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5. April 2007, 08:20   #126
Jules
 
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05. April 1722: Jakob Roggeveen entdeckt die Osterinsel

5. April 1722: Drei holländische Schiffe unter dem Kommando von Jakob Roggeveen befinden sich auf 27 Grad 4 Minuten südlicher Breite und 266 Grad 31 Minuten Länge - also mitten im Pazifik - als der Ruf "Land in Sicht" ertönt. Sie sind auf eine Insel gestoßen, 3.500 Kilometer von der südamerikanischen Küste und 2.000 Kilometer von der nächsten bewohnten Insel entfernt. "Wir gaben dem Land den Namen Osterinsel, denn es wurde von uns am Ostertag entdeckt", schreibt Roggeveen ins Logbuch.

Steinerne und lebende Bewohner
Die Osterinsel ist gerade einmal 24 Kilometer lang, karg und unbewaldet, ohne flache Strände, aus 67 erloschenen Vulkanen gebildet und ständig vom Wind gezaust: "Es gibt kein anderes Land, welches weniger Erfrischung und Annehmlichkeiten bietet", wird später der Seefahrer James Cook schreiben, und der Abenteurer Thor Heyerdahl hält die Insel für den "einsamsten Fleck auf Gottes weiter Erde". Aber die Entdecker erleben schon am zweiten Tag zwei Überraschungen: An der Küste der Insel stehen riesige Steinfiguren und vom Landesinneren steigt Rauch auf. Bald begegnen Roggeveens Leute den Kanus der Eingeborenen, die allerdings undicht und nicht sehr seetüchtig sind. An Land kommt es gleich zu einer Schießerei, weil die Insulaner einem Matrosen sein Gewehr abnehmen wollen. Es gibt mindestens zehn Tote und viele Verwundete. Einen Tag später, am 10. April 1722, verlassen die Schiffe die Insel wieder.

Der Nabel der Welt
50 Jahre lang bleibt die Insel wieder sich selbst überlassen, wie sie es zuvor 500 Jahre lang war. Wie man heute weiß, wurde sie schon vor über tausend Jahren durch Polynesier besiedelt. Die Landung des Königs Hotu Matua im 12. Jahrhundert ist sogar überliefert. Denn die Einwohner, welche ihr Land "Te Pito o te Hunua" ("Der Nabel der Welt") nennen, entwickelten nicht nur eine komplexe Musik, sondern auch die einzige Schrift des Südpazifik. Und sie errichteten insgesamt fast tausend Moais, bis zu 10 Meter hohe, tonneschwere Steinfiguren. Wie war das fast ohne Werkzeuge möglich? Die Figuren bewegten sich früher selbst, glaubten die Eingeborenen später. Außerirdische halfen, meinte Erich von Däniken. Inzwischen bewiesen Archäologen, dass die Insel früher von Bäumen bestanden war. Holzkonstruktionen und Seile aus Pflanzenfasern halfen beim Bau der Kultfiguren. So gilt die Osterinsel heute als Modellfall ökologischen Raubbaus. Aus Prestigegründen und in zahlreichen blutigen Gruppen-Kriegen entwaldeten die Einheimischen ihre isolierte Welt, bis nur noch Reste der einstigen Kultur blieben. Ohne Holz fehlten auch die Schiffe, um die Insel zu verlassen.

Den letzten Insulanern machte ihre Entdeckung fast den Garaus: Im 19. Jahrhundert verschleppen peruanische Sklavenhändler viele von ihnen, andere sterben an den eingeschleppten Krankheiten der Weißen. Schließlich leben noch 111 Einheimische. Heute sind es wieder etwa 2.000. Sie unterstehen der Verwaltung Perus. Es gibt Fischfang, Tourismus und eine Notlandebahn für das Space-Shuttle.

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6. April 2007, 10:47   #127
Jules
 
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06. April 1917: Kriegserklärung der USA an Deutschland

Im Sommer 1916 spielt sich in Baltimore im US-Bundesstaat Maryland eine kuriose Szene ab. Mitten im Ersten Weltkrieg erreicht die "U-Deutschland", das weltweit erste Handels- U-Boot, die Ostküste der neutralen Vereinigten Staaten. Auf dem Rückweg soll es kriegswichtige Rohstoffe durch die englische Seesperre nach Deutschland bringen. Die Besatzung wird in den USA mit einem großen Fest empfangen. Doch kaum ist die "U-Deutschland" wieder ausgelaufen, tauchen weitere deutsche U-Boote an der amerikanischen Ostküste auf. Eines versenkt demonstrativ Handelsschiffe. Der Hintergrund: Die Amerikaner machen nicht nur mit den Deutschen Geschäfte, sie liefern auch Waffen an den deutschen Kriegsgegner Großbritannien. Statt die Spannungen diplomatisch beizulegen, setzen die deutschen Strategen wie Großadmiral Alfred von Tirpitz auf Einschüchterung.

US-Präsident Woodrow Wilson versucht dennoch, die USA aus dem Krieg herauszuhalten. Er strebt einen Frieden ohne Sieger an. Im Dezember 1916 fordert er die verfeindeten Länder auf, Friedensbedingungen zu benennen. Deutschland lehnt umgehend ab. Das Reich will nur direkt mit seinen Feinden verhandeln und ihnen den Frieden diktieren. Mit Rücksicht auf die Amerikaner hatten die Deutschen den uneingeschränkten U-Boot-Krieg zwischenzeitlich gestoppt. Im Januar 1917 beschließt der Kronrat unter Kaiser Wilhelm II. die Wiederaufnahme dieses Krieges. Die deutschen U-Boote greifen gegen geltendes Seerecht ohne Vorwarnung Waffenfrachter, aber auch Passagierdampfer an. Damit soll die Seeblockade der britischen Schlachtschiffe gebrochen werden.

In Amerika kippt die Stimmung endgültig gegen Deutschland, als ein geheimes Telegramm bekannt wird. Darin fordern die Deutschen Mexiko auf, gegen die USA zu kämpfen. Zudem sollen die Mexikaner auch Japan mit in den Krieg hinein ziehen. Als deutsche U-Boote erneut amerikanische Frachter versenken, erklärt Präsident Wilson dem Reich am 6. April 1917 den Krieg. Senat und Repräsentantenhaus haben zuvor mit überwältigender Mehrheit zugestimmt. 1918 erfolgt im Westen die Kriegsentscheidung durch neue Truppen und Waffen aus Amerika. Die USA demonstrieren erstmals, dass sie mit ihrer Armee weltweit operieren können.

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7. April 2007, 09:34   #128
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07. April 1947: Tod des Auto-Industriellen Henry Ford

Motorisierte Besucher eines Football-Stadions haben es um 1915 nach Spielende schwer, ihr Auto zu finden. Von 1.000 geparkten Wagen sind mindestens 700 ein Model T von Ford - natürlich alle in schwarz. Die berühmte "Tin Lizzy" läuft 1908 erstmals vom Band, wird weltweit mehr als 15 Millionen Mal verkauft und erst 50 Jahre später vom VW Käfer als meist verkauftes Auto aller Zeiten abgelöst. Die "Blechliese" ist als erstes Automobil für breite Schichten erschwinglich und nahezu unverwüstlich. Mit dem Model T trifft Henry Ford den Nerv der Zeit. Er macht die Welt mobil und steigt innerhalb weniger Jahre zum bewunderten Industrie-Tycoon und Dollar-Milliardär auf.

Mit 27 nimmt der 1863 in Dearborn bei Detroit geborene Farmerssohn eine Mechanikerstelle im Detroiter Elektrizitätswerk von Thomas Alva Edison an. In den folgenden Jahren steigt Henry Ford zum Chefingenieur auf und schraubt daheim in mühseliger Nachtarbeit seine erste eigene Benzinkutsche zusammen. Bei einem Festbankett führt er das "Quadricycle" getaufte Vehikel seinem Chef vor. Edison ist begeistert: "Junger Mann, das ist es!" Nur acht Jahre später produziert die Ford Motor Company in Dearborn mehr Automobile als jeder andere Hersteller.

Als erster Autokonstrukteur lässt Henry Ford seine Modelle am Fließband montieren, normiert alle verwendeten Teile und lässt sämliche Betriebsabläufe durchrationalisieren. Das ist der später viel bewunderte Geniestreich eines herrischen, halsstarrigen Mannes, der seine Landsleute nicht nur als nüchterner Praktiker, sondern ebenso als weltfremder, verschrobener Kauz verblüfft.

Mit einem "Friedensschiff" schippert der erklärte Pazifist nach Europa, um den Ersten Weltkrieg zu stoppen. Kein Politiker ist bereit, den Außenseiter zu empfangen. Erntet Ford für diese Aktion in der Heimat Hohn und Spott, so wirkt sich sein ausgeprägter Antisemitismus stark geschäftsschädigend aus. Als erklärter Bewunderer Adolf Hitlers lässt sich der US-Unternehmer 1938 vom Führer mit dem "Großkreuz des deutschen Adlers" auszeichnen. Auch nach Kriegseintritt seines Landes weigert sich Ford, auf den Orden zu verzichten.

Mit 55 Jahren gibt der einzelgängerische Exzentriker den Vorsitz der Ford Motor Company an seinen Sohn Edsel ab, um sich - erfolglos - politischen Ambitionen zu widmen. 1943 stirbt Edsel überraschend bei einer Magenoperation. Kurz vor seinem 80. Geburtstag stellt sich Henry Ford noch einmal an die Spitze seines Unternehmens, ist aber den Anforderungen eines Weltkonzerns nicht mehr gewachsen. Vom Management bedrängt, inthronisiert der Patriarch seinen Enkel Henry. Zwei Jahre später, am 7. April 1947, stirbt der Autokönig in Dearborn.

