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15. July 2002, 10:00   #1
Pumawoman
 
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Hamas


Ein trojanisches Pferd -
Hamas und die Hintermänner

Die islamistische Hamas wird meist der „nationalistischen“ PLO gegenübergestellt, und damit eine tiefe ideologische Gegnerschaft nahegelegt. Tatsächlich sind die Grenzen weniger scharf gezogen: die PLO (insbesondere die Fatah Yassir Arafats) war niemals anti-islamisch und hat den Islam immer als Teil der Nationalkultur betrachtet. Umgekehrt war die Hamas im Laufe der palästinensischen Intifada genötigt, nationale Positionen zu übernehmen, wenn sie nicht jede Basis verlieren wollte: während sie früher der nationalen Frage (und dem Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes) eher gleichgültig gegenüberstand, änderte sich das drastisch während der achtziger Jahre. Diese Entwicklung bedeutete, daß sich Fatah und Hamas in gewissem Sinne politisch annäherten, zugleich aber genau dadurch in eine direkte Konkurrenzsituation gerieten. Trotzdem waren beide gezwungen, eher behutsam miteinander umzugehen.

Als dann 1993 die Osloer Abkommen zwischen der PLO und Israel unterzeichnet wurden, änderten sich die Rahmenbedingungen der palästinensischen Politik gründlich. Hamas ging sofort auf Distanz und kündigte nach einer Schrecksekunde an, die Abkommen zu bekämpfen und zum Scheitern zu bringen. Tatsächlich aber kam es zu keiner Fundamentalopposition von Hamas, obwohl deren Rhetorik den Eindruck erweckte. Statt dessen begann sie eine Politik, die weniger auf die Bekämpfung Israels, sondern stärker auf die Gewinnung von Stärke innerhalb der palästinensischen Gesellschaft zielte. Auch ihre militärischen oder terroristischen Operationen gegen Israel waren dem in der Regel untergeordnet. Im Dezember 1993 ermordeten Hamas-Aktivisten Oberst Mintz, den Koordinator der israelischen Geheimagenten im Gazastreifen, drei Monate später in der Westbank den israelischen Geheimdienstler Noam Cohen. Die Ermordung solcher Personen traf in der palästinensischen Gesellschaft auf die gleiche Sympathie, wie später der Mord an Hamas-Funktionär Ayyash durch den israelischen Geheimdienst in Israel. Aber Yassir Arafat wurde so in große Schwierigkeiten gebracht: verurteilte er die Morde an Mintz und Cohen öffentlich, schwächte er seine Rolle als palästinensischer Führer. Verweigerte er aber eine Verurteilung, belastete er seine Politik der Kooperation mit Israel. Hamas machte mit dieser kalkulierten Politik der PLO klar, daß sie nicht ignoriert werden konnte. Und sie signalisierte Israel, daß sie militärisch wirksamer zuschlagen konnte als die PLO, und daß ein Deal mit Arafat allein keinen Frieden bringen würde.

Zugleich aber richtete sich Hamas an den neuen Realitäten nach Oslo aus. Trotz aller Rhetorik akzeptierte sie diese neuen Fakten, versuchte aber, sie zu beeinflussen. So schloß sie Vereinbarungen mit Arafat, die die Respektierung seiner herausgehobenen Rolle in Gaza und der Westbank nach Oslo beinhalteten - und damit implizit wichtige Ergebnisse des Osloprozesses. Hamas akzeptierte die durch Oslo möglich gewordenen Wahlen (ohne sich selbst daran zu beteiligen) und den Wahlsieg Yassir Arafats. Hamas-Politiker begrüßten die einrückenden palästinensische Polizisten „als Brüder“ oder erklärten, daß es nicht in ihrem Sinne sei, wenn die PLO zerfalle. Hamas-Führer Rantisi erklärte, es gehe nicht um den Sturz der PLO, sondern darum, „ihre Struktur und Form auf einer demokratischen Basis zu erneuern.“

All dies bedeutete aber nicht, daß Hamas einen Schmusekurs begonnen hatte. Sie schloß sich im Januar 1994 mit DFLP und PFLP - also zwei marxistisch-leninistischen Parteien, deren Frömmigkeit sich in engen Grenzen hält - in Damaskus zu einer „Allianz der palästinensischen Kräfte“ zusammen, um den Osloprozeß zu bekämpfen.

