4. November 2005, 19:11 | #1 |
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Die Nacht der großen Flut.
... wer das exzellente Doku-Drama letzte Woche nicht schon auf Arte gesehen hat, kann (und sollte) es sich heute um 21.45 Uhr im Ersten anschauen.
Ich war zunächst skeptisch, doch schon nach wenigen Minuten wird klar, daß man es mit einer sehr gut gemachten Fernsehproduktion zu tun hat und daß hier nicht etwa das Leiden der betroffenen Menschen auf billige Art voyeuristisch ausgeschlachtet wird. Sonst hätte wohl auch Altkanzler Helmut Schmidt nicht als Erzähler mitgewirkt, der in den Spielszenen von Ulrich Tukur dargestellt wird. Aber auch die anderen Rollen sind mit hervorragenden Schauspielern besetzt. Ich war überrascht, daß mich der Film so beeindruckt hat, da ich immer angenommen hatte, bereits alles über die Katastrophe, bei der 1962 über 300 Hamburger ums Leben gekommen sind, zu wissen. An jenen Tagen mußte ich übrigens nicht zur Schule gehen, weil dort ein Teil der Evakuierten untergebracht worden war. Es waren ja Tausende, die in dieser Nacht alles verloren hatten. Aber als Kind begreift man so etwas noch nicht, und ich freute mich halt, daß der Unterricht ausfiel und fand es auch aufregend, die amerikanischen Soldaten zu beobachten, die als Helfer unermüdlich von unserem Schulhof aus mit ihren schweren Militär-LKWs immer wieder ins Überschwemmungsgebiet fuhren, um halberfrorene bis auf die Haut durchnäßte Opfer in unsere Schule zu bringen, wo man in den Klassenzimmern Feldbetten für sie aufgestellt hatte. Man kann viel lernen aus dieser Dokumentation. Nicht nur wie sich Menschen charakterlich in Extremsituationen zwischen Leben und Tod verhalten, sondern ich wußte bis dahin auch nicht, daß die Behörden zunächst derartig versagt hatten. Vor allem die Zuständigen der Hamburger Polizei erwiesen sich als inkompetent in einem erschreckenden Ausmaß. Ein Glücksfall, daß in dieser Nacht der damalige junge Innensenator Helmut Schmidt die verheerende Situation sofort erkannte, alle Kompetenzen an sich riß und ohne Rücksicht auf irgendwelche Paragraphen ebenso riskante wie kluge Entscheidungen traf. Im Film wird es nur angedeutet. Aber hier will ich mal klipp und klar sagen, daß ohne Helmut Schmidt damals mindestens zehnmal so viele Menschen ersoffen oder erfroren wären. Daß der heute 87jährige stolz darauf ist, merkt man ihm an. Aber er hat auch ein Recht darauf. Gruß Ben PS: In der heutigen Ausgabe des "Hamburger Abendblattes" könnt Ihr noch mehr über die Doku lesen: http://www.abendblatt.de/daten/2005/11/04/499534.html http://www.abendblatt.de/daten/2005/11/04/499535.html |
4. November 2005, 19:39 | #2 |
Dummschwätzer
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Ohne die Ben'sche Empfehlung würde ich mir das heute sicher nicht angesehen, weil ich das ganze für eine der billigen Katastrophen Klamotten gehalten hätte.
Danke für den Ttip |
5. November 2005, 12:08 | #3 |
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meine großeltern mussten auch ihre wohnung verlassen, meine Oma sagte mir immer das sie fix und fertig war, beinahe wie im krieg da wurden sie 2 mal ausgebombt danach nach SH evakuiert und meinem Opa habe immer an den lippen gehangen wenn er von dieser katastrophe erzählt hat.
später dann, hat er mir auch von dem, damals noch jungen, Helmut Schmidt erzählt und was er geleistet hat. sie haben immer mit hochachtung von ihm gesprochen und das ihm nicht genug danken kann was er da geleistet hat. an einen satz von meinem Opa kann ich mich noch gut erinnern, er sagte immer:" den jong wor dat schietegol wat de gesetze songn, dat leven ging vor, un dat wor richtig", na ja, eben auf sein Hamburgerdialekt. der film ist wirklich gut gemacht und nicht so ein katastrophen sch... und hat auch gezeigt mit was für einfachen mitteln sie damals zu helfen verstanden. |
5. November 2005, 15:52 | #4 |
Dummschwätzer
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Wirklich beeindruckendes und sehenswertes Doku-Drama.
Zurück bleibt die Erkenntnis, daß Dummköpfe und selbstherrliche Typen wie dieser besserwissende fette Einsatzleiter nicht aussterben und mit ihren Dienstanweisungen und Vorschriften unbelehrbar sind. Politker und Menschen mit Format, Geradlinigkeit und Persönlichkeit vom Schlage eines Helmut Schmidt sind hingegen leider ausgestorben. Der letzte, von dem man sowas angenommen hat, hieß Schröder. Der allerdings hat beim Elbhochwasser nichts weiter getan, als sich medienwirksam in Szene zu setzen um somit seinen Wahlsieg zu garantieren. Helmut Schmidt ist einer der wenigen Politiker, dem man noch zu Lebzeiten ein Denkmal setzen sollte. Seine Stadt Hamburg wird diesen Mann sicher nicht vergessen. |
6. November 2005, 00:58 | #5 | |
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... dabei waren es nur die Schicksale von 4 Familien, die man herausgegriffen hat. 4 von über 300, die einen toten Angehörigen zu beklagen hatten, 4 von Tausenden, die in der Nacht schwerverletzt worden waren, und 4 von Zehntausenden, die bei dieser Katastrophe alles was sie besaßen, verloren hatten. Und das gerade mal 17 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, als viele von ihnen auch nur noch ihr nacktes Leben retten konnten, weil ihre Häuser und Wohnungen von Bomben zerstört waren.