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8. April 2007, 16:40   #129
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08. April 1492: Lorenzo de Medici stirbt in Florenz

"Er war hochgewachsen und kräftig", berichtet ein Zeitgenosse. Das mag ja noch passen. Aber dann: "Sein Gesicht: mager. Die Wangen: eingefallen. Der Teint fahl. Die Nase: platt und eingedrückt." An seinem Äußeren kann es also nicht gelegen haben, dass man Lorenzo de Medici "Il Magnifico", den Prächtigen, nannte. Eher schon an seiner Herkunft - und daran, was er aus ihr machte. Lorenzo wird am 1. Januar 1449 in die mächtigste Familie von Florenz hineingeboren. Seit drei Generationen haben die zugezogenen Medici aus der Provinz ihr Bankhaus aufgebaut und Filialen über ganz Europa verteilt. Sie verleihen Geld in Genf, Lyon und London - und obwohl die Kirche das Zinsnehmen offiziell verbietet, steht auch der Papst bei den Medici in der Kreide.

Mord im Dom
Lorenzo wird als ältester Sohn früh zum Bankkaufmann ausgebildet, lernt aber auch Griechisch und Latein, dichtet Sonette, musiziert und tanzt. Aber mit der unbeschwerten Jugend ist es früh vorbei: Großvater Cosimo stirbt 1464 und sein Vater, Vater Piero il Gottoso (Peter der Gichtige) folgt ihm wenige Jahre später in die Familiengruft. Mit 20 Jahren muss Lorenzo die Geschäfte übernehmen - und auch die Regierung der Stadt. Denn obwohl es das Amt eigentlich gar nicht gibt, wird der Medici in der Adelsrepublik faktisch als Vorsteher anerkannt. Mit viel Diplomatie und Sponsoring versucht Lorenzo diese Stellung zu erhalten.

Denn es gibt Konkurrenten: Die Adelsfamilie der Pazzi bringt sogar eine Verschwörung zustande, in die auch der Papst eingeweiht ist, dem die Medici allmählich zu mächtig werden. Am 26. April 1478 stechen gedungene Dolchmörder im Dom von Florenz während der Messfeier zu. Sie sind als Kapuzinermönche verkleidet. Giuliano, Lorenzos jüngerer Bruder, wird getötet. Lorenzo selbst entkommt leicht verletzt. Jacopo Pazzi versucht mit dem Schlachtruf "Popolo e libertá" (Volk und Freiheit") einen Aufstand auszulösen. Aber die Losung nimmt ihm keiner ab. Im Gegenteil: Einige der Verschwörer werden vom Volk gelyncht. Die Medici können ihre Herrschaft retten.

Großmäzen der Renaissance
Auch den außenpolitischen Druck vom Kirchenstaat und dem Königreich Neapel kann Lorenzo diplomatisch entschärfen. So blüht in Florenz unter dem Prächtigen die Renaissance-Kunst auf. Lorenzo sponsert Leonardo da Vinci und Michelangelo. Auch dem einst verbannten Florentiner Dichter Dante verschafft er posthum Ansehen.

Aber dann tritt ein Bußprediger mit dunklen Prophezeiungen auf: Der Dominikanermönch Savonarola, sieht Florenz "zu einem Bordell" verkommen. Lorenzo weissagt er den Tod. Und der stirbt tatsächlich im gleichen Jahr, am 8. April 1492. Michelangelo gestaltet das Grabmahl. Savonarola endet auf dem Scheiterhaufen.

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9. April 2007, 10:33   #130
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09. April 1957: Dr. Adams wird vom Mordvorwurf freigesprochen

Vor dem Eingang von Old Bailey stehen die Schaulustigen 1957 Schlange. Sie alle wollen einen Platz in Londons zentralem Strafgerichtshof ergattern. Aber nur 38 Zuhörer schaffen es schließlich auf die Galerie. Der Rest der Plätze ist von Journalisten besetzt. Auf der Anklagebank sitzt der Landarzt John Bodkin Adams, der sieben Jahre zuvor seine Patientin Edith Alice Morell, die steinreiche Witwe eines Konservenfabrikanten, mit Morphium ermordet haben soll. Mordmotiv: ein Rolls Royce und eine Silbertruhe, die Adams erben sollte. Die Ermittler überprüfen neben diesem 24 weitere Todesfälle aus dem Kreis von Adams' Patientinnen.

Gedächtnislücken und Verhörer?
Am Anfang des Prozesses geben die Buchmacher von London keinen Pfifferling auf den vermeintlichen Witwenmörder von Eastburne. Die Anklage gibt sich siegessicher, die zwölfköpfige Jury der Geschworenen hat den Schuldspruch vermutlich schon im Kopf. Immerhin soll Adams bei seiner Verhaftung zu seiner Sprechstundenhilfe gesagt haben, er werde sie im Himmel wiedersehen - wohl nach seiner Hinrichtung, wie man vermutet. Aber Wettbüros und Staatsanwaltschaft haben die Rechnung ohne Verteidiger Geoffrey Lawrence gemacht. Nach und nach stellt er alle Zeugen der Anklage als unglaubwürdig dar. Die Erinnerung von Krankenschwestern wird mit Protokollen verglichen und als lückenhaft entlarvt. Wo dies nicht geht, beruft sich die Verteidigung auf etwaige Verhörer. Hatte Adams tatsächlich gesagt, er werde seine Helferin im Himmel wiedersehen? Hatte er nicht vielmehr behauptet, er werde um sieben wieder in die Praxis kommen? "In heaven" und "at seven" klingen schließlich ähnlich. Und selbst das unverbrüchlichste Indiz der Anklage zertrümmert Lawrence. Denn Morell hatte den Arzt kurz vor ihrem Tod wieder aus dem Testament gestrichen. Der Sohn der Verstorbenen hatte ihm den Wagen und die Silbertruhe übergeben, da er davon ausgegangen war, dass dies dem letzten Willen seiner Mutter entsprochen hätte.

Ein Gerichtsreporter rechnet aus, dass während des Prozesses rund 400.000 Wörter gesprochen werden, ein Großteil von der Verteidigung in 80 Stunden Verhör und Kreuzverhör. Adams steuert ganze vier Wörter bei: "Ich bin nicht schuldig." Die Geschworenen schließen sich dem an. Dank der brillanten Taktik seines Anwalts wird der Arzt nach 44-minütiger Beratung am 9. April 1957 vom Mordvorwurf freigesprochen und darf in dieser Sache nie wieder angeklagt werden. Wegen der falschen Behandlung mit Morphium verliert er später seine Zulassung. Zwei Jahre nach dem Urteil sichtet ihn die Regenbogenpresse auf Madeira. Adams stirbt 1983 als reicher Mann.

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10. April 2007, 09:24   #131
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10. April 2002: Manfred Köhnlechner stirbt in Grünwald

Seine Karriere als Heilpraktiker beginnt im Februar 1974 in Dietmar Schönherrs Fernseh-Talk-Show: Dort demonstriert Manfred Köhnlechner seine Akupunktur-Methode an der Kölner Schauspielerin und Sängerin Trude Herr. Daraufhin setzt ein solcher Ansturm auf seine Praxis in Grünwald bei München ein, dass Köhnlechner sie bald zwei Ärzten anvertraut und sich selbst seinen Publikationen widmet. Insgesamt erscheinen rund 30 Bücher unter seinem Namen. Seine Gesundheits- und Diättipps verbreitet er in Frauenzeitschriften und der Bild-Zeitung. 1985 gründet er die "Manfred-Köhnlechner-Stiftung zur Förderung biologisch-naturheilkundlichen Verfahren". Die Stiftung strebt ein Nebeneinander von Schulmedizin und Naturheilverfahren an. Schulmediziner werfen Köhnlechner allerdings immer wieder unseriöse Behandlungsmethoden vor. Er propagiert beispielsweise den Einsatz von Murmeltierfett, Schlangengift und Wasser. Köhnlechner wird als "Münchhausen der Medizin" kritisiert.

Doch bevor der am 1. Dezember 1925 geborene Beamtensohn aus Krefeld zum medizinischen Medienstar wird, arbeitet er 13 Jahre lang beim Bertelsmann-Konzern - als einer der bestbezahlten Manager der Bundesrepublik. Er wird 1955 als Syndikus in Gütersloh eingestellt und organisiert die gesamte Bertelsmann-Gruppe nach den vorteilhaftesten Steuergesichtspunkten um. Zwei Jahre später wird er Generalbevollmächtigter und leitet die Hauptverwaltung, in der die Fäden des Konzerns zusammen laufen. 1970 kündigt er überraschend seinen noch 15 Jahre laufenden Vertrag - nach eigener Aussage ist er "abgenutzt, amtsmüde, gelangweilt". Auslöser für diese Entscheidung ist offenbar ein Sturz vom Pferd, der Köhnlechner starke Rückenschmerzen bereitet. Er konsultiert vergeblich mehrere Schulmediziner. Ein Heilpraktiker befreit ihn schließlich ohne Operation von seinen Schmerzen. "Das war für mich wie ein Fingerzeig Gottes", sagt Köhnlechner später.

