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19. September 2002, 06:48   #1
tw_24
 
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(Info) Irak: Nie wieder Scheckbuch

Schröders "Nein" zum Irakkrieg ist nicht nur ein Wahlkampfmanöver und hat mit Friedenspolitik
dennoch nichts zu tun

von Manfred Sohn

"Der Kanzler braucht einen Krieg, ... keinen wirklichen, ... nur als Möglichkeit, als Bedrohung", tobte Berthold Kaiser am Nagasaki-Tag auf Seite l der FAZ und behauptete damit ein weiteres Mal, was unzählige seiner Journalistenkollegen schon die ganze Woche vorher gemutmaßt hatten: Das laute "Nein!" Schröders zum geplanten Feldzug gegen den Irak, das er zum Wahlkampfauftakt am 5. August in Hannover in die Mikrofone rief, sei nichts als ein Stimmenfangmanöver.

Dafür spricht in der Tat einiges. In Umfragen sprechen sich rund 90 Prozent der Wahlbürger gegen eine Teilnahme Deutschlands an Militäraktionen gegen Bagdad aus. Es wäre für jeden ordentlichen Wahlkämpfer schlicht hirnrissig, dieses Potential allein der PDS zu überlassen, statt zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: die Schmuddelsozialisten aus dem Parlament zu kehren und aus dem "Antikriegs"-Reservoir so viele Stimmen zu fischen, daß es am 22. September dann doch noch reicht. Kein Wunder, daß Fischer auf diesen neuen Friedenzug aufsprang - und dabei dann noch Schröder in die nationalistische Ecke zu drücken versuchte, indem er sagte, er wolle aus dem deutschen "Nein", das ja einen nationalistischen Irrweg bedeute, ein europäisches "Nein" machen.

Sicher ist wohl nur eins: Nach dem 22. September ist das alles nichts mehr wert. Am 23. September treffen sich die Staats- und Regierungschefs der NATO, um über das weitere Vorgehen im Nahen Osten zu sprechen. Wahrscheinlich hält die Schamfrist bis dahin, weil die USA ja bekanntermaßen selbst noch nicht soweit sind, bald loszuschlagen. Aber jedem denkenden Menschen ist klar, daß zwischen dem 23. September und dem Frühjahr, in dem es spätestens losgehen soll, ein paar "neue Erkenntnisse" auftauchen werden, die Außenminister Fischer - wenn er den Job dann noch hat - vor die Kamera treiben, wo er mit sorgenzerfurchter Miene darauf hinweisen wird, daß schreckliche neue Tatsachen die Deutschen nun zwingen würden, doch mitzufliegen und mitzubomben.

Also alles Asche? Doch wohl nicht ganz. Bleiben wir noch ein wenig auf der Wahlkampfbühne. Kurz nach Schröders Äußerung mahnte Schäuble, der sich als Außenpolitiker in Stoibers "Kompetenzteam" gebettelt hatte, obwohl klar ist, daß nicht er, sondern ein FDPler gegebenenfalls Fischer beerbt, diesen "deutschen Sonderweg" nicht zu betreten, sondern fest an der Seite der USA zu bleiben. Davon war kurz danach aber schon nichts mehr zu hören; statt dessen erklärte Stoiber am 8. August in Prizren, der deutsch verwalteten Provinzstadt im Kosovo, daß die Bundeswehr hinsichtlich ihrer Außeneinsätze an der Kapazitätsgrenze angelangt sei. Das war deutlich, auch wenn er sich hinterher weigerte, noch etwas zum Irak zu sagen, weil dazu zur Zeit keine Entscheidungen anstünden.

Die Kosten-Nutzen-Rechnung

Der Wahlkampf verbirgt in der Regel mehr als er zeigt. In diesem Fall aber wird nicht gelogen. Es gibt nicht nur in den USA, sondern in weit stärkerem Maße in Deutschland erhebliche Zweifel am Nutzen eines Kriegs gegen den Irak. Lassen wir das Menschenrechtsgetröte, das in der Politik billig ist wie Himbeeren im Sommer, beiseite. Vergessen wir auch das Massenvernichtungsgeschrammel, das so tut, als könne der Irak in den nächsten Monaten die USA ausradieren.

Worum es geht, ist so klar wie 1991: Es geht um Öl. Der Irak ist das Land mit den zweitgrößten Ölreserven der Welt. Offiziell fördert es heute pro Tag 1,2 Millionen Barrel, Bagdad selbst hat angekündigt, es könne die Fördermenge nach Aufhebung der Wirtschaftssanktionen auf 6 Millionen erhöhen. Das würde den Ölpreis deutlich drücken - und damit die Produktionskosten der kränkelnden Wirtschaften in den USA, der EU und Japan senken. Es würde aber den Irak zu etwas machen, was 1991 ja gerade vermieden werden sollte: zu einer von den USA unabhängigen, große Teile Arabiens dominierenden Mittelmacht. Die eindeutig reizvollere Variante ist, den früheren Kumpel Hussein zum Teufel zu jagen und die Förderung dieser Reserven direkt in die treuen Hände der US-Ölkonzerne zu legen. Der Widerstand der gesamten Region gegen einen Angriff auf Bagdad resultiert zum guten Teil daraus, daß der dann folgende Öl-Preisverfall beispielsweise die Staatseinnahmen Saudi-Arabiens, die zu zwei Dritteln aus Ölerlösen resultieren, dramatisch reduzieren würde. Aus dieser Annahme resultierende Vorbehalte der arabischen Welt machen eine zuverlässige Einkreisung des Irak schwierig, und das wiederum schmälert die Aussicht auf einen schnellen Sieg.

Die Lage ist unübersichtlich, und bekanntlich sind Kriegsergebnis-Vorhersagen noch unzuverlässiger als Wettervorhersagen. Das ist der eine Grund für das deutsche Zögern: Die Deutschen spüren die Unsicherheit selbst des Pentagon. Und für den Fall des Scheiterns der USA wären Dokumente der Distanz für spätere Wirtschaftsverträge deutscher Konzerne mit dem Irak hilfreich.

Der Irak ist weit davon entfernt, isoliert zu sein. Innerhalb der letzten Jahre ist es Hussein gelungen, mit zehn arabischen Staaten Freihandelsabkommen zu schließen, und auch das US-treue Saudi-Arabien hat die Verhandlungen um seinen Beitritt zu dieser neuen, um den Irak herum gruppierten Freihandelszone zum Leidwesen Washingtons nicht verschleppt, sondern in den letzten Wochen intensiviert.

Über das UN-Programm "Öl für Nahrung" hat der Irak seit 1997 insgesamt Öl für 36 Milliarden Dollar exportieren können. Jeder halbwegs Informierte weiß, daß damit Nahrungsmittel und Medizin meist nicht zu dem Zweck gekauft wurden, um sie an die Bevölkerung weiterzugeben, sondern daß diese Waren für Devisen via Jordanien, Iran, Syrien und auch Saudi-Arabien wieder in den Weltmarkt zurückflössen. Dazu kommen nach vorsichtigen Schätzungen pro Jahr wenigstens zwei Milliarden harte Devisen aus den Verkäufen geschmuggelten Öls. Der Irak ist also kein armes Land; er verfügt Jahr für Jahr über eine liquide, wahrscheinlich zweistellige Dollar-Milliardensumme für Militärprogramme.

Die Abwicklung all dieser Geschäfte läuft über die angrenzenden arabischen Staaten. Was das mit deutscher Politik zu tun hat, ist rasch erklärt. Gehen wir, einen Atlas und den Fischer Weltalmanach auf dem Schreibtisch, die Anrainerstaaten durch:

- In Saudi-Arabien rangiert Deutschland mit sieben Prozent Importanteil nur an vierter Stelle hinter den USA, Japan und Großbritannien.

- Im Iran aber (der zweite Schurkenstaat, der an der Reihe wäre, wenn Bush mit Hussein fertig ist) rangiert Deutschland mit 11 Prozent aller Importe auf Platz l -die USA tauchen dort auf den ersten 9 Plätze nicht auf.

- Ebenfalls Platz l - mit 15 Prozent aller Importe - nimmt Deutschland in der Türkei, dem nördlichen Nachbarn des Irak, ein. Die aktuellen Regierungswirren dort haben auch damit zu tun, daß die USA versuchen, dieses Land zur Startrampe gegen den Irak zu machen, die gegenwärtige Regierung in den letzten Jahren die Beziehungen zu Bagdad jedoch deutlich und profitabel verbessert hat.

- In Syrien ist Deutschland hinter Frankreich mit 7,8 Prozent aller Importe Handelspartner Nummer 2.

- Haupthandelspartner von Jordanien ist mit 15 Prozent aller Importe (sogar nach offiziellen Angaben) der Irak, Nummer 2 Deutschland mit 11,5 Prozent.

Fazit: Der Irak handelt (mit nicht ab-, sondern zunehmender Intensität) fleißig mit den meisten seiner Nachbarn, teilweise legal, zu erheblichen Teilen wahrscheinlich am Uno-Boykott vorbei. Geld und Handelsgüter werden dort gewaschen. Das Land der Ersten Welt, dessen Industrie von diesen Staaten und damit indirekt von Iraks Ölerlösen am meisten Aufträge bekommt, ist Deutschland. Und Deutschland soll für einen Krieg mit Ungewissem Ausgang diese fein gewobenen Handelsbeziehungen aufs Spiel setzen? Kaufmännische Überlegungen sind daher neben dem Zweifel am schnellen Sieg der zweite Grund für die neuen Regieanweisungen an die deutsche Wahlkampfbühne.

Der dritte Grund

Wenn man schon mitmachen soll beim Überfall, dann muß was bei rumkommen, So etwas wie 1991, wird sich mancher in den deutschen Führungszirkeln sagen, läuft nicht noch mal. Der erste Golfkrieg hatte 61,1 Milliarden Dollar gekostet. Davon zahlten die USA nur 7,4 Milliarden, den Rest teilten sich überwiegend Saudi-Arabien, Kuwait, Japan und Deutschland. Bonn war mit einem 18-Milliarden-DM-Scheck dabei.

Angesichts dieser Summe ist der Ertrag eher mager ausgefallen. Weder in Kuwait noch in Saudi-Arabien ist es Deutschland gelungen, auf einen der beiden vorderen Plätze in der Importbilanz zu kommen. In beiden Ländern dominieren Maschinen und chemische Erzeugnisse "Made in USA" und "Made in Japan." Die enge deutsche Verflechtung mit den beiden arabischen Schmuddelkindern Iran und Irak resultiert also zu einem Teil auch daraus, daß die Scheckbuchdiplomatie kaufmännisch gesehen ein Flop war. Wer die Studien Rosa Luxemburgs über die Rolle der Gewalt in der Geschichte der Klassengesellschaft gelesen hat, weiß, daß Ausbeutung ohne Gewalt nicht funktioniert. Die Macht kommt nicht aus den Gewehrläufen allein, aber das Scheckbuch ist nichts wert ohne das Gewehr. Diese Lehre hat sich im Golfkrieg 1991 erneut bewahrheitet. Der projektierte Golfkrieg '03 wird mindestens so teuer wie der letzte. Das wären nach heutigen Preisen rund 80 Milliarden Dollar. Davon hatte dann Deutschland nach dem alten Schlüssel rund 8 Milliarden Euro zu tragen. Klar jedenfalls ist: Wenn Berlin sich jetzt an die Seite Washingtons stellt, antwortet Bush darauf mit der Forderung nach finanzieller Beteiligung. Die aber wird nach allen Erfahrungen keinen Ertrag bringen.

Wenn schon Krieg - das ist die Lehre, die Schröder und Fischer aus dem 1991er Flop gezogen haben -, dann nicht nur mit Geld, sondern mit Mann und Material. Also haben sie die Bundeswehr in alle Welt geschickt. Zur Zeit stehen deutsche Truppen in zehn Ländern außerhalb der deutschen Grenzen. Schröder selbst erklärte Anfang Juli, Deutschland habe nach den USA "die zweitmeisten" Soldaten Out of area stationiert - noch mehr als die Briten und Franzosen. Aber nun gibt es ein Problem. Frankfurter Rundschau (12.8.02): "Wäre ein weiterer Einsatz der Bundeswehr im Ausland überhaupt zu stemmen?" Verteidigungsminister Peter Struck: "Nein, weder finanziell noch personell."

Die dritte Überlegung, die hinter den gegenwärtigen Wahlkampfmanövern als rationaler Kern des (vorläufigen) deutschen Zögerns steht, geht ungefähr so: "Wir wollen ja mitmachen, aber wir wollen auch was davon haben. Das bekommen wir aber nur, wenn wir vorne mitkämpfen dürfen. Dazu müssen wir aber militärisch erst mal stärker werden, als wir sind. Also habt, liebe Amis, bitte Verständnis, daß wir uns dieses Mal noch ein bißchen zurückhalten. Weil Wahlkampf ist, machen wir daraus nach außen eine Prinzipienfrage. Auch dafür werdet Ihr Verständnis haben."

So erklärt sich manches. Zum einen fällt auf, wie wenig sich die US-Presse zur Zeit an den Schröder-Reden reibt. Zweitens: Wenn es Schröder/Fischer ernst meinen mit ihrem "Nein zum Krieg gegen den Irak!" - warum ziehen sie dann nicht die Panzer aus Kuwait ab, die sich gerade auf ein Manöver vorbereiten? Auffallend ist drittens, daß Stoiber in Prizren erklärte, die Frage des Irak müsse später entschieden werden, auf jeden Fall aber müßten die Deutschen länger als geplant auf dem Balkan stationiert bleiben.

Stoiber und Schröder steuern denselben Kurs: Mit den noch bescheidenen Kräften das Erreichte sichern; im Irak sehen, wie sich die Dinge entwickeln; es sich mit keinem verscherzen und alle Optionen offenhalten. Deshalb kommt Herr Kohler von der FAZ denn auch zu einem fast schon versöhnlichen Schluß: "Deutschland muß seine Interessen ... selbst definieren und verfolgen. Das kann - manchmal muß es - dazu führen, daß Berlin zu anderen Schlüssen kommt als etwa Washington, auch in der Frage, ob es gefährlicher ist, gegen Saddam anzutreten oder ihn weiter gewähren zu lassen. Das Ausmaß des Schadens, den eine falsche Antwort zur Folge haben könnte, verbietet Wunschdenken und leichtfertige Festlegungen - in jeder Richtung."

Struck äußerte sich im FR-Interview fast genauso, als er den "deutschen Weg" definierte: "Es ist eine Beschreibung der Tatsache, daß wir national souverän sind - und daß wir auch im nationalen Interesse entscheiden können, wie wir uns in bestimmten Situationen verhalten. Wir sind nicht die Mündel der Vereinigten Staaten."

(Quelle: konkret, 08/2002.)

Dieser Text soll als Hintergrundinformation dienen. Diskutiert wird im Thread: "Irak: Ab heute wird zurückgeschossen"

MfG
tw_24
 
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