Insgesamt zielte die Politik darauf, sich selbst als entscheidende Oppositionspartei gegen die PLO-Führung zu etablieren. Wenn dazu militärische oder terroristische Mittel notwendig waren, dann würde man sie unternehmen. Falls aber Kompromisse erforderlich werden würden, wären auch diese kein Problem. Diese Politik war - zumindest bis zur Serie der Terroranschläge in Israel in den letzten Wochen - außerordentlich erfolgreich. Hamas repräsentiert heute eine wichtige Strömung der palästinensische Gesellschaft, die entweder sozial konservativ, religiös, oder gegen den Osloprozeß ist.

Dabei darf aber nicht übersehen werden, daß Hamas alles andere als homogen ist. Die Bewegung ist in verschiedenen Strömungen gespalten, von denen der Riß zwischen der pragmatischen Führung im Gazastreifen und den Exilgruppen am bekanntesten ist. Die Gaza-Führung will vor allem ihre Verankerung und ihren politischen Einfluß in Palästina stärken. Fast alle Kompromisse - mit der Ausnahme einer formalen Anerkennung Israels - könnten bei entsprechenden Gegenleistungen in den Bereich des Möglichen rücken. Die Exilgruppen, die über kleine, aber gut organisierte Zellen in den besetzten und den autonomen Gebieten verfügen, folgen einem kompromißlosen Kurs, der sie nichts kostet. Schon in der Frage der Wahlbeteiligung, aber auch bezüglich der jüngsten Terrorwelle brachen die Unterschiede offen aus.

Diese Differenzen zu ignorieren und die palästinensische Autonomiebehörde in einen „totalen Krieg gegen Hamas“ (Peres) zu schicken, wäre fatal. Eine solche Strategie erscheint vor dem Hintergrund der israelischen Innenpolitik naheliegend, würde aber keinerlei Aussicht auf Erfolg haben, außer die verschiedenen Hamas-Flügel (plus den Islamic Jihad, der allerdings geschwächt ist, und einen Teil der säkularen Opposition) zusammenzuschweißen. Sie würde Hamas endgültig als die letzte Bastion der Opposition gegen israelische Dominanz legitimieren und so - trotz vorübergehender militärischer Schwächung - politisch dauerhaft stärken. Der Burgfrieden zwischen PLO und Hamas , der ja die praktische Voraussetzung des Staatsbildungsprozesses in Palästina darstellt, wäre natürlich zuende. Yassir Arafat wäre in der Wahrnehmung der Palästinenser - und in der Realität - ein bloßer Handlanger der israelischen Sicherheitsinteressen - und würde damit die politische Basis für eine Versöhnungs- und Friedenspolitik verlieren.

Die Beendigung und Bekämpfung des Terrors kann nur gemeinsam mit dem pragmatischen Hamas-Flügel gelingen, ob einem das paßt oder nicht. Nur durch die Beteiligung dieser Strömung - die aus gesellschaftspolitischen Gründen auch diesem Autor nicht eben behagt - läßt sich das Problem mit Hoffnung (aber keiner Garantie) auf Erfolg angehen.

Aus diesem Grund ist die gegenwärtige Kampagne einer Zerschlagung von Hamas nicht nur falsch, sondern schädlich und gefährlich. Man würde nicht das Problem, sondern das Instrument seiner Lösung beseitigen und ganz Palästina (plus die Diaspora) an den Rand eines Bürgerkrieges bringen - was der Stabilität und „Sicherheit“ der Region kaum dienlich wäre.

