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25. January 2002, 09:52   #1
Eyewitness
 
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nur für Trullertante: McDonald's

McDonald’s

Er haßte es. Er haßte diesen Tag, diese Stunde, diese Minute, diese Sekunde. Er haßte jeden einzelnen, spürbaren Moment, der bis zu ihm vordrang und in sein Innerstes einschlug. Er haßte die ganze Woche. Es war Montag.

Durch widere Umstände mußte er es tun, ob es ihm gefallen würde, war nicht von Bedeutung. Also fügte er sich seinem Schicksal. Um nicht sofort in Agonie zu verfallen, hob er den positiven Moment hervor, der Spies würde ihn nicht belästigen können, zumindest nicht wirklich. Er war an seinen Dienst gebunden, daran konnte auch ein Hauptfeldwebel nichts ändern, obwohl er das nie als einen Rang angesehen hatte. Der Hauptfeldwebel war auch nur ein Mensch, allerdings ein schlechter. Und das degradierte ihn gewaltig. Er bewertete nur nach dem Menschsein, soweit es denn überhaupt zutreffen konnte. Die meisten, die sich als Menschen bezeichneten, sah er als Tiere an. Davon konnte er sich wohl oder übel nicht ausschließen. So erging es ihm, daß er als Tier unter Tieren hauste.

Im Dienst war seine primäre Aufgabe das Nichtstun, vielleicht nicht offiziell, aber der nur zählende Endeffekt drückte dies deutlichst aus. Seine sekundäre Aufgabe bestand im Besetzen eines nicht gerade bequemen Stuhls in einem kalten, verrauchten und dreckigen Raum. Als seine persönliche tertiäre Aufgabe sah das er das Wachbleiben an. Mehr aus Selbstironie heraus, denn aus wirklicher Notwendigkeit. In welchem geistigen oder körperlichen Zustand er sich während des Dienstes befand, interessierte niemanden, mit Ausnahme des Spies, der grundsätzlich durch geheuchelte „Menschlichkeit“ und übertriebene „Fürsorglichkeit“, aber nie durch Effizienz, Planung oder Konzept glänzte. Seine Anteilnahme am persönlichen Schicksal der Soldaten verzog sich meist schon ins absurde, so daß es ihm immer unwahr erschien und er dem Spies nie Aufrichtigkeit unterstellen konnte.

Wie jeder lebende Organismus war auch er gezwungen, irgendwann einmal Nahrung zu sich zu nehmen. Die dafür übliche Methode bestand aus einem Gang zur örtlichen Kantine, dem Herun-terwürgen der dort feilgebotenen Nahrungsergänzungsstoffe und einer anschließenden Mindestruhe von einer Stunde, damit der Körper den Schock halbwegs schadlos überstehen konnte. Er zog es vor, dieser Gefahr aus dem Weg zu gehen und zu hungern. Dies hatte den Vorteil, daß es den Körper schonte und zu einer Stabilisierung des Körpergewichts beitrug. Nachteil war der teilweise quälende Hunger am Abend, den auch die Hausköchin nicht zu stillen vermochte oder wollte. Er war sich dessen nie so ganz sicher. Doch seitdem er öfters diese Dienste antreten mußte und damit die Hausköchin nicht mehr zur Verfügung stand, weil er zwangsweise in der Kaserne übernachten mußte, konnte er der Kantine kaum noch ausweichen. Zweimal in der letzten Woche hatte er es überlebt, dort zu dinieren. An diesem Montag wurde das dritte Mal in sieben Tagen fällig.

