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2. November 2006, 02:20   #1
Ben-99
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"Nicht alle waren Mörder" – Fernsehfilm gestern auf ARD.

... langsam, wenn auch erst nach über 60 Jahren, lernen es die deutschen Fernseh-Filmemacher: Die Menschen damals, die Juden bei sich zu Hause versteckt und ihnen somit unter Lebensgefahr geholfen haben, dem Massenmord der Nazis zu entgehen, waren gar keine "Heilige". Sie kamen auch nicht von einem anderen Stern und waren erst recht keine Gutmenschen, die auch sonst in allem, was sie tun, stets moralisch korrekt handeln. Denn solche Leute gibt es in der Wirklichkeit gar nicht – egal wie viele Kitsch-Filme schon über solche Phantome von gutmeinenden deutschen Autoren und Regisseuren produziert worden sind.

In dem gestern abend auf ARD ausgestrahlten Fernsehfilm "Nicht alle waren Mörder" traute man sich erstmals, die Leute zu zeigen, die diesen Menschen in Not wirklich geholfen haben: Eine alte, geile Exil-Russin, die sich auch gern mal einen 10jährigen ins Bett holt, ein Kommunist mit Kleinganoven-Vergangenheit, eine stets fluchende Oma-Schlampe, die sogar ihre Töchter an Freier verkauft und ein ruppiger Alkoholiker, dem man sonst nicht gern im Dunkeln begegnen würde, waren die Menschen, denen eine junge jüdische Frau und ihr Sohn damals, in den letzten zwei Jahren des "Tausendjährigen Reichs" ihr Leben zu verdanken hatten.

Und nun soll halt der Zuschauer entscheiden, ob diese Menschen "gut" oder "böse" waren. Und den meisten wird plötzlich klar: Egal, was sie sonst noch auf dem Kerbholz hatten – sie alle verbindet, daß sie das Herz auf dem rechten bzw. eben nicht "rechten", sondern dem richtigen Fleck trugen und eben auch nicht so handelten wie die anderen Millionen Deutschen, denen das Schicksal der Juden gleichgültig war und deren Enkel auch heute noch jedesmal empört zusammenzucken, wenn man ihnen auf den Kopf zusagt: "Wir" wurden damals nicht von den Nazis "verführt". Sondern Eure Großeltern haben bewußt weggeschaut, als man jüdische Nachbarn zunächst durch einen gelben Stern stigmatisierte, später "abholte" und sie dann auf Bahnhöfen zusammentrieb, von denen es dann nach Auschwitz und andere Vernichtungslager ging. Und somit tragen dadurch unsere "lieben" Omis und Opas nach wie vor die Verantwortung am Massenmord von 6 Millionen Menschen in unseren KZs und indirekt auch an den über 50 Millionen Toten des Zweiten Weltkriegs, der durch den Überfall auf Polen begann.

Hitler hatte damals dasselbe gemacht, was die Welt heute von George Bush gewohnt ist, der Angriffskriege auch "Präventivmaßnahmen" nennt. Den berühmte Satz aus den deutschen Radio-Nachrichten 1939 "Seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen" hätte man genausogut auch auf CNN zu Beginn des letzten Irak-Kriegs senden können. Im nachhinein weiß man allerdings, daß Bush vor Kriegsbeginn seine Bürger und die ganze Welt sogar noch schlimmer belogen hat als damals Hitler.

Michael Degen gehört schon seit ewigen Zeiten zur A-Riege der deutschen Theater- und TV-Schauspieler. Als er vor einigen Jahren sein mutiges Buch über die abenteuerlichen Jahre seiner Kindheit im Nazi-Deutschland veröffentlichte, erntete er auch als Erzähler viel Lob von den Kritikern. Und nun wurde der Stoff auch noch hervorragend von Jo Baier, der auch schon als Regisseur für den gelungenen "Stauffenberg"-Zweiteiler zuständig war, für einen Fernsehfilm der Extra-Klasse umgesetzt.

Natürlich freue ich mich darüber. Andererseits frage ich mich aber auch, warum sich die deutschen TV-Verantwortlichen offenbar 6 Jahrzehnte lang vor Angst in die Hosen geschissen haben als endlich mal zu zeigen, wie es damals wirklich war. Und so ist es ja auch heute noch: Wir sollten auf die ganzen "Helden" scheißen, die man uns immer wieder als übermenschliche Retter mit Heiligenschein präsentieren will. In Wahrheit waren die Guten eigentlich nur Menschen "wie Du und ich", und eben auch mit allen Fehlern, die wir ja auch von uns selbst kennen. Es waren normale Menschen, die halt nur im richtigen Augenblick nicht versagt haben, wenn es mal wirklich um etwas "Großes" ging. Und was kann schon größer sein, als ein Menschenleben zu retten?

Auch ich gehöre zu denen, die es leicht haben, sich wie Helmut Kohl durch die "Gnade der späten Geburt" von allem reinwaschen zu können. Und doch läßt mich das Thema nicht mehr los, seitdem ich als 13- oder 14jähriger zum ersten Mal mit der Geschichte des Dritten Reichs konfrontiert wurde. Seitdem quält mich immer wieder die Frage: Wie hättest Du damals gehandelt? Hättest Du auch weggeschaut wie unsere Großeltern? Und vor allem: Was hättest Du damals gemacht, wenn eine junge hübsche Jüdin in Todesangst mit ihrem Kind an Deiner Tür geklopft hätte?

Die Antwort darauf kann ich mir bis heute nicht geben. Denn es ist leicht, nach so vielen Jahren großkotzig den Helden zu spielen, wenn man doch weiß, daß man nie eine so furchtbare Zeit miterleben mußte. Und doch kann ich mich sehr gut mit den Leuten im Fernsehfilm identifizieren, die sich damals wohl sagten: So, nun ist mal gut mit Ficken und Saufen, denn hier geht's jetzt ums Eingemachte: Du könntest zwei Menschen das Leben retten, also weißt du, wie du dich zu entscheiden hast.

Klingt sicherlich toll. Aber in Wirklichkeit weiß ich immer noch nicht, ob ich mich damals so mutig entschieden hätte oder ob nicht auch aus mir einer dieser Millionen Mitläufer geworden wäre. Und alle Leute, denen es ähnlich wie mir geht, sollten zumindest dabei mithelfen, daß es den Nazis, durch die so viele Menschen umgekommen sind, in unserer Zeit nicht schon wieder so leicht gemacht wird, in immer mehr Bundesländern in die Parlamente zu kommen.

Man kann auf sehr unterschiedliche Art vor den heutigen Neonazis warnen. Das Buch von Michael Degen und jetzt auch die hervorragend gelungene Verfilmung von Jo Baier sind auf jeden Fall schon mal ein Ansatz für einen erfolgversprechenden erneuten Versuch, endlich auch mal das letzte, nach wie vor bei vielen noch immer verdrängte Kapitel unserer jüngeren deutschen Geschichte aufzuarbeiten.

Nicht alle waren Mörder

Nicht alle waren Mörder - Das SWR.de-Special zum Film: Die Idee

Gruß Ben
 
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neozazis, ard

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