[Glühwürmchen]

Da hänge ich doch neulich in meiner Lieblingskneipe beim Sven und schlürfte ein paar Gaffel (Nur Küsse schmecken besser). Für Dorf-Verhältnisse war es früh am Abend, kurz vor 21 Uhr. Die Kneipe (Die mit den ausgeschlafenen Gästen) war noch ziemlich leer. Ich hatte weder viel zu gucken noch zu tun, weswegen ich mich seit gut einer Dreiviertelstunde, entspricht in etwa zweieinhalb Gilden (Kultur beginnt im Kopf – Auf der Zunge, um genau zu sein), auf das Bauchnabelpiercing des Wirtes fixierte. (Keiner macht mehr an) Netter Bauch. Netter Nabel. Nettes Piercing. Mit einem Tatoo umrahmt. Besser als jedes Brosnan-Berry-Kinospektakel. (Erlaubt ist, was Spaß macht) Das gelbe knallenge T-Shirt (Die gelben Engel) endete weit oberhalb des Bauchnabels; die Smirnoffice-Kellnerschürze (sprich: Smirnoff-ICE, nicht Smirn-OFFICE) begann weit unterhalb der zu erwartenden Schamhaargrenze. (Für das Beste im Mann) Sehr nett.
Während ich so schlürfte und starrte, das Etikett des Bierdeckels abgnibbelnd, kreisten meine Gedanken um die neumodisch-neurotische Sitte des durchschnittsverdienenden Mitteleuropäers, jedwede Gelegenheit mit einem Werbeslogan zu kommentieren.

Meine Freundin Gisela zum Beispiel. Mit Gisela frühstücke ich manchmal in meinem Büro (Das erste Extra des Tages), um die weltpolitische Lage unter ethisch-moralischen Gesichtspunkten aus der Sicht eines sozial-idologischen Metro/Cosmopoliten zu diskutieren. Gisela bekommt kein halbes Brötchen geschmiert, keinen Schluck Kaffee in den Mund, ohne diesen nicht mit dem dazugehörigen Werbespruch summend oder brummelnd zu untermalen. "Rhababerrhabarberrhababer", "Schmeckt wie frisch gepresst.", "Das erste Extra des Tages.", "Wie immer?", "Rama macht das Frühstück gut.", "Gute Hunde. Guter Pool...", "Der frische Franzose.", "Doh hascht woas dra-uf". In einer Tour. Das Messer gleitet über die Butter, Gisela plappert. Ich weiß nicht was ich beim frühstücken mit Gisela mehr genieße, ihre geopolitischen Ansichten oder die Werberetrospektive des letzten Jahrzehnts.

Während ich so grüble, schlürfe, gnibble und starre (Zoooom, Zoooom, Zoooom), klopft es doch plötzlich an meiner Schulter. Herein! Ich dreh mich um und sehe ein mir vertrautes Gesicht
"Ey, Karin, altes Haus." Ich stutze, starre den Typen an, verzweifelt auf der Suche nach seinem Namen (Hallo Herr Kaiser!). Irgendwie erinnert er mich an Hägar (Kein Sex. Aber 18 Millionen Kontakte?). Begeistert schreie ich: "Hi", noch immer fern jeder Ahnung, um wen es sich bei meinem Gegenüber eigentlich handelt. Früher hatte ich ein gutes Namengedächtnis. Aber heute? Liegt's am Alter? Fortgeschrittener Alkoholismus? (Lochfraß... da hilft nur Calgon).
"Mensch Karin. Was machste so?" Hmmm. Was mach ich eigentlich so? Der Bedrängnis der Frage weiche ich mit einem geschickt-geschlingerten: "Das was ich immer mache," aus. Weiß der Typ was ich mache?
"Machste noch immer in Baupläne?" Er weiß! "Klar mache ich noch in Pläne." Wohlwissend was jetzt folgen möge, erspare ich mir die brennend auf der Zunge schwelende Und-Du-Floskel. Vergebens.
"Ich mache jetzt in Videos. Hab 'ne eigene Produktion aufgebaut." (Probier mal was Neues. Und Coke bei 3 Grad). "Cool", nicke ich respektvoll. "Ja, läuft gut", fährt er fort, "natürlich nicht so gut wie am Anfang. (Hirnlosigkeit heute - Arbeitslosigkeit morgen) Aber Du weißt ja... Neubranche und so." (Sie baden gerade Ihre Hände drin).
"Hmmm," nicke ich weiter. Subversives Geflüster seinerseits: "Hast schon gehört, die Firma XVZ ist platt." "Hmmm", Zustimmung meinerseits, "hab ich gehört." "Ganz schön krass, oder? Ich mein, so ein Riese wie XYZ. Bankrott." (So läuft's Business) "Falsches Pferd, würde ich sagen", in Angedenken an meine 39-Euro-Aktien. Gott habe sie selig.
Ein kurzes Nicken in Richtung Bauchnabelpiercing, und der Schnuckel stellt mir ein neues Gaffel (Reife kommt mit dem Alter. Auf Frische muss man nicht warten) hin. (Danke, Eni). Kann ich das mit zehn XYZ-Aktien bezahlen?

"Das ist übrigens meine Freundin Beate", dabei nickt er seitlich auf ein kleines, unscheinbares, sofort errötendes Wesen (Die mit dem Kupferkopf) mit dicken Brillengläsern (Mit dem Zweiten sieht man besser) und riesiger Oberweite. (Die Milch macht's). "Wir wollen demnächst heiraten". (Einmal gepoppt...)
"Glückwunsch (Mit Sicherheit ein guter Partner)", entfährt es mir eher instinktiv als ehrlich, "Wollt Ihr was trinken?" "Ein Bier für mich." (Die so schön gebriggelt hat in meine Bauchnabel...) "Ich hätt’ gern ein Rigo", säuselt die Demnächstangetraute (Just Bacardi, Lemon and Soda).
Ich bestelle also die Drinks (So gut wie selbst gemacht) und folge dabei verzückt der Kehrseite des Bauchnabelpiercings.
"Arbeiteste noch mit'm Hendrik?", reißt es mich aus meinen zensierungpflichtigen Gedanken. "Sicher", entgegne ich, wohlwissentlich erneut mit voller Absicht die Und-Du-Floskel vermeidend.
"Ich arbeite ja auf'm PC" (Intel Inside). "Hab 'nen billigen Rechner geschossen (Geiz ist geil) mit FireWire, mir 'ne DV-Kamera gekauft, und ab geht's." (Go create!)
Uh, oh, denke ich bei mir, das wird ja ein ganz besonderes reizendes Gespräch.
Es folgt, wer hätte es erwartet, eine chronologisch korrekte Abfolge seiner Produktionen. Wahrlich ein potentiell ganz erstklassiges Showreel: Hochzeitvideos, auch auf DVD, Einweihung des Autohökers drei Strassen weiter (Createur d' Automobiles), Einschulung des Patenkindes (Morgens halb zehn in Deutschland) -- für nur 10 Euro auch für jedes andere Elternpaar auf VHS, für 15 Euro auf DVD (Fast so nah, als wär man da); Angelvideos, Straßenfest mit Kettenkarussell (Verleiht Flügel), Ortsbegehung (Wir öffnen Horizonte), Arbeitsablauf des hiesigen Kuvertierservices, Urlaubsvideos für das Haushaltsarchiv (Neckmann macht's möglich), Großauftrag vom verschwägerten Immobilienmakler (Auf diese Steine können Sie bauen). Ich erblasse vor Neid, lutsche in der Zeit noch zwei Gaffel leer (Wenn's mal wieder länger dauert) und schaukle gedanklich auf dem Bauchnabelpiercingring.
"Und", reißt es mich aus der Trance, "was hast Du in letzter Zeit so gezeichnet?"
"Pornos", entfährt es mir spontan. Er schluckt, seine Freundin erblasst, ich grinse innerlich von Milz bis Blinddarm. "Wollt Ihr noch'n Drink?" (Der Deutsche mit dem trockenen Akzent)

