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4. March 2003, 18:00   #1
Akareyon
 
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Beiträge: 2.823
Aus der Reihe "PiLaMü": Das Palästinalied

Das Palästinalied von Walther von der Vogelweide

Alrêrst lebe ich mir werde,
sît mîn sündic ouge siht
daz reine lant und ouch die erde,
der man sô vil êren giht.
ez ist geschehen, des ich ie bat:
ich bin komen an die stat,
dâ got menischlîchen trat.

Schoeniu lant, rîch unde hêre,
swaz ich der noch hân gesehen,
sô bist dûs ir aller êre.
waz ist wunders hie geschehen!
daz ein magt ein kint gebar,
hêre über aller engel schar,
waz daz niht ein wunder gar?

Hie liez er sich reine toufen,
daz der mensche reine sî.
dô liez er sich hier verkoufen,
daz wir eigen wurden frî.
anders waeren wir verlorn.
wol dir, sper, kriuz unde dorn!
wê dir, heiden, daz ist dir zorn!

Hinnen vuor der sun ze helle,
von dem grabe dâ er inne lac.
des was der vater ie geselle
und der geist, den nieman mac
sunder scheiden, ez sî ein,
sleht und ebener danne ein zein,
als er Abrahâme erschein.

Dô er den tiufel also geschande,
daz nie keiser baz gestreit,
dô vuor er her wider ze lande.
dô huob sich der juden leit:
daz er, herre, ir huote brach
und daz man in sît lebendig sach,
den ir hant sluog unde stach.

In daz lant hât er gesprochen
einen angeslîchen tac,
dâ der weise wirt gerochen
und diu witwe klagen mac
und der arme den gewalt,
den man hât mit in gestalt.
wol im dort, der hie vergalt!

Kristen, juden und die heiden
jehent, daz diz ir erbe sî.
got müeze ez ze rehte scheiden
durch die sîne namen drî.
al diu werlt, diu strîtet her:
wir sîn an der rehten ger.
reht ist, daz er uns gewer!


Jetzt erst lebe ich würdig,
seit mein sündiges Auge erblickt
das reine Land un auch die Erde,
der man so viel Verehrung entgegenbringt.
Es ist eingetroffen, worum ich stets gebeten habe:
ich bin an die Stätte gekommen,
wo Gott als Mensch gegangen ist.

Schöne Länder, reich und herrlich, -
was ich von solchen bis heute gesehen habe,
so bist Du die Krone von allen.
Was für ein Wunder ist hier geschehen!
Daß eine Jungfrau ein Kind gebar,
erhaben über die ganze Schar der Engel,
war das nicht ein vollkommenes Wunder?

Hier ließ er, der Sündelose, sich taufen,
damit der Mensch sündelos sei.
Dann ließ er sich hier verkaufen,
damit wir Unfreie frei würden.
Sonst wären wir verloren.
Heil Dir, Speer, Kreuz und Dorn!
Weh Dir, Heidenschaft, das ist Dir ein Ärgernis!

Von hier fuhr der Sohn zur Hölle
aus dem Grabe, worin er lag.
Dabei war stets der Vater Beistand
und der Geist, den niemand kann
von ihnen sondern, es soll eines sein,
klar und einheitlicher als ein Lichtstrahl,
so wie er Abraham erschien.

Als er den Teufel so zuschanden gemacht hatte,
wie ihn kein Kaiser besser bekämpft hätte,
da kam er wieder zurück ins Land.
Da hob der Juden Verhängnis an:
Daß er, der Herr, ihre Bewachung durchbrach
und dass man den seither lebend sah,
den ihre Hand geschlagen und durchstochen hatte.

Für das Land hat er angekündigt
einen schrecklichen Gerichtstag,
an dem die Waise gerächt werden wird
und die Witwe Klage erheben kann
? und der Arme ? gegen die Gewalt,
die man ihnen angetan hat.
Wohl dem dort, der hier gesühnt hat!

Christen, Juden und die Heiden
behaupten, dass dies ihr Erbe sei.
Gott möge es rechtens entscheiden
um seiner drei Wesenheiten willen.
Die ganze Welt, die liegt hierüber im Streit:
Wir haben einen berechtigten Anspruch.
Recht ist, dass er es uns zuspricht!


Eigentlich ist es ja sehr schön, das Lied, geht es doch um das wunderschöne Palästina, in dem einst Jesus Christus gewirkt hat - zumindest in den Strophen, die üblicherweise von heutigen Mittelalterbands verwendet werden. In Anbetracht der Zeit, in der es geschrieben wurde, ist es jedoch eindeutig der Gattung der propagandistischen Kreuzlieder zuzuordnen. Es ist das einzige Waltherlied, von dem es eine komplette und genaue Notation gibt, und schon das macht es interessant - da auch die Melodie sehr schön und eingängig ist.

