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28. November 2002, 13:57   #1
tw_24
 
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RAF: Hirnlose Terroristen

RAF: Hirnlose Terroristen

Die RAF ist seit ein paar Jahren eigentlich Geschichte, doch seit ein paar Wochen ist sie wieder aktueller denn je. Es tauchte nämlich das Gehirn von Ulrike Meinhof auf - die Gehirne dreier weiterer Terroristen (Andreas Baader, Jan Carl Raspe, Gudrun Ensslin) sind dagegen noch immer verschollen. "Glasklar", wie Gerhard Schröder sagen würde, glasklar ist aber, wo die verschwundenen Gehirne nicht sind - in den Köpfen der Toten, wo sie eigentlich sein sollten.

Denn offenkundig ist auch: Die Gehirne wurden den Toten rechtswidrig entnommen und - zumindest im Fall des Gehirns der Ulrike Meinhof - einem Forscher, der einmal der SS angehörte, übergeben, der wohl versuchen wollte oder sollte, den Beweis dafür zu erbringen, daß politisch motivierter Widerstand gegen eine herrschende Ordnung auf Fehlbildungen im Gehirn zurückzuführen ist. Damit soll politischer - auch militanter - Widerstand zur Krankheit erklärt, somit seiner politischen Dimension beraubt werden.

Solche kruden Theorien waren sehr beliebt bei den Rasse-Spezialisten des Dritten Reichs, aber auch in der freiheitlich-demokratischen Grundordnung denken manche Experten trauernd an die alten Zeiten zurück, in denen man sich menschliche Körper zu experimentellen Zwecken dutzendweise bei der SS bestellen konnte.

Hinterbliebene der Terroristen haben nun jedenfalls einen Brief verfaßt, in dem sie die Leistungsfähigkeit deutscher Wissenschaft auf diesem Gebiet lobpreisen:

Zitat:
Die Nachrichten der letzten Tage veranlassen uns, der deutschen Forschung, insbesondere der Universität Tübingen unsere Bewunderung und unseren Dank auszusprechen. Unsere Bewunderung für die herausragenden Leistungen auf den neurologischen und neuropsychologischen Forschungsgebieten. Unseren Dank für die Demonstration deutscher Leistungsstärke im Geiste deutscher Tradition. Ganz besonders danken wir dem Tübinger Institut auch dafür, uns in vorbildlicher Weise über den Verlauf der Forschungen und den Verbleib der Hirne auf dem Laufenden gehalten zu haben.

Noch bemerkenswerter werden die in den letzten Tagen ans Licht gekommenen Meilensteine in der wissenschaftlichen Entwicklung dadurch, dass den Forschern dabei ein seltener interdisziplinärer Coup gelang, indem sie gleichzeitig die angewandte Trophäenforschung durch ihre praktische Arbeit um einen Forschungsgegenstand bereicherten.

Unsere Gefühle der Dankbarkeit und die Ehrfurcht vor diesen Großtaten veranlassen uns, in aller gebotenen Demut zu erklären, dass auch wir bereit sind, unsere Gehirne zu Forschungszwecken bereitzustellen; wir hoffen, nein, wir sind sicher, dass wir in dieser Bereitschaft eine Haltung zum Ausdruck bringen, die von vielen geteilt wird. Wenn wir darin nicht irren, kann sich die deutsche Forschung auf spannende Untersuchungen freuen. Ehemalige Bundeskanzler, wie Helmut Schmidt, BKA-Chefs, oder herausragende Beispiele einer zivilen "Vita activa" wie z. B. der Innenminister Otto Schily teilen unsere Einstellung zu diesem Erfolg deutscher Forschung vielleicht - man bedenke die Möglichkeiten! Wir verstehen die Vorfreude der Forschenden darauf und auf die bei dieser methodischen und intellektuellen Superiorität zu erwartenden Forschungsergebnisse.

Felix Ensslin, Christiane Ensslin, Gottfried Ensslin
MfG
tw_24
 
28. November 2002, 14:46   #2
Jules
 
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Beiträge: 2.352
Hm.

Ich habe gelesen, das die Gehirne der Wissenschaft zur Verfügung gestellt wurden. Und zwar ausdrücklich auf Wunsch der Verstorbenen.
Mag im Nachhinein vielleicht auch Propaganda sein.
Kann ich nicht beurteilen.

Im Falle Meinhof habe ich gelesen, daß die Wissenschaftler herausgefunden haben wollen, daß Ulrike Meinhof durch eine Gehirn"Miß"Bildung eigentlich verhandlungs- und damit strafunfähig gewesen wäre.


Ich nehme an: trau - schau - wem; aber nicht den Zeitungen ??
 
28. November 2002, 19:05   #3
tw_24
 
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Beiträge: 1.018
Zitat:
Zitat von Jules
Ich habe gelesen, das die Gehirne der Wissenschaft zur Verfügung gestellt wurden. Und zwar ausdrücklich auf Wunsch der Verstorbenen.
Mag im Nachhinein vielleicht auch Propaganda sein.
Kann ich nicht beurteilen.

Im Falle Meinhof habe ich gelesen, daß die Wissenschaftler herausgefunden haben wollen, daß Ulrike Meinhof durch eine Gehirn"Miß"Bildung eigentlich verhandlungs- und damit strafunfähig gewesen wäre.
Ulrike Meinhof hat sich - solange man sie in der Weißen Folter am Leben ließ -, dagegen gewehrt, ihr Gehirn untersuchen zu lassen.

Verhandlungsunfähig wurde Ulrike Meinhof durch die Haftbedingungen - Tag und Nacht saß, lag oder stand sie wirklich völlig isoliert in einer beleuchteten Zelle ohne Kontakt zur Außenwelt, ohne Zeitgefühl, und die Wände sahen absolut gleich aus - diese Folter macht(e) krank. Dadurch wäre sie wirklich auch strafunfähig gewesen, aber der "Rechtsstaat" inszenierte ja lieber einen Selbstmord.

Die anderen RAF-Aktivisten, deren Gehirne verschwunden sind, haben ebenfalls niemals zugestimmt, ihre Gehirne auf eventuelle Defekte untersuchen zu lassen, denn wie Ulrike Meinhof waren sie nicht geisteskrank, sondern durchaus bei klarem Verstand, als sie ihre Aktivitäten planten und durchführten.

MfG
tw_24
 
28. November 2002, 23:59   #4
tschubbl
 
Beiträge: n/a
Das ist ja hochinteressant,wer da auf was untersuchte,
Hat man nicht auch noch diverse Messungen vorgenommen,die nach der Ideologie der damaligen Machthaber,zweifelsfrei feststellen sollte,ob sie der jüdischen Rasse angehörte?
Zu den Haftbedingungen kann ich nur meinen,daß wer für sich in Anspruch nimmt,Herr über Leben und Tod zu sein,braucht sich über schärfere Haftbedingungen nicht beschweren,vor allem dann nicht,wenn ständig versucht wurde die Gefangenen zu befreien.
 
29. November 2002, 16:11   #5
Lemmy
 
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Beiträge: 77
Also nein tschubbl, ich bin absolut überwältigt über deinen Beitrag, alles auf einen Nenner gebracht, und vor allen Dingen so komprimiert.

Einfach genial dein Beitrag.

Lemmy
 
29. November 2002, 17:06   #6
tw_24
 
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Beiträge: 1.018
Zitat:
Zitat von tschubbl
Zu den Haftbedingungen kann ich nur meinen,daß wer für sich in Anspruch nimmt,Herr über Leben und Tod zu sein,braucht sich über schärfere Haftbedingungen nicht beschweren,vor allem dann nicht,wenn ständig versucht wurde die Gefangenen zu befreien.
Nein, eben nicht. Der sogenannte Rechtsstaat kann sich nicht über Recht und Gesetz hinwegsetzen, was im Fall der vier RAF-Terroristen aber geschehen ist.

Bis 1981 konnte in der BRD der Roman Mephisto von Klaus Mann nicht erscheinen, weil - so das Bundesverfassungsgericht - in und mit ihm die Würde des schon längst verstorbenen Gustaf Gründgens verletzt werde: "Es würde mit dem verfassungsverbürgten Gebot der Unverletzlichkeit der Menschenwürde, das allen Grundrechten zugrunde liegt, unvereinbar sein, wenn der Mensch, dem Würde kraft seines Personseins zukommt, in diesem allgemeinen Achtungsanspruch auch nach seinem Tode herabgewürdigt oder erniedrigt werden dürfte. Dementsprechend endet die in Art. 1 Abs. 1 GG aller staatlichen Gewalt auferlegte Verpflichtung, dem Einzelnen Schutz gegen Angriffe auf seine Menschenwürde zu gewähren, nicht mit dem Tode".

Das hat - einmal ganz abgesehen von den folterähnlichen Haftbedingungen - auch für die toten Terroristen zu gelten, sonst ist der Rechtsstaat ein Willkürstaat.

