für den von Beckenbauer erwähnten Berufswechsel nach: Kahn wurde Elektriker, Effenberg Postbote, Scholl Liftboy. Nach Beckenbauers Erstattacke wurden die Geschichten drastischer, die Einfaltquoten immer niedriger. Die Spieler waren vogelfrei.




Ein arger Wüterich







Im Verlaufe seiner langen Karriere gab es manches Kaiser-Grollen.

• WM 1986 in Mexiko
Erst brachte der schmächtige mexikanische Journalist Miguel Hirsch wegen einer erfundenen Sex-Affäre um deutsche Kicker den Kaiser auf die Palme („Da braucht man nur kurz zuzudrücken ...“). Dann schickte Teamchef Beckenbauer – nach erneutem Wutanfall – Torhüter Uli Stein wegen eines Sonnenbads auf der Ersatzbank nach Hause.
• WM 1990 in Italien
Nach dem 1 : 0 über die damalige CSSR freute sich das Team über das Erreichen des Halbfinales. Aber dem Kaiser missfiel das Spiel. Aus Wut trat er eine Tür ein – und Deutschland wurde Weltmeister.

• Der Fußball-Kritikus
Die Wahl der Worte fiel Beckenbauer leicht („Rumpelfüßler“, nach EM-Pleite 2000). Seine Vorstellung von Fußball-Tugend: „Da fährst zu den Bergbauern, gibst denen fünf Stück – und verlierst kein Wort drüber ...“







Es wurde auch dadurch nicht besser, dass man sich beim FC Bayern nicht auf eine gemeinsame Sprachregelung einigen konnte – von Hoeneß über Rummenigge („Keine Kritik in der Öffentlichkeit“) bis hin zu zwei Herren aus dem Beirat des FC Bayern. Während Ministerpräsident Edmund Stoiber nörgelte, „man darf die Spieler nicht zu sehr verunsichern. So motiviert man sie nicht“, wetterte Kommentator Peter Boenisch: „Wenn das Publikum den Spaß verliert, dann muss ein Präsident auf den Tisch hauen – und zwar so, dass es jeder hört.“

Einige Bayern-Stars riskierten die große Lippe. Während Mehmet Scholl zerknirscht schwieg, drohte Gelegenheitsgenie Stefan Effenberg: „Wenn man so in eine Ecke reingetrieben wird, werde ich persönlich unangenehm.“ Oliver Kahn, eigentlich als Realist bekannt, beschwerte sich auf seiner Homepage: „In völlig überzogener Art und Weise wurde hier unsere Mannschaft öffentlich geradezu lächerlich gemacht.“

Deutlicher kann das verquere Selbstverständis von Profis gar nicht demonstriert werden. Um das Datum der 0 : 3-Peinlichkeit von Lyon herum wurden Jürgen Schrempp und Ron Sommer, die Chefs von DaimlerChrysler und Telekom und mit Effenberg und Kahn in der gleichen Gehaltsklasse, von Journalisten, Aktionären und Politikern wegen mangelhafter Erfolge ihrer Unternehmen an den Pranger gestellt. Sie nahmen das klaglos hin. Bayern-Profis dagegen heulten wehleidig auf, in keiner Branche werde man öffentlich kritisiert, wobei sie eine Kleinigkeit übersahen: Die Herstellung eines Wohnzimmertisches, der Einbau eines Motorblocks oder die Kalkulation eines Kostenvoranschlags finden auch nicht in der Öffentlichkeit, vor einer Tribüne statt, es gibt dafür keinen öffentlichen Beifall, keine Prämie und auch kein höchststeuersatzfähiges Entgelt.

Vor dem blamablen Betriebsausflug nach Lyon sagte ein fast resignierender Beckenbauer, als hätte er eine Vorahnung: „Ich bin heilfroh, dass ich nicht heute Profi bin. Als ich anfing, bekam ich 400 Mark im Monat. Aber wir waren glücklich und leidenschaftlich, gaben alles für unser Team, die Zuschauer und das Land. Das Ursprüngliche, Natürliche im Profi-Fußball ist verloren gegangen. Alles ist überdreht.“

Ist er selbst durchgedreht in der Nacht von Lyon? Wie kann ein Mann, der seine innere Freiheit in den sanften Weisheiten von Konfuzius, Laotse und jetzt Krishnamurti sucht, so schonungslos ehrlich und so aggressiv gerecht werden? „In ihm sind 1000 streitende Teufel“, hat Robert Schwan einmal erkannt. 998 hat Beckenbauer gebändigt. Einer meldet sich noch beim Golf, bei dem er sich selbst so zur Verzweiflung bringen kann, dass manchmal Schläger in Baumkronen landen. Der schlimmste jedoch ist der, der beim Fußball zum Vorschein kommt. Ob er seine eigene Mannschaft, Brüsseler EU-Bürokraten oder Münchner Lokalpolitiker als Dilettanten abmeiert – im Fußball ist er gnadenlos und furchtbar in seinem Zorn. Auch wenn er nicht die Perfektion, die er als Spieler, Trainer und WM-Botschafter nachgewiesen hat, als Maßstab setzt, verlangt er ein Maximum an Anstrengung.

Wer das nicht bringt, verspielt sein Wohlwollen. Das ist schlimm für den Betroffenen. Am schlimmsten aber für Franz Beckenbauer selbst.</FONT f></FONT c>


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