Er befand sich im Büro des Rechnungsführers, einen dummen Fehler vor sich liegend zersplittert in 72 Bildern und sechs neugierigen Augen. Er hatte immer versucht, ein Image, so sehr er das Wort auch haßte, von sich zu wahren, vollkommen egal, welches Images es war, solange es konstant blieb. Daß ihn die anderen als schwul, dumm oder sonst wie verhöhnten, störte ihn nicht. Ganz im Gegenteil, es beruhigte ihn. Es machte ihm auf geradezu simpelste Art klar, was sie über ihn dachten. Sie unterwarfen sich seiner Kontrolle, ob sie es wollten oder nicht. Insgeheim genoß er es. Auch wenn er mehr oder weniger ausgeschlossen war aus der Gemeinschaft. Es war nicht unbedingt gut für ihn, er haßte die Einsamkeit, aber es war auch nicht unbedingt zu seinem Nachteil. Er wollte nicht in einer Gemeinschaft sein, die ihm nicht zusagte, die er eigentlich verabscheute, aber der er sich auch nicht entziehen konnte. Diese Gemeinschaft bestand aus den Kameraden, einem Querschnitt der Gesellschaft, der besten Verdeutlichung der Idiotie und Primitivität menschlichen Daseins, die Manifestierung instinktgesteuerten Verhaltens als Objekte aus Fleisch und Blut, mit denen er die Tage verbrachte und die er in den Nächten verwünschte. Sie bestätigten seinen Haß auf diesen Gesellschaft, sie führten ihm immer und immer wieder vor, was er an den Menschen und damit auch zwangsweise an sich selbst verachtete.
Er saß am Computer, eins der Bilder auf dem Monitor, die anderen wahllos herumliegend, drei Kameraden um ihn herum, wild auf die Fotos gaffend. Sie hatten seine Ordnung zerstört und sie hatten ihre Ordnung zerstört, aber letzteres kümmerte ihn nicht so sehr wie ersteres. Sie hatten sich einfach seine Fotos angesehen, sie hatten sie einfach an sich genommen, respektlos ange-faßt, gelacht, gegeifert, gewundert, beachtet und insgesamt doch nicht verstanden in ihrer kleinen, beschränkten Gedankenwelt. Sie hatten sie untereinander ausgetauscht und kommentiert, nach Schwachstellen gesucht, ohne zu wissen, was sie da eigentlich in der Hand hielten und bewerteten. Seine Ordnung war heilig, unantastbar, sie hatte Bestand zu haben und sie war für ihn, für niemanden sonst. Sie war erschaffen worden, um ihm zu dienen; dieser Dienst durfte nicht unterbrochen werden. Doch sie hatten es gewagt, in ihrer primitiven Ahnungslosigkeit. Das mißfiel ihm.

Es waren Fotos von einer Party, keine besondere Party, eine, wie sie alle Tage in Deutschland stattfindet, Alkohol, Nikotin (das angeblich auch eine berauschende Wirkung haben soll) Haschisch, ein PC mit Internetanschluß und eine Partyhure. Eine simple Kombination um den eigenen Verstand für ein paar Stunden auszuschalten und allen möglichen Gefühlshormonen und chemischen Wirkstoffen freien Lauf zu lassen, damit sie die bedrückende Wirklichkeit verdrängen können und wenigstens den Anschein von Glück erwecken, auch wenn es noch so weit entfernt ist. So zeigten die Fotos dann auch nur die Normalität deutscher Partykultur, besoffene Typen, bekiffte Typen, ein Mädel, das auf fast jedem Typen saß, peinliche Szenen, komische Szenen. Mit anderen Worten: das, was zu erwarten war, wenn Langeweile, Verzweiflung, Wirklichkeitsflucht, Sexualtrieb und Drogen aufeinandertreffen. Doch trotz des Erwartungshorizonts schien etwas nicht zu stimmen, etwas unnatürliches muß von den Bildern ausgegangen sein. Er empfand sie nur als Normalität, sie aber hatten etwas entdeckt, was gegen ihr Bild sprach, was eine Veränderung bedeutete und was sie wohl auch nicht erwartet hatten.

Er hatte sich in ihren Augen disqualifiziert, dumme Witze, komische unidentifizierbare Bewegungen gemacht, war nur als Computerfreak bekannt, drückte sich mit geradezu verbissener Hartnäckigkeit vor dem Sport (was natürlich große Verwunderung verursachte, als er sich mal nicht drückte) und hatte immer wieder diesen komischen Blick, der allem zu widersprechen schien, das man sagen konnte. Nie hatten sie genau gewußt, woran sie bei ihm waren, also schützten sie sich instinktiv. Er dagegen beherrschte sie.