Im Selbststudium paukt Köhnlechner zwei Jahre lang für die Zulassungsprüfung zum Heilpraktiker und nimmt Privatunterricht bei chinesischen Ärzten: Akupunktur, Neuraltherapie, Homöopathie, Ozon-Sauerstoff-Therapie. 1972 eröffnet er schließlich seine Naturheilpraxis. Auch in seinem neuen Beruf hat er trotz schulmedizinischer Kritik schnell Erfolg: "Solange die Akupunktur Scharlatanerie war, war ich natürlich auch ein Scharlatan", erinnert sich Köhnlechner später. Mittlerweile sei dies Heilmethode international anerkannt. "Wer heute gegen Akupunktur ist, der ist selbst ein Außenseiter." Als sich Köhnlechner aber immer mehr von seiner eigenen Zunft distanziert und fordert, dass auch Naturmedizin in die Hände akademisch ausgebildeter Ärzte gehört, sehen ihn auch die Heilpraktiker zunehmend kritisch. In den letzten Lebensjahren widmet sich Köhnlechner verstärkt dem Thema Krebs. Für ihn ist "der Verzicht in der Krebsnachsorge auf biologische Medizin eine schwerer Kunstfehler". Köhnlechner stirbt am 10. April 2002 im Alter von 76 Jahren an Krebs in Grünwald.

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11. April 2007, 07:20   #132
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11. April 2002: Terroranschlag auf Djerba

An den 11. April 2002 kann sich Michael Esper noch sehr gut erinnern. Mit einem deutschen Reiseveranstalter ist der Familienvater aus Bergkamen bei Dortmund auf die tunesische Touristeninsel Djerba gekommen. Auf dem Besuchsprogramm steht auch die Besichtigung einer Synagoge. Esper hat sich eine Kippa aufgesetzt und bereits im Vorraum Platz genommen, da will sein dreijähriger Sohn Adrian auch so eine Kopfbedeckung wie der Vater haben. Esper geht zum Eingang zurück und wird von der Wucht einer Explosion zu Boden geschleudert. Dann sieht er seinen Sohn schreiend in den Flammen stehen. Adrian überlebt, aber 50 Prozent seiner Haut verbrennen. "Das sind so Bilder, die sich bei mir einfach festgebrannt haben", wird Esper später sagen: Bilder, "die ich wahrscheinlich auch in meinem ganzen Leben nie vergessen werde".

Unfall in der Kurve?
Offiziell sprechen die tunesischen Behörden zunächst von einem Unfall. Ein mit Gasbehältern beladener LKW sei in der Kurve vor der Synagoge ins Schleudern geraten und explodiert. Allerdings gibt es vor dem jüdischen Gotteshaus gar keine Kurve. Und dann veröffentlicht eine arabische Zeitung ein Bekennerschreiben der Terrororganisation Al Kaida, das den 24-jährigen Fremdenführer Nisar Nouar als "Schwert des Islam" und terroristischen Vollstrecker im Namen des Heiligen Krieges preist. Jetzt ist klar, dass die Explosion auf islamistische Fundamentalisten zurückzuführen ist. 2005 wird ein Onkel des Selbstmordattentäters wegen Mittäterschaft zu 20 Jahren Haft verurteilt, ein deutscher Mitwisser wird verhaftet. Für Esper ist das kein Trost. Denn "die terroristischen Attentate, die hören ja gar nicht auf, die nehmen ja gar kein Ende!" Esper gründet den "Deutschen Opferschutzbund Djerba e.V.". Er soll bei neuen Attentaten praktische Hilfe im Notfall und bessere Betreuung der Opfer garantieren.

Zurück in Dortmund verklagt Michael Vesper den Reiseveranstalter wegen mangelnder Informationen vor der Attentatsgefahr auf Djerba. Die Klage wird abgewiesen. Begründung des Gerichts: Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 müsse sich jedermann über die Allgegenwart politisch motivierter Gewalt im Klaren sein.

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12. April 2007, 08:23   #133
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12. April 1992: Mickey Maus im Asterix-Land - Disneyland Paris wird eröffnet

Ganz radikal machen die Gegner der "Kulturschande" noch einmal auf sich aufmerksam. Wenige Stunden vor Beginn der glanzvollen Eröffnungsfeierlichkeiten im Disneyland Paris legen sie mit Sprengstoff einen Hochspannungsmast um und kappen damit die Stromversorgung zur magischen Fantasy-Welt. Doch nur kurz senkt sich Dunkelheit über Dornröschens Märchenschloss. Dann spult sich mit Hollywood-Präzision eine Eröffnungs-Gala für 15.000 geladene Gäste ab, die vom Fernsehen in 40 Länder übertragen wird. Während das normale Publikum noch bis zum nächsten Morgen auf Einlass warten muss, feiern Stars wie Tina Turner, Eddie Murphy und Gina Lollobrigida die Eröffnung dessen, was in Frankreichs Öffentlichkeit lange als "kulturelles Tschernobyl" bekämpft wurde.

Umgerechnet rund 3,5 Milliarden Euro hat Michael Eisner, oberster Chef der Walt Disney Company, bis zu diesem 12. April 1992 in das vierte Disneyland auf Erden investiert. Doch im Gegensatz zu den Themen-Parks in Kalifornien, Florida und Japan entwickelt sich das neue Euro-Disney vor den Toren von Paris nicht zur Goldgrube für den Mickey-Maus-Konzern. Obwohl europaweit keine Attraktion mehr Menschen anzieht als das Magic Kingdom in Marne-la-Vallée, bleiben die Besucherzahlen vom ersten Tag an deutlich hinter den Kalkulationen zurück. 16 Millionen Gäste pro Jahr hatte der Börsenprospekt 1989 versprochen. Mit Müh und Not gelingt es in den folgenden Jahren, ihre Zahl auf 12,5 Millionen hochzuschrauben. 2004 hat Euro-Disney einen Schuldenberg von zwei Milliarden Euro aufgehäuft - bei einem Betriebsergebnis von nur 24 Millionen Euro. Zwölf Jahre nach der Eröffnung ist Ebbe im Disney -Geldspeicher. Onkel Dagobert steht vor dem Bankrott.

Die Rettung bringt 2005 der saudische Prinz Alwaleed Bin Talal. Er ist - nach dem amerikanischen Mutterkonzern - zweitgrößter Aktionär von Euro-Disney. Nach monatelangen Verhandlungen willigt er schließlich ein, sich an der Sanierung des Freizeitparks zu beteiligen. Bis 2009 soll eine Viertelmilliarde Euro in die Renovierung der vorhanden Parkbereiche, sowie in neue Attraktionen und Hotelkomplexe investiert werden. Das US-Management von Disney hat inzwischen auch begriffen, dass der amerikanische "way of Business" nur begrenzt ins französische Gastgeberland übertragbar ist. So wird, während alle übrigen Disneywelten strikt alkoholfrei sind, in Paris inzwischen auch Wein ausgeschenkt, und zum Frühstück gibt es Croissants statt Bagel. Viele neue Besucher lockt auch die bereits in Betrieb genommene Indoor-Achterbahn "Space Mountain", die Reisen "an die äußersten Grenzen des Universums" verspricht. Mancher Investor hofft, dort endlich angekommen zu sein.

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13. April 2007, 07:12   #134
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13. April 1902: Baron Philippe de Rothschild in Paris geboren

Als er 12 Jahre alt ist, muss Philippe de Rothschild die Stadt, in der er am 13. April 1902 geboren wurde, verlassen: Die deutschen Truppen haben ihre "Dicke Berta" genannte Kanone auf Paris gerichtet. Die Eltern schicken den Erben aus der bedeutenden jüdischen Bankiersfamilie auf ihr Landgut nahe Bordeaux. Das Château Mouton-Rothschild ist zu dieser Zeit recht heruntergekommen. Philippe aber ist vom Weinbau fasziniert. Als er das Gut 1924 erbt, modernisiert er es zielstrebig: Er baut moderne Keller und führt als erster die Flaschenabfüllung beim Erzeuger ein. Als einzigem Weinbauer der Region gelingt es ihm, in die 1855 gegründete Spitzenkategorie der Bordeaux-Winzer aufgenommen zu werden: Mouton-Rothschild wird ein "Premier Crus". Ab 1945 gestaltet jedes Jahr ein Künstler das Etikett der neuen Weine: Mal ist es Picasso, mal Dalí oder Warhol. 1989 bringt Georg Baselitz sein Mauerfall-Etikett auf die Rothschild-Flaschen, 2004 gestaltet es der englische Prinz Charles.

Philippe de Rothschild ist nicht nur ein erfolgreicher Winzer. Der promovierte Naturwissenschaftler leitet zeitweise ein avantgardistisches Theater in Paris. Er fährt Autorennen und landet in seinem Bugatti einmal auf dem vierten Platz beim Grand Prix de Monaco. Als die Deutschen im Zweiten Weltkrieg Frankreich besetzen, wird das Weingut der Rothschilds beschlagnahmt. Philippe flieht nach London. Seine Frau, die in Frankreich bleibt, wird 1945 im Konzentrationslager Ravensbrück ermordet.

1953 heiratet Philipp eine amerikanische Reisejournalistin. Mit ihr zusammen übersetzt er Theaterstücke und Lyrik aus dem England der Shakespeare-Zeit. In seinen letzten Lebensjahren regiert er sein Unternehmen vom Bett aus, umgeben von zwei gewaltigen Doggen. Philippe de Rothschild stirbt am 20. Januar 1988 in seiner Geburtsstadt. Das Château führt bis heute Baronin Philippine de Rothschild, seine Tochter aus erster Ehe, weiter.

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14. April 2007, 12:37   #135
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14. April 1987: Die Türkei beantragt die EG-Mitgliedschaft

"Ich werde mich nicht davon abbringen lassen, den Menschen zu sagen, dass ich eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union für falsch halte", sagt Angela Merkel (CDU) kurz vor ihrer Wahl zur Bundeskanzlerin im September 2005. Kurz danach nimmt die EU trotz Vorbehalten der deutschen Konservativen Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auf. Der spätere türkische Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk kritisiert, "dass antitürkische Ressentiments in Europa immer deutlicher artikuliert" würden. Doch die Stimmung gegenüber der Türkei war nicht immer so negativ: Im 19. Jahrhundert ist das Land ein begehrter Bündnispartner Deutschlands. Auch mit deutscher Hilfe beginnt im Osmanischen Reich eine Europäisierung der staatlichen Strukturen, die 1923 in die Gründung der Republik Türkei durch Mustafa Kemal Atatürk münden. Die Reformen Atatürks haben das erklärte Ziel, die türkische Gesellschaft in die westliche Welt zu integrieren.

