31. May 2002, 00:03 | #1 |
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Günther Grass/Im Krebsgang
Moin,
Günther Grass hat seinen ersten Internet-Roman geschrieben. "Im Krebsgang" rührt zwar an keinem Tabu, wie etliche Feuilletons schrieben. Die aktuelle Novelle des Literaturnobelpreisträgers ist aber sehr wohl ein Buch, das sich mit den Möglichkeiten des Internet auseinandersetzt. Das Netz fördert verdrängte Geschichte zutage Der Stoff, die Versenkung des deutschen Flüchtlingsschiffs Wilhelm Gustloff am 30. Januar 1945 durch russische Torpedos, wird auf einer Internetseite - "www.blutzeuge.de" - aufbereitet und diskutiert. Im Netz begegnet der Ich-Erzähler, der in der Stunde des Schiffs-Untergangs auf die Welt kam, seiner verdrängten Geschichte. In der Auseinandersetzung mit der Website entsteht das Panorama von der Vorgeschichte und der Versenkung des völlig überfüllten Schiffes, bei dem mehr Menschen als beim Untergang der Titanic starben. Grass ganz zeitgemäß Geschickt baut Grass die Spannung zwischen der unpersönlichen Kommunikation im Internet und der persönlichen Betroffenheit des Protagonisten auf. Der sitzt an einer Auftragsarbeit über den Untergang der Wilhelm Gustloff. Verbunden mit dem professionellen Schreiben ist die Aufarbeitung der Biografie des Berliner Journalisten. Obwohl er von seiner Mutter während des Untergangs des Flüchtlingsschiffes auf die Welt gebracht wurde, ist er vor der eigenen Familiengeschichte und der Geschichte von Flucht und Vertreibung stets aus dem Weg gegangen. Gedoppelt wird diese Betroffenheit durch das Lesen auf der Website "www.blutzeuge.de". Denn der Journalist muss erkennen, dass sein eigener Sohn Betreiber und Verfasser dieser Site ist. Die Vergangenheit holt ihn in Form der Zukunft also wieder ein. Ein echter Krebsgang also. Buch der leisen Töne Grass setzt sich mit ehr leisen Tönen mit der Geschichte der Wilhelm Gustloff auseinander. Er beschreibt nicht reißerisch in sämtlichen Details, wie das Schiff sinkt und Menschen in den Abgrund der eiskalten Ostsee gezogen werden. Diese Passagen wirken eher zu distanziert. Doch Grass setzt diese Katastrophe in den großen Zusammenhang. Er erzählt von Wilhelm Gustloff, dem Nazi, der in der Schweiz von einem Juden erschossen wurde. Grass beschreibt, wie "Kraft durch Freude" die Deutschen erstmals auf Kreuzfahrt schickt - an Bord der klassenlosen Wilhelm Gustloff. Grass versetzt sich in den russischen U-Boot-Kommandanten, der die tödlichen Torpedos abfeuern ließ. Und Grass beschreibt, wie in der DDR und in der Bundesrepublik mit dem Schicksal der Flüchtlinge umgegangen wurde. All das ist stimmig, all das ist die verhängnisvolle Geschichte, die "Im Krebsgang" erneut zu einem Mord führt. Bedrohliche Gegenwart Die neue Novelle ist auch ein Buch über eine bedrohliche Gegenwart. Rechtsextremismus als Ergebnis nicht vollständiger Aufarbeitung der Geschichte kann tödlich enden. Opfer sind Opfer und müssen als solche ernst genommen werden. Dies mit dem Hinweis auf eine kollektive Täterschaft abzulehnen, ist nur die halbe Wahrheit. Ohne Wahrhaftigkeit lässt sich der latente Rechtsextremismus aber nicht in den Griff bekommen. All dies verpackt Grass in gute Literatur. Umso ärgerlicher ist es deswegen, dass sich Grass als Autor in dem Buch selbst moralisierend zu Wort meldet. Das wäre nicht nötig gewesen. Der Text ist stark genug, ohne Erläuterung durch den Autor verstanden zu werden. _________________________ ist eine Novelle, also relativ einfach zu lesen, was ich tun werde. Die paar Seiten mfg |