Die Mode der Außenminister der USA, Israels und der EU, „externe Länder“ für den Hamas-Terror verantwortlich zu machen, ist kaum klüger und nicht erfolgversprechender. Als „Unterstützer“ der Hamas (und damit Förderer des Terrorismus) werden gegenwärtig der Iran, Syrien und Libyen gehandelt. Die letzten beiden Länder sind in unterschiedlichem Maße säkular orientiert und kaum an einer strategischen Förderung des Islamismus interessiert. Beide sind selbst innenpolitisch von islamistischen Kräften bedroht und dürften höchstens in sehr geringem Maße aus taktischen Gründen die Hamas unterstützen. Bezüglich Irans sieht das prinzipiell etwas anders aus, allerdings darf nicht vergessen werden, daß es für keines der drei Ländern bisher handgreifliche Belege für eine nennenswerte Unterstützung der Hamas-Anschläge gibt. Und wenn allen drei Ländern die Unterstützung terroristischer Aktionen prinzipiell auch zugetraut werden muß, so kann eine solche Plausibilität doch keine Beweise ersetzen.

Andererseits wird bei der gegenwärtigen Diskussion bewußt ausgeblendet, daß andere Länder seit langem bzw. jahrelang eine Unterstützung an Hamas geleistet haben oder noch leisten. Besonders wichtig ist hier Saudi Arabien, das aber trotzdem keine Kritik zu befürchten hat. Es handelt sich schließlich um einen wichtigen westlichen Verbündeten.

In der gegenwärtigen Debatte wird auch bewußt ignoriert, daß ausgerechnet Israel in den siebziger Jahren und bis weit in die achtziger hinein in den besetzten Gebieten die Muslimbruderschaft (und deren Ableger, Hamas ) förderte. Dabei ging es darum, der als gefährlicher betrachteten, nationalistischen PLO eine scheinbar harmlose, religiös-konservative Konkurrenz als Gegengewicht heranzuzüchten. Die US-Zeitschrift Newsweek - anti-westlicher oder anti-israelischer Tendenzen vollkommen unverdächtig - erklärte das so: "Jahrelang schienen die arabischen Fundamentalisten zuverlässige Bauern in Stellvertreterkonflikten mit hohem Einsatz zu sein. Sie widersetzten sich massiv den wichtigsten Feinden des Westens, dem Kommunismus und seinen regionalen Verbündeten, dem linken arabischen Nationalismus. Da sie der PLO feindlich gegenüberstanden, erschienen sie für eine israelische Teile-und-Herrsche-Strategie genau passend. Und sie waren ideologisch mit dem wichtigen Verbündeten und Öllieferanten des Westen, Saudi Arabien, auf einer Wellenlänge. ... In den siebziger Jahren begann Israel die Muslimbruderschaft als Gegengewicht zur PLO aufzubauen - und setzte das sogar noch fort, als israelische Truppen im Libanon mit schiitischen Radikalen zu kämpfen begannen."

Die Tatsache, daß dies beiden Seiten heute peinlich ist und deshalb gern unter den Tisch gekehrt wird, ändert daran nichts. Aber aus dieser Erfahrung läßt sich auch der Schluß ziehen, daß eine Unterstützung von Hamas durch wen auch immer - Israel, Saudi Arabien, Iran, Syrien oder Libyen - nicht automatisch bedeutet, daß diese Organisation von außen kontrolliert oder deren Aktionen von außen auch angeordnet oder verhindert werden könnten. Hamas ist heute ein starker Faktor der palästinensischen Innenpolitik, der weder einfach ignoriert werden, noch militärisch dauerhaft zerschlagen werden kann. Wer den Terrorismus von Hamas-Aktivisten bekämpfen möchte, kommt an diesem Ausgangspunkt nicht vorbei.

Quelle:
Ein trojanisches Pferd - Hamas und die Hintermänner,
in: Freitag , 15. März 1996, S. 7



 
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