Mit der Aufnahme in die NATO scheint 1952 die Frage nach der Zugehörigkeit der Türkei zu Europa beantwortet zu sein. Sieben Jahre später beantragt die Türkei die Assoziierung an die gerade erst gegründete Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), der Vorgängerorganisation von EG und EU. Kommissionspräsident Walter Hallstein sagt 1963 bei der Unterzeichnung des Abkommens: "Die Türkei gehört zu Europa." Es folgen Hallsteins Worte, die Ankara bis heute als Versprechen ansieht, das Europa einzulösen hat: "Eines Tages soll der letzte Schritt vollzogen werden: Die Türkei soll vollberechtigtes Mitglied der Gemeinschaft sein." Doch der Weg dahin ist weit: Nach dem Zweiten Weltkrieg ist das Land zwar formell demokratisch, tatsächlich aber ein autoritärer Staat, der die Bürger- und Menschenrechte massiv einschränkt und politische Gefangene foltert.

1980 putscht das Militär, was zu einem Einfrieren der Beziehungen zwischen der Türkei und der EG führt. Trotz der schlechten Beziehungen zur EU beantragt die Türkei unter Führung von Ministerpräsident Turgut Özal am 14. April 1987 den Beitritt zur EU. Es wird zwar die "grundsätzliche Beitrittsfähigkeit" der Türkei festgestellt, jedoch auf erhebliche wirtschaftliche und politische Probleme hingewiesen: die Kurdenfrage, die Zypern-Problematik, der Streit mit Griechenland. Anfang der 90er Jahre setzt die Türkei Wirtschaftsreformen um und erreicht so 1996 die Zollunion mit der EU. Nach wie vor ungelöst sind aber Probleme wie die Lage der Kurden und die Situation von Zypern. Frühestens in zehn bis 15 Jahren wird es nach derzeitigem Stand möglich sein, dass die Türkei Mitglied der EU werden kann. Die Maßstäbe, an welchen die Türkei gemessen werden sollen, werden dann die Statuten der EU und ihre "Kopenhagener Kriterien" von 1993 sein - nicht die Religion und die Lebensweise der Türken.

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15. April 2007, 10:43   #136
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15. April 1912: Kim Il Sung wird geboren

Auch nach seinem Tod ist der Kult um Präsident Kim Il Sung in Nordkorea ungebrochen: Sein einbalsamierter Leichnam ist im Mausoleum des Kumsusan-Gedenkpalastes in Pjöngjang aufgebahrt. Rund 35.000 Denkmäler soll es im Land geben. Jedes Kind muss seine Lebensgeschichte auswendig lernen - auch wenn das meiste davon Legende ist. Das behauptet zumindest Hans Maretzki, der von 1987 bis Anfang 1990 der letzte Botschafter der ehemaligen DDR in Pjöngjang war und Kim Il Sung persönlich kennengelernt hat. Es habe ihn erstaunt, sagt Maretzki, "dass all die mythologischen Geschichten über seinen Lebensweg, die reine Erfindungen waren, von ihm schon so verinnerlicht waren, dass er selbst daran glaubte."

Der "Große Führer" Kim Il Sung ist zu Beginn seiner politischen Karriere eine Marionette der Sowjets. Geboren am 15. April 1912 in Mangjongdae in der Nähe von Pjöngjang, zieht er als Kind mit seinen Eltern in die Mandschurei. Als Partisan kämpft er dort bis 1940 gegen die japanischen Besatzer. Dann flieht er in die Sowjetunion, wo er militärisch ausgebildet wird. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als Amerikaner und Russen Korea am 38. Breitengrad teilen, machen ihn die Russen zum Statthalter in ihrer Besatzungszone. Nach dem Korea-Krieg, den Kim Il Sung 1950 nach Meinung vieler Historiker selbst anzettelte, bleibt er an der Macht. Dieses Mal wird er von den Chinesen gestützt. Nach dem Waffenstillstand von 1953 bleibt Korea geteilt. Der kommunistische Nationalist Kim Il Sung geht politisch nun jedoch seinen eigenen, koreanischen Weg, den er "Juche" nennt. Er macht sich damit von Stalin und Mao unabhängig.

Kim Il Sung errichtet eine Diktatur - mit ihm als alleinigen Herrscher an der Spitze. Bereits Mitte der 70er Jahre baut er seinen Sohn Kim Jong Il als Nachfolger auf. "Er hat schrittweise diesem Sohn exekutive Vollmachten übertragen, ihn die Arbeit machen lassen", sagt Ex-DDR-Botschafter Hans Maretzki. "Etwa Mitte der 80er Jahre beginnt die letzte Lebensphase Kim Il Sungs, in der er sich wie Gott über sein Land gestellt hat." Der "Große Führer" stirbt am 8. Juli 1994 im Alter von 82 Jahren an einem Herzinfarkt. Vier Jahre später wird er nachträglich zum "ewigen Präsidenten" des Landes ernannt.

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16. April 2007, 08:23   #137
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16. April 1982: Geburt des ersten deutschen Retortenbabys

Der kleine Oliver ist ein "strammer Brocken": 4.150 Gramm schwer, 53 Zentimeter groß und offenbar kerngesund. Darüber freuen sich nicht nur die Eltern des Neugeborenen, sondern auch sein medizinischer Vater, Professor Siegfried Trotnow. Am 16. April 1982 ist es dem 42-jährigen Gynäkologen an der Universitätsfrauenklinik in Erlangen gelungen, das erste deutsche Baby auf die Welt zu holen, das in einer Petrischale gezeugt wurde. Fünf Jahre nach dem weltweit ersten Retortenbaby Louise Brown ist Olivers Geburt in der Bundesrepublik ein viel diskutiertes Ereignis, das live im ZDF-Gesundheitsmagazin "Praxis" übertragen wird.

In der Bundesrepublik leben damals nach Schätzung der Ärzte etwa 100.000 Frauen, die wie Olivers Mutter Maria W. nicht auf natürliche Weise schwanger werden können. Obwohl die ethischen und medizinischen Grundlagen von Retorten-Zeugungen in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert werden, erreichen Professor Trotnow bald unzählige Nachfragen von sterilen Paaren mit Kinderwunsch. Eine Umfrage Mitte der 80er Jahre ergibt, dass knapp 80 Prozent eine positive bis absolut positive Einstellung gegenüber Retortenbabys haben.

So ist es nicht weiter erstaunlich, dass die Kritik an der Befruchtung in der Petrischale inzwischen fast verstummt ist. 25 Jahre nach der Geburt von Oliver W. verdanken weltweit rund drei Millionen Kinder ihr Leben der In-Vitro-Fertilisation, kurz IVF genannt. Allein in Deutschland werden mittlerweile jährlich 6.000 Retortenbabys geboren.

Was als Behandlung von Unfruchtbarkeit bei Frauen begann, hat sich heute in Verbindung mit den Erkenntnissen der Gentechnik zu einem medizinischen Arsenal mit teils beängstigenden Möglichkeiten entwickelt. So wurde in England vor einigen Jahren das erste "Designerbaby" geboren. Es wurde gezeugt, um mit seinen Stammzellen dem vier Jahre älteren und kranken Geschwister helfen zu können. In den USA lebt ein Mädchen mit drei Müttern und zwei Vätern: Dieses Kind aus dem Labor hat eine Eispenderin, einen Samenspender, eine Leihmutter und soziale Eltern. Selbst Frauen jenseits der 60 sind mit künstlicher Nachhilfe schon Mütter geworden. Was das für die künftige Identität dieser Kinder bedeutet, kann niemand beantworten.

In Deutschland setzt das Embryonenschutz-Gesetz von 1991 der Reproduktionsmedizin enge Grenzen. Geht es in den meisten anderen Staaten heute darum, Rohmaterial für die Forschung heranzuzüchten, besitzt ein Embryo - den Richtlinien des Deutschen Ethikrats zufolge - von Beginn an Lebensrecht und genießt deshalb besonderen Schutz.

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17. April 2007, 07:43   #138
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17. April 1982: Proklamation einer kanadischen Verfassung

Am 17. April 1982 kommt Queen Elisabeth II. in die kanadische Hauptstadt Ottawa, um die ehemalige britische Kolonie in die Freiheit zu entlassen. Gemeinsam mit dem kanadischen Ministerpräsidenten Pierre-Elliot Trudeau unterzeichnet sie die erste eigenständige Verfassung des Landes, bei der sie selbst nur noch formell als Staatsoberhaupt vorgesehen ist. Es sei eine prunkvolle Zeremonie gewesen, wird später ein Korrespondent der Londoner Times verkünden. Eine Zeremonie mit einem Schönheitsfehler: Die Vertreter der Provinz Quebec bleiben ihr demonstrativ fern.

Krieg mit Hilfe der Indianer
Die Queen nimmt diesen politischen Akt "mit Bedauern" zur Kenntnis. Ohne Quebec wäre Kanada nicht geworden, was es heute sei. Die ersten Siedler, die sich "les canadièns" nennen, sind die französischen Einwohner. Im 16. Jahrhundert erkunden die Pelzhändler das Gebiet um den Sankt-Lorenz-Strom und nehmen es als Neufrankreich in Besitz. Als die Kolonie expandiert, kommt es mit dem benachbarten Neuengland zum Konflikt, der mit Hilfe verbündeter Indianerstämme ausgetragen wird. Am Ende siegen die Briten und reorganisieren das Land.

