Der Flaschen-Sammler

Sacki · 24. August 2009, 20:03

Er ist Mitte 30, sieht gepflegt aus und fährt ein altes Fahrrad mit Anhänger.
Seit fast einem Jahr sieht man ihn pünktlich in unserer Gegend auftauchen, immer Montags und Donnerstags, an den Abenden bevor am nächsten Tag die Mülltonnen geleert werden.
Er kramt in den großen Müllcontainern und den Sammeltonnen für Altglas.
Dabei angelt er geschickt mit einer sonderbaren aber sehr wirksamen Eigenkonstruktion Pfandflaschen ein.
Seine Ausbeute scheint nicht immer erfolgreich zu sein: im Anhänger liegen vielleicht 20 Flaschen.

Heute fuhr ich auf den Parkplatz und sah ihn wieder voll konzentriert mit seiner Eigenkonstruktion angeln. Irgendwie tat er mir leid und ohne groß zu überlegen griff ich in meine Tasche und holte einen 10 € Schein hervor.
"Bitte nehmen Sie das als kleine Ergänzung, vielleicht können Sie dann für heute Feierabend machen..."
Der Mann lächelte und lehnte dankend ab.
Seine Erklärung dazu verblüffte mich anfänglich und danach schämte ich mich sogar, wofür sich der Mann entschuldigte, als er es bemerkte.

"Sehen Sie", sagte er, "ich stand mitten im Berufsleben und habe als Elektrotechniker immer gut verdient, bis meine Firma pleite ging. Den Rest können Sie sich denken: Arbeitslos, Hartz-4, Scheidung, Kredite wurden gekündigt weil ich nicht bezahlen konnte, Verlust der Wohnung bis hin zum sozialen Abstieg, wie sie sehen".
"Aber eines hat man mir nicht genommen: eine Gewisse Würde, niemals von Almosen leben zu müssen, solange es wirklich nicht anders geht"
"Und wie Sie sehen, geht es einigermaßen. Mit dem Geld für die Pfandflaschen kann ich mal ins Kino oder Theater gehen, oder in den Zoo mit meinen Kindern, das ist schon OK so, danke trotzdem für Ihr Angebot..., aber denken Sie an Menschen wie mich, wenn sie am 27.9. zur Wahl gehen...."

Ich war sprachlos, die Situation war mir plötzlich überaus peinlich und ich kam mir wie ein protzender Großkotz vor.
Ich wünschte ihm einen schönen Abend und ging schnell in meine Wohnung, merklich positiv beeindruckt von diesem Mann.

Aber ein Schnippchen schlage ich ihm doch:
Unsere Pfandflaschen werde ich fortan sammeln und Montags und Donnerstags Abend an die Müllcontainer stellen.

Und was ich am 27.9. wählen werde, weiß ich nun endgültig ganz sicher.

24. August 2009, 20:03	#1
Sacki Dummschwätzer Registriert seit: February 2005 Beiträge: 3.365	Der Flaschen-Sammler Er ist Mitte 30, sieht gepflegt aus und fährt ein altes Fahrrad mit Anhänger. Seit fast einem Jahr sieht man ihn pünktlich in unserer Gegend auftauchen, immer Montags und Donnerstags, an den Abenden bevor am nächsten Tag die Mülltonnen geleert werden. Er kramt in den großen Müllcontainern und den Sammeltonnen für Altglas. Dabei angelt er geschickt mit einer sonderbaren aber sehr wirksamen Eigenkonstruktion Pfandflaschen ein. Seine Ausbeute scheint nicht immer erfolgreich zu sein: im Anhänger liegen vielleicht 20 Flaschen. Heute fuhr ich auf den Parkplatz und sah ihn wieder voll konzentriert mit seiner Eigenkonstruktion angeln. Irgendwie tat er mir leid und ohne groß zu überlegen griff ich in meine Tasche und holte einen 10 € Schein hervor. "Bitte nehmen Sie das als kleine Ergänzung, vielleicht können Sie dann für heute Feierabend machen..." Der Mann lächelte und lehnte dankend ab. Seine Erklärung dazu verblüffte mich anfänglich und danach schämte ich mich sogar, wofür sich der Mann entschuldigte, als er es bemerkte. "Sehen Sie", sagte er, "ich stand mitten im Berufsleben und habe als Elektrotechniker immer gut verdient, bis meine Firma pleite ging. Den Rest können Sie sich denken: Arbeitslos, Hartz-4, Scheidung, Kredite wurden gekündigt weil ich nicht bezahlen konnte, Verlust der Wohnung bis hin zum sozialen Abstieg, wie sie sehen". "Aber eines hat man mir nicht genommen: eine Gewisse Würde, niemals von Almosen leben zu müssen, solange es wirklich nicht anders geht" "Und wie Sie sehen, geht es einigermaßen. Mit dem Geld für die Pfandflaschen kann ich mal ins Kino oder Theater gehen, oder in den Zoo mit meinen Kindern, das ist schon OK so, danke trotzdem für Ihr Angebot..., aber denken Sie an Menschen wie mich, wenn sie am 27.9. zur Wahl gehen...." Ich war sprachlos, die Situation war mir plötzlich überaus peinlich und ich kam mir wie ein protzender Großkotz vor. Ich wünschte ihm einen schönen Abend und ging schnell in meine Wohnung, merklich positiv beeindruckt von diesem Mann. Aber ein Schnippchen schlage ich ihm doch: Unsere Pfandflaschen werde ich fortan sammeln und Montags und Donnerstags Abend an die Müllcontainer stellen. Und was ich am 27.9. wählen werde, weiß ich nun endgültig ganz sicher.