Genau wie dieses Mal. Sie betrachteten die Bilder und nutzten jede noch so kleine Gelegenheit vollkommen aus, um ihn mit irgendwelchen banalen Sprüchen aus der Reserve zu locken und ihre eigene Unwissenheit und ihr Unverständnis zu verbergen. Doch an alledem war er nicht interessiert. Er mußte die Bilder einscannen, die Leute, mit denen er auf der Party war, wollten Abzüge haben, digital. Also tat er alles mit einem Lächeln ab, wiederholte mit Beharrlichkeit das Wort „Natürlich“ und setzte unverdrossen seine Arbeit fort. Er ließ sie ins Leere laufen, was sie aber keineswegs davon abhielt, einfach weiterzumachen. Warum sie das taten, konnte er sich nicht erklären. Reine Defensivhaltung konnte das nicht sein, zumindest wollte er das nicht glauben. Denn so angegriffen konnten sie durch seine vermeintliche Normalität oder Ähnlichkeit zu ihnen doch gar nicht sein. Oder verloren sie ihren kleinen Sündenbock, auf den sie ihre eigenen Fehler, ihr eigenes Versagen abwälzen konnten? Er wußte es nicht, es interessierte ihn auch in keinster Weise, er war diese kleinen Tiraden sinnloser verbaler Angriffe gegen seine Person gewöhnt und hatte gelernt, ihnen keine Bedeutung beizumessen. Denn im Endeffekt konnten sie nichts ausrichten. Er sah es aus nur als ihre eigene kleine persönliche, menschliche Schwäche an, mit Neuem, Unbekanntem oder Fremdem nicht umgehen zu können.

Wie unbedeutend die Worte seiner Kameraden waren, merkte er schon fünf Minuten nach der verbalen Attacke, als es darum ging, einen geeigneten Ort zur Erfrischung der körperlicher Energiereserven zu finden. Genau wie er teilten seine Kameraden das Leid der Kantine. Auswegmöglichkeiten des Hungerns akzeptierten sie nicht, also blieb meistens nur der Gang, eigentlich die Fahrt, zu McDonald’s. Wie selbstverständlich nahmen sie ihn mit. Ohne Gemurre, ohne verzerrtes Gesicht, genervten Blick oder ähnliches. Er schauderte über soviel Opportunismus und Unehrlichkeit, soviel fehlende Standhaftigkeit und soviel instinktgetriebenen Selbstsicherungsbedarf.
Einer der Kameraden hatte den Firmenwagen seines Vaters ausgeliehen bekommen, nachdem er nach chronischen Geldmangel seinen eigenen Wagen nicht mehr so in Stand halten konnte, daß ihm die Straßensicherheit zugesagt wurde. Der Firmenwagen war ein Mercedes, ein Fahrzeug der höheren Klasse, 250 PS unter der Haube, genug PS, um durch das Durchdrücken des Gaspedals ein bißchen Eindruck zu schinden. Er selbst mußte zugeben, daß die Sitze angenehm bequem waren, für kurze Fahrten. Auf langer Dauer hätte er es dort auch nicht lange ausgehalten.