Die französischstämmigen Siedler werden nach Quebec verbannt. Zwar dürfen sie ihr Zivilrecht und ihre katholische Religion ausüben, aber Englisch wird Amtssprache. "Die Gesetze und das Wesen des nordamerikanischen Kontinents sind englisch", fasst ein Abgesandter aus London zusammen: "Um sie von dieser Minderwertigkeit zu befreien, wünsche ich, dass unsere Kanadier unser englisches Wesen annehmen." Die Frankokanadier müssen sich als Bürger zweiter Klasse fühlen. Erst in den sechziger Jahren wird Französisch zweite Amtssprache.

Der Text der neuen Verfassung von 1982 soll die Zwistigkeiten beenden. Er ist in englischer und französischer Sprache geschrieben und erklärt die Nation zu einer multikulturellen Einheit, in der es keinerlei rechtliche Unterschiede mehr geben soll. Trotzdem: Die Konflikte bleiben. "Wir sind mit einer Frau vergleichbar, die ihrem Ehemann sagt, mach mir nicht ständig Liebeserklärung, umarme mich nicht immer, sag mir lieber, dass du mich respektierst." So umschreibt ein Politologe der Universität Quebec das schwierige Verhältnis im nationalen Konflikt zwischen den Parteien aus frankokanadischer Sicht. So oder so feiern die Streithähne 2007 Silberhochzeit. Seit 25 Jahren rauft man sich zusammen. Offenbar ist es schrecklich, aber es geht.

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18. April 2007, 07:40   #139
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18. April 1942: Geburtstag des Rennfahrers Jochen Rindt

Wie versteinert hockt Nina Rindt auf ihrem Hochsitz in der Box des Lotus-Rennstalls. Die Stoppuhr in ihrer Hand tickt noch. Vier Runden lang hat sie die Trainingszeiten ihres Manns auf dem Kurs von Monza gestoppt. Jetzt ist Jochen Rindt längst überfällig. Als Colin Chapman zu ihr hinauf klettert, nimmt sie den Lotus-Teamchef kaum wahr. Tödliche Unfälle haben die Formel 1 in den 1960er Jahren mit trauriger Regelmäßigkeit erschüttert. Vor allem Lotus-Piloten leben gefährlich. "Wenn mich ein Rad überholt, weiß ich, dass ich in einem Lotus sitze", scherzt Graham Hill, der Weltmeister von 1968. Noch drastischer drückt es kurz zuvor Jochen Rindt aus: "Ich komme entweder in einem Lotus um oder ich werde Weltmeister." An jenem 5. September 1970 in Monza beginnt Nina Rindt auf ihrem Hochsitz zu ahnen, dass ihr Mann das Wettrennen gegen den Tod verloren hat.

Jochen Rindt verfällt dem Rennsport schon als Jugendlicher. Der am 18. April 1942 in Mainz geborene Junge wächst bei seinen Großeltern im österreichischen Graz auf, nachdem seine wohlhabenden Eltern 1943 bei einem Bombenangriff in Hamburg ums Leben kamen. Als Alleinerbe kann sich Rindt schon früh schnelle Autos leisten und was spielerisch beginnt, entwickelt sich bald zum Lebensinhalt. Vom Pass her Deutscher, siegt sich Rindt mit einer österreichischen Rennlizenz in Windeseile bis in die Formel 1 hinauf. Die ersten Jahre in der Königsklasse verlaufen für den braunen Wuschelkopf mit dem markigen Gesicht allerdings wenig vielversprechend. Der Erfolg stellt sich erst 1969 mit dem Wechsel zu Lotus ein, obwohl Rindt schon im zweiten Rennen für sein neues Team schwer verunglückt. Reporterfrage an Rindt: "Jochen, haben Sie das Vertrauen in Lotus verloren?" Antwort: "Ich habe zu Lotus noch nie Vertrauen gehabt."

Rindts finnische Frau Nina, die er 1967 geheiratet hat, leidet schwer unter dem Risiko, das ihr Mann bei jedem Start eingeht. 1970 hat Jochen Rindt endlich die Spitze erreicht. Nach vier in Serie gewonnenen Grand Prix führt er die WM-Wertung nahezu uneinholbar an; in Monza will er den Titelgewinn perfekt machen. Um 14.20 Uhr geht Jochen Rindt ins Training und winkt aus dem Cockpit seiner Nina noch einmal zu. Es wird eine Trainingsrunde ohne Wiederkehr. In der Parabolica-Kurve kommt sein Lotus ins Schleudern und Rindt rast mit 220 km/h frontal in die Leitplanken. Unfallursache? Vermutlich eine gebrochene Bremswelle. Mit durchtrennter Halsschlagader verblutet Rindt im Krankenwagen. In den folgenden Rennen sammelt kein Fahrer mehr Punkte als der Deutsch-Österreicher. So wird Jochen Rindt am Saisonende, als bislang einziger Formel-1-Pilot, posthum zum Weltmeister erklärt. Den WM-Pokal nimmt seine Witwe entgegen.

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19. April 2007, 08:17   #140
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19. April 1972: Adolf Bach stirbt in Bad Ems

"Volkskundliche Studien streben hin zu freier Sicht auf ein Charakterbild des deutschen Menschen, in dem Stärke und Schwäche seines Volkes ( ...) sichtbar wird." So beschreibt Adolf Bach seine Arbeit und Lebensaufgabe. Er ist Germanist, Namensforscher und Volkskundler. Geboren wird Bach am 31. Januar 1890 in Bad Ems als Sohn eines kleinbürgerlichen Kaufmanns. Er studiert in Paris, lebt in Oxford, lehrt später an den Universitäten Marburg, Straßburg und Bonn. Sein Werk umfasst über 300 wissenschaftliche Arbeiten. Er ist ein katholischer Nationalkonservativer, der in der Ideenwelt des 19. Jahrhunderts verwurzelt ist. Die Romantik beeinflusst ihn stark. Die Vorstellung eines Volkes mit gemeinsamen Wurzeln, erklärt die Bonner Kulturwissenschaftlerin Dagmar Hänel, ist dezidiert romantisch: "Es ist vor allem die Geisteshaltung der Romantik, die die Idee von Volkskunde populär macht und durchsetzt."

Die Nationalsozialisten machen aus der romantischen Idee einer volkstümlichen Einheit den aggressiven Mythos von Blut und Boden. Volkskunde dient nun der rassistischen Ideologie deutscher Überlegenheit. Volkskundler rücken auf in führende Positionen der SS und werden mitverantwortlich für die Vernichtungspolitik: "Die Volkstumsforscher trugen als Tathelfer nicht nur zur Vertreibung von Nationalitäten bei, sondern sie bereiteten in ihren Denkschriften auch die Ermordung osteuropäischer Menschen vor", schreibt der Wissenschaftshistoriker Michael Fahlbusch. Adolf Bach tritt zwar schon 1933 in die NSDAP ein, macht aber dennoch keine Karriere. Eine Leitungsfunktion an der Universität Marburg wird ihm entgegen früherer Zusagen verwehrt. In einem Dossier der SS heißt es: "Gesamtbeurteilung: Bach wird charakterlich negativ, weltanschaulich als undurchsichtig beurteilt. ( ...) Alles in allem gehört er nicht zu den positiven Germanisten und Volkskundlern."

Bach überlebt den Krieg, wird 1948 wegen eines schweren Augenleidens in den vorläufigen Ruhestand versetzt. Sechs Jahre später wird er wieder als Lehrbeauftragter an die Universität Bonn berufen. Volkskunde ist längst ein belasteter Begriff. In der Auseinandersetzung um sein Fach verharmlost Bach die nationalsozialistischen Einflüsse: "Die Abwege einer Germanenschwärmerei und eines ( ...) gesteigerten Rassendünkels ( ...) haben die meisten Vertreter der noch heute im Wirken stehenden Generation der deutschen Volkskundler weit weniger verführt, als es das mit geräuschvoller Betriebsamkeit verfasste populäre Schrifttum der NS-Epoche annehmen lassen kann." Bach widmet sich wieder der Siedlungs-, Stammes-, Sitten- und Sprachforschung mit dem Ziel, Volkscharakter und Volksseele fassbar zu machen. Erst sein Tod am 19. April 1972 in Bad Ems fällt zusammen mit einem Wendepunkt seiner Wissenschaft. Anfang der 70er Jahre wird der Volksbegriff als ideologischer Begriff erkannt und abgelehnt, sagt Kulturwissenschaftlerin Hänel: "Die Idee von Volkscharakter ist eine Konstruktion. Das Phänomen existiert nicht und hat nie existiert."

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20. April 2007, 07:26   #141
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20.April 1977: Jimmy Carter legt Energie-Sparprogramm vor

"Guten Abend, ich habe ein ernstes Wörtchen mit Ihnen zu reden." Mit diesen Worten beginnt US-Präsident Jimmy Carter, knapp drei Monate im Amt, am 18. April 1977 seine Fernsehansprache an die Nation. Er hält die Rede im Sessel am Kamin. Ein Feuer flackert, der einstige Erdnussfarmer aus dem US-Bundesstaat Georgia trägt eine Jacke aus kamelhaarfarbener Wolle. Carter erklärt, dass die Öl- und Gasvorräte, mit denen die USA überwiegend ihre Energieversorgung sichern, leider zur Neige gingen. Er appelliert an seine Landsleute, weniger Strom zu verbrauchen, ihre Häuser besser zu isolieren und sparsamere Autos zu fahren. Zwei Tage nach seiner Rede an die Nation präsentiert Carter am 20. April 1977 seine Ideen dem Kongress. Sie gehen weit über das bloße Sparen hinaus: Er will bis zum Jahr 2050 die vollständige Umstellung der Energieversorgung des Landes auf erneuerbare Energien wie Wind und Sonne.

Carter gründet ein Energieministerium. Die Profite der Ölkonzerne werden in seiner Amtszeit hoch besteuert. Im Gegenzug wird ein millionenschweres Forschungsprogramm für Sonnenenergie aufgelegt. Doch die neue Energiepolitik wird schon kurze Zeit später wieder gestoppt. 1981 gewinnt Ronald Reagan die Präsidentschaftswahl. Der Wahlkampf des ehemaligen Schauspielers und Gouverneurs von Kalifornien wurde von der Öl-Industrie mitfinanziert. Reagan streicht das Budget der von Carter ins Leben gerufenen Energiesparprogramme um 90 Prozent. Hunderte von Forschern verlieren ihre Jobs. Windparks verrotten. Die Solaranlage, die Carter auf dem Dach des Weißen Hauses installieren ließ, wird nach Reagans Amtsantritt entfernt.

Die Sonnenkollektoren des Weißen Hauses landen auf dem Dach der Cafeteria eines Colleges im US-Bundesstaat Maine. 2006 macht der Schweizer Performancekünstler Roman Keller daraus ein ungewöhnliches Kunstprojekt. Er borgt sich zwei der Paneele aus und fährt damit durch die USA - in einem Gefährt, das mit Speisefett-Resten aus Fastfood-Restaurants betrieben wird. Schon bei der Einweihung der Solaranlage in Washington, erzählt Keller, hat Carter 1979 gesagt: "Das könnte eine Kuriosität, ein Museumsstück oder das Beispiel eines unbeschrittenen Weges werden."

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23. April 2007, 10:14   #142
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21. April 1997: Erste Weltraumbestattung

Der Weltraum. Unendliche Weiten. Wir schreiben den 21. April 1997. Gene Roddenberry, der Schöpfer der erfolgreichen Fernsehserie "Raumschiff Enterprise", begibt sich mit einer Rakete vom Typ "Pegasus XL" von Gran Canaria aus auf seine letzte Reise. Eigentlich startet allerdings nur das, die von ihm übrig ist. In der Rakete fliegt ein Teil von Roddenberrys sterblichen Resten zu den Sternen. In 11.000 Metern Höhe feuert Pegasus einen spanischen Satelliten und 24 Mini-Urnen in eine erdnahe Umlaufbahn. Die erste Weltraumbestattung der Menschheitsgeschichte ist geglückt.

Für Roddenberry ist die Weltraumbestattung die konsequenteste Art, seinem Tod ein würdiges Ende zu setzen: Aus Sternenstaub sind wir gemacht, zum Sternenstab kehren wir zurück. Ermöglicht hat die extraterristische Bestattungsmöglichkeit die Firma Space Services aus Houston, Texas. Inzwischen bietet das Unternehmen verschiedene Begräbnispakete an. Die billigste besteht aus einer Schnupperfahrt, bei der die Asche zur Erde zurückkommt; der "Orbit Service" für bis zu 5.300 US-Dollar katapultiert sie in die Erdumlaufbahn. Ein "Moon Service" soll die Urnen für 12.500 US-Dollar bald auf die Oberfläche des Erdtrabanten bringen. "Und schließlich gibt's auch die Reise in die Tiefe des Weltalls", sagt Mitarbeiterin Susan Schonfeld. "Die Preise hängen davon ab, wo Sie hingehen und wie viel von Ihnen dahingeht."

Zu den Sternen fliegt nämlich nur eine "symbolische Portion": Je nachdem, welche Kosten die auf der Erde Hinterbliebenen in das Weltraumabenteuer ihrer Verstorbenen investieren wollen, sausen ein bis sieben Gramm der Asche in die unendlichen Weiten des Universums. Am 28. April 2007 startet der nächste Flug in die Ewigkeit. Mit an Bord ist der Teil einer weiteren "Enterprise"-Legende: Scotty alias James Doohan. "Als er verstarb, wurden wir sofort informiert, dass er sich ausgebeten hatte, von unserem Unternehmen ins All gebracht zu werden", sagt Schonfeld stolz. "Weil wir ja schon seinen Freund Gene Roddenberry dorthin gebracht haben."

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23. April 2007, 10:16   #143
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22. April 1977: Ölkatastrophe auf der Nordsee-Bohrinsel "Bravo"

Nach Öl in der Nordsee zu bohren, ist schwierig: Bis zu 20 Meter hohe Wellen, Windgeschwindigkeiten von über 160 Stundenkilometern, unsteter Meeresboden - all das sei für Plattformen und Bohrinseln nicht geeignet, warnen in den 1970er Jahren Fischer, Umweltschützer und Ölförder-Experten. Das norwegische Ekofisk-Feld ist damals die ergiebigste Ölquelle des Nordens. Sie verspricht Reichtum und Unabhängigkeit. Deshalb schenken Regierungen und Ölgesellschaften den Kritikern keinen Glauben. Doch als es vor der norwegischen Südwest-Küste auf der Bohrinsel "Bravo" zur Katastrophe kommt, bestätigen sich die Warnungen.

Das Unglück ereignet sich am 22. April 1977 gegen 22.30 Uhr bei Wartungsarbeiten. Ein Sicherheitsventil soll ausgetauscht werden. Wie in solchen Fällen üblich wird schwerer Schlamm in das Förderrohr gepumpt, um das Öl zurückzuhalten. Ein plötzlicher Druckanstieg verursacht dann einen so genannten Blow-Out: Das Öl schießt 60 Meter hoch. Darüber bildet sich eine Gaswolke. Stündlich treten rund 170 Tonnen Öl und Erdgas mit einer Temperatur von knapp 120 Grad aus. Wegen der Brandgefahr wird die Bohrinsel von Löschbooten ständig mit Wasser besprüht. Die 112 Besatzungsmitglieder der Bohrinsel können unverletzt mit Rettungsbooten evakuiert werden. Mehrere Versuche, das Rohr abzudichten, schlagen fehl. Weder die Mannschaft der Bohrinsel noch europäische Experten sind erfolgreich. Auf dem Meer treibt mittlerweile ein Ölteppich, der so groß wie das Saarland ist.

Nach acht Tagen gelingt es schließlich dem amerikanischen Feuerwehrmann Paul "Red" Adair und seinem Team, das Leck zu schließen. Der Texaner, der sich auf solche Notfälle spezialisiert hat, wird später noch bekannter: Er löscht nach dem Zweiten Golfkrieg 1991 brennende Ölquellen in Kuwait. Den Kollegen der norwegischen Bohrinsel "Bravo" bescheinigt Adair fehlende Fachkenntnisse. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch die amtliche Untersuchungskommission im Oktober 1977. Darin fallen Worte wie "Fehleinschätzung der kritischen Situation", "mangelhafte Führung und Kontrolle" sowie "unzumutbare lange Arbeitszeiten". In den Zeitungen lautet der Tenor: "Der Schock kam mit Vorankündigung". Die Katastrophe habe vermieden werden können. Da sich aber der Ölteppich auf der Nordsee verflüchtigt und keine Strände mit schwarzem Schlamm überzieht, werden keine konkreten Konsequenzen gezogen. Erst nach weiteren Unfällen mit hunderten von Todesopfern werden neue Sicherheitsvorschriften für Bohrplattformen erlassen.

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23. April 2007, 10:17   #144
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23. April 1932: Jogging-Promoter James Fixx geboren

Der Sportler lebt nicht länger. Er stirbt aber gesünder. Diese Erkenntnis formulierte einst Professor Richard Rost, einer der renommiertesten deutschen Sportmediziner. Die Richtigkeit seines Befundes erlebte der Institutsleiter für Kreislaufforschung und Sportmedizin an der Kölner Sporthochschule am eigenen Leib. Rost wurde nur 58 Jahre alt. In den Bestsellerlisten tauchen allerdings regelmäßig Buchtitel auf, die sportlich aktiven Menschen ein langes Leben versprechen. Zur Bibel aller Gesundheitsapostel avanciert 1977 "Das komplette Buch vom Laufen" des Amerikaners James Fixx. Seine Anleitung für ein gesünderes Leben bringt einige hundert Millionen Menschen auf die Beine und macht Fixx zum Millionär.

Der Mann mit dem programmatischen Nachnamen ist selbst ein Bekehrter. Als New Yorker Zeitschriftenredakteur, geboren am 23. April 1932, verbringt Fixx die ersten 35 Jahre seines Lebens mit Übergewicht und raucht zwei Packungen Zigaretten täglich. Eine Muskelzerrung löst den Gesinnungswandel aus. "Ich zwang mich zum Abnehmen, um besser laufen zu können und trainierte täglich. Plötzlich teilten Freunde mir mit, ich sähe fabelhaft aus", beschreibt Fixx seine Metamorphose vom Stubenhocker zum begeisterten Jogger.

In seinem berühmten Lauf-Buch, das über ein Jahr die US-Bestsellerlisten anführt, preist Fixx das Jogging als einfachsten, gesündesten, billigsten und demokratischsten Leistungssport. In den Vereinigten Staaten trifft er damit den Nerv der Zeit und löst einen Jogging-Boom aus, der sich über die ganze Welt ausbreitet und bis heute anhält. Fixx selbst hat Ruhm und Fitness allerdings nur wenige Jahre genießen können. 1984 findet ein Motorradfahrer den 52-Jährigen tot auf einer einsamen Landstraße nahe seines Hauses in Vermont. Eine Autopsie ergibt, dass James Fixx auf einer seiner täglichen 15-Meilen-Runden einem Herzinfarkt erlag.

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24. April 2007, 07:38   #145
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24. April 1892: Das Einkochverfahren wird patentiert

Zu Beginn experimentiert Rudolf Rempel in seinem Labor: Der Chemiker aus Gelsenkirchen schleift von Pulvergläsern den Rand ab, füllt sie mit Milch, verschließt sie mit einem Gummiring und einem Blechdeckel und kocht sie in einem Wasserbad. Die Milch kann er Gästen noch Monate später zum Kaffee anbieten. Deshalb wiederholt er seine Versuche zu Hause mit Obst und Gemüse aus dem eigenen Garten. Dazu entwickelt er einen Topf, in dem man die Gläser so fixieren kann, dass ihr Deckel während des Kochens fest auf den Gummiring gepresst wird. Diesen "Apparat zum selbständigen Schließen und Entlüften von Sterilisiergefäßen" meldet Rempel am 24. April 1892 zum Patent an. Diese Apparatur ist nämlich die Neuerung. Das Vakuum-Sterilisieren hatte der Franzose Francois Nicolas Appert schon 1810 getestet.

Sterile Lebensmittel sind in einer Zeit ohne Kühlschränke eine wertvolle Neuerung. Rudolf Rempels Bruder, ein Fabrikant, verkauft die Apparatur für eine Reichsmark pro Stück - bei einem Facharbeiter-Stundenlohn von 50 Pfennig nicht wenig Geld. Aber viele Kunden sind begeistert, so auch Johann Weck: Der engagierte Anti-Alkoholiker will Rempels Verfahren nutzen, um Fruchtsäfte zu konservieren, ohne dass sie gären, also zu alkoholischem Most werden. Weck kauft Rempel schließlich sein Patent ab - und deshalb spricht man heute nicht vom Einrempeln, sondern vom Einwecken.

Termiten und Elefantenrüssel
Aber auch vom "Eineycken" könnte man sprechen: Denn den Erfolg der Weck-Gläser organisiert Georg van Eycks Firma in Emmerich. Sie übernimmt Wecks Vertrieb und bringt das Einkochverfahren auf Gartenbau-, Koch und schließlich sogar Weltausstellungen, präsentiert es in Kochschulen, Pfarr- und Krankenhäusern. Am 1. Januar 1900 gründen Weck und van Eyck die gemeinsame Firma Johann Weck und Co. in Öflingen. Schon vor dem Ersten Weltkrieg unterhält die Firma Vertretungen von Jakutsk (Sibirien) im Osten bis nach Santiago de Chile im Westen. In den deutschen Afrikakolonien dienen die Weckgläser zum Haltbarmachen von solch exotischen Genüssen wie gedämpften Termiten und Elefantenrüssel in Aspik. 1907 erscheint das Verb "einwecken" erstmals im Duden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wird die Firma enteignet und beginnt 1949 auf einem ehemaligen Fabrikgelände in Bonn-Duisdorf noch einmal neu. Selbst die Karriere der Tiefkühlkost überlebt das Einwecken. Heute stellen die Deutschen wieder die Hälfte ihrer Marmelade zu Hause her. Die Apparatur dafür liefert Firmenchef Eberhard Hackelsberger, der Urenkel von Johann Weck. In seinem Depot lagert als ältestes Glas noch eine eingemachte Ananas von 1897, - selbstverständlich genießbar, wie Hackelsberg betont.

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25. April 2007, 07:44   #146
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25. April 1952: Erster Tag des Baumes in Deutschland

Mitte des 19. Jahrhunderts beginnt der US-amerikanische Journalist und Farmer Julius Sterling Morton, sein Anwesen im baumarmen Bundesstaat Nebraska konsequent aufzuforsten. Bereits nach kurzer Zeit stellen sich erste Erfolge ein. Die Bodenerosion vermindert sich, die Artenvielfalt in der Gegend nimmt zu. Daraufhin beantragt Morton, einen "Tag des Baumes" einzuführen, um auf die Versteppung der USA und die mögliche Rettung der Umwelt durch das Wurzelwerk von Buchen, Fichten oder Eichen hinzuweisen. 1872 wird der "Tag des Baumes" erstmals in Nebraska begangen, 20 Jahre später dann in ganz Amerika. Inzwischen kennt man ihn in der ganzen Welt.

Vom Umweltretter zum Umweltopfer
In der Bundesrepublik Deutschland entscheidet man sich in den fünfziger Jahren, einen Gedenktag für den Baum einzuführen. Auf Antrag der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald findet der erste hierzulande am 25. April 1952 statt. Seine Bedeutung wird der breiten Öffentlichkeit erst im Laufe der Jahre deutlich. Zunehmend rückt der Baum nicht mehr als Retter der Umwelt in den Fokus, sondern wird im Zuge des Waldsterbens als eigentliches Opfer ihrer Zerstörung erkannt. Durch Autoabgase, Überdüngung und sauren Regen werden den Bäumen immer mehr Nährstoffe im Boden entzogen.

Der Laie sieht das Waldsterben nicht, sagt der Forstingenieur Jan Muntendorf. "Der Laie guckt sich die Baumkrone an und sagt: Wieso, der ist doch grün? Aber der Experte erkennt einfach, dass es dem Baum nicht gut geht." Tatsächlich stirbt auch der deutsche Wald nach wie vor. Jede fünfte Kiefer, jede vierte Fichte und jede zweite Buche ist durch Umweltsünden nachhaltig geschädigt. Naturkatastrophen wie der Orkan Kyrill im Januar 2007 tun ihr Übriges. In den Höhenlagen von Nordrhein-Westfalen haben einzelne Waldbauern bis zu 80 Prozent ihres Bestandes verloren.

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26. April 2007, 08:19   #147
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26. April 2002: Amoklauf im Erfurter Gutenberg-Gymnasium

Es ist ungewöhnlich ruhig im Gutenberg-Gymnasium an jenem Morgen. Sogar die Pausenklingel wurde abgestellt, denn die Oberstufe brütet über den Abiturprüfungen. Gegen 10.45 Uhr, so wird später ermittelt, betritt Robert S. seine frühere Schule durch das Hauptportal. Eigentlich säße auch er jetzt vor seiner Abiturarbeit, hätte man ihn nicht vor einigen Monaten wegen gefälschter Atteste von der Schule verwiesen. Vor seinen Eltern hat er das die ganze Zeit verheimlicht. Jetzt ist Robert S. zurückgekehrt, bewaffnet mit einer Pistole, einer Pumpgun und einigen Hundert Schuss Munition. Er zieht sich eine schwarze Maske über den Kopf und beginnt, den wuchtigen, verwinkelten Bau aus der Gründerzeit Gang für Gang zu durchkämmen.

In unmittelbarer Nachbarschaft des Gutenberg-Gymnasiums muss sich an jenem 26. April 2002 Katrin G. vor dem Landgericht Erfurt verantworten. Die junge Frau, von Zeugen als liebes, hilfsbereites Mädchen aus gutem Haus beschrieben, ist der Brandstiftung und des 446fachen Mordversuchs angeklagt. Weil sie nicht zum Abitur zugelassen worden war, hatte sie Feuer in ihrer Schule gelegt. Verletzt wurde niemand, doch der Sachschaden war hoch. Die Zeitungen sind voll mit Berichten über ihre Tat. Im Mittelpunkt immer dieselbe Frage: Wie konnte sie so etwas tun? Mitten in die Verhandlung stürzt eine Reporterin in den Gerichtssaal: "Eben ist ein Lehrer erschossen worden! Gleich um die Ecke, im Gutenberg-Gymnasium!"

Um 11.09 Uhr treffen die ersten Polizeikräfte vor dem Gymnasium ein. In den vergangenen 20 Minuten hat der 19-jährige Robert S. bereits zwölf Lehrerinnen und Lehrer, eine Sekretärin und zwei Schüler erschossen. Wer dem ganz in schwarz gekleideten Killer begegnete, wurde wortlos mit mehreren Schüssen exekutiert. Aus einem Fenster im ersten Stock legt der Amokläufer nun auf einen Polizisten an und trifft auch ihn tödlich. Um 11.17 Uhr fällt der letzte Schuss. Von seinem ehemaligen Klassenlehrer in die Enge getrieben, tötet sich Robert S. mit einem Schuss in die Schläfe.

Wie die Brandstifterin Katrin G. wuchs auch Robert S. in einer geachteten, bürgerlichen Familie auf. Wie Katrin fiel auch Robert zuvor nie durch Gewalttaten auf. Umso mehr bestimmt nach der grauenhaften Tat neben der Trauer um die Opfer schiere Fassungslosigkeit die öffentliche Diskussion. Niemand hatte hier zu Lande so etwas für möglich gehalten. Tragödien dieser Art schienen den Vereinigten Staaten vorbehalten zu sein. Als ein Spezialkommando der Polizei am Tatabend Roberts Zimmer durchsucht, finden die Beamten Berge von Computer-Ballerspielen, darunter die brutalsten Titel, die nur auf dem Schwarzmarkt zu haben sind.

Was bleibt ist Trauer
Erst mit einigem Abstand zu dem Drama im Gutenberg-Gymnasium zeigt sich, dass Robert S. nicht von heute auf morgen zum eiskalten Killer wurde. Es gab deutliche Anzeichen für sein langsames Abdriften aus der heilen Familienwelt, für die Versagensängste des schulisch überforderten Jungen und seine Flucht in eine zunehmend klaustrophobische, von Gewaltphantasien beherrschte virtuelle Scheinwelt. Aber weder Eltern noch Pädagogen deuteten die Zeichen richtig. Kein Lehrer kam auf die Idee, nach dem Schulverweis Kontakt mit den Eltern aufzunehmen. "Ich dachte wirklich, er hat keine Sorgen", gesteht Roberts Vater. "Wir leben miteinander und kennen uns häufig nicht", sagt Bundespräsident Johannes Rau in Erfurt bei der Feier zu Ehren der Opfer.

