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25. January 2002, 15:49   #1
Boomer
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Der Prototyp des Morgenmuffels...

...war Holger, mein Schulfreund.

Alles, was vor 9:45 Uhr passierte, schien ihm körperliche Qualen zu bereiten; nimmt man einmal seinen allmorgendlichen Gesichtsausdruck als Stimmungsbarometer. "Guten Morgen"? Ach was, diese beiden Worte kamen in seinem Wortschatz gar nicht vor. So wurde jeder Tag, an dem wir uns auf den Schulweg machten, mehr oder weniger zum Trauerzug; bloß nicht laut reden oder gar lachen, vielleicht schläft Holger ja noch. Selbst im Sommer, wenn schon frühmorgens die Sonne strahlte, verdunkelte sich der Himmel, wenn Holger vor die Haustüre trat.

Erst dachten wir, seine Morgenmuffeligkeit wäre ein Ernährungsproblem, denn kaum schellte es um 9:45 Uhr zur 1. großen Pause, war Holger wie verwandelt. Seine Pausenbrote hat er nicht etwa ausgepackt, nein, er hat das Papier darum herum förmlich zerrissen und während wir anderen gerade den 1. Bissen herunterschluckten, hatte Holger bereits die 1. Stulle verdrückt. Natürlich haben unsere Eltern irgendwann und irgendwie davon erfahren, doch es stellte sich heraus, daß Holger kerngesund war und auch bereits vor der Schule ordentlich gefrühstückt hatte.

Nun, wie dem auch sei, unsere Clique war auch geschlossen im CVJM und mit diesem fuhren wir eines Jahres für 3 Wochen nach Schweden in eine Jugendherberge. Holger allerdings auch.

In dieser Jugendherberge gab es morgens und abends jeweils ein Buffet, nur mittags gab es "festes" Essen. Nun, mittags und abends war nicht das Problem, da Holger ja -wie bereits erwähnt- ab 9:45 Uhr aus einer Mischung aus Schlafwandler, Zombie und Vielfraß zum Menschen mutierte, mit dem man für den Rest des Tages wirklich was anfangen konnte.

Doch die ersten Morgende waren das nackte Grauen. Seltsamerweise war Holger nicht der Allererste, der in den Speiseraum gestürmt war, doch wenn er kam, dann waren Winterstürme ein laues Lüftchen gegen seine Auftritte. Holger rauschte herein und hatte nur Augen für das Buffet, vorzugsweise für die Kornflakes und die Milch. Wer sich nach seiner Rammattacke mühsam wieder aufrappelte und sich dann hinter ihm in der Reihe wiederfand, brauchte sich keinerlei Hoffnungen auf Milch zu machen, selbst wenn die Karaffe noch viertelvoll war. Kornflakes waren nicht das Problem, davon gab es satt und reichlich.

Langsam bewegte sich Holger mit seinem randvollen Teller Richtung Tisch. Er brauchte sich keinerlei Gedanken darum zu machen, daß ihn irgendwer anrempeln könnte, denn ein Blick in sein Gesicht ließ alle anderen einen großen Bogen um ihn machen. Er konnte sich also voll und ganz darauf konzentrieren, nichts aus Eigenverschulden zu verschütten.

Es waren 4er-Tische und die 3 CVJMler, die bereits daran saßen, wurden von ihm geflissentlich übersehen; und auch überhört, denn wenn wir "Guten Morgen" sagten, wußte er damit nichts anzufangen, denn dies kam ja in seinem Wortschatz nicht vor; offensichtlich war ihm das reine Geräusch, daß beim Aussprechen dieses Grußes entstand, schon zuwider. Nicht jedoch das Geräusch, wenn man einen Zuckerspender öffnet, denn bei sehr genauer Beobachtung konnte man ein leichtes Zufriedenheitsgefühl in seinem Gesicht entdecken. Wie gesagt, bei sehr genauer Beobachtung.

Denn anders als zivilisierte Menschen, die einen Zuckerspender mehrmals betätigen, um den Zucker durch das Röhrchen in den Kaffe -oder aber auch über Kornflakes- zu bekommen, schraubte Holger die Vorrichtung einfach ab und knallte sich den Inhalt des Spenders über seine Milch-Kornflakes-Orgie. Gottlob standen jeweils 2 Spender auf jedem Tisch, so daß wir anderen am Tisch unseren Kaffe auch noch süssen durften.

Nach einigen Tagen war es uns dann zuviel und wir füllten den Zuckerspender, der Holger am nächsten stand, mit Salz. Nun, genau so schnell, wie Holger in der Schule seine 1. Stulle verdrückte, so schaufelte er auch das Kornflakes-Milch-Zucker-Gemisch in sich hinein und er merkte erst nach dem 3. oder 4. Löffel, daß da etwas in seinen Magen sollte, was da nicht hingehört. Ein paar Sekunden später übergab er seinen Mageninhalt vertrauensvoll dem Garten.

2x hat es funktioniert. Am 3. Tag ignorierte Holger den Zuckerspender, der ihm am nächsten stand, und griff quer über den Tisch nach dem 2. Spender. Die Kerze, die sich danach auf des Kumpels Schinkenbrot befand, interessierte ihn nur am Rande. Interessanter war es aber für ihn, wieder den schnellstmöglichen Weg zum Garten zu finden, denn der und sein Magen hatten wieder ein Date. Bis heute ist es völlig unerklärlich, wie denn Salz in den 2. Zuckerspender kommen konnte.

Nun kann man nicht behaupten, Morgenmuffel seien dumm, sie mißverstehen nur manches. So auch unsere freundlichen Blicke am nächsten Morgen. Kaum hat Holger seine Kampfposition am Tisch eingenommen, ging sein Griff zum Zuckerspender. Doch dieser Griff fror mitten in der Bewegung ein, denn der Schlafwandler, der Zombie oder der Vielfraß in ihm hatte ihm wohl zugeflüstert "Holger, sei vorsichtig." Taub scheinen Morgenmuffel auch nicht zu sein, denn mit einem verächtlichen Blick auf die Zuckerspender ging Holger an den Nebentisch, um sich einen Zuckerspender zu borgen.

Irgendwie haben Morgenmuffel aber Defizite bei der Einschätzung von Kumpanei. Derweil Holger nämlich am Nebentisch um den Zuckerstreuer bat, haben wir uns eine neue Tasse Kaffee eingeschüttet und, als Holger wieder am Tisch saß, diesen demonstrativ mit dem Inhalt "unserer" Zuckerspender gesüsst.

Heute weiß Holger, daß Kumpel tischübergreifend zusammenhalten und gemeinsam am Fenster stehen, um in den Garten zu schauen.

 
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