Zitat:
Zitat von Ulrike Meinhof
Dann ins Krankenhaus. Der Arzt, Dr. T., ein Perser, hat an meinem Kopf nach der Narbe gesucht, er hat verbindlich gesagt: Es gibt keine Narbe. Da haben die Bullen gesagt: Dann müssen wir röntgen oder die Haare abscheren. Ich habe gesagt: Dann abscheren. Der Arzt sagte, er mache das Röntgen nicht gegen den Willen des Patienten. Die quatschten alle auf mich ein. Ich habe nein gesagt, kommt überhaupt nicht in Frage. Da haben sie gesagt: Richterliche Anordnung ist das. Telefonisch. Ich habe gesagt: Die will ich sehen. Die haben gesagt: Die ist da, jetzt ist Schluß, jetzt geht's ran! Das war 1:00 Uhr nachts. Dann haben die mich mit drei oder vier Bullen in den Röntgenraum geschleppt. [..] Die Schwestern haben meinen Kopf auf den Tisch gefesselt. Um mich zu disziplinieren, haben sie meine Beine schmerzhaft verdreht. Schwester Doris: 'Schade, daß wir keinen Hitler mehr haben!' Der Dr. T. hat an der Wand gestanden und sich das angeguckt.

(Quelle: Ulrike Meinhof, zit. nach Hannover, Heinrich: Die Republik vor Gericht. 1954-1974, Berlin 2000, S. 374)

Zitat:
Zitat von Ulrike Meinhof
Das Gefühl, es explodiert einem der Kopf ...
das Gefühl, es würde einem das Rückenmark ins Gehirn gepreßt,
das Gefühl, das Gehirn schrumpelte einem allmählich zusammen, wie Backobst z.B. -
das Gefühl, man stünde ununterbrochen, unmerklich, unter Strom, man würde ferngesteuert -
das Gefühl, die Assoziationen würden einem weggehackt -
das Gefühl, man pißte sich die Seele aus dem Leib, als wenn man das Wasser nicht halten kann -
das Gefühl, die Zelle fährt. Man wacht auf, macht die Augen auf: die Zelle fährt; hachmittags, wenn die sonne reinscheint, bleibt sie plötzlich stehen. Man kann das Gefühl des Fahrens nicht absetzen.
Man kann nicht klären, ob man vor Fieber oder vor Kälte zittert - man kann nicht klären, warum man zittert -
man friert.
Um in normaler Lautstärke zu sprechen, Anstrengungen, wie für lautes Sprechen, fast Brüllen -
das Gefühl, man verstummt -
man kann die Bedeutung von Worten nicht mehr identifizieren, nur noch raten -
der Gebrauch von Zisch-Lauten - s, ß, tz, z, sch - ist absolut unerträglich -
Wärter, Besuch, Hof erscheint einem wie aus Zelluloid -
Kopfschmerzen -
flashs -
Satzbau, Grammatik, Syntax - nicht mehr zu kontrollieren. Beim Schreiben: zwei Zeilen - man kann am Ende der zweiten Zeile den Anfang der ersten nicht behalten -
Das Gefühl, innerlich auszubrennen -
das Gefühl, wenn man sagen würde, was los ist, wenn man das rauslassen würde, das wäre, wie dem anderen kochendes Wasser ins Gesicht zischen, wie z.B. kochendes Tankwasser, das den lebenslänglich verbrüht, entstellt -
Rasende Aggressivität, für die es kein Ventil gibt. Das ist das Schlimmste. Klares Bewußtsein, daß man keine Überlebenschance hat; völliges Scheitern, das zu vermitteln; Besuche hinterlassen nichts. Eine halbe Stunde danach kann man nur noch mechanisch rekonstruieren, ob der Besuch heute oder vorige Woche war -
Einmal in der Woche baden dagegen bedeutet: einen Moment auftauen, erholen - hält auch für ein paar Stunden an -
Das Gefühl, Zeit und Raum sind ineinander verschachtelt -
das Gefühl, sich in einem Verzerrspiegelraum zu befinden -
torkeln -
Hinterher: fürchterliche Euphorie, daß man was hört - über den akustischen Tag-Nacht-Unterschied -
Das Gefühl, daß jetzt die Zeit abfließt, das Gehirn sich wieder ausdehnt, das Rückenmark wieder runtersackt - über Wochen.
Das Gefühl, einem sei die Haut abgezogen worden.

(Quelle: Ulrike Meinhof, zit. nach Hannover, Heinrich: Die Republik vor Gericht. 1954-1974, Berlin 2000, S. 390f.)
MfG
tw_24
 
29. November 2002, 18:53   #7
tschubbl
 
Beiträge: n/a
@Lemmy
Das ist eben etwas was ich Dir voraus habe.

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@tw
Ob das wirklich so war,steht auf einem anderen Blatt und Papier ist geduldig. Besonders wenn man sich so auszudrücken weis,wie die Meinhof,die zum redaktionellen Team des damaligen SWF Baden-Baden gehörte.Mir ist zum Beispiel bekannt,daß sie untereindander,am Tage,zusammensein konnten.Aber da möchte ich nicht näher darauf eingehen,da mir das Hintergrundwissen fehlt.
 
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