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27. April 2007, 08:16   #148
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27. April 2002: Barbie-Erfinderin Ruth Handler gestorben

Im Sommer 1956 kommt Ruth Handler aus den USA nach Europa. Als die 1917 in Denver (Colorado) geborene Unternehmerstochter in Luzern vor einem Schaufenster steht, fällt ihr eine erwachsene Puppe namens Lilli mit üppigen Brüsten und einem kecken Pferdeschwanz ins Auge, die so gar nicht dem damaligen Babyschema der Spielzeugindustrie entspricht. Handler kauft drei Lillis. Eine schenkt sie ihrer Tochter Barbara (Barbie), die andere Sohn Ken. Die dritte bekommt der Designer ihrer Firma Mattel, die bisher mit Geschenkartikeln aus Plexiglas Umsatz macht. "Entwirf mir so eine Spielzeugpuppe", soll Handler gesagt haben. "Eine Puppe, für Kinder, mit solchem Busen?" lautete der Einwand des Designers. Trotzdem: Auf der New Yorker Spielzeugmesse 1959 kommt Matells Barbie Nummer eins auf den Markt. Im ersten Jahr verkauft Handler 351.000 Puppendamen.

Rosarote Glitzerwelt
Barbies Vorbild Lilli, das auf eine Comicfigur der "Bild"-Zeitung zurückgeht, hat eher national Erfolg. Ihre klinisch reine Nachfolgerin Barbie mit ihrem Freund Ken aber macht in ihrer perfekten Modewelt auch global Karriere. Dies hat nicht zuletzt damit zu tun, dass sich die Puppe jedem Zeitgeschmack anpasst: 1964 wird ihr eine Schönheitsoperation für Augen und Beine verpasst, 1967 erfolgt ein verjüngendes Facelifting, ein Jahr später kann Barbie erste Sätze sagen. "Was soll ich zum Abschlussball anziehen?" lautet einer von ihnen, "Möchtest du mit mir einkaufen gehen?" ein anderer.

Kritiker werfen Barbie vor, Konsumdenken und Oberflächlichkeit zu fördern. Handler sieht ihre Vinyl-Kreation vor allem als Instrument, um Mädchen das Erwachsenwerden zu erleichtern. Selbst die große Oberweite ihrer Puppe erfüllt ihrer Meinung nach diesen Zweck. Ihr selbst seien ihre Brüste in der Pubertät nämlich immer peinlich gewesen, gibt sie an. Überhaupt habe sich ihr ganzes Leben nur um "Brüste, Brüste, Brüste" gedreht, wird Ruth Handler später sagen. Nach einer Krebsdiagnose muss ihr eine Brust amputiert werden. Nachdem man ihr bei Mattel nahe gelegt hat, die Firma zu verlassen, gründet sie ein erfolgreiches Unternehmen für Brustprothesen. Handler stirbt am 27. April 2002 in Kalifornien.

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28. April 2007, 14:09   #149
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28. April 1977: Urteil gegen Baader, Ensslin und Raspe

Hohe Mauern, Stacheldraht, Metallzäune - das Gefängnis Stuttgart-Stammheim gleicht einer Festung. Über das Dach ist ein Perlonnetz gespannt, um eine Befreiungsaktion aus der Luft zu verhindern. Für das Verfahren gegen die RAF-Gründungsmitglieder Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe sind vielfältige Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden. Um riskante Gefangenentransporte zu vermeiden, wurde eigens ein fensterloser Gerichtssaal neben dem Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses gebaut. Jeder Prozessbesucher muss sich vor dem Betreten abtasten und registrieren lassen. Seit fast zwei Jahren wiederholt sich die immer gleiche Prozedur - auch am 28. April 1977, dem Tag der Urteilsverkündung.

Vier Morde, 39 Mordversuche und sechs Sprengstoff-Anschläge werden den Angeklagten zur Last gelegt. Bis zum Ende des Verfahrens bleiben viele Einzelheiten im Dunkeln. Offen bleibt beispielsweise, inwiefern die Angeklagten an den einzelnen Taten beteiligt waren. Baader räumt im Prozess lediglich ein, dass die Sprengstoffanschläge im Mai 1972 auf die US-Militärstützpunkte in Frankfurt am Main und Heidelberg von der RAF begangen wurden, weil sie zum anti-imperialistischen Kampf gehört hätten. Die Verteidiger bezeichnen die Attentate als Widerstandsaktionen gegen den Völkermord in Vietnam. Die Angeklagten stellen sich selbst als Kriegsgefangene dar, die durch ihre Isolationshaft gefoltert werden. Diese Sicht wird vom Gericht kategorisch abgelehnt.

"Nicht auf eigene Faust Krieg führen"
Das Verfahren hat sich seit Prozessbeginn am 21. Mai 1975 immer mehr zu einer rechtsstaatlichen Fehde entwickelt. Unter anderem erreicht die Verteidigung, dass der Vorsitzende Richter Theodor Prinzing wegen Befangenheit abgelöst wird. Der Gipfel der Kontroverse ist jedoch das Eingeständnis der baden-württembergischen Landesregierung, dass Gespräche zwischen den Mandanten und ihren Verteidigern illegal mit Wanzen abgehört worden sind. Nach der Aufdeckung des Abhörskandals betreten Baaders Verteidiger Hans-Heinz Heldmann und Ensslin-Anwalt Otto Schily den Gerichtssaal nicht mehr. Erfolglos fordern sie auch noch einen Tag vor dem Urteil die Einstellung des Verfahrens. Ihre Plädoyers halten sie in einem Stuttgarter Hotel. Schily spricht von "massiven Vorverurteilungen" durch die Justiz. Heldmann attestiert den Richtern "Vernichtungswille", mit dem sie die Angeklagten entmenschlicht hätten.

Am 192. Verhandlungstag geht der Stammheim-Prozess zu Ende. Die Anklagebank bleibt leer, weil die Beschuldigten durch ihren Hungerstreik verhandlungsunfähig sind. Der Sitzungssaal ist dagegen voll besetzt. Der Vorsitzende Richter Eberhard Foth verkündet um neun Uhr "im Namen des Volkes" das Urteil. Baader, Ensslin und Raspe werden in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen: "Jeder der drei Angeklagten wird zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt." Richter Foth weist die These zurück, es habe sich um einen politischen Prozess gehandelt: "Es kann sich nicht jedermann zum Völkerrechtssubjekt ernennen und auf eigene Faust Krieg führen." Von den ursprünglich fünf Angeklagten erleben zwei das Urteil nicht mehr: Holger Meins ist im November 1974 während eines Hungerstreiks gestorben, Ulrike Meinhof ist im Mai 1976 tot in ihrer Zelle aufgefunden worden.

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29. April 2007, 20:35   #150
Jules
 
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29. April 1907: Geburtstag des Regisseurs Fred Zinnemann

"Er ist ein Mann, der nur die Wahrheit filmt." Mit diesen Worten würdigte Billy Wilder einst seinen österreichischen Landsmann und Regie-Kollegen. Seine Karriere beginnt Fred Zinnemann logischerweise als Dokumentarfilmer und das bleibt er innerlich auch als er Spielfilm-Regisseur in der bunten Traumfabrik von Hollywood ist. Den Western-Klassiker "High Noon" ("12 Uhr mittags") dreht er 1952 zur Technicolor-Blütezeit in dokumentarischem Schwarz-Weiß und - unerhört für Hollywood-Verhältnisse - mit ungeschminkten Schauspielern. "Ich wollte es so realistisch machen, als ob es eine Wochenschau wäre", erklärt Zinnemann später.

Anfang der 30er Jahre siedelt sich der am 29. April 1907 in Wien geborene Arztsohn in Hollywood an. Vorzuweisen hat er eine Kameraausbildung an der Pariser Filmhochschule und etwas praktische Erfahrung als Assistent des Kamera-Pioniers Eugen Schüfftan in Berlin. Von ganz unten arbeitet sich Zinnemann empor, bis ihn das Glamour-Studio MGM 1937 als festangestellten Regisseur unter Vertrag nimmt. Bereits mit seinem dritten Film "Das siebte Kreuz" nach dem Roman von Anna Seghers, einem gänzlich unglamourösen Werk im Stil des italienischen Neorealismus, gelingt ihm der Durchbruch. Mit "High Noon" wird Zinnemann endgültig weltberühmt.

Eindimensionale, strahlende Helden interessieren den "konsequenten Sozialdemokraten" nicht. "Der Charakter eines Mannes ist sein Schicksal." Dieser Maxime bleibt Zinnemann in seiner 50 Jahre währenden Karriere quer durch alle Genres treu. Wie der Soldat Prewitt (Montgomery Clift) in "Verdammt in alle Ewigkeit" oder Thomas More (Paul Scofield) in "Ein Mann zu jeder Jahreszeit", stets durchleben Zinnemanns Protagonisten Gewissenskrisen, werden von den Verhältnissen herausgefordert und bleiben doch ihren Überzeugungen treu - auch wenn es sie das Leben kostet. Das gilt selbst für den eiskalten Auftragskiller, den Edward Fox in Zinnemanns letztem großen Film "Der Schakal" spielt. Ausgezeichnet mit drei Oscars zieht sich Fred Zinnemann Anfang der 60er Jahre nach London zurück. 89-jährig stirbt er dort am 14. März 1997 im Stadtteil Mayfair.

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