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19. June 2002, 15:35   #1
tw_24
 
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Registriert seit: May 2002
Beiträge: 1.018
Kein Stadtteil-/Straßenfest mehr ohne Krawalle?

Einmal im Jahr feiert der Dresdener "Szene-Stadtteil" Neustadt sich selbst. Zu diesem Zweck wird für ein Wochenende die Bunte Republik Neustadt (BRN) ausgerufen, in der zwar nicht alles anders, aber vieles doch ein wenig bunter und alternativer ist als sonst.

Wenn die Sonne scheint, werden Sofas auf die Straßen gestellt - der schnöde Straßenverkehr wird ja ausgesperrt -, allerlei Stände gezimmert, an denen es eigentlich nichts gibt, was es nicht gibt, angefangen vom uralten DDR-Romanheftchen bis zu irgendwelchen obskuren CDs noch obskurerer Bands. Ungefähr alle vier, fünf Meter steht ein Lautsprecher, der gespeist wird von einer wütenden Punk-Band, einem Hip-Hop-DJ hinter Gittern, dafür aber mit authentischen Technics-Plattenspielern und erstaunlich hitzeresistenten Vinyl-Scheiben, einem Techno-Freund, der irgendeinen DJ-Mix aus dem Internet heruntergeladen und auf CD gebrannt hat, einer bunten Band, die Weltmusik im weitesten Sinn spielt - akustisch nicht immer ein Genuß, aber in der Vielfalt beeindruckend.

Nicht weniger vielfältig auch das Catering. Dresden-Neustadt, ohnehin bekannt für unheimlich viele Lokale und eine einzigartige Internationalität beim Speisenangebot, wird aus Anlaß der BRN beinahe noch abwechslungsreicher, denn neben den "professionellen" Lokalitäten kann sich in diesen drei Tagen jeder als Bäcker, Koch oder Wirt versuchen - die einen bieten einfach nur eisgekühltes Flaschenbier an, während andere unheimlich ökologisch wertvolle Brotsorten anbieten oder nur gutdeutsche Erdbeertorte - der Euro rollt, außer den Bierpreisen sind alle Preise mehr oder weniger verhandelbar - wenn man nicht gerade als Tourist auf der vergeblichen Suche nach dem Flair des "Szeneviertels" erkennbar ist, das man halt nicht fotographieren und/oder kaufen kann.

Also, eigentlich ist die BRN eine geniale Erfindung, ein Volksfest an dem viele Spaß haben, das indes eben nicht von einer zentralen Organisation lebt, sondern von der Eigeninitiative der vielen privaten und in Vereinen organisierten Teilnehmer.

Und dennoch, aus der Community der vergangenen Jahre ist mittlerweile beinahe nur noch eine Art Event geworden für Nicht-Neustädter und - noch schlimmer - Touristen, die sich in Massen durch die Straßen wälzen und auf der Suche nach dem Geist des "Szene-Viertels" allenfalls noch eine Spezialitäten-Gaststätte entdecken, die man ja vielleicht irgendwann mal besuchen könnte ...

tw_24 war am Sonnabend Gast, der diese Zweiteilung in "Gastgeber" und Gäste durchaus verspürte, doch am Sonntag saß ich dann mit auf der Couch einer gemeinnützigen Jugendinitiative einer mir nicht ganz unsympathischen Partei, plauderte fröhlich mit den Bekannten und warf gelegentlich einen abschätzigen Blick auf die ziellos durch die Straßen sich quälenden "Fremden". Das Bier schmeckte mit jedem Schluck besser, bezahlten es doch die "Zugereisten" ;-), und trotzdem, die BRN verkommt mehr und mehr zu einer langen Theke, ist also nicht unbedingt als touristische Attraktion zu empfehlen auch wenn Reisebüros das Gegenteil behaupten.

Wie auch immer, der zivile Teil der BRN war - so oder so - nicht übel, das wahre Übel kam dann immer erst nach Mitternacht.

Dann nämlich wurde und wird die BRN seit drei Jahren zum "Kreuzberg" des Ostens. Krawallierende Dummköpfe meinen, ihren Frust gewalttätig ausleben zu dürfen - und im schlimmsten Fall nennen sie das dann auch noch "politischen Widerstand", der sich freilich dann nur auf die "Erfolgsmeldung" reduziert, sie hätten "es denen" wieder "richtig gezeigt". Was "es" ist, wissen sie selbst wohl auch nicht so genau, deshalb übten sie vermutlich auch am vergangenen Wochenende drei Nächte lang die gewalttätige Konfrontation mit beinahe ritterlich gepanzerten Polizisten aus Sachsen (very nervous) und anderen Bundesländern, die zurückhaltender vorgingen als ihre heimischen Kolleginnen und Kollegen und damit wohl die eine oder andere Schlägerei vermieden.

Doch auch wenn mir die uniformierten und gepanzerten Grünen eigentlich alles andere als sympathisch sind - in diesen Nachtstunden der BRN bin ich froh, daß es sie gibt, habe ich einen Riesenrespekt vor ihnen und ihrem teilweise wirklich dicken Fell. Zugleich fühle ich mich aber auch ein wenig durch ihre Präsenz bedroht, gebe ich zu.

Nun, nicht sie sind es jedenfalls, die den Geist der BRN mißbrauchen und zerstören, sondern diese meistens nicht einmal betrunkenen "Alternativen", die unter den Pflastersteinen den Strand suchen, diese spätpubertierenden 68er, deren Feindbild am Ende so einseitig ist, daß ihnen eine Zeitreise in das Jahr 1968 gegönnt werden sollte, wenn dies möglich wäre. Damals gab es noch politische Ziele (Ja, ich war noch nicht geboren, habe aber das eine oder andere Buch gelesen ...), während sie heute nur noch Krawall machen wollen, um sich dann als Märtyrer feiern zu lassen - ohne eine ernsthafte Antwort auf die Frage geben zu können, warum sie z.B. Feuerwerkskörper auf friedliche Besucher abschießen.