McDonald’s verkörpert fast alles, was er verabscheute, genau wie ein normaler Mensch, wie man ihn an einem normalen Tag in einer normalen Stadt in einer normalen Fußgängerzeit zu einer normalen Tageszeit antrifft. McDonald’s zeichnete sich durch eine primitive Methode aus, die Kunden bei der Stange zu halten. Es waren weder die Preise, noch war es die Bedienung, die sowieso meist aus nicht dem Arbeitsland entstammenden Menschen bestand und so gut wie nie auch nur annähernd Kontakt zur Landessprache hatten und die es einem dementsprechend schwer machten, auch nur annähernd eine sinnvolle Bestellung aufzugeben, noch zeichnete sich diese große Ladenkette durch besondere Lokale aus. McDonald’s nutzte den Vorteil seiner Vorreiterrolle im Bereich des Fast-Food-Geschäfts und der chemischen Geschmacksaufbesserung seiner Angebote. Genauso, wie Hunde dazu bewegt werden, durch Beimischung bestimmter Stoffe, mehr von einem spezifischen Hundefutter zu fressen, werden die Menschen dazu bewegt, bestimmte Burger zu fressen. Ein ähnliche, kapitalsichernde Methode wird auch bei handelsüblichen Kartoffelchips angewandt. So entsteht bei den Menschen ein irreales Bedürfnis nach Essen, das sie unter natürlichen Bedingungen und unter Einsatz ihres meist doch nicht vorhandenen Verstandes gar nicht in ihre Nähe lassen würden.
All dessen war er sich bewußt. Aber er war sich auch seines Hungers und seiner Faulheit bewußt und diese trieben ihn zu der doch so einfachen Lösung, einfach bei McDonald’s sein Mittagessen zu sich nehmen. Auch seine quälenden Finanzsorgen, die ihm nächstes Jahr ein Minus von 113 DM einbrachten, konnten ihn nicht abhalten. Je näher er dem Schnellrestaurant kam, desto mehr merkte er, daß er sich doch kaum von den anderen unterschied, daß auch er nur ein primitives instinktgesteuertes Tier war. Immerhin gab es ihm den kleinen Aufschwung, daß er selbst erkannt hatte, was mit ihm los war und wer er war. Das hob ihn von den anderen ab, führte aber letztlich doch auf dasselbe hinaus. Für die anderen war es sowieso bedeutungslos. Sie konnten ihre eigene Existenz nicht erkennen. Sie waren gefangen in der Illusion eines Lebens mit Sinn, mit Aufgabe und mit der Bedeutung der CNN Nachrichten für die demokratische Entwicklung in der Welt. Daß sie in Wirklichkeit nur einfach vor sich hin vegetierten, ihr Leben vollkommen überflüssig und zwecklos ist, auf diese Idee konnten sie nicht kommen. Und selbst wenn sie sich aus ihrer Agonie befreien könnten, so hätte sie diese Erkenntnis derartig erschüttert, daß sie freiwillig zurück in ihr altes Leben geflüchtet wären, um den Schmerz der eigenen Sinnlosigkeit auszuweichen. Das Leben mit einer Freundin, regelmäßigen Besäufnis am Wochenende, dem Hassen der Arbeit und den Zukunftsängsten ziehen sie der Herausforderung der Selbstfindung und Selbsterkenntnis in der Welt vor. Er hatte das nicht getan. Er wollte wissen, wer er ist, wieso er ist und was er in seiner Zukunft tun soll.

Er hatte sich bei McDonald’s angewöhnt, ein Standardmenü zu bestellen und dies niemals zu kor-rigieren. So konnte er sich sicher sein, daß er von Trends und kurzweiligen Modeangeboten unabhängig war und er sich wirklich nur darauf konzentrierte, ein Mahl zu sich zu nehmen, es einfach zu essen, ohne es weiter zu beachten, es nur auf eine Funktion zu reduzieren, ohne den Hintergrund betrachten zu müssen, denn nur so war es halbwegs erträglich. An den Diskussionen um den neuesten Burger bei McDonald’s beteiligte er sich aus Prinzip nicht. Irrelevante Trendinformationen waren nicht sein Gebiet. Er wußte, daß innerhalb von drei Wochen sich niemand mehr an diesen Burger erinnern konnte und er damit vollkommen im Nichts des Materiellen fiel, das wie alles nach einer gewissen, meist jedoch sehr kurzen Zeit aus den Köpfen und den Geistern der verstandsfähigen Wesen dieses Planeten verschwindet, so wie sie selbst, nach einer gewissen Zeit vom Planeten verschwinden und von niemanden mehr erinnert werden.

