11. August 2006, 23:02 | #1 |
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Günter Grass und die Waffen-SS
Die Meldung flimmert gerade durch alle Online-Medien und auch die in 5 Minuten erscheinenden gedruckten Exemplare werden diese Neuigkeit sicher erwähnen: Günter Grass, Literaturnobelpreisträger von 1999 und langjährige Nachkriegssymbolfigur der intellektuellen Linken in Deutschland bekannte sich heute zu "jugendlicher Naivität" und erzählte der Öffentlichkeit von seinem "Makel", den er sein Leben lang verschwiegen hatte: Im Jahre 1942 hatte er sich freiwillig zur U-Boot-Truppe der Wehrmacht melden wollen; die Leute dort wollten den damals 15-jährigen Grass aber nicht, also wurde er 1944 wie viele andere eingezogen und der Waffen-SS zugeteilt. Es sei dieses letzte Jahr gewesen, in dem die Waffen-SS "nicht nur Freiwillige" genommen habe.
Grass hatte in der Vergangenheit nie verheimlicht, dass er empfänglich gewesen war für die Propaganda-Lügen der Nazis. Bislang hieß es jedoch, er sei 1944 als Flakhelfer eingezogen worden und habe dort als Soldat gedient. Beschwichtigend fügte er übrigens hinzu, dass er nie einen Schuss abgegeben habe, bevor er am 20. April 1945 verwundet wurde. Ist das jetzt eine Demontage eines linken Helden, einer Verkörperung des aufgeklärten Intellektuellen und Kämpfer gegen Springer? Oder spricht es vielmehr für Grass, dass er aus seinen Fehlern in der Jugend gelernt hat und politisch geheilt wurde und konvertiert ist? Eine Überraschung ist es jedenfalls und sicher auch kein Zufall, dass Grass mit diesem Faktum so kurz vor Erscheinen seiner Autobiographie "Beim Häuten der Zwiebel" herausrückt. Den Verkaufszahlen ist das sicher nicht abträglich. Mehr Informationen kann man in der [ FAZ ] nachlesen. Ciao, Maggi |
12. August 2006, 07:53 | #2 |
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... es wäre natürlich besser gewesen, wenn er schon eher darüber gesprochen hätte, und sicherlich werden sich jetzt auch paar Grass-Hasser auf ihn stürzen. Doch ich bin sicher, daß die Kritiker, auf die es ankommt, sehr gelassen reagieren werden.
Und auch ich habe überhaupt kein Problem damit. Der Mann war ja nicht 35, auch nicht 25, sondern Günter Grass war ein 15jähriges Kind, als er dem Verein beitrat. Und im Gegensatz zu heute war man damals in dem Alter tatsächlich noch ein "Kind". Und wer jetzt von den Konservativen die Gelegenheit nutzt, einem der bedeutendsten deutschen Schriftsteller der Gegenwart ans Bein pinkeln zu wollen, der sollte erst mal die Frage beantworten, wie es passieren konnte, daß ein Mitglied der Waffen-SS gleich nach dem Krieg wieder Karriere machen konnte und sogar zum Vorsitzenden der damals noch mächtigen Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) gewählt wurde. Und Hanns-Martin Schleyer ist als Erwachsener in die Waffen-SS eingetreten, wußte also was er tat und konnte schon in jungen Jahren auf eine beachtliche Nazi-Karriere "stolz" sein: Hanns-Martin Schleyer - Wikipedia Es kommt wirklich nicht darauf an, wer mal als 15jähriger im damaligen Verbrecher-Staat Mist gebaut hat. Wichtig ist, daß die Deutschen nach dem Krieg begriffen haben, welches Unrecht seinerzeit "im Namen des Deutschen Volks" begangen wurde. Leider waren es nicht viele, die das einsehen wollten. Aber Günter Grass ließ von Anfang an nie Zweifel an seiner Gesinnung und hat als weltweit angesehener Schriftsteller durch seine Bücher viel zur Aufarbeitung einer finsteren Epoche beigetragen, die von anderen lieber totgeschwiegen wurde. Gruß Ben |
12. August 2006, 21:13 | #3 |
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Jo, ich gebe dir in weiten Teilen Recht, Ben. Aber ist es nicht auch so, das Grass in den letzten Jahrzehnten den Status einer Ikone gewonnen hat, und dies nicht zuletzt durch seine tragende Rolle während der Turbulenzen der 68er? Grass hat sich meines Wissens nach nie mit seiner reinen Vergangenheit gebrüstet, vielleicht hat er sogar wohlwissend zu diesem Thema geschwiegen - aber er hat dadurch, dass er nicht schon früher gestanden hat, sich selbst zur Ikone machen lassen und stellt für viele das Paradebeispiel eines sozialdemokratischen Intellektuellen dar. Sein ewiger Kampf mit dem Springer-Verlag, seine politische Aktivität und seine Unterstützung Gerhard Schröders, als den schon niemand mehr sehen wollen, haben in arg in diese Position gedrängt. Mit der Unzufriedenheit und der Enttäuschung vieler wird er jetzt leben müssen, insbesondere mit dem Umstand, das diese jetzt größer ausfällt, als hätte er schon früher mit der Sprache herausgerückt.
Zu Gute halten muss man im trotzdem, dass er es schließlich geschafft hat, sich auch öffentlich mit seiner dunklen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Auch wenn sie gewiss nicht so dunkel war wie bei manchen BDA-Vorsitzenden oder Bundeskanzlern - er behauptet ja, keinen einzigen Schuss abgegeben zu haben. Besser spät als nie, und trotzdem glaube ich, dass er diesen Zeitpunkt aus Kalkül gewählt hat. Ciao, Maggi |
14. August 2006, 13:05 | #4 | |
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... ich warte erst noch ab, welche anderen Promis sich noch melden, um den moralischen Richter zu spielen, bevor ich das kommentiere. Es werden ja jeden Tag mehr. Vor allem zu Joachim Fest könnte man einiges sagen, der dem Obernazi Albert Speer damals geholfen hatte, sich reinzuwaschen und Millionen mit seinem Märchenbuch-Bestseller "Erinnerungen" zu verdienen.
Es folgt noch ein aktueller TV-Hinweis: Zitat:
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16. August 2006, 20:12 | #5 | |
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ich bin auch eher der Ansicht, dass die hohen Wogen zwar irgendwo verständlich sind, jedoch, realistisch betrachtet, eigentlich nicht gerechtfertigt sind. Dass Günther Grass es überhaupt öffentlich ausspricht, ist doch schon durchaus anerkennenswert. Dass er es so lange vor sich hergeschoben hat, macht die Sache natürlich nicht leichter, im Gegenteil. Und genau deswegen gebührt im mein Respekt, denn er hätte dieses "dunkle Geheimnis" auch einfach mit ins Grab nehmen können, und jeder hätte ihn als Mann mit reiner Weste in Erinnerung behalten. Wahrscheinlich wäre es nie ans Licht gekommen, wie so manche "Wahrheit" in der Geschichte eben. So zeigt dieser Mann in meinen Augen doch Größe.
Und das Argument, dass er das zur Promotion-Zwecken macht, damit sich sein Buch besser verkauft.. naja, wie hätte er es sonst handhaben sollen? Die Öffentlichkeit hätte so oder so darüber berichtet, also geht er eben in die Offensive, ähnlich wie Wovereit damals mit seinem "Ich bin schwul, und das ist auch gut so!" - Auftritt (wobei ich nicht denke, dass Grass schwul ist, ich wollts nur sagen!). Hier jedenfalls ein Interview mit ihm aus der faz, für die, die es nicht kennen: Zitat:
aber die Sendung am Donnerstag schau ich mir an wenn ich sie nicht verpasse, danke für den Hinweis Ben! Grüße Stiff |
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16. August 2006, 21:13 | #6 |
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... zumal man ja inzwischen weiß, daß Grass nie ein Geheimnis aus seiner SS-Mitgliedschaft gemacht hat. Nicht nur den Amerikanern hat er es gleich nach dem Krieg sogar schriftlich gegeben, sondern auch immer mal einzelnen Freunden und Schriftsteller-Kollegen davon erzählt. Inzwischen wendet sich auch das Blatt, und immer mehr Leute loben ihn für seine Haltung. Ein paar eitle, neidische Pinscher haben halt versucht, sich an einer deutschen Eiche zu reiben und werden sich schon bald wieder mit eingezogenem Schwanz davonschleichen müssen. Und mit der Erkenntnis, daß sie auch weiterhin nicht mal im Ansatz sein literarisches Format erreichen werden.