Abrupter Themenwechsel. "Arbeitest Du noch mit Planum?" "Sicher." (Ich will so bleiben wie ich bin) "Zufrieden?" Was 'ne dämliche Frage. Aber sie hält das Gespräch in Gang. "Natürlich bin ich zufrieden." Es folgt... der verhängnisvollste Fehler des Abends: Die irgendwann doch unvermeidliche "Und du?"-Floskel. Oh, oh, oh.
"Ich bin jetzt auf EditionDV umgestiegen. Von Premiere." Was'n Upgrade... "Kennst Du EditionDV." "Mmmhhmm", nicke ich schlaubergerisch, "das war doch mal das FAST-Geschrödel." (Raider heißt jetzt Twix) "Ja genau. Aber es sind ganz viele neue Fiedschahs dazugekommen. Echt geil, sag ich Dir." "Glaube ich Dir ungesehen." "Das sind jetzt diese ganzen Effekte... Übergänge... und wenn Du Mitglied bist im Hollywood FX Club, kriegste noch mal 200 Übergänge dazu (Mit Kamille, Myrre, Minze und Salbei). Kostet nur 15 Dollar (Wenn's denn schee mocht). Krass. Da sind Special Effects dabei, das glaubst Du nicht." Es folgt, ungelogen ohne Luft zu holen, die Komplettliste aller Übergänge und Effekte. (Blackunddeckerblackunddeckerblackunddeckerblackunddeckerblackunddecker). Damit ich den Abend überlebe steige ich zwischenzeitlich um auf Whiskey. (Für meine Zukunft sehe ich blau)
"Willst Eis?" säuselt das Bauchnabelpiercing. Ich schüttle den Kopf. (Nur ein Mann hat das Recht unseren Whiskey zu ändern) Er stellt mir den Drink hin (Knackiger Spaß im Glas) und lächelt! Lächelt! Waldmeisterwackelpuddingmitkaramellstückchenundsahnesüß (Die zarteste Versuchung).
"Ey, Karin," KAZONG! Holt mich doch die Gegenwart wieder ein (Mit einem Wisch ist alles weg) "Hat Final Cut auch so viele Effekte?" "Was?" "Naja, hat Final Cut auch so viele Effekte und Übergänge?" Ich starre Hägar an, als sei er aus einer anderen Welt. "Äh... ja. Nein. Weiß nicht." (Klingelts?) Nachdrücklichkeit war schon immer meine Stärke. "Nee, eigentlich nicht. Zumindest keine 350 Übergänge." "Was für Effekte setzt Du denn ein?" Uhhmmmm. Keine? Die Antwort würde ihn überfordern. "Naja, hauptsächlich die Farbkorrektur."
Diese Antwort überforderte ihn. "Keine Effekte?!? Nur Farbkorrektur?" "Naja, hauptsächlich. Ab und an auch Dissolves, oder 'nen ProAmp." (Weil das Besondere ganz normal ist) "'Nen was?" (Das Leben ist zu kurz für eine lange Leitung) "Egal. Farbkorrektur." (Gut, es genau zu wissen)
"Mach ich nie." Seine Antwort überforderte mich. "Naja, mein Motto ist: Wer gut filmt muss keine Farbkorrektur machen. Ich filme ja selbst." (Vielleicht hätte er jemand fragen sollen, der sich damit auskennt). Tatsächlich. (Guck mal, Konika) "Die Farbkorrektur von Final Cut Pro ist ziemlich gut (Macht so sauber, dass man sich drin spiegeln kann)", hake ich ein, "machst Du nie Farbkorrekturen?"
"Nö. Hab ich mich auch nie mit beschäftigt. Chromananz. Lumananz. Versteh ich nichts von." (Die Geschichte der Mensturation birgt viele Missverständnisse)
"Aber Du musst doch ab und an mal Clips..." Ich halte abrupt inne. War es das wert? Sollte ich den Satz vollenden? (Die klügere Zahnbürste gibt nach)