Das Palästinalied wird heute üblicherweise mit dem fünften Kreuzzug, jenem Friedrichs II. in Verbindung gebracht, der dann irgendwann mit einer vertraglichen Vereinbarung des Kaisers mit dem Sultan El-Kamil endete und den Christen wiederum Jerusalem zuerkannte. Wenn dem so ist, wäre das Lied auf 1229 zu datieren

Zitat:
Zitat von Manfred Kern
Ebenso klar, aber nur scheinbar simpel ist die Rhetorik des Liedes. Sie bietet in einfachen Stil- und Gedankenfiguren alles auf, was die Redekunst der volkssprachlichen Lyrik zu bieten hat. Damit verschränkt ist eine entsprechende Hermeneutik, die in überaus gelungener Weise die "geistliche" Bedeutung der Reise mit dem Hiersein in Palästina, die Existenz des Sänger-Ichs mit den fundamentalen christlichen Heilstatsachen zu verschränken vermag und zu einer entsprechenden Schlussfolgerung und Forderung gelangt. Einfache Form, eingängige Melodie, einfache Rhetorik - dies alles erzeugt ein Pathos, das offenbar von enormer Suggestivkraft war und ist und aus dem der Erfolg des Liedes resultiert.

Das Lied spricht aus der Perspektive des Palästinapilgers, wobei unklar ist, ob wir uns darunter den einfachen Gläubigen oder den Kreuzritter vorzustellen haben. Die Ich-Perspektive garantiert jedenfalls von Beginn an die Verschränkung und den Bezug der generellen christlich-heilsgeschichtlichen Bedeutung Palästinas mit der Erfahrung des gläubigen Individuums. Die großen heilsgeschichtlichen Tatsachen werden strikt auf die Existenz des Einzelnen hin bezogen. Diese "Perspektive von unten" stellt ein Identifikationsangebot, dem man sich schwer entziehen kann. Wie das Ich des Minnesänger so ist auch dieses Pilger-Ich einer von uns, einer den wir kennen, dessen Erfahrung für das Publikum teilbar wird.

[...]

Die vierte Strophe setzt fort mit sepultura und descensus, der Grablegung und dem Abstieg Christi in die Hölle zur Befreiung der Vorväter. Diese Tat ist uns heute nicht mehr besonders präsent, ist aber wichtiges Motiv unter anderem der mittelalterlichen Ikonographie und weiß die Zeit zwischen Grablegung und Auferstehung sinnvoll zu füllen. Hier wird nun auch das Dogma der Trinität zum ersten Mal angesprochen, ebenfalls ein Fixpunkt in den apologetischen Disputationen. Wir begegnen hier außerdem der Typologie, dem Verfahren der Bezugsetzung von Altem und Neuem Testament mit der Anspielung auf die Gottesepiphanie, die Abraham erlebt hat (Gen. 18,2).

Das Bild des in der Hölle streitenden Christus, des Christus militans, mit dem die fünfte Strophe eröffnet, zeigt wie das Lied über vielsagende Allusionen das Motiv des Kriegszuges einspiegelt, ohne dezidiert von einem militärischen Unternehmen zu reden, an dem unser Pilger teilnehmen würde. Es folgt die resurrectio, die Auferstehung, verbunden mit einer Invektive gegen die Juden, die das gängige Hauptargument mittelalterlich-religiösen Antisemitismus bringt: Die Juden haben Christus getötet. Dass der Text hier vergleichsweise wenig aggressiv ist, dokumentiert im übrigen, dass die dritte Partei im Streit um Jerusalem im Rahmen der Geschichte der Kreuzzüge - was den kriegerischen Konflikt betrifft - keine wesentliche Bedeutung hatte.

[...]

Die letzte Strophe bietet uns eine Schule der ideologischen Argumentation, gegen die nichts auszurichten ist, weil jedes Gegenargument sofort abprallen muss. Der Text macht von vornherein klar, dass es hier keinen Kompromiss gibt. Und die Schlussformel hat bis heute ihre traurige Gültigkeit für die ideologische Verfahrenheit der Standpunkte. Wenn so argumentiert wird, lässt sich nichts machen.
Daß Walther von der Vogelweide die Muslime "Heiden" nennt, liegt an dem damaligen Verständnis - man glaubte, sie hätten mehrere Götter, Mohammed sei einer von ihnen, und ganz nebenbei sprach man ihnen auch noch Jupiter zu.

Die beste Interpretation, die ich kenne, kommt von Qntal, auf dem Album "Qntal II". Eine weitere kommt von In Extremo, die auch recht martialisch klingt, aber der an sich schönen Melodie nicht gerecht wird, wie ich finde. Von Corvus Corax habe ich auch noch was rumfliegen, aber das ist eigentlich nicht sooo beeindruckend.
 
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Stichworte
palaestinalied, reihe




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