Und zu dem Horror der Naturgewalten gesellte sich dann auch noch das Grauen der Bürokratie. Für mich noch am unerträglichsten: der junge Familienvater, den man als Werftarbeiter in dieser Nacht zwang, seine Nachtschicht bis zur letzten Minute untätig in der Kantine abzusitzen, weil wegen des Sturms der Arbeitsbetrieb in den Docks nicht mehr möglich war. Und während ihm, dem Ahnungslosen, nur langweilig war und er nicht wußte, wie er die Zeit totschlagen sollte, bis er endlich die Stempeluhr bedienen und nach Hause fahren konnte, waren die ganze Zeit nur wenige Kilometer von ihm entfernt seine Frau und seine Kinder in Todesangst auf sich allein gestellt. Und das einzige was er hinterher für sie noch tun konnte war, ein paar Tage später ordnungsgemäß ihre Leichen zu identifizieren. Als ich sah, wie er heute ruhig und gefaßt darüber spricht, hatte ich mich unwillkürlich gefragt, ob ich bei dieser Wut und Trauer, die der Mann nun schon seit über 40 Jahren in seiner Seele trägt, damals auch hätte weiterleben können. Auf jeden Fall sollte man ihm dankbar sein, daß er damit einverstanden war, bei der Dokumentation mitzuwirken, um, zusammen mit den anderen Zeitzeugen, der Katastrophe ein "Gesicht" zu geben. Denn nur dann werden solche Ereignisse auch für Nichtbetroffene in Erinnerung bleiben. Alles andere sind nur Kalenderdaten und nüchterne Zahlen, die uns emotional nicht bewegen, so daß es uns auch nicht lange im Gedächtnis bleibt. Daß man als Autor, Regisseur und Interviewer das seltene Fingerspitzgefühl besitzt, diesen Menschen das Gefühl zu geben, daß sie hinterher im fertigen Film nicht Millionen von Schaulustigen "vorgeführt" werden, hat Reymond Ley mit seinem Doku-Drama eindrücklich bewiesen, wofür er auch heute noch mal viel Lob im "Hamburger Abendblatt" erhielt (siehe unten). Mir persönlich werden auch die Original-Aufnahmen von dem Zelt auf der Kunsteisbahn so schnell nicht mehr aus dem Sinn gehen, in dem man die Toten bis zur Identifizierung durch die Angehörigen gelagert hatte. "Planten & Blomen" liegt im Herzen der Stadt und ist für Hamburg in etwa das, was für New York der Central-Park ist. Und als Kind bin ich oft auf dieser Bahn gefahren. Wenigstens weiß ich jetzt, immerhin 43 Jahre später, warum mir meine Großeltern damals nicht sagen wollten, warum die Eislaufbahn gesperrt ist. Gruß Ben Zitat:
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7. November 2005, 09:21 | #6 |
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Ich kann da mal wieder nur auf eine Wiederholung hoffen.
Verpasst. ;-) |
19. February 2006, 23:45 | #7 |
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Heute kam Teil 1 und Morgen Teil 2 der Wiederholung. Leider hab ich 1 schon wieder verpasst, weil ich bei der Vorschau nicht auf den Titel geachtet habe und mir eher ein Liebesdrama vorgestellt wurde, als das, was Ben-99 hier beschrieb.
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20. February 2006, 05:51 | #8 | |
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... guten Morgen, liebes Würmchen. Du scheinst gestern abend wohl schon nicht mehr ganz wach gewesen zu sein. Denn: Was soll das hervorragende Doku-Drama "Die Nacht der großen Flut" mit dem kitschigen RTL-Zweiteiler "Die Sturmflut" zu tun haben? Der 8 Millionen Euro teure Blödsinn mit Lauterbach und Co. wurde auch gerade im "Spiegel" gnadenlos verrissen und muß wohl noch schlimmer als das Melodram um die Berliner "Luftbrücke" sein.
Zitat:
Gruß Ben |
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20. February 2006, 07:09 | #9 |
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aaaaa, siehst Du, dann hatte ich doch eine richtige Vorstellung bei den kurzen Szenen
Mir kam eben nur das Ereignis bekannt vor und ich erinnerte mich, dass Du mal davon berichtet hast. Dann kann ich ja auch getrost den 2. Teil verpassen Mein Dank wird Dir heute Abend nachlaufen |
20. February 2006, 08:37 | #10 |
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*lach*
Das habe ich auch wieder verpasst. Aber ich glaube die Dokumentation von der oben die Rede war kam letztens irgendwo. Jedenfalls ist mir Ulrich Tukur als Schmidt jetzt ein Begriff. Die Doku fand ich gut. |
1. March 2006, 15:17 | #11 |
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hervorragendes Doku-Drama "Die Nacht der großen Flut" u d kitschige RTL-Zweiteiler "Die Sturmflut"
GENAU: dummerweise habe ich ersteren gesehen (irgendwann letztes Jahr nachts/auf Phoenix?) und diesmal alle meine Bekannten für den zweiten angespitzt, ohne zu merken, daß das 2 völlig verschiedene Filme waren... Jetzt brauch ich glaub´so schnell keine Empfehlungen mehr auszusprechen! Zur Zeit liefen ja auch so einige Dokus über den Tsunami in SO-Asien und Hurrican Katrina in New-Orleans... worüber es bald bestimmt genausolche Schundfilme geben wird (und gab)! |
1. March 2006, 22:24 | #12 |
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Siehste! Bin ich wenigstens nicht alleine so - - oberflächlich beim Lesen
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