"Ich möchte jetzt gehen." Dem Hägar seine Frau. Mann, wie hieß die denn noch? (Zuschriften mit korrekter Antwort bitte an: Karin @ hotmail.com) "Wollen wir los, Schatz?", schon etwas bestimmter. (Camelia gibt allen Frauen Sicherheit und Selbstvertrauen) "Aber..." "Ich bin müde und will nach Hause." (Ganz schön herb, die Kleine). "Ich unterhalte mich doch gerade mit Karin." "Das kannst Du auch später noch." (Wer von Euch Döösbaddeln kann mir sagen, wer hier der Käpt'n is?) "Na gut. Karin, ich muss los!" (Wenn Dir Gutes widerfährt) "Kein Problem." "Lass mal treffen..." (The Future. Together. Now.) "...oder telefonieren (Ruf mich an!)." "Klar, machen wir." entgegne ich, zuversichtlich. (Ich freu' mich drauf!) "Hast Du meine Nummer?" "Sicher." Nur Deinen Namen nicht. "Sonst gibt's ja die Auskunft." (Da werden Sie geholfen) Telegate, was können wir Sie tun? Verbinden Sie mich mit dem EditionDV-User der aussieht wie Hägar.
"Denn mach's mal gut, Karin." (Gute Preise. Gute Besserung.) "Yo, Du auch." (Wo ist der Deinhard?)

Da saß ich nun an der Bar (Willkommen zuhause), bestellte mir noch 'nen Drink (Mix it, Baby) und verdaute das Gespräch (Zu-viel Salz). Das Werk ist insolvent, etliche Produktionshäuser knabbern an der Grasnabe (So schmeckt das Leben), und 'neue Profis' begründen sich auf Aldi-PC und 350 Echtzeit-Übergängen (Mit TEAD-System). Wer schluckt hier eigentlich wen? Und... was bleibt übrig? Setzt man zukünftig Ulead Media Studio für Werbeproduktionen ein? (Nichts ist unmöglich).
Nicht mal das Bauchnabelpiercing half mir aus meiner Kurzzeitdepression. (Bitte bleiben Sie gesund) Heute ist die Hälfte aller Brontosaurier pleite. Noch viel pleiter als die Bundesregierung. Nicht so viele Schulden, aber weit weniger als 25 Millionen (Steuer-)Debitoren. Einfach Tot. Und wir? Uns geht es gut. Sehr gut sogar. Her mit dem nächsten Drink. (Zwei Worte: Ein Bier) Warum rumdepressiven? Wir haben es geschafft, uns mit unserer Guerilla-Taktik durchzumogeln. Volle Auftragsbücher. Profit nah an der Grenze zur Excel-inkompatiblen Nulldivision. Aber das Ziel? Was ist das Ziel? (Wir machen den Weg frei) Wachsen wir, sterben wir. Schrumpfen wir, sterben wir. So bleiben wie ich bin? (Wer ist eigentlich Paul?) Not 'My way'. To think I did all that, and may I say, not in a shy way. Oh no, oh no not me! Zu dumm, dumm, dumm. Zwickmühle. Too darn hot. Kiss me, Kate.


Die Tür schwang auf (Fly my way) und meine Freundin Gisela tritt ein. Hocherfreut schließe ich sie in die Arme (WAAAAAZZZUUUP?). Was für 'n Abend. Profis unter sich. Ich bestell gleich noch ein Drink (3... 2... 1... - meins!)