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24. October 2007, 22:20   #326
Jules
 
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21. Oktober 1997: Wagen der A-Klasse kippt bei "Elchtest" um

Im Mai 1996 startet Mercedes eine großangelegte Werbekampagne für die A-Klasse. Der Automobilkonzern glaubt, den besten und sichersten Kompaktwagen der Welt gebaut zu haben, der den Konkurrenten VW Golf und Opel Astra das Fürchten lehren soll. Doch der Traum endet bereits vier Tage nach dem Verkaufsstart: Nur sieben Sekunden dauert der Spurwechseltest des schwedischen Autotesters Robert Collin am 21. Oktober 1997 in Stockholm. Er fährt mit 60 Stundenkilometern auf ein Hindernis zu, lenkt abrupt nach links, dann nach rechts. In Schweden heißt das Kindertest, denn Kindern soll man jederzeit ausweichen können. Die A-Klasse kippt und überschlägt sich.

"Mercedes muss den Verkauf der A-Klasse sofort stoppen", fordert Collin, der stellvertretender Chefredakteur der Autozeitschrift "Teknikens Värld" ist. Das Auto sei nicht sicher. Der damalige Mercedes- Pkw -Vorstand Jürgen Hubbert bezeichnet Collins Kritik als hirnrissig. Denn für Mercedes steht viel steht auf dem Spiel. 1,3 Milliarden Euro hat die Entwicklung des Wagens gekostet. Doch bei kleinen Autos fehlt die Erfahrung. Zudem soll preisgünstig produziert werden: Statt einer moderner Hinterachse wird bei der A-Klasse eine Billiglösung montiert. Um teure Praxistests zu vermeiden, wird viel am Computer entwickelt. Der Baby-Benz der ersten Jahre fällt durch Kinderkrankheiten auf - von gerissenen Schläuchen bis zu gebrochenen Federn.

Weil die A-Klasse in Schweden, dem Land der Elche, umgekippt ist, erfindet ein deutscher Journalist die Bezeichnung Elchtest. Die Deutsche Automobilindustrie nimmt ihn im November 1997 in ihre Testreihe auf und nennt ihn VDA-Spurwechseltest. Auch Jürgen Schrempp, damals oberster Konzern-Chef bei Mercedes, zieht Konsequenzen: Für drei Monate stoppt er die Auslieferung der A-Klasse und lässt das Modell für 150 Millionen Euro überarbeiten. Das elektronische Stabilitätsprogramm ESP wird eingebaut, das Ausbrechen und Schleudern verhindern soll. Die verbesserte A-Klasse wird mit riesigem Aufwand beworben. Es dauert noch Jahre, bis diese Modellreihe profitabel ist. Inzwischen sind rund 1,6 Millionen Exemplare verkauft worden. In der Golf-Klasse gehört sie zu den fünf beliebtesten Autos.

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24. October 2007, 22:21   #327
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22. Oktober 1997: Unterzeichnung der Wattenmeerplans

"Es gibt kein anderes Gebiet auf der Welt, zu dem etwa zehn bis zwölf Millionen Watt- und Wasservögel aus der halben Arktis hinkommen", sagt Hans Ulrich Rösner von der Naturschutzorganisation WWF über das Wattenmeer. Er engagiert sich seit rund 20 Jahren für dessen Schutz. Das Wattenmeer erstreckt sich über 500 Kilometer vom niederländischen Den Helder an der deutschen Küste vorbei bis nach Esbjerg in Dänemark. Es ist Europas größtes Feuchtgebiet, und mit seinen Sand- und Schlickflächen sogar das größte Wattengebiet der Welt.

Seit 1978 arbeiten die Umweltminister der Niederlande, der Bundesrepublik und Dänemarks zusammen, um die einzigartige Naturlandschaft zu erhalten und um die unterschiedlichen Interessen von Wirtschaft, Tourismus und Naturschutz abzustimmen. Die Bemühungen münden in den Wattenmeerplan, der am 22. Oktober 1997 auf der achten "Trilateralen Wattenmeerkonferenz" in Stade unterzeichnet wird. Gastgeberin ist die damalige Umweltministerin Angela Merkel (CDU). In dem 60-seitigen Papier werden erstmals einheitliche Schutzstandards und länderübergreifende Projekte festgeschrieben. Es darf nun in dieser Gegend beispielsweise nicht mehr nach Öl gebohrt werden. Außerdem sind Windkraftanlagen verboten.

Doch trotz des Wattenmeerplans ist das Gebiet weiterhin gefährdet. 1998 strandet der Holzfrachter "Pallas" vor der Insel Amrum. Öl läuft aus und verseucht die Gegend, Tausende Seevögel sterben. Mit rund 260.000 Schiffsbewegungen jährlich zählt das Wattenmeer zu den meist befahrenen Gewässern der Welt. Deshalb beschließen die drei Länder auf der Folgekonferenz im Jahr 2001, das Wattenmeer in seiner gesamten Ausdehnung zu einer PSSA, einer "Particulary Sensitive Sea Area" zu erklären. Damit ist es nach den Regeln der internationalen Schifffahrtsorganisation ein besonders geschütztes Meeresgebiet. Eine andere Bedrohung resultiert aus dem Klimawandel: Im Wattenmeer steigt der Wasserspiegel jedes Jahr um bis zu sieben Millimeter. Die nächste Konferenz der Vertragsstaaten findet 2010 statt. Bis dahin wollen die Bundesrepublik und die Niederlande bei der Unesco beantragen, den größten Teil des Wattenmeeres als Weltnaturerbe anzuerkennen.

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24. October 2007, 22:24   #328
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23. Oktober 2002: Tschetschenen überfallen Theater in Moskau

Das Musical "Nord-Ost" ist ein Erfolg: Die Aufführungen im Kulturhaus einer Moskauer Kugellagerfabrik sind fast jeden Abend ausverkauft, seit Monaten schon. Gespielt wird eine schnulzige Liebesgeschichte mit einem siegreicher Held und einer großen Volks-Familie: Ukrainer, Kasachen, Tschetschenen und Russen in vaterländischer Harmonie. Am 23. Oktober 2002, einem Mittwoch, ist Schluss mit der Illusion: 41 tschetschenische Rebellen stürmen das Theater und nehmen fast 1.000 Menschen als Geiseln.

Kopf der Terroristen ist Mowsar Barajew, ein tschetschenischer Feldkommandant. Am späten Abend lässt er 150 Geiseln frei und stellt seine Forderung: Binnen einer Woche soll Moskau die russischen Truppen aus Tschetschenien abziehen. Der russische Präsident Wladimir Putin lehnt jedes Zugeständnis ab: "Russland wird niemals eine Abmachung mit Terroristen eingehen und sich keiner Erpressung fügen." Auch die Tschetschenen selbst scheinen nicht mit einer Verhandlungslösung zu rechnen. Über eine Internetseite hat Barajew verbreiten lassen: "Ich und meine Leute sind nicht nach Moskau gekommen, um lebend in die Heimat zurück zu kehren, sondern um in Moskau zu sterben."

Die Bedingungen für die Geiseln werden immer unerträglicher. Sie dürfen weder essen noch schlafen. Der Orchestergraben dient als Toilette. Nach rund 40 Stunden versucht die Journalistin Anna Politkowskaja, die seit elf Jahren Tschetschenien bereist, auf eigene Faust zu vermitteln: Sie läuft an den Militärposten vorbei und spricht eineinhalb Stunden mit den Geiselnehmern. Es habe ein "echte Chance" für eine Lösung gegeben, sagt sie später. Doch dann kommt der Zugriff. Drei Tage lang haben Angehörige der russischen Spezialeinheit "Alpha" in einem baugleichen Moskauer Kulturhaus trainiert. Am frühen Samstagmorgen lassen sie Gas durch die Belüftungsschächte einströmen und stürmen das Theater. Alle Terroristen werden getötet, teilweise mit Schüssen ins Genick oder in die Schläfe. Aber nicht nur die Geiselnehmer sterben. Das eingesetzte Gas tötet auch Geiseln. Es ist ein Kampfgas, das den Gegner in kürzester Zeit handlungsunfähig machen soll. Offensichtlich wirkt es tödlich, wenn Geschwächte es einatmen oder die Dosierung zu stark ist.

Es dauert Monate, bis Moskau die offizielle Zahl von 129 getöteten Geiseln bekannt gibt. Überlebende leiden noch Jahre später an Seh- und Sprechstörungen, an Lähmungen oder Taubheit. Eine Entschädigung haben die Opfer bisher nicht erhalten. Die Opposition fordert nach dem Gaseinsatz einen Untersuchungsausschuss; der aber wird von der kreml-nahen Mehrheit in der Duma verhindert. Putin zieht andere Konsequenzen: Er schränkt die Pressefreiheit ein. Anna Politkowskaja, die diese Maßnahme kritisiert, wird 2006 erschossen - unter ungeklärten Umständen.

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24. October 2007, 22:26   #329
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24. Oktober 1632: Naturforscher Antoni van Leeuwenhoek geboren

Vor drei Jahren fordert das niederländische Fernsehen seine Zuschauer auf zu wählen, wer zu den Größten ihres Volkes zählt. Platz eins belegt peinlicherweise der 2002 ermordete Rechtspopulist Pim Fortuyn- aber auch Rang vier ist für viele eine Überraschung: Noch vor Erasmus von Rotterdam (5.), Rembrandt (9.) und van Gogh (10.) platziert sich ein außerhalb der Niederlande weitgehend Unbekannter, Antoni van Leeuwenhoek, Textilhändler, Linsenschleifer und Naturforscher. Der etwas verschrobene, gänzlich ungebildete Autodidakt aus Delft hat die unendliche Vielfalt des Lebens im winzig Kleinen entdeckt. Er ist der Erste, der rote Blutkörperchen und das Gewimmel der Spermien beschreibt, und der entdeckt, dass sogar die lästigen Flöhe von Parasiten gequält werden. Antoni van Leeuwenhoek ist der Stammvater der Mikroskopie.

Der Kolumbus des Mikrokosmos wird am 24. Oktober 1632 geboren; zu einer Zeit, in der man noch glaubt, Fliegen, Flöhe und Krabbeltiere entstünden schlicht aus Dreck. Das Mikroskop an sich ist zwar schon erfunden, doch die aus etlichen Linsen zusammengefügten, fragilen Apparate sind schwer zu bedienen und liefern nur dürftige Ergebnisse. Antoni van Leeuwenhoek dagegen gelingt es, eine einzige Linse derart präzise zu schleifen, dass er damit die Strukturen der Natur in 260- bis 280-facher Vergrößerung beobachten kann. Wie die von ihm selbst konstruierten Mikroskope genau arbeiten, daraus macht der Hobbywissenschaftler zeitlebens ein Geheimnis.

In Hunderten von Briefen an den Olymp der Wissenschaft, die Royal Society in London, beschreibt van Leeuwenhook, was vor ihm noch kein Auge gesehen hat. Er tut dies auf niederländisch, denn englisch, französisch, geschweige denn Latein hat er nie gelernt. So dauert es Jahre, bis der erlauchte Gelehrtenkreis um Sir Christopher Wren bereit ist, die Entdeckungen van Leeuwenhoeks zur Kenntnis zu nehmen und sie einer Prüfung zu unterziehen. Abgesandte der Society reisen nach Delft und nehmen den scheinbar versponnenen Holländer unter die Lupe. Doch der misstrauische Krämer mag seine Mikroskope nur höchst ungern vorführen und ist nicht bereit, Konstruktionspläne herauszugeben. Erst als anerkannte Naturwissenschaftler mit fortgeschrittener Linsenