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30. April 2007, 07:16   #151
Jules
 
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30. April 1777: Carl Friedrich Gauß wird geboren

Im Alter von neun Jahren verblüfft Carl Friedrich Gauß seinen Mathematiklehrer. Gerade ist er in die Rechenklasse eingetreten, soll er wie seine Mitschüler alle Zahlen von eins bis hundert zusammenzählen. Normalerweise ist die ganze Klasse damit auf Stunden beschäftigt. Gauß hingegen wirft die Schreibtafel mit der Lösung nach wenigen Minuten aufs Pult. Statt die arithmetische Reihe brav zu addieren, hat er einfach eine Formel für sie entwickelt. Unter Mathematikern ist diese heute als "der kleine Gauß" oder "die Gaußsche Summenformel" bekannt.

Gauß wird am 30. April 1777 als Sohn eines Maurermeisters und einer ehemaligen Dienstmagd in Braunschweig geboren. Später wird er behaupten, zuerst rechnen und dann erst sprechen gelernt zu haben. Zeitgenossen werden über ihn die Anekdote erzählen, dass er seinen Vater bereits als Dreijähriger auf Fehler in den Gehaltsabrechnungen für dessen Arbeiter hingewiesen habe. Da ist Gauß bereits eine Gelehrtengröße, die sich als Mathematiker, Astronom, Landvermesser und Physiker gleichermaßen einen Namen gemacht hat. Er kartographiert das Königreich Hannover, spekuliert erfolgreich an der Börse, baut den ersten elektromagnetischen Telegrafen. Endgültig berühmt wird er, als er vorhersagt, wann die Welt einen bisher nur von einem Sternenforscher beobachteten Himmelskörper namens Ceres zum zweiten Mal sehen kann. Die Entdeckung beschert ihm eine Professur in Göttingen, wo er auch heiratet. Nach dem Tod seiner geliebten Frau zieht er mit den drei Kindern in die Sternwarte um und stürzt sich in Arbeit. Die letzten 24 Jahre seines Lebens wird er das Haus nicht mehr verlassen.

Gauß stirbt 1855 in Göttingen. Vor seiner Beerdigung entnehmen Anatomen sein Gehirn - zur Enttäuschung der Fachwelt wiegt es nur durchschnittliche 1.415 Gramm. Trotzdem gilt Gauß bis heute als größtes mathematisches und astronomisches Genie seiner Zeit. Mehr als 50 mathematische Formeln, Gesetze, Gleichungen und Verfahren sind nach ihm benannt.

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2. May 2007, 07:56   #152
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01. Mai 1882: Berliner Philharmonisches Orchester gegründet

Anno 1882 überspannt Berlins Hofmusikdirektor Benjamin Bilse den Bogen endgültig: Der für seinen Geiz berüchtigte Kapellmeister verlangt von seinen überarbeiteten und unterbezahlten Musikern, bei niedrigstem Honorar mit der Eisenbahn vierter Klasse zu einem Gastspiel nach Warschau zu reisen. Widerspruch zwecklos, die Folge ist ein handfester Skandal. 54 Ton-Künstler verlassen Knall auf Fall die renommierte Bilsesche Kapelle und gründen ein eigenes Orchester. Notariell verpflichten sich die Meuterer am 1. Mai 1882 zu "gegenseitigem unverbrüchlichem Zusammenhalten" und geben sich eine eigene Verfassung als GmbH, deren Anteile ihnen selbst gehören. Das ist die Geburtsstunde des Berliner Philharmonischen Orchesters.

Zum ersten Chefdirigenten wählt sich das Orchester den Liszt-Schüler Hans von Bülow. Da es in Preußens Metropole keinen geeigneten Konzertsaal gibt, wird eine Rollschuhbahn, der "Skating Rink", zur Philharmonie umgebaut. Erst 1944 fällt sie Fliegerbomben zum Opfer. Unter der Stabführung von Bülows, eines unerbittlichen Perfektionisten und der seines Nachfolgers Arthur Nikisch avancieren die Berliner Philharmoniker zum künstlerisch reifsten Orchester der Welt. Alle Komponisten von Rang drängen sich danach, mit den Berlinern eigene Werke aufzuführen, so etwa Johannes Brahms, Peter Tschaikowsky oder Richard Strauß.

1922 beginnt die insgesamt 32 Jahre dauernde Ära von Wilhelm Furtwängler am Pult der Philharmoniker. Er erschließt dem Orchester mit Werken von Bartók, Strawinsky und Hindemith neue musikalische Welten. Nach 1933 gelingt es Furtwängler immer weniger, sich der Vereinnahmung durch das Dritte Reich zu entziehen, was ihm nach Kriegsende ein Entnazifizierungsverfahren einträgt. Furtwänglers Nachfolger auf Lebenszeit wird, nach einer Interimsphase von Sergiu Celibidache, 1955 der Österreicher Herbert von Karajan. Ebenso genial und virtuos wie geschäftstüchtig, führt er das Orchester nicht nur in neue musikalische Höhen, sondern nutzt auch strategisch das gesamte Vermarktungspotenzial der Musikindustrie. 1989 kommt es zum Bruch zwischen Orchester und Chefdirigent. Die Musiker wählen Claudio Abbado zum Nachfolger, dessen Aufgabe dann 2002 der heutige Leiter der Berliner Philharmoniker, Sir Simon Rattle übernimmt.

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2. May 2007, 07:57   #153
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02. Mai 1957: Joseph McCarthy stirbt in Bethesda

Die USA fühlen sich umzingelt: Nach dem Zweiten Weltkrieg scheint der Weltkommunismus die Oberhand zu gewinnen - 1949 die Nachricht von der ersten russischen Atombombe, im gleichen Jahr die Machtübernahme der Kommunisten in China, 1952 ein Stellvertreter-Krieg in Korea. Bereits im Ersten Weltkrieg hat in Amerika das Wort von der "Red Scare" ("Roten Gefahr") die Runde gemacht, nun wird die Kommunistenfurcht institutionalisiert. Einwanderer, linke Intellektuelle, Schauspieler, Schriftsteller und Gewerkschafter werden vor den Kongressausschuss für "unamerikanische Umtriebe" geladen. Vor allem Hollywood gilt als Hort kommunistischer Subversion. Auch berühmte Namen schützen nicht: Charlie Chaplin, Gary Cooper, Arthur Miller, Bertolt Brecht, Thomas Mann.

In dieser aufgeheizten Atmosphäre meldet sich im Senatswahlkampf 1950 ein bis dahin weitgehend unbekannter Senator aus dem Bundesstaat Wisconsin zu Wort: Joseph Raymond McCarthy. Er behauptet: "Hier in meiner Hand halte ich eine Liste mit 205 Namen. Namen von Mitgliedern der Kommunistischen Partei - kommunistische Spione, die im Außenministerium arbeiten und damit die amerikanische Außenpolitik mitbestimmen!" Das Papier ist ein Wäscherei-Zettel, wie er später zugibt. Doch die bloße Behauptung reicht, es ist Wahlkampf. McCarthy wird wiedergewählt und bekommt sogar den Vorsitz eines Kongress-Ausschusses. Er baut das Amt zu einem Machtinstrument aus und attackiert Kommunisten, Linke und Liberale - die "Eierköpfe", wie er sie nennt. Unterstützt von Mitarbeitern wie Richard Nixon und Ronald Reagan, zieht McCarthy in den Kampf gegen angebliche kommunistische Verschwörungen.

Immer wieder machen spektakuläre Spionagefälle Schlagzeilen, wie der Fall Alger Hiss, der Atomgeheimnisse an die Sowjetunion verraten haben soll, oder der Fall Julius und Ethel Rosenberg, die 1951 wegen Spionage hingerichtet werden. "Diese Fälle sind aber von anderen Ermittlern aufgedeckt worden, nicht von McCarthy", sagt der Washingtoner Historiker Don Ritchie. Der Senator habe seine Anschuldigungen nicht beweisen können. "Er war ein unfähiger Ermittler." Über 500 Verhöre führt McCarthy zwischen 1950 und 1954. Ergebnis: Null. Dafür zerstört er durch seinen Rufmord ungezählte Karrieren und Existenzen. Bis er sich mit der US-Army anlegt. Als McCarthy den Weltkriegsgeneral Ralph Zwicker vor laufenden Kameras maßregelt und ihm vorwirft, Kommunisten zu schützen, kippt die Stimmung. Der US-Präsident und Oberkommandierende der alliierten Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg, Dwight Eisenhower, tadelt seinen Parteifreund öffentlich. McCarthy, der Eisenhower für einen "weichgespülten Kommunisten" hält, muss sich nun selbst Befragungen in einem Kongress-Ausschuss gefallen lassen. 1954 wird der Kommunistenjäger politisch kalt gestellt. Die Presse ignoriert ihn, seine Unterstützer wenden sich von ihm ab. McCarthy trinkt sich zu Tode: Er stirbt am 2. Mai 1957 im Alter von 47 Jahren an Leberzirrhose in Bethesda in Maryland.