Er war ein Tier, das konnte er nicht mehr abstreiten. Dies war der einzige Gedanke, mit dem er sich auf der Rückfahrt beschäftigte. Zwischen seinen Zähnen hing der noch der Rest eines Cheeseburgers. Er entfernte den Rest dieses Cheeseburgers und zerlutschte ihn langsam auf seiner Zunge. Er wollte den Geschmack analysieren, verstehen. Es schmeckte nach nichts. Nur als er den Rest runtergeschluckt hatte, merkte er, wie in seinem Innern der Drang aufkam, mehr davon essen zu müssen, aber er wollte nicht. Er mußte zurück zum Dienst. Er wollte befreit werden von den unseligen und inhaltslosen Gesprächen seiner Kameraden, die sich in geradezu genialer Weise mit dem Nichts beschäftigen konnten. Er selbst hatte es immer als schwer angesehen, über das Nichts zu reden, weil er das, einer Kausalitätsspirale folgend, dem Alles gleichsetzte und er es als unmöglich empfand, Nichts und Alles gleichzeitig zu beschreiben. Warum er das tat, das wußte er mal vor vielen Jahren, aber im Laufe der Zeit sind viele seine genialen Überlegung den Abfluß der Vergessenheit heruntergespült worden und er sah weder Sinn noch Effizienz darin, dem Abfluß zu folgen und vielleicht ein zwei Spuren wieder aufzudecken. Er war sich seiner Überlegungen und deren Korrektheit sicher. Zweifel konnte es nicht geben, er hatte alles mehrfach überdacht, von jeder möglichen Seite aus angezweifelt, damit es kein Versagen durch ihn geben könnte. Tiere versagen, er wollte sich vom Tier abheben und nicht mehr versagen.

Ein alter Geschmack in seinem Mund stieg in ihm hoch. Es war ein süßlicher Geschmack, von etwas dickflüssigem. Er hatte es seit langem nicht mehr gekostet, es war ihm schon beinahe fremd geworden. Kurze Zeit nach diesem altbekannten Geschmack kam noch etwas viel besser bekanntes zu ihm zurück. Er hatte es verabscheut, so wie er die Menschen verabscheute. Er hatte es verdrängt, so wie er manchmal die Wirklichkeit verdrängte. Er hatte es geleugnet, so wie er manchmal leugnete, ein Tier zu sein, um sich selbst ein bißchen Selbstwertgefühl zu erhalten. Doch es war stark und er konnte es nicht zurückhalten. Das Blut, das er in seinem Mund schmeckte, war nicht real, das wußte er. Er wußte auch, daß dieses Verlangen nicht real war, daß nur seinen unterdrückten Triebe versuchten, wieder nach oben zu gelangen, die Herrschaft wieder an sich zu reißen, um ihn wieder komplett zurückzuwerfen auf die Stufe eines niederen Tieres. Immer hatte er gegen diese Triebe gekämpft, mal erfolgreich, mal verlor er, doch bisher konnte er auch nach einer Niederlage immer wieder die Oberhand zurückgewinnen, auch wenn die Folgen grausam waren, weniger für ihn als mehr für die Tiere, die dem Trieb nicht rechtzeitig ausweichen konnten. Seine Verantwortlichkeit konnte nie aufgedeckt werden und er dachte auch jetzt nicht daran, aufgedeckt zu werden. Doch genau da lag sein Fehler, er begann bereits zu planen, anstatt jeglichen Gedanken wieder zu unterdrücken. Der Kampf begann.

Und er endete schnell. Er hatte die Wucht, mit der die Triebe auf ihn einstürzen würden, falsch kalkuliert. Sie eroberten ihn in Windeseile, seine Gedanken begannen sich auf seine Opfer zu reduzieren, sein Verstand wurde zu einem Instrument seines archaischen Willens, seine Seele verfinsterte sich und sein Herz wurde kalt. Er war gelähmt, er konnte nichts mehr gegen sich selbst tun, also ließ er es jetzt gehen, eine andere Wahl hatte er nicht mehr.