Das geht nun schon seit ca. drei Jahren so, aufgerüstet wird immer auf beiden Seiten - und es endet, wie es enden muß. In enthemmter, unsinniger Gewalt, die nicht einmal einen politischen Hintergrund hat - die Täter kommen dann auch zum großen Teil gar nicht aus der Dresdener Szene, schon gar nicht aus der politischen.

In Berlin-Kreuzberg kann ich nur distanzierter Beobachter sein, bei der BRN frage ich mich dagegen schon, was nicht ganz richtig läuft. Können Jugendliche und jüngere "Erwachsene" ihren Frust nicht am PC abreagieren? Oder gehört ab einer gewissen Größe der Veranstaltung das Ausbuddeln von Pflastersteinen einfach dazu?

Das Fazit der BRN vom Wochenende: am Tag und in den frühen Abendstunden eine gelungene Veranstaltung, in den späten Nachtstunden dagegen lieferten sich Vermummte Straßenschlachten mit teilweise überforderten Dresdener und routinierteren Polizisten aus anderen Bundesländern - es gab ein paar Dutzend Verhaftungen. Und sollten die Stadtoberen auf die Idee kommen, die nächste BRN nicht zu genehmigen, könnte ich das verstehen, auch wenn das bedauerlich wäre.

MfG
tw_24
 
20. June 2002, 15:44   #2
quentin
 
Registriert seit: April 2002
Beiträge: 1.693
tw , 68 er. Alles fing erstmal in den Unis an, die Unzufriedenheit mit den studentischen Verhältnissen. Wer weiß denn noch, dass manche Studenten durchaus beim Prof. die Gartenarbeit machten um eine Zulassung fürs Dipl. zu bekommen. Prof. waren die Herren und unantastbar. Diese in der Regel alten Naziärsche hatten ausgedient, man hätte sie aufhängen sollen
Dann gab es eine Politisierung der Studentenschaft, der ASTA hatte keine Antworten, die auch nur im Ansatz die Fragen befriedigten, teilweise waren sie Erfüllungsgehilfen der Profs, weil sie ihren eigenen Arsch in Deckung bringen wollten. Das hätte ihnen ja keiner wirklich krumm genommen, aber sie hatten sich als studentische Vertretung wählen lassen und das machte sie dann zu Drecksäcken.
Dann war ein weiterer Indikator der Vietnamkrieg, der die Meinungen auseinander trieb. Man hatte damals Realkrieg jeden Abend im TV.
Des Weiteren hatte das Paktieren der Adenauerära mit Diktaturen in aller Welt politisch Denkende, auch wieder die Studentenschaft, auf die Palme gebracht, die Arbeiterschaft und die SPD waren die gleichen Arschlöcher, die sich damals wirklich nur um ihr Auto kümmerten, das Völker unterdrückt wurden, war ihnen scheißegal.
In diese Situation kam der Schah mit seinen Prügelgards und die ehem. Brandtsche SPD - Prügelpolizisten aus Berlin, die ein widerliches Schauspiel ablieferten.
Brandt - Weinbrand - Willi - wurde nie mit den Studenten fertig, hat sie niemals verstanden, deswegen ist der Knallkopp auch von Wehner gefeuert worden - berühmter Ausspruch, -der Herr badet gerne lau -. Schumacher war ein deutscher Sozialdemokrat, hat es nie verleugnet. Bei Brandt bin ich mir nicht sicher, was der war. Enger Vertrauter Wienand, den sie gerade eingebuchtet haben, der war damals schon krumm.
Das zu 68
Es gab also sehr wohl politische Hintergründe.

mfg
 
20. June 2002, 18:38   #3
tw_24
 
Benutzerbild von tw_24
 
Registriert seit: May 2002
Beiträge: 1.018
Zitat:
Zitat von quentin
Das zu 68
Es gab also sehr wohl politische Hintergründe.
Ja, mein Reden. Die Typen, die da auf die uniformierte Staatsgewalt losgehen, sind nur dumme Chaoten, die Gewalt ohne weitere Begründung ausüben. Dagegen wehrt sich mittlerweile ja auch sogar die richtige Szene der Neustadt.

Mich als Besucher/Gast/Mitmacher der BRN überkommt angesichts der nächtlichen Gewaltorgien - eine Freundin wohnt vor Ort und ihre Wohnung hat einen Balkon - einfach die schiere Verzweiflung. Da will man politisch diskutieren, agitieren, propagieren - und dann sorgen ein paar dumme Krawalltouristen dafür, daß die BRN nicht als chaotisches selbstorganisiert-unorganisiertes Stadtteilfest in die Geschichte eingeht, sondern als Ausbruch unsinniger Gewalt.

Das nervt. Das geht einfach über meinen Horizont.

MfG
tw_24
 
20. June 2002, 18:53   #4
quentin
 
Registriert seit: April 2002
Beiträge: 1.693
Ich habe nie in einem Wohnsilo wie in HH oder auch Berlin gelebt, stell es mir aber fürchterlich vor. Ich habe am Anfang bei den Kreuzberger Festspielen am 1. Mai durchaus Sympathien für die Randale gehabt, da ich einen realen Background dafür sah. Was heute abläuft, ist einfach nur Zerstörung weil es einen Kick gibt, scheinbar auch in Dresden ohne überhaupt den Ansatz einer Rechtfertigung zu haben. Was ich höre, sind Worthülsen.

mfg
 
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