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3. May 2007, 08:26   #154
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03. Mai 1987: Dalida stirbt in Paris

Ihre Eltern stammen aus Kalabrien. Da ihr Vater als Geiger an der Oper von Kairo arbeitet, wird Yolande Christina Gigliotti 1933 nahe der ägyptischen Hauptstadt geboren. Hier geht sie zur Schule und arbeitet schon mit 18 Jahren als Sekretärin in einer Export-Import-Firma. Mit 22 Jahren wird sie zur Miss Ägypten gewählt und erhält daraufhin kleinere Rollen in zwei Filmen. Aber Yolande will mehr: Noch 1955 geht sie "mit einem Koffer voller Träume und wenig Geld" - wie sie später erzählt - nach Paris. Sie wird bei einem Gesangswettbewerb entdeckt und landet gleich mit ihrer ersten Aufnahme einen Hit: "Bambino" bringt ihr 1956 ihre erste goldene Schallplatte ein.

Ab jetzt nennt sich die Sängerin "Dalida". Unter ihrem exotischen Künstlernamen singt sie auf französisch, englisch, arabisch und auch deutsch. "Am Tag als der Regen kam" wird einer ihrer größten Erfolge. Insgesamt nimmt sie mehr als 800 Lieder auf, verkauft rund 80 Millionen Platten. Zu ihrem 25-jährigen Bühnenjubiläum erhält sie 1981 die selten vergebene "Diamantene Schallplatte".

Comeback und Depressionen
Dalidas Karriere hilft ihr jedoch nicht über ihre privaten Katastrophen hinweg. Ihre Ehe mit ihrem Entdecker Lucien Morisse dauert 1961 nur vier Monate. Morisse begeht später Selbstmord. Auch ihre große Liebe, der zehn Jahre jüngere Komponist Luigi Tenco, bringt sich 1967 um. Dalida versinkt in Depressionen und unternimmt einen Selbstmordversuch. Erst vier Jahre später kehrt sie auf die Bühne zurück. Es wird ein glänzendes Comeback. 1977 tritt sie in der New Yorker Carnegie-Hall auf. 1986 wird die Uraufführung des Films "Der sechste Tag" mit Dalida in der Hauptrolle in ihrer Heimatstadt Kairo begeistert gefeiert.

Aber Dalidas Depressionen weichen nicht. Am 3. Mai 1987 wird sie in ihrer Pariser Wohnung tot aufgefunden, mit einem Glas Whiskey in der Hand und einer Überdosis Schlaftabletten im Magen. Neben ihr findet sich ein Zettel mit den Worten: "Das Leben ist mir unerträglich geworden. Verzeiht mir!"

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4. May 2007, 07:51   #155
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04. Mai 1977: Die "Sex Pistols" prägen den Begriff "No future"

An einer dicken Eisenkette baumelt ein Vorhängeschloss um den sehnigen Hals. An den Handgelenken blitzen spitze Stahlnieten auf breiten Lederbändern. Den Wodka trinkt Sid Vicious gleich aus der Flasche. Der 19-Jährige ist aggressiv, schnoddrig, gewaltbereit. Wenn der Bassist der "Sex Pistols" auf der Bühne steht, spuckt er, genauso wie sein Kumpel Johnny Rotten, schon mal ins Publikum. Sid ist alles andere als ein begnadeter Musiker. Aber für die Gruppe, die der Punk-Bewegung nicht nur im Großbritannien der späten siebziger Jahre ihre Idole und Ideale gibt, ist er das perfekte Aushängeschild.

Im Mai 1977 veröffentlichen die "Sex Pistols" passend zum Thronjubiläum von Queen Elisabeth II. die Single "God save the Queen". Was wie eine harmlose Hymne an die beliebte britische Königin klingt, ist in Wahrheit ein schräger Abgesang auf die Monarchie. "No future, no fun" heißt es darin über die Aussichten jener Punk-Generation, die in einem Land der Massenarbeitslosigkeit und Inflation aufwächst. Die Single löst einen Ansturm der Entrüstung aus. Als die Gruppe auf einem Boot namens "Queen Elisabeth" auf einer provisorischen Bühne ein Konzert vor Fans und Journalisten gibt, wird sie von Polizeibooten eingekreist. Die meisten Passagiere werden festgenommen, die Band flüchtet über die Hintertreppe. Die großen Radiostationen weigern sich, "God save the Queen" zu spielen, die Boulevardpresse startet eine Hetzjagd.

Der von "Sex Pistols"-Manager Malcolm McLaren eingefädelte Coup mit dem provozierenden Konzert gelingt: Der Queen-Song der "Sex Pistols" erobert die Top Ten der Hitparaden. "Im ganzen Land, wenn man die Charts an der Wand sah, dann war da eine schwarze Stelle bei der Nummer eins", wird sich Mc Laren später erinnern. Vor allem mit ihrem "No future" geben die "Sex Pistols" dem Punk sein Motto. Noch heute gehört ein "No future!"-Logo neben den bunten Stachelhaaren zur Kleiderordnung.

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5. May 2007, 14:29   #156
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05. Mai 1912: Die "Prawda" erscheint zum ersten Mal

"Die Arbeiterklasse muss die Wahrheit kennen, ( ...) die Lehren des Lebens gemeinsam untersuchen und gemeinsam handeln", steht im Leitartikel der Erstausgabe der Zeitung "Prawda" ("Wahrheit"), die am 5. Mai 1912 in Petersburg erscheint. "Wir möchten ( ...), dass die Arbeiter ( ...) an der Leitung ihrer Zeitung aktiv mitarbeiten", schreibt Autor Josef Stalin. Lenin, der spätere Revolutionsführer, befindet sich zu dieser Zeit im Exil im damals österreichischen Krakau. Er verfasst dort regelmäßig Artikel für die "Prawda". Schon elf Jahre vor deren Gründung beschreibt er, was später zum Dogma staatssozialistischer Medienpolitik erhoben wird: "Die Zeitung ist nicht nur ein kollektiver Propagandist und kollektiver Agitator, sondern auch ein kollektiver Organisator."

Als die "Prawda" zum ersten Mal erscheint, herrscht Zar Nikolaus II. in Russland fast unumschränkt. Die Duma, das Parlament, ist praktisch ohne Einfluss. Arbeiter und Bauern leben in größter Armut. Nach dem Pressegesetz der zaristischen Regierung müssen die ersten drei Exemplare jeder gedruckten Ausgabe dem Zensor vorgelegt werden. Der findet häufig Artikel, die ihm nicht gefallen. Schon am 40. Erscheinungstag der "Prawda" wird das erste Verbot verhängt. Die Redaktion weiß sich zu helfen: Die nächste Ausgabe erscheint unter anderem Namen. In den fünf Jahren bis zur Oktoberrevolution ändert die "Prawda" acht Mal ihren Titel - unter anderem in "Arbeiterwahrheit", "Weg der Wahrheit" und "Wahrheit der Arbeit". Kurz nach Beginn des Ersten Weltkrieges wird die Zeitung im August 1914 ganz verboten. Erst nach dem Sturz des Zaren kann sie wieder erscheinen. Mit der bolschewistischen Machtübernahme im November 1917 wandelt sich die Oppositionszeitung allmählich zum Zentralorgan der herrschenden Staatspartei.

Während die "Prawda" in den ersten Jahren nach der Revolution Diskussionen noch breiten Raum bietet, ändert sich das mit dem Aufstieg Stalins. Ab Ende 1929 gilt jedes in der "Prawda" gedruckte Wort als Richtlinie für die gesamte Sowjetpresse. Die "Prawda" wird zum Machtinstrument Stalins. Zwischen 1933 und 1939 wird sein Name in der Hälfte aller Leitartikel der "Prawda" erwähnt. Auch später ist die "Prawda" das Sprachrohr der jeweiligen Herrscher im Kreml. So entsteht eine Sprache, die nicht nur die "Prawda", sondern auch die anderen Zentralorgane zwischen Ostberlin und Moskau geprägt hat. Ungezählte Zeitungsspalten und Sendeminuten werden mit immer gleichen Phrasen gefüllt. Dazu gehören Floskeln wie "weitere Vervollkommnung", "vollinhaltliche Verwirklichung", "allseitige Stärkung" und "unzerstörbares Vertrauensverhältnis". Diese Form der Wahrheit hat die Perestroika nicht überlebt. Dennoch gibt es die "Prawda" weiterhin - sogar in doppelter Ausführung: als Tages- und als Wochenzeitung.

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6. May 2007, 14:00   #157
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06. Mai 1992: Erster Internationaler Anti-Diät-Tag

Wie viel Altbundeskanzler Helmut Kohl auf die Waage bringt, ist allgemein unbekannt. "Mein Gewicht ist Staatsgeheimnis", verkündet der Koloss der deutschen Politik. Kohl kann sich das Schweigen leisten, normalsterbliche Dicke aber müssen ihr Gewicht nur allzu oft zu Markte tragen. "Dicke Menschen werden nicht verbeamtet", sagt Gisela Enders, die den Anti-Diät-Tag in Deutschland mitorganisiert, private Krankenversicherungen verweigern sich ihnen. Populäre Popsongs besingen ihre vermeintlichen Schwächen. Vor allem Frauen leiden unter den "überflüssigen Pfunden". Eine ganze Diätindustrie lebt von ihren Ängsten.

Irgendwann haben die Dicken die Diskriminierung und den gesellschaftlichen Zwang zum Fasten satt. In Großbritannien finden sich einige Frauen zusammen, die meinen, durch die Institution eines Gedenktags auf den falschen Schlankheitswahn aufmerksam machen zu müssen. Am 6. Mai 1992 begründen sie unter Federführung der Bestsellerautorin Mary Evans Young den Internationalen Anti-Diät-Tag. Bald darauf wird er auch in Kanada, Australien, Neuseeland, Norwegen, Südafrika, Russland und den USA begangen. Vier Jahre später erreicht die Idee das Land von Helmut Kohl. "Der Anti-Dät-Tag in Deutschland fand in einigen Städten statt, wo dicke Frauen mit Infoständen auf die Straße gegangen sind", sagt Enders. "Da muss man gar nicht mehr viel machen. Wenn zehn dicke Frauen an einem Stand stehen, dann ist das Ereignis genug."

Um was es am Anti-Diät-Tag geht, bringt Enders auf den Punkt: "Um den Respekt für dicke Menschen auf der einen Seite, aber auch medizinische und gesellschaftliche Fragen auf der anderen Seite". Denn in Zeiten der Fast-Food-Kultur werden schon die Kleinsten immer dicker. Nach Hochrechnungen von Ernährungswissenschaftlern sind bereits 10 Prozent der Kinder in Deutschland übergewichtig.

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7. May 2007, 07:56   #158
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07. Mai 1907: Eröffnung des Tierparks Hagenbeck

1848 gehen den Fischern von Carl Hagenbeck senior sechs Seehunde ins Netz. Statt die Tiere zu töten oder zurück ins Meer zu bringen, verfrachtet der Hamburger Händler sie kurzerhand auf die Reeperbahn, um sie in zwei hölzernen Bottichen auszustellen. Hagenbecks kleine Tierschau wird zur Sensation, ihr Erfinder ist um eine neue Geldquelle reicher. Von nun an veranstaltet er regelmäßig Expeditionen, um möglichst exotische Tiere nach Deutschland zu holen und dort zu zeigen.

Als Carl Hagenbeck junior den Tierhandel seines Vaters erbt, baut er ihn zum professionellen Unternehmen aus. Vier bis fünf Expeditionen schickt er jährlich nach Afrika, später in die ganze Welt. Die Beute wandert in die Privatzoos von Herrschern, Adeligen und reichen Geschäftsleuten. 1907 gründet Hagenbeck in Hamburg seinen berühmten Tierpark für Jedermann. Es ist der erste gitterlose Zoo der Welt. Per Patent sichert sich der Unternehmer seinen Einfall, die Tiere nicht im Käfig, sondern in Freigehegen auszustellen, deren Flora den Landschaften ihrer Herkunftsländer nachempfunden ist. Publikum und Tiere werden durch tiefe Gräben getrennt, so dass für den Besucher die spannende Illusion der freien Wildbahn entsteht. Mit dieser Idee revolutioniert Hagenbeck die Zoo-Architektur. Heute folgen fast alle großen Tierparks diesem Konzept.

Aber Hagenbeck belässt es nicht bei Tieren. Seit 1874 richtet er auch so genannte Völkerschauen aus. Ganze Dörfer mitsamt ihrer Boote, Zelte und Alltagsgegenstände lässt er aus Afrika, Südamerika, Asien und Sibirien holen, um sie vorzuführen. Rund 70 dieser Völkerschauen finden im Tierpark Hagenbeck statt. Erst in den dreißiger Jahren werden sie eingestellt.

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8. May 2007, 07:40   #159
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08. Mai 1957: Kulturabkommen BRD-Türkei unterzeichnet

Die kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei haben Tradition: Schon zur Zeit des osmanischen Reiches schicken deutsche Museen und Akademien Archäologen zu Ausgrabungen antiker Stätten, dann folgen Architekten und Naturwissenschaftler. Im Dritten Reich finden Künstler und Intellektuelle in der Türkei Schutz vor den Nationalsozialisten - unter ihnen der spätere Berliner Bürgermeister Ernst Reuter. Am 8. Mai 1957 schließlich unterzeichnen die beiden Länder bei einem Staatsbesuch von Bundespräsident Theodor Heuss ein Kulturabkommen - es ist das erste mit einem muslimisch geprägten Land. Der auf fünf Jahre angelegte Vertrag soll die Zusammenarbeit "auf geistigem, künstlerischem und wissenschaftlichem Gebiet" unterstützen. An Universitäten und Schulen sollen Sprache, Literatur und Geschichte des anderen Landes gepflegt werden. Es gehe darum, "das Verständnis für die Einrichtungen und das soziale Leben des anderen Landes im eigenen Land zu fördern".

Ein halbes Jahrhundert später zieht die türkische Politikwissenschaftlerin und Journalistin Cevahir Korkmaz, die beide Seiten kennt, eine kritische Bilanz: "Es fehlt an vielem." In Deutschland mangele es an türkischen Schulen, einer türkischen Universität und türkischen Kulturinstituten. In der Türkei fehle eine "niveauvolle deutsche Universität". Während die Bundesrepublik in der Türkei drei Goethe-Institute unterhält, gibt es hierzulande keine vergleichbare türkische Einrichtung. Aber es fehlen in der Bundesrepublik nicht nur staatliche Kulturinstitute der Türkei. Auch die Nachfrage nach türkischer Kultur halte sich hierzulande in Grenzen, sagt Journalistin Kormaz: "Die deutschen Staatsbürger haben mehr Interesse an der Landschaft der Türkei."

Die Außenminister der Türkei und Deutschlands wollen aber künftig den kulturellen Austausch zwischen den Ländern weiter intensivieren, geplant ist unter anderem eine deutsch-türkische Universität am Bosporus. Die Ernst-Reuter-Initiative will zusätzlich länderübergreifende Medienprojekte und den Jugendaustausch fördern, um Vorurteile abzubauen und Interesse an der anderen Kultur zu wecken. Insgesamt leben gut zweieinhalb Millionen Türken in Deutschland und rund 60.000 Deutsche in der Türkei.

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9. May 2007, 07:46   #160
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09. Mai 1927: Geburtstag des Showmasters Wim Thoelke

Sein Spitzname war ja eigentlich "Big Wim", was bei Georg Heinrich Wilhelm Thoelkes hünenhafter Statur auch nicht weiter verwundert. Doch wer heute seinen Namen liest, dem klingt unweigerlich der energische Ruf "Thoeeeelke!" von Loriots Zeichentrickhund Wum in den Ohren. 220 Mal in 17 Jahren, von 1974 bis 1992, präsentierten Wim, Wum und Elefant Wendelin die ZDF -Quiz-Show "Der Große Preis" und lockten jedes Mal bis zu 25 Millionen Zuschauer vor den Bildschirm. Die mit dem Ratespiel verbundene Lotterie zugunsten der Aktion Sorgenkind (heute Aktion Mensch) brachte in dieser Zeit 1,7 Milliarden Mark für die Behindertenhilfe ein - ein Erfolg, der im Wesentlichen auf der stets seriös-korrekten Liebenswürdigkeit des Showmasters beruhte.

Die Fernsehkarriere des am 9. Mai 1927 in Mülheim/Ruhr geborenen Sohns eines Studiendirektors begann 1955 in den Sportredaktionen des WDR und des Süddeutschen Rundfunks. Dort erwarb Thoelke sich das nötige Rüstzeug, um 1963 beim ZDF, zusammen mit Harry Valerien und Rainer Günzler, "Das Aktuelle Sportstudio" aus der Taufe zu heben. 1970 bot ihm das ZDF die Position eines Hauptabteilungsleiters an, doch Thoelke wechselte lieber in die Unterhaltung und präsentierte fortan "Drei mal Neun", die Nachfolge-Show von Peter Frankenfelds "Vergißmeinnicht". Dass der schon damals immer etwas steif und unbeholfen wirkende Moderator neben seiner TV-Karriere beruflich noch etliche andere Eisen im Feuer hatte, wussten die wenigsten Zuschauer. Der begeisterte Hobby-Pilot gründete - allerdings mit begrenztem Erfolg - zwei Fluglinien, verkaufte Autos, entwarf Hemden und Krawatten und errichtete als Bauunternehmer Reihenhaussiedlungen.

1991 musste sich der umtriebige und doch so gelassen wirkende Thoelke einer Herzoperation unterziehen. Kurz darauf trat "Big Wim" mit 65 Jahren von der großen Show-Bühne ab. Die Privatsender hatten begonnen, die deutsche Fernsehlandschaft gründlich umzukrempeln und der alte Hase spürte genau, dass seine Zeit auf der Mattscheibe vorbei war. Zudem hatte sein Haussender deutlich gemacht, dass man den "Großen Preis" in jüngere Hände legen wollte. Umso verletzter war Thoelke, wie er auch in seinem Buch "Stars, Kollegen und Ganoven" deutlich machte, als Intendant Dieter Stolte ausgerechnet den sechs Jahre älteren Hans-Joachim Kulenkampff zum Nachfolger auserkor.

Am 26. November 1995 erlag Wim Thoelke zu Hause in Wiesbaden seinem Herzleiden.

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10. May 2007, 13:32   #161
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10. Mai 1752: Erste Vorführung eines "Blitzableiters" in Europa

Bis ins 18. Jahrhundert schleudern die Götter in unbändigem Zorn die Blitze auf die nichtswürdigen Menschen hinab. So glauben es die Zeitgenossen des französischen Naturforschers Thomas-François Dalibard. Dalibard hingegen glaubt an die Wunder der Elektrizität. Er will den Mythos vom Blitz entzaubern. Um ihn auf den Boden der Tatsachen zu verfrachten, muss er zunächst den Blitz vom Himmel holen.

Nördlich von Paris lässt Dalibard deshalb eine lange Eisenstange ohne Bodenkontakt aus einem Unterstand in den Gewitterhimmel ragen. Es ist ein echtes Himmelfahrtskommando. Denn die Spannung zwischen Boden und Wolke vor einer Entladung kann 100 Millionen Volt erreichen. Glücklicherweise ist weder Dalibard noch einer seiner Mitarbeiter im Unterstand, als am 10. Mai 1752 ein Blitz in seine Eisenstange kracht. Trotzdem wird das Experiment ein sensationeller Erfolg. Was göttlich schien, ist profane Elektrizität.

Geerdet, so behauptet Dalibard, könne seine Stange sogar die größten Städte vor gefährlichen Blitzen bewahren: "Man braucht vielleicht nicht einmal hundert solcher Eisenstangen in den verschiedenen Vierteln und an den höchsten Punkten aufstellen, um ganz Paris vor Blitzen zu schützen", triumphiert der Entdecker. Den Ruhm der Erfindung aber streicht ein anderer ein: Der Selfmademan aus den englischen Kolonien Amerikas, der Politiker, Forscher und Satiriker Benjamin Franklin führt den Blitzableiter zur Marktreife. "Sein" Blitzableiter ist das einzige elektrische Gerät, das bis heute praktisch unverändert in Gebrauch ist.

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11. May 2007, 07:11   #162
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11. Mai 1897: Kurt Gerron wird geboren

Theresienstadt im Sommer 1944: Auf einer Bühne vor den Toren des Konzentrationslagers steht ein großer, abgemagerter Mann in einem viel zu weiten Anzug. Er singt die "Moritat von Mackie Messer" aus Brechts "Dreigroschenoper". Mit diesem Lied ist er 16 Jahre zuvor in Berlin bekannt geworden. Der makabere Auftritt ist Teil eines Propagandafilms, den die SS als "Dokumentation aus dem jüdischen Siedlungsgebiet" drehen lässt. Kurt Gerron, der Sänger, ist zugleich Regisseur dieses Films. Die Nazis zwingen den jüdischen Häftling, das KZ als Kurort für Juden zu inszenieren. Kurz nach Abschluss der Dreharbeiten wird Gerron nach Auschwitz deportiert. Er ist 47 Jahre alt, als er im November 1944 in der Gaskammer stirbt.

Geboren wird Kurt Gerron am 11. Mai 1897 in Berlin als Einzelkind einer jüdischen Kaufmannsfamilie. Mit 17 Jahren macht er sein Abitur und will Arzt werden. Nach einem Fronteinsatz im Ersten Weltkrieg entscheidet sich der junge Mediziner jedoch, zur Bühne zu gehen. Obwohl er keine Schauspielausbildung hat, fühlt sich Gerron bestens gerüstet: "Arzt und Schaupieler haben etwas gemeinsam: die Menschenbeobachtung." Er tritt zunächst in Stummfilmen auf. Wegen seiner Körperfülle gilt der grobschlächtig wirkende Gerron als Idealbesetzung für Schurken aller Art. 1923 lernt er die zierliche jüdische Juwelierstochter Olga Meyer kennen und heiratet sie ein Jahr später. Nach seinem Erfolg als korrupter Polizeichef Tiger Brown in der "Dreigroschenoper" 1928 ist Gerron nicht nur in Theater und Kabarett gefragt: Hollywood-Regisseur Josef von Sternberg engagiert ihn für den Ufa -Film "Blauer Engel", bei dem auch Marlene Dietrich mitspielt. Gerron tritt zwischen 1930 und 1933 in 13 Filmen auf - vor allem in so genannten Optimismus-Produktionen wie "Die Drei von der Tankstelle". Er arbeitet rund um die Uhr: Tagsüber im Studio, abends auf der Bühne und nachts im Kabarett. Er führt Regie bei drei großen Ku'damm-Revuen und schließlich auch für die Ufa.

Der "Judenboykott-Tag" am 1. April 1933 trifft ihn wie ein Schlag: Mitten in den Dreharbeiten fordert der Produktionsleiter den Regisseur auf, das Studio zu verlassen. Zusammen mit seiner Frau verlässt Gerron Deutschland. Nach einer Odyssee landet er schließlich in den Niederlanden, wo er noch zwei erfolgreiche Filme drehen kann. Die Sicherheit ist trügerisch: 1940 marschieren die Nazis in Holland ein. Im Sommer 1943 werden alle Juden aus Amsterdam ins Übergangslager Westerbrok verschleppt. Mit anderen früheren Berliner Kollegen baut Gerron ein Lager-Kabarett auf. Ein halbes Jahr später kommen Olga und Kurt Gerron nach Theresienstadt. Wieder richtet Gerron ein Kabarett ein, sein "Karussell". Im Sommer 1944 erhält er den Befehl, den Propagandafilm "Der Führer schenkt den Juden eine Stadt" zu drehen. Im Oktober, noch bevor der Film fertig geschnitten ist, werden Olga und Kurt Gerron in einem Viehwaggon nach Osten deportiert. Als der Propaganda-Streifen im Frühjahr 1945 vorgeführt wird, ist Kurt Gerron längst in Auschwitz ermordet worden.

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12. May 2007, 12:15   #163
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12. Mai (heute wie jedes Jahr): Die Eisheiligen beginnen

Mitte Mai verfolgen Obstbauern und Winzer besonders aufmerksam den Wetterbericht: Dann sind trotz Frühlings nochmals Kälteeinbrüche und Nachtfröste möglich. Wenn das Thermometer auch nur für kurze Zeit unter den Gefrierpunkt sinkt, kann die gesamte Obstblüte oder der Traubenansatz vernichtet werden. Deshalb beugen die Landwirte mit Schutzeinkleidungen der Pflanzen vor oder benetzen die Blüten mit Wasser. Ein Eispanzer wärmt nämlich im Ernstfall.

Früher standen die Bauern einem Kälteeinbruch im Mai hilflos gegenüber. Sie brachten die kleine Naturkatastrophe mit dem Himmel in Verbindung und beugten abergläubisch vor. So durfte man in diesen Tagen etwa nicht säen oder kein Vieh auf die Weide treiben, um das Unheil nicht herauf zu beschwören. Nach der Bauernregel reicht die Gefahrenzeit je nach Region vom 11. oder 12. bis zum 14. oder 15. Mai. Die Heiligen dieser Tage heißen deshalb die "Eisheiligen". Deren bedrohlichen Reigen eröffnet hier und da Mamertus, aber meist am 12. Mai Pankratius, denn: "Pankraz hält den Nacken steif, sein Harnisch klirrt vor Frost und Reif". Aufatmen darf man wieder, wenn auch die folgenden Gedenktage des Servatius, Bonifatius und insbesondere in Süddeutschland auch der Heiligen Sophie (auch "Kalte Sophie" genannt) vorbei sind.

Legende und Meteorologie
"Pankrazi, Servazi und Bonifazi - sind drei frostige Bazi", sagt der Volksmund. Ursprünglich haben diese Herren allerdings nichts mit dem Wetter zu tun. Pankratius war ein Bischof im Gallien des 5. Jahrhunderts, Servatius starb den Märtyrertod als 14-Jähriger während einer Christenverfolgung in Rom. Bonifatius starb ebenfalls für seinen Glauben, nachdem er zuvor mit einer wunderschönen Frau ein lockeres Leben geführt hatte - falls er nicht nur die Erfindung eines frommen Romans ist. Die Bauern aber fanden neue Legenden: So habe Mamertus den Brauch der Bittprozessionen vor dem Himmelfahrtsfest eingeführt - bei ihnen betete man schließlich um eine gute Ernte. Und auf dem Grab des Servatius bliebe wie durch ein Wunder niemals Schnee liegen.

Meteorologen erklären das Phänomen der Eisheiligen durch eine Kaltluftzufuhr aus dem Norden, die durch die erste Frühjahrserwärmung geradezu angesogen wird. Warme Luftmassen über dem Kontinent steigen auf und erzeugen ein Tiefdruckgebiet am Boden. Das kann früher oder später, stark oder schwach auftreten. Und durch den Klimawandel sind die Eisheiligen auf dem Rückzug: Die jährlichen Frosttage im Mai haben seit 1935 statistisch alle zehn Jahre um zweieinhalb Tage abgenommen. Den letzten Maitag unter Null Grad gab es in Essen 1962. Trotzdem sollten Obstbauern und Winzer sich nicht in Sicherheit wiegen: Zuschlagen können die strengen Herren samt Dame immer noch.

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13. May 2007, 04:44   #164
Jules
 
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13. Mai 1917: Madonnenerscheinung in Fatima

Am 13. Mai 1917 kommen die Hirtenkinder Lucia, Francisco und Jacinta aufgeregt in ihr portugiesisches Heimatdorf Fatima 130 Kilometer nördlich von Lissabon zurück. Den verdutzten Eltern verkünden sie, dass ihnen eine ganz in weiß gekleidete Madonna erschienen sei. "Sie verbreitete ein noch helleres Licht als die hellsten Strahlen, die durch ein Wasser gefülltes Kristallglas scheinen", wird die damals 10-jährige Lucia später behaupten. "Dann sagte Unsere Liebe Frau: 'Betet täglich den Rosenkranz, um den Frieden der Welt und um das Ende des Krieges zu erlangen'."

Zunächst will niemand den Kindern glauben. Da beginnen sie zu fasten, verschenken ihr Essen, knoten sich schmerzende Stricke um die Gliedmaßen, schlagen sich die nackten Beine mit Brennnesseln wund. Aber auch die Selbstkasteiung bringt die Bewohner Fatimas nicht zur Einsicht, im Gegenteil: Die Eltern drohen ihnen unter Ohrfeigen, von ihrem Starrsinn abzulassen. "Bis im Oktober 1917 die Muttergottes gesagt hat: Okay, die glauben euch nicht, ich werde ein Wunder wirken", sagt Andreas Englisch, Vatikan-Korrespondent der Bild-Zeitung. Dann seien "drei ganz bekannte Schriftsteller, die Atheisten waren", aus Portugal, Frankreich und Spanien gekommen, die Sonne habe am Firmament getanzt und "diese drei ganz bekannten Schriftsteller sind Priester geworden".

Bücher, Filme, Nieren, Mägen
Nach diesem wundertätigen Beweis der Echtheit entwickelt sich Fatima zur Pilgerstätte. Eine Kapelle wird gebaut. Mit Krücken, Rollstühlen oder auf Bahren kommen Kranke, um sich heilen zu lassen. 1930 wird der portugiesische Wallfahrtsort vom Vatikan offiziell anerkannt. Heute pilgern jährlich etwa vier Millionen Hilfesuchende in den kleinen Ort im unwirtlichen Gebirge der Serra da Aire, dessen 10.000 Bewohner von den Wallfahrern gut leben können. Die rund 500 Devotionalienhändler bieten Bücher, Filme, Rosenkränze, Kreuze und Madonnen-Flakons für Weihwasser mit abschraubbarer Krone, aber auch Hände, Füße, Arme, Nieren, Mägen, Augen, Busen und Köpfe an: aus Wachs, als Opfergabe, zur Heilung der besagten Körperteile.

Drei prophetische Visionen gibt "Unsere Liebe Frau" den Hirtenkindern 1917 mit auf den Weg. Lucia schreibt sie seit den dreißiger Jahren auf. Die erste Vision über eine zur Hälfte von Teufeln beherrschte Erde wird von Gläubigen auf die Oktoberrevolution in Russland bezogen, die zweite, 1941 veröffentlichte, auf den Zweiten Weltkrieg. In der dritten Vision sagt die Maria von Fatima angeblich das Attentat auf Papst Johannes Paul II. und den Fall der Berliner Mauer voraus. "Die ist ja nicht durch einen Krieg zerrissen worden", sagt Pfarrer Rudolf Atzert, Seelsorger der deutschen Pilger in Fatima, "sondern mit dem Rosenkranz".

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14. May 2007, 07:44   #165
Jules
 
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14. Mai 1912: August Strindberg stirbt in Stockholm

Ein furchtbarer Mann, dieser Strindberg, aber doch von einem so großen Talent, dass man in seinem Unmut, Ärger und Ekel immer wieder erschüttert wird." So wie Theodor Fontane denken viele Zeitgenossen über den schwedischen Schriftsteller August Strindberg: als Künstler ein Genie, als Mensch eine Zumutung. Er gilt als unbeherrscht, ungerecht und frauenfeindlich. Strindberg behauptet zwar, die Frau sei eine "verkrüppelte Form des Menschen". Aber er braucht sie und arbeitet sich zeitlebens an ihr ab. Der Autor der weltbekannten Theaterstücke "Der Vater", "Fräulein Julie", "Nach Damaskus" und "Der Totentanz" ist dreimal verheiratet und zeugt fünf Kinder.

Geboren wird August Strindberg am 22. Januar 1849 in Stockholm als viertes von elf Kindern eines Schiffskaufmanns. Die Mutter stirbt früh. Sein angespanntes Verhältnis zum Vater verschlechtert sich, als dieser wieder heiratet. Familie bedeutet für Strindberg immer etwas sehr Prekäres. Er wütet gegen Autoritäten, aber sehnt sich nach Geborgenheit und Erlösung bei Frauen. Als das nicht klappt, gerät er in eine große Krise und entdeckt die Religion, die Mystik und den Okkultismus. Aus dem Gesellschaftskritiker wird ein Prediger, der den Tod als Befreiung feiert. Strindberg vermittelt keine Utopien, sondern Düsternis und Depression, sagt Sonja Anders, Chefdramaturgin am Hamburger Thalia-Theater: "Er hat sehr genau beobachtet, dass, so wie die Menschen miteinander umgehen, es nicht funktionieren kann." Aus dieser Erkenntnis heraus entwickelt Strindberg eine neuartige Theaterästhetik. Er schreibt "Traumspiele" - wie auch eines seiner Stücke heißt. Darin stellt er dar, was im Kopf der Figur passiert. Er will Bewusstseinszustände zeigen und keine Geschichten erzählen, sagt die Theaterwissenschafterin Michaela Giesing. Das unterscheide ihn von Henrik Ibsen, den anderen großen Autor aus dem Norden.

Menschen haben kein Talent, einander glücklich zu machen, lautet Strindbergs Fazit am Ende seines Lebens: "Die Ehe ist eine Menschenfresserei. Fresse ich dich nicht, so frisst du mich." Als er nach Jahren im Ausland ab 1896 wieder in Schweden lebt, schreibt er historische Dramen und arbeitet journalistisch. In seinen Artikeln kritisiert er die Politik der konservativen Regierung. Nachdem er in Schweden für seine provozierenden Texte oft beschimpft worden ist, gelingt es ihm nun, die Gunst seiner Landsleute zu gewinnen. Am Abend seines 63. Geburtstages jubeln 10.000 Menschen vor seiner Stockholmer Wohnung. Vier Monate später stirbt er am 14. Mai 1912 an Magenkrebs.

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15. May 2007, 07:52   #166
Jules
 
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15. Mai 1997: EU-Verordnung über Novel Food tritt in Kraft

Ein neuer Begriff schreckt Mitte der 90er Jahre deutsche Verbraucher auf: genmanipulierte Lebensmittel. Während in den USA labortechnisch "nachgebesserte" Produkte wie etwa die "Anti-Matsch-Tomate" ganz selbstverständlich konsumiert werden, können Supermarktkunden sich hierzulande kaum mit dem Gedanken anfreunden, nicht klar deklarierte Gen-Produkte in den Regalen vorzufinden. 1977 lehnen nach einer repräsentativen Umfrage 76 Prozent der Kosumenten Gen-Food rundheraus ab; 95 Prozent fordern eine ausnahmslose Kennzeichnungspflicht.

Diesen klar artikulierten Verbraucherwunsch erfüllt die am 15. Mai 1997 in Kraft getretene "Verordnung über neuartige Lebensmittel", kurz Novel Food genannt, nur bedingt. Das EU-weit geltende Gesetz, das neben Gen-Produkten auch alle "bisher noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr" verwendeten Lebensmittel umfasst, räumt den Nahrungsherstellern große Freiräume ein - vor allem bei der Kennzeichnung. Gerade die entscheidende Silbe "Gen" wird auf den Etiketten gern vermieden; bevorzugt werden wenig aufschlussreiche Formulierungen wie "mit Hilfe moderner Biotechnologie veredelt". Überhaupt gilt eine Kennzeichnungspflicht nur dann, wenn eine Erbgutveränderung wissenschaftlich nachweisbar ist. Wie eine Laboranalyse zu funktionieren hat, bleibt allerdings ungeregelt.

Bis heute ist die Novel-Food -Verordnung deshalb immer wieder aktualisiert und nachgebessert worden. So gilt zum Beispiel seit drei Jahren eine umfangreiche Kennzeichnungsregelung für alle gentechnisch veränderten Lebensmittel und deren beigefügte Inhaltsstoffe. Enthält ein Produkt etwa Vitamin E aus manipulierten Sojabohnen, muss dies auf dem Etikett vermerkt werden, auch wenn die Veränderung im Endprodukt nicht mehr nachweisbar ist. Lücken weist die Verordnung dagegen nach wie vor im Bereich der Futtermittel auf. So ist etwa Fleisch von Rindern, die in Argentinien mit Gen-Mais gefüttert werden, nicht kennzeichnungspflichtig. Langfristige Untersuchungen über die Auswirkungen genmanipulierter Lebensmittel auf den menschlichen Organismus liegen derzeit noch nicht vor.

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15. May 2007, 14:49   #167
annette
 
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#55, DDR-Bürger fliehen nach Berlin - Fohnau

Lieber Jules,
mit viel Interesse habe ich Deinen Artikel über die Tunnelflucht von Glienicke / Nordbahn nach Berlin-Frohnau gelesen. Ich bin Mitglied einer Initiative in Glienicke, die sich mit der Dokumentation / Aufarbeitung der deutsch - deutschen Geschichte in unserem Ort beschäftigt. Derzeit recherchieren wir in Medien- und öffentlichen Archiven und sind auf der Suche nach Zeitzeugen. Vielleicht hast Du Zeit -- zwecks Informationsaustausch -- Kontakt mit mir aufzunehmen.

Vielen Dank im Voraus
mit freundlichen Grüßen
annette
 
16. May 2007, 07:45   #168
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16. Mai 1907: Der Tango kommt nach Europa

Argentinien ist wohl das einzige Land der Welt, in dem ein Tanz gesetzlichen Schutz genießt. Als Nachbar Uruguay immer hartnäckiger für sich das Privileg reklamiert, die wahre Heimat des Tangos zu sein, erklären die Argentinier ihn 1998 kurzerhand zum "Kulturgut der Nation, das zu schützen, zu erhalten und zu verbreiten" sei. Die Wahrheit ist: Niemand kann heute noch genau sagen, wann und wo genau dieser Paarlauf von Latin Lover und Femme fatale entstanden ist. Sicher ist nur eins: Geboren wurde der Tango irgendwann um 1880, ganz unten, in den Elendsvierteln von Buenos Aires und Montevideo, in Hafenkaschemmen und Bordellen. Und als sicher gilt ebenso, wer den Tango über den Atlantik brachte und dessen Siegeszug in Europa einleitete:

Im Frühjahr 1907 reisen die Tango-Komponisten Angel Villoldo und Alfredo Gobbi sowie dessen Frau, die Sängerin Flora Rodriguez, von Buenos Aires zu Schallplattenaufnahmen nach Paris. Villoldo, der "papá del tango", kehrt bald zurück; Gobbi jedoch gründet ein eigenens Plattenlabel, während Flora auf den Pariser Bühnen mit Tango-Interpretationen ihres Mannes Erfolge feiert. Zur gleichen Zeit schockiert der Schriftsteller Ricardo Güiraldes, ein wohlhabender Dandy aus Buenos Aires und gern gesehener Gast in den Pariser Salons, die "Haute volée" mit spontanen, heißblütigen Vorstellungen des einheimischen Gossen-Tanzes. Verbrieft ist die geflüsterte Frage einer Comtesse de Pourtalés, nachdem sie ihren ersten Tango gesehen hat: "Tanzt man diesen Tanz im Stehen?"

Erst in der Alten Welt entwickelt sich der Tango, der in seiner Heimat von Ober- und Mittelschicht verabscheut wird, zum Gesellschaftstanz, zum verruchten Vergnügen sowohl der Reichen und Schönen, als auch der Kleinbürger und Arbeiter. Zwischen 1910 und 1920 tobt eine regelrechte Tangomanie durch Europa, die bald Züge einer Kulturrevolution trägt. Nie zuvor kamen sich Frauen und Männer in der Öffentlichkeit so nah. In Deutschland verbietet Kaiser Wilhelm II. seinen Offizieren den unziemlichen Tanz - mit wenig Erfolg. Schon 1913 wird in Baden-Baden das erste offizielle Tango-Turnier veranstaltet. Auf dem Umweg über Europa gelangt der Tango schließlich zurück nach Buenos Aires und erobert - nun gezähmt und geadelt - auch in Argentinien die größten Ballsäle.

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17. May 2007, 14:46   #169
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17. Mai 1792: Die New Yorker Börse wird gegründet

Auf dem Parkett der New Yorker Börse wechseln täglich mehr als drei Milliarden Aktien den Besitzer. Über 3.000 Aktiengesellschaften mit einem Gesamtwert von rund 25 Billiarden Dollar sind heute in New York gelistet. Das entspricht fast dem Zehnfachen des gesamten Bundeshaushalt Deutschlands.

Angefangen hat alles sehr bescheiden: Nachdem die amerikanischen Siedler ihre Unabhängigkeit erkämpft haben, ist der junge Staat nach dem langen Krieg mittellos. Die Bürger sollen durch Staatsanleihen und den Kauf von Wertpapieren das notwendige Kapital aufbringen, um die Vereinigten Staaten zu erschließen und die Nation aufzubauen.

Die ersten Händler preisen ihre Anleihen und Aktien auf der Straße an, die zum Hafen im Süden Manhattans führt. Dort haben Befestigungspalisaden gestanden, nach der die Wall Street benannt wird. Am 17. Mai 1792 unterzeichnen zwei Dutzend Männer unter einer ausladenden Platane, einem "Buttonwood Tree", das so genannte Buttonwood-Abkommen: "Wir, die Händler öffentlicher Aktien, versprechen feierlich und verpflichten uns gegenseitig, dass wir ab heute weder Aktien oder sonstige öffentliche Anleihen kaufen oder verkaufen, an niemanden, ohne mindestens ein Viertel Prozent Kommission auf den Wert zu berechnen." Neben Mindestprovisionen verabreden sie auch, sich gegenseitig durch Vorkaufsrechte zu bevorzugen.

Die Basis für das später äußerst profitable Investment-Banking ist gelegt. Die Männer verpflichten sich zudem, außerhalb ihres "New Yorker Aktientausch-Rates" keinen Handel mehr zu tätigen. Der förmliche Name "New York Stock and Exchange Board" folgt allerdings erst 19 Jahre später, als auch ein eigener Handelsplatz und feste Handelszeiten beschlossen werden. Heute heißt die Börse "New York Stock Exchange" (NYSE).

Der Traum, ohne eigene Arbeit, nur durch geschickte Spekulation aus wenig Geld viel zu machen, ist bis heute der Antriebsmotor der Börse. Doch es gibt immer wieder Rückschläge: 1873 brechen die Kurse beispielweise wegen des Goldrauschs ein, die Börse bleibt zehn Tage geschlossen. 1929 kommt es aufgrund der Weltwirtschaftskrise zum Crash. Auch wenn der Wert von Aktien spekulativ zu hoch getrieben wird, droht der Absturz. Wollen bei so genannten Marktbereinigungen alle Aktienbesitzer ihre Anteile so schnell als möglich verkaufen, können ganze Industrien zusammenbrechen. Wie zum Beispiel 2000, als allein in Manhattan 50.000 Beschäftigte in der Internet-Industrie ihre Jobs verloren haben.

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18. May 2007, 09:24   #170
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18. Mai 1842: "Doppler-Effekt" wird entdeckt

Im Juni 1845 rast ein merkwürdiger Zug der Rhein-Eisenbahn mit Volldampf über die Schienen: Auf dem einzigen Waggon kämpft ein Trompeter mit dem Fahrtwind. Der Dampfdruck droht die Kessel fast zu sprengen, aber die beiden Lokführer sind gehalten, kräftig Kohlen nachzulegen. Die Strecke ist von Musikern gesäumt, die den Ton auf ihre Notenblätter übertragen müssen. Obwohl der Trompeter auf dem Zug immer denselben Ton spielt, stehen am Ende unterschiedliche Töne auf den Blättern.

"Das liegt am so genannten Doppler-Effekt", erläutert Metin Tolan, Professor für Experimentelle Physik an der Universität Dortmund. "Wenn sich eine Schallquelle auf uns zu bewegt, ist der Ton, der zu hören ist, höher. Und wenn sich die Schallquelle entfernt, ist er tiefer." Entdeckt wird der Effekt von seinem Namensgeber Christian Doppler, der 1803 in Salzburg geboren wurde. Dopplers Leben scheint zum Scheitern verurteilt: Für die Steinmetzwerkstatt der Familie fehlt ihm die Konstitution; als Buchhalter in einer Baumwollspinnerei wird er todunglücklich. Auch die Arbeit in den überfüllten Hörsälen am Polytechnischen Institut in Prag, an dem er später Mathematik und Physik unterrichtet, macht ihm zu schaffen. 1842 veröffentlicht Doppler sein Hauptwerk, das den Doppler-Effekt vorstellt. Heute dient dieser in der Akustik zur Erklärung für das Phänomen, dass sich ein und derselbe Ton etwa bei einem vorbei fahrenden Auto für einen Beobachter unterschiedlich hoch anhört - wegen der durch die Bewegung verursachten Stauchung der Schallwellen an der Auto-Front und ihrer Entzerrung an dessen Rückseite: Ein Meilenstein der Physikgeschichte.

Mit seinem Effekt versucht Doppler allerdings auch die unterschiedlichen Farben der Sterne zu erklären. Und wieder hat er Pech: Denn das Farbspektrum der Sterne folgt anderen optischen Gesetzen, die erst die Relativitätstheorie Albert Einsteins erklären wird. Doppler stirbt 1853 in Venedig an Tuberkulose.

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19. May 2007, 11:51   #171
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19. Mai 1627: Katharina Henoth in Köln als Hexe verbrannt

Katharina Henoth ist verzweifelt. Vor vier Jahren hat ein Richter verfügt, dass die gut gehende Gastwirtschaft für Postkuriere, die ihr Vater in Köln aufgebaut hat, nach dessen Tod an einen Konkurrenten fallen soll. Jetzt liegt der alte Henoth auf dem Sterbebett. Da begeht die gläubige Frau gemeinsam mit ihrem Bruder einen verhängnisvollen Fehler. Um ihre Existenz zu sichern, balsamieren die Geschwister den Leichnam ein und schaffen ihn heimlich aus der Stadt. Auf Nachfragen behaupten sie, der Vater sei auf Dienstreise und fälschen seine Unterschrift, damit die Geschäfte der Postmeisterei weiterlaufen.

Die Henoths sind nicht allzu beliebt in Köln. Als Zugereiste genießen sie nicht jedermanns Vertrauen. Ursprünglich Färber, verfügen sie zudem über allerlei chemisches Geheimwissen, was manchem Zeitgenossen suspekt erscheint. Auf diesem Boden keimt der Verdacht der Zauberei, der sich vergrößert, als der Schwindel mit dem toten Vater auffliegt. Sogleich behauptet eine "besessene" Kölnerin während einer Teufelsaustreibung, die Henoth habe sie verhext. Ein "gemein Geschrey" gegen die erfolgreiche Geschäftsfrau erhebt sich in ganz Köln - vielleicht vom Neid genährt. Gerichtlich will Henoth die Frau zum Widerruf zwingen; dass sie dann aber selber nicht zur Gerichtsverhandlung erscheint, wird als Schuldgeständnis ausgelegt. Henoth wird verhaftet und eingekerkert - ein ungewöhnliches Vorgehen bei einer Frau ihres Standes. Plötzlich bringt man sie mit rätselhaften Todesfällen in Verbindung. Die Vorwürfe sind mannigfach: Schadenszauber an Mensch und Natur, Verbreitung von Gezänk, magische Praktiken, Rutengängerei und Unzucht mit höher gestellten Herren. Der Richter ordnet die "peinliche Befragung" an: Henoth wird gefoltert.

Was genau mit Katharina Henoth passiert, ist ungeklärt. Offenbar aber gesteht sie die Freveltaten nicht. Damit sind die Voraussetzungen für einen Schuldspruch, der ein auf welche Art auch immer erreichtes Geständnis voraussetzt, nicht erfüllt. Trotzdem wird Henoth am 19. Mai 1627 zur Hinrichtungsstätte, dem Rabenstein, geführt. Als Gnadenerweis wird sie dem Feuer erst übergeben, nachdem man sie erdrosselt hat.

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20. May 2007, 12:42   #172
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20. Mai 1902: Kuba wird Republik

"So wie ein im Sturm vom Baum gerissener Apfel keine andere Wahl hat, als zur Erde zu fallen, so kann auch Kuba ( ...) nur der Schwerkraft der Nordamerikanischen Union folgen", verkündet US-Außenminister John Quincy Adams 1823. Voraussetzung dafür sei die Lösung der Kolonie aus "der widernatürlichen Verbindung mit Spanien". US-Angebote zum Kauf der 150 Kilometer südlich von Florida gelegenen Zuckerrohr-Insel lehnen die Spanier allerdings ab. Kuba ist als Zuckerlieferant nicht nur wirtschaftlich, sondern wegen des geplanten Panama-Kanals auch strategisch wichtig. Geduldig warten die USA, bis die kubanischen Unabhängigkeitskämpfer die spanischen Kolonialtruppen 1898 fast besiegt haben.

Erst als kubanische Plantagenbesitzer und Geschäftsleute die Vereinigten Staaten um Hilfe bitten, greifen sie ein. Um Stärke zu demonstrieren, entsenden die USA das Kriegsschiff "Maine" nach Kuba. Kurz darauf explodiert das Schiff im Hafen von Havanna, 260 Mitglieder der Besatzung sterben. Umstände und Täterschaft sind bis heute umstritten. War es ein Unfall, ein Anschlag der Spanier, eine Provokation der kubanischen Unabhängigkeitsbewegung? Oder am Ende etwa eine Selbstversenkung durch die USA? Die Explosion dient den US-Truppen jedenfalls als Grund, "im Namen der Menschheit, der Zivilisation und der gefährdeten amerikanischen Interessen" in den Krieg einzutreten. Die Landung auf Kuba verläuft mühelos. Spanien kapituliert. Die von den Unabhängigkeitskämpfern bereits eingesetzte provisorische Regierung wird von den US-Militärs ignoriert. Doch nach ihrem Unabhängigkeitskrieg gegen die Briten können sich die USA ohne Gesichtsverlust keine eigene Kolonie leisten. Sie ziehen deshalb nach drei Jahren ab und agieren hinter den Kulissen. Auch bei der Ausarbeitung der kubanischen Verfassung geben sie den Ton an. Das so genannte Platt-Amendment, ein Zusatz zur Verfassung, räumt den USA das Recht ein, jederzeit zu intervenieren. Festgeschrieben wird auch das Recht auf mehrere US-Armeebasen - wie etwa der Stützpunkt Guantánamo. Gegründet wird die auf dem Papier unabhängige Republik Kuba am 20. Mai 1902. Bei den ersten Präsidentschaftswahlen setzt sich Tomás Estrada Palma durch. Er wird von Washington protegiert.

Schon Palmas Wiederwahl 1905 kann nur noch mit Gewalt durchgesetzt werden: indem die konkurrierende liberale Partei terrorisiert wird. Nach der Ermordung einer ihrer Anführer tritt sie gar nicht mehr zur Wahl an. Als Oppositionelle daraufhin zu den Waffen greifen, nutzen die USA das Platt-Amendment und besetzen Kuba ein weiteres Mal für drei Jahre. Auch nach Aufhebung des Platt-Amendments 1934 bleibt der US-amerikanische Einfluss bestehen. Dennoch existiert die kubanische Republik in dieser Form nur gut fünfzig Jahre. Fidel Castro setzt mit seinem Guerillakrieg am 1. Januar 1959 den Schlusspunkt: "Diesmal ist es nicht wie 1898, als die Amerikaner in letzter Stunde intervenierten und sich zu Herren des Landes machten."

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21. May 2007, 07:30   #173
Jules
 
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21. Mai 1521: Philipp II. von Spanien in Valladolid geboren

Sein Vater Karl V. ist am Kampf gegen die Reformation gescheitert und zieht sich von Kaiser- und Königtum zurück. So erbt sein Sohn Philipp das Reich, in dem die Sonne nicht untergeht: 1556 wird er König von Spanien, 1580 auch von Portugal. Seine Besitzungen reichen von den Philippinen, die nach ihm benannt sein, über Südamerika bis nach Sizilien, Neapel, Mailand und den Niederlanden. Aber die Europäer fürchten die Vorherrschaft der Habsburger: Deshalb wählen ihn die deutschen Kurfürsten nicht mehr wie noch den Vater zum Kaiser. Mit Frankreich führt er zwei ergebnislose Kriege.

Philipp II., am 21. Mai 1527 am Königssitz Valladolid geboren, ist von Kind an fromm. Sein Lebensziel ist der Sieg des Katholizismus über die Reformation und die Muslime. Deshalb verfolgt er vermeintliche Ketzer im eigenen Land rücksichtslos durch die Inquisition. In den Niederlanden lässt er die aufständischen Calvinisten durch den Herzog von Alba blutig unterdrücken. 1.100 Protestanten werden auf seinen Befehl hingerichtet, 900 enteignet. Das facht die Unabhängigkeitsbewegung um Wilhelm von Oranien nur noch weiter an. Bald unterstützt sie auch England.

Das Fiasko der Armada
1554 ist Philipp durch die Heirat mit Maria I. kurzzeitig König von England geworden. Aber Maria stirbt und die Nachfolgerin Elisabeth I. führt das Inselreich zum Protestantismus zurück. Ihre Freibeuter auf den Weltmeeren, darunter der Weltumsegler Francis Drake, setzt sie auf spanische Schiffe an. 1587 schickt Philipp seine Armada in den Ärmelkanal. Die Flotte hat 20 Jahre zuvor bei Lepanto die Türken vernichtend geschlagen. Jetzt sollen 150 Schiffe mit 30.000 Mann Besatzung England seine Grenzen aufzeigen. Aber das Unternehmen scheitert: Die wendigeren englischen Schiffe und ein Sturm besiegen die Spanier. Kaum die Hälfte von Philipps Schiffen kehrt zurück.

Philipp regiert sein Land wie ein königlicher Bürokrat. Er verlegt die Hauptstadt nach Madrid, baut hier den riesigen Escorial, Kloster und Palast zugleich. Tag für Tag studiert er hier die Akten aus seinem Weltreich. Er unterdrückt jede religiöse Freiheit, fördert aber zugleich Literatur und Kunst. In seinen letzten Jahren lebt er allein mit seinen Höflingen. Seine vierte Frau hat er überlebt, ebenso wie drei seiner Kinder. Gichtkrank ist Philipp drei Jahre ans Bett gefesselt, bevor er am 13. September 1589 stirbt.

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22. May 2007, 07:28   #174
Jules
 
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22. Mai 1907: Schauspieler Sir Laurence Olivier geboren

Wen die Briten zu ihren Größten zählen, den würdigen sie mit einem Grab in der Londoner Westminster Abtei. Diese außergewöhnliche Ehre wurde auch einem der bedeutendsten Schauspieler des 20. Jahrhunderts, Sir Laurence Olivier, zuteil. Kritiker rühmen den am 11. Juli 1989 Verstorbenen, den Queen Elizabeth als einzigen Vertreter seiner Zunft zum Lord geadelt hat, als "Statthalter Shakespeares auf Erden". Über sich selbst schrieb Olivier in seinen Memoiren: "In meinem Innersten weiß ich, dass ich mir selbst nicht sicher sein kann, wann ich spiele und wann nicht ..., wann ich lüge und wann nicht. Denn was ist Schauspielerei anderes als Lügen?"

Sein oder Nicht-Sein? Dieser Schicksalsfrage, die er als Hamlet hunderte Male auf der Bühne und im Film deklamierte, wich Sir Laurence in der Realität ein Leben lang aus, erzählt sein Sohn Richard Olivier. Sich selbst als Mensch zu entdecken, diese Idee sei dem Vater nie in den Sinn gekommen, sei von Beginn an nicht Teil seiner viktorianischen Erziehung gewesen. Bereits als Neunjähriger macht der am 22. Mai 1907 im südenglischen Dorking geborene Pfarrerssohn durch sein außerordentliches Schauspieltalent auf sich aufmerksam. "Natürlich gehst du zur Bühne", bestimmt sein Vater. Doch die großen Erfolge lassen nach Oliviers Ausbildung an der London Central School of Dramatic Art zunächst auf sich warten. Erst mit den Klassikern, mit Shakespeare, gelingt der Durchbruch. Durch seinen leidenschaftlichen, realistisch-schroffen Stil schafft es Olivier, den zur Lithurgie erstarrten Versen des National-Dramatikers neues Leben einzuhauchen. Er zieht sich die Rollen an wie Mäntel, wird zum unübertroffenen Meister in über 100 Bühnenrollen und macht Shakespeare populärer denn je, auch bei Menschen jenseits der kulturellen Elite.

Zunächst mehr aus finanziellen Gründen arbeitet Laurence Olivier ab 1931 auch als Filmschauspieler. Regisseur William Wyler, mit dem er 1939 "Wuthering Heights" (Stürmische Höhen) dreht, gelingt es, den Bühnen-Star auch von den künstlerischen Möglichkeiten des neuen Mediums zu überzeugen. Im Jahr darauf macht ihn Alfred Hitchcocks"Rebecca" weltbekannt. 1948 wird Olivier für seine "Hamlet"-Verfilmung mit zwei Oscars ausgezeichnet. Legendär auch unter jüngeren Filmfans ist die Zahnarzt-Szene aus "Der Marathon-Mann" (1976), in der Olivier als ehemaliger KZ-Arzt mit gnadenlos beiläufiger Brutalität Dustin Hoffman auf dem Zahnarztstuhl ins Verhör nimmt.

Trotz schwerer Krankheiten ist sich Laurence Olivier bis ins hohen Alter nicht zu schade, auf der Bühne, im Film und im Fernsehen auch Nebenfiguren mit seiner prägnanten Darstellungskunst zu adeln. Mit 82 Jahren stirbt Lord Olivier of Brighton in einem Londoner Krankenhaus.

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23. May 2007, 07:31   #175
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23. Mai 1917: Geburtstag des Meteorologen Edward Lorenz

An einem Wintertag im Jahr 1961 kommt Edward Norton Lorenz in sein Büro am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT). Der Professor für Meteorologie arbeitet dort an einem zuverlässigen Prognosemodell für das Wetter. Lorenz gibt Daten in seinen Computer ein und lässt eine Simulation berechnen. Kurz darauf wiederholt er das Experiment und rundet seine Zahlen auf die dritte Stelle hinter dem Komma. Varianten im Tausendstelbereich, denkt man damals, können keine große Wirkung haben. Der Forscher geht in die Kantine. "Als ich nach etwa einer Stunde wieder in mein Büro kam, hatte der Computer für ungefähr zwei Monate das Wetter simuliert", erinnert sich Lorenz. "Die nun ausgedruckten Ziffern hatten nichts mit den alten gemeinsam". Kleinste Veränderungen, schlussfolgert der Forscher, können eine große Wirkung haben. Das Wetter lässt sich nicht auf Dauer voraus berechnen. Der Himmel handelt chaotisch. Die Chaostheorie ist geboren.

Lorenz kommt am 23. Mai 1917 in West Hartford (Connecticut) zur Welt. Er studiert in Harvard und am MIT, und arbeitet während des Zweiten Weltkriegs bei der Armee. Dann kehrt er ans MIT zurück. Seine Chaostheorie krempelt die Meteorologie vollkommen um. Bisher waren Wissenschaftler davon ausgegangen, dass sich jedes Wetter auf Monate hinaus genau im Voraus berechnen ließe. Heute weiß man: Lorenz hatte recht. "Für den Folgetag sind wir zu neunzig Prozent richtig", sagt etwa ARD-Wettermann Sven Plöger. "Dann rechnet man in die Zukunft und macht dabei zwingend Fehler. Dann wird das Modell in seinem Ergebnis über die Tage immer schlechter."

1972 hält Lorenz in Washington einen Vortrag mit dem Titel "Kann der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen?" Lorenz´ Antwort: Er kann. Fortan wird die kleine Ursache mit der großen Wirkung auch "Schmetterlingseffekt" genannt.

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