Besonders Karasek hat sich mit seiner völlig übertriebenen Kritik an Grass lächerlich gemacht. Den Vogel hat aber wieder mal das ulkige Broder-Äffchen in seiner Funktion als Zion-Maskottchen des "Spiegel" abgeschossen. Dem lief förmlich der Geifer aus dem Mund, weil er als verkappter "Antideutscher" wohl dachte, sich endlich an Grass für seine USA-Kritik rächen zu können. Herausgekommen ist ein hochnotpeinlicher Hetz-Artikel, der vielleicht von einem der Nachfolger des jetzigen Chefredakteurs zum Anlaß genommen werden wird, einmal in Ruhe darüber nachzudenken, ob es wirklich klug ist, solchen Kasper-Redakteuren auch weiterhin uneingeschränkte Narrenfreiheit zu gewähren: Günter Grass: Der Herr der Binse Gruß Ben |
17. August 2006, 06:59 | #7 | |
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stiff schrieb
Zitat:
Wenn ich das richtig beobachtet hab, war Grass selbst derjenige, der diese Geschichte angesprochen hat. Im Vorabdruck wurde es wohl von allen überlesen. Zur Sache selbst: Wir erwarten von unseren Ikonen eine engelsgleiche Reihnheit und billigen ihnen nicht mal einen Sinneswandel seit ihrer Jugend zu, während wir z.B. Kinderschändern das Strafregister nach einigen Jahren tilgen. Im übrigen wurden in den letzten Kriegsmonaten Leute zur Waffen-SS eingezogen, die sich dagegen überhaupt nicht wehren konnten. Das Üble daran war, dass sie unter der Achsel tätowiert wurden. Ich bin sicher, dass die Ärzte kurz nach dem 2. Weltkrieg jede Menge Tätowierungen rausschneiden mussten. Wir hatten Kanzler mit NS-Vergangenheit wie z. B. Kiesinger und Ministerpräsidenten, die in der Volkskammer richteten, wie z. B. Filbinger, und diese Liste ließe sich beliebig fortführen. Aber einem 15jährigen vorzuwerfen, er hätte sich, seit seinem 3. Lebensjahr einer falschen Ideologie zugewandt, das spricht eher für die Verlogenheit und die Scheinheiligkeit der Grass-Kritiker (zumindest in diesem Punkt) als gegen Grass. Das einzige was mich an der Angelegenheit stört, ist, dass man die Hervorhebung dieser Passage durchaus als Promotion-Aktion für sein neues Buch werten könnte. tschao jupp11 |
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22. August 2006, 20:16 | #8 |
Dummschwätzer
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Heute an einem großen Buchladen in einer der größten Berliner Einkausstraßen gesehen:
Ein Riesen- Pappschild mit der Aufschrift: "Beim Häuten der Zwiebel" eingetoffen !!! Drunter in roten Lettern: Ausverkauft - Vorbestellungen werden entgegengenommen. * LOL * |
23. August 2006, 09:00 | #9 |
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Tja, wie gesagt, das findet Grass sicher schade, dass sein Buch jetzt so stark verkauft. Aber er hat ja auch alles getan, um dies zu verhindern. Das hat nämlich schon sein Gespräch mit Uli Wickert gezeigt, der ja gegen Ende August seinen Tagesthemen-Vertrag mit der ARD nicht verlängern wird und also aufhört. Nachdem sich Wickert mit Grass von Kollege zu Kollege unterhalten hatte und dabei die ersten 20 Minuten nur gefragt hat, warum Grass nicht zu diesem und jenem Zeitpunkt mit der Sprache herausgerückt sei ("Hätten Sie's damals nicht sagen können?"; "Wär das damals nicht der ideale Zeitpunkt ..."; "Warum haben Sie's damals nicht gesagt?"; "Warum nicht damals schon ..."), verwies Grass ja auch ständig auf sein Buch.
Aber es handelt sich dabei ja nur um eine winzige Passage aus dem Buch. Ich glaube auch, dass es besser ist, dass Grass mit der Sprache herausgerückt ist, aber damit, dass sich einige Leute abwenden (und nicht nur die Grasshasser und peinlichen Leute wie Broder), muss er selbst fertigwerden. Ihm dafür aber die Ehrenbürgerwürde von Gdansk abzuerkennen, seiner Geburtsstadt, wie von Lech Walesa gefordert, dies halte ich für viel zu übertrieben. Er hat doch die Ehrenbürgerwürde für sein literarisches Werk bekommen (wie schließlich auch den Literaturnobelpreis), und nicht dafür, dass er als Kind nicht Mitglied der SS war. Ciao, Maggi |
23. August 2006, 10:15 | #10 | |
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... Lech Walesa hat seine Forderung inzwischen zurückgezogen, nachdem Grass einen Brief an die Danziger Bürger geschrieben hat:
Zitat:
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24. August 2006, 07:11 | #11 |
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Unseren Berliner Partylöwe Wowereit, nebenberuflich Regierender Bürgermeister, wird es freuen, denn Grass wird sich als sein Wahlhelfer für die Abgeordnetehauswahl mächtig ins Zeug werfen.
Bleibt abzuwarten, ob es unserem schleimigen Spassbürgermeister noch mehr Stimmen bringen wird. |