Das sinnvollste für ihn war, zu warten. Solange, bis die Straße auf beiden Seiten leer war und sie in der Nähe eines Waldstücks fuhren. Zu seinem „Glück“ saß er hinter dem Fahrer, was ihm jederzeit einen kontrollierenden Eingriff in die Fahrweise ermöglichte. Sie waren ihm ausgeliefert, ohne es zu wissen. Als die gewünschte Situation eintraf, riß er das Lenkrad stark nach links, so daß der Wagen über die Gegenfahrbahn in den Wald raste und dort nach einiger Fahrt gegen einen Baum prallte. Er hatte den genauen Zeitpunkt mit einer genauen Drehung gewählt, um den Wagen im Wald verschwinden zu lassen, für andere waren sie nicht mehr sichtbar. Der Aufschlag war hart, er kam für seine Kameraden unerwartet und schockierend. Für ihn nicht. Er wußte, was zu tun war und er tat es auch. Während seine Kameraden mit Airbag oder dem verletzten Kopf rangen, sprang er aus dem Wagen, nun würde es Zeit werden, das auszuführen, was er sich doch so ins-geheim immer gewünscht hatte. Zuerst war der Fahrer dran, er sah noch halbwegs gesund aus, er hätte sie vielleicht am Anfang noch retten können, aber das sollte er nicht. Es gab keine Rettung aus dieser Hölle, die nun folgen würde.

Wälder bieten sich grundsätzlich hervorragend durch ein reichhaltiges Angebot an Werkzeugen an. Für jede geeignete Operation läßt sich leicht etwas finden, ohne daß man lange suchen muß. Er entschied sich für eine kurze Narkose und erledigte diese mit einem gezielten Schlag eines großen Astes auf die Nasenoberseite des Fahrer, ohnmächtig und blutend sank dieser sofort zusammen. Er war ausgeschaltet und würde vorerst kein weiteres Problem mehr darstellen. Das zweite Problem war der Beifahrer, er hatte am ehesten noch Zugriff auf das Auto und war durch den Airbag auch noch halbwegs bei Bewußtsein. Für diesen Hessen, den er allein schon durch seine Unfähigkeit zur richtigen Artikulation nicht ausstehen konnte, zimmerte er mit dem gleichen Ast eins in den Nacken, mußte jedoch feststellen, daß auch Waldwerkzeuge von minderer Qualität sein können. Anstatt dem Hessen ein schnelles Ende zu bereiten, zerbrach der Ast in viele kleine stücke und hinterließ ein Meer an scharfen Schnittwunden im Nacken des Hessen. Blut trat aus und floß bald reichlich. Enttäuscht über dieses Mißgeschick warf er den Stummel aus der Hand und holte seinen Schüssel raus. Einer der Schlüssel war speziell geschärft für etwaige Sonderfälle wie diesen. Er setzte an, um die größte Schnittwunde sorgfältig einmal um den kompletten Hals zu verlängern, aber ohne die Luftröhre, oder irgendeine Schlagader zu verletzen oder zu beschädi-gen. Vom Hessen selbst war nur ein schmerzgequältes Röcheln zu vernehmen, zum Wehren war er unfähig.

Er betrachtete das fließende Blut. Das war es, was er vermißt hatte, dieser rote Lebenssaft, der ihm schon immer soviel Freude bereitet hatte. Schon als Baby hatte er in die Nippel seiner Mutter gebissen, um einen kleinen Tropfen dieses Saftes zu erhalten. Später dann, als er im Kindergarten war, nutzte er jede Gelegenheit, wenn ein Kind verletzt war, ihm die Wunde auszusaugen und damit zu reinigen, doch die Kinder verletzten sich sehr selten, er mußte nachhelfen. In der Schule änderte sich einiges, ein Bewußtsein begann in ihm zu wachsen und seitdem bestimmte sein Leben der Kampf zwischen Verstand und Trieb, zwischen Mensch und Tier.

In diesem wertvollen Moment hatte das Tier gewonnen, genüßlich striff er mit einem Finger über die Wunde des Hessen und führte ihn dann zu seinem Mund, um das Blut Tropfen für Tropfen abzulecken. Er genoß es, wie ein Drogensüchtiger, der nach langer Zeit Entzug seine Drogen wiederbekommt. Ein Lächeln macht sich in seinem Gesicht breit. Er kostete ein zweites Mal. Und ein drittes Mal. Bis er bemerkte, daß der dritte, der Schweigsame aus dem Wagen ausgestiegen war und eine Flucht zu Fuß wagte. Er war lauffaul und hatte keine Lust, dem Ausreißer nachzujagen. Andererseits durfte der Schweigsame auch nicht entkommen, er könnte ja gegen seinen Spitznamen verstoßen. Also stieg er in den Wagen, startete ihn in der Hoffnung, noch Leben in ihm zu finden und wurde beglückt. Bei voller Fahrt im Rückwärtsgang und einer kleinen Zielübung zerquetschte er den Schweigsamen an einen Baum. Er rollte ein Stück vor, stieg aus und schaute sich das Szenario an. Der Schweigsame war vom Bauchnabel abwärts geteilt worden in zwei Hälften, lebte aber noch, leise röchelte er vor sich hin, um sein Leben ringend. Ziemlich viel Blut floß, die Bauchschlagader verspritzte Unmengen in den weichen Waldboden, wo sich die Ameisen über die warme Nahrungsdusche freuten. Er konnte das Leiden des Schweigsamen nicht mitan-sehen, Gnade wollte er walten lassen. Also griff er in den Oberkörper von unten her hinein und zog an dem Zwerchfell, um es zu entfernen und den Tod des Schweigsamen zu beschleunigen. Doch es leistete Widerstand. Er mußte heftig ziehen, sich mit einem Fuß gegen die Rippen stemmen, bis es mit einem Ruck aus seinem Körper schoß. Sämtliche Innereien wurden über den Boden verstreut. Deutlich war der hohle Körper zu sehen, mit den Augen, die ihn hohl aber immer noch lebendig anstarrten. Noch weitere 30 Sekunden dauerte es, bis der Schweigsame endlich verschied und nur noch zu einem bißchen Nahrung für den Waldboden und dessen Bewohner verkam.

Er kehrte zurück, der Hesse und der Fahrer, beide lebten noch, aber dies mußte sich bald ändern. Doch zuerst mußte er sich etwas holen. Er ging wieder zum Hessen, strich wieder mit einem Finger über seinen Hals, um sich eine Leckerei zu holen. Mit großen Augen starrte der Hesse ihn an, das Bewußtsein schien wieder Besitz von ihm ergreifen zu wollen. Er begann etwas zu stottern, es hörte sich nach dem Wort Psychopath an, aber er war sich nicht sicher. Andererseits war er auch nicht daran interessiert, die Worte des Hessen waren irrelevant für die Erfüllung seiner Wünsche. Er näherte sich ihm, roch nach dem Blut und bis dann kräftig in seinen Hals, um das Blut spritzen zu sehen und an seinem Körper zu fühlen. Es spritzte und er konnte es fühlen, aber nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte. Der Hesse schrie laut. Die Schmerzen waren groß, doch er ließ keine Schreie zu, die würden in nur in seiner Lust stören. Also schnappte er sich den Schlüssel und die Zunge des Hessen. Beide bildeten eine herrvoragendes Duo. Die Zunge und der Schlüssel, beide für immer vereint, unabhängig vom Körper des Hessen. Der Hesse versuchte wieder zu schreien, doch der Stummel in seinem Mund und das viele Blut ergaben nur ein lautloses Blubbern. Er ent-schied, daß das Duo bereits ausgedient hatte und bediente sich nun an seiner Halsschlagader. Mit einem schnellen Wink schlitzte er sie auf und versuchte das Blut auf seinen Körper zu lenken, doch die Hälfte fiel auf den Boden. Die Herzschläge des Hessen wurden rasch schwächer und dadurch unbrauchbarer, er ließ ihn fallen.
Nun blieb nur noch einer übrig. Diese eine letzte Chance hatte er nur und diese eine letzte Chance mußte er genießen. Diesmal würde er es richtig machen, keinen Fehler begehen, nicht wieder zum Tier werden. Er zog sich aus, warf jedes Kleidungsstück von sich und rieb sich mit dem Blut ein, das er noch vorfinden konnte. Dann suchte er einen Stein, ein großen Stein. Er fand einen. Er legte den Fahrer auf den Bauch, hob den Stein an. Er merkte, wie sein Penis anfing zu wachsen. Ein Gefühl von Erotik durchfloß seinen Körper, während er mit dem Stein zwischen die Schulter-blätter des Fahrers zielte. Mit all seiner Kraft ließ er den Stein durch die Lüfte auf sein Ziel donnern, Knochen knackten, der Atem des Fahrers wurde herausgepreßt, ein Zucken durchlief seinen Kör-per. Der Fahrer wurde wach. Und ihn durchfuhr ein Gefühl der Unbesiegbarkeit, sein Penis wurde erschüttert von unbändiger Lust. Er hob den Stein wieder an mit einer Hand, mit der anderen Hand den Fahrer fixierend, der mit seinen letzten Kräften versuchte, seinen Kopf zu drehen, um zu sehen, was mit ihm geschah. Der Stein donnerte wieder auf sein Ziel, weitere Knochen brachen, das einstige stark Rückgrat war nur noch ein weicher Brei. Nun holte er wieder seinen Schlüssel hervor, der ihm schon mal so gute Dienste geleistet hatte. Er schlitzte den Rücken auf und wühlte sich mit seiner Hand durch den Brei von Körper, bis er etwas großes pulsierendes in seiner Hand spürte. Der Fahrer war immer noch bei Bewußtsein, von Schmerzen geplagt und von dem Bewußtsein, daß eine Hand sein Herz umgriff. Mit aller Kraft begann er am Herzen zu ziehen, solange, bis die Blutgefäße rissen und es endlich freigaben. Wie eine Trophäe riß er es hoch, betrachtete es, ließ das Blut in seinen Mund und über seinen Körper laufen, während er gleichzeitig onanierte. Immer heftiger, immer schneller, sein Körper war rot, getränkt in Blut. Er onanierte und onanierte, bis er endlich kam und seinen weißen Samen in den Brustkorb des Fahrers schüttete, während ihn die Kugel des geschockten Polizisten hinter ihm in die linke Schädelhälfte traf und seinen Kopf zerfetzten. Tot sank er auf den Fahrer.
 
29. January 2002, 14:56   #2
Akareyon
 
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Möchtest du darüber reden?

5 Sterne. Psycho.
 
29. January 2002, 16:50   #3
Hitman
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Krasse Nummer. Erinnert mich stark an "American Psycho"
 
30. January 2002, 00:07   #4
borg4free
 
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hi

hatten wir hier nichtschoneinmal sowetwas ähnliches? eine geschichte die in einem massaker im wald endete? ? ? ? ? ?

aber mich erinnert diese geschichte auch an den bereits angesprochenen, erstklassigen?! :häh: , film. ich mag sowetwas... hmm
 
30. January 2002, 01:27   #5
Akareyon
 
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American Psycho nimmt sich dagegen wie Biene Maja aus. Aber der Vergleich stimmt eigentlich zu 100%: gleiche Motive, gleicher Hintergrund, gleicher Aufbau, gleicher Spannungsbogen. Aber dadurch nicht schlechter
 
30. January 2002, 07:28   #6
Trullertante
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Mir hat die Story gefallen.
Ich mag schwarzen Humor und Satire.

Und ausgedruckt habe ich es mir auch.

Trulli
 
30. January 2002, 13:13   #7
Hitman
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@borg4free: Ich meinte das Buch. Der Film kommt da nicht annähernd an das Buch heran.
 
30. January 2002, 13:42   #8
Akareyon
 
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Mir ist dabei gerade der Unterschied aufgefallen: im Gegensatz zu AP kommt es hier sehr wohl zur "Katharsis", wie es dort heißt.
 
30. January 2002, 17:15   #9
Eyewitness
 
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Zitat:
Zitat von Trullertante
Mir hat die Story gefallen.
Ich mag schwarzen Humor und Satire.

Und ausgedruckt habe ich es mir auch.

Trulli
Trulli, wußtest Du, daß Du beim allerersten Mal total auf mich losgegangen bist, als ich die Geschichte vor knapp einem dreiviertel Jahr im Off Topic veröffentlicht hatte. :häh:

Und danke für die positiven Antworten. Ich habe American Psycho unter anderem nicht gelesen, obwohl ich es immer mal vor hatte, nachdem mir jemand mal den Tip gegeben hatte. Die Geschichte hatte ich aber vor diesem Tip veröffentlicht.
 
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