4. September 2002, 12:02 | #1 |
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Paradoxien im Haus der Sprache
Hallo Leute,
Paradoxien im Haus der Sprache Wir wohnen im Haus der Sprache. Darin können wir zwar von Zimmer zu Zimmer gehen, aber wir können nicht aus dem Zimmer hinaus. Das bemerkt man, wenn man mit der Sprache über die Sprache spricht. Da in der Reflexion die Sprache selbstbezüglich wird, bricht der Unterschied zwischen Form und Gegenstand der Red zusammen. Die Form der Rede wird zum Gegenstand ihrer selbst. Mit anderen Worten: Die Rede sagt zu sich selber "ich". Nehmen wir zum Beispiel den Satz: Dieser Satz stand im Imperfekt. Er stimmt insofern, als er ja den Imperfekt benutzt, aber er stimmt insofern nicht, als er es ja immer noch tut. Versetze ich den Satz aber ins Präsens, Dieser Satz steht im Imperfekt. stimmt er gar nicht mehr. Solche Paradoxien schärfen deshalb den Sinn für die Beziehung zwischen Form und Inhalt, weil sie durch ihre Selbstbezüglichkeit problematisieren. Auf diese Weise schrecken sie unser Sprachbewußtsein aus seinem Alltagstrott. Wem es schwerfällt, sich von seinen Sprachgewohnheiten durch Variationen zu distanzieren, der versenke sich in einige der selbstbezüglichen Sätze, die dem Redakteur Douglas Hofstadter von Lesern der Zeitschrift Scientific American zugeschickt wurden. Man braucht sich dabei nicht anzustrengen: Meditation genügt. Das ganze wirkt dann wie eine Kur: Ich bin eifersüchtig auf das erste Wort dieses Satzes. Ich bin nicht das Thema dieses Satzes. Ich bin der Gedanke, den du gerade denkst. Dieser träge Satz ist mein Körper. Aber meine Seele ist lebendig und tanzt in den Stromstößen deines Hirns. Obwohl dieser Satz mit "zwar" beginnt, ist er falsch. Der, der diesen Satz geschrieben hat, ist ein verdammter Sexist. Dieser Satz trägt dazu bei, dich von der Rettung bedrohter Tierarten abzuhalten, indem er dich mit trivialen Problemen der Selbstbezüglichkeit verwirrt. Ich bin der Sinn dieses Satzes. Enthält dieser Satz fünf Wörter - oder sieben? Es fühlt sich gut an, wenn du deine Augen über meine Buchstaben gleiten lässt. Wenn du diesen Satz irgendwo liest, ignoriere ihn. Wer diesen Satz liest, ist blöd. Du darfst mich zitieren. Dieser Satz endet, bevor es dir gelingt, das Wort "auszusprechen" auszuspr. Erinnert dich dieser Satz an deine Mutter? Wenn du gerade nicht herschaust, ist dieser Satz auf englisch. Der Leser dieses Satzes existiert nur so lange, wie er diesen Satz liest. Dieser Satz wurde erst kürzlich aus dem Chinesischen übersetzt. Quelle: Dietrich Schwanitz' "Bildung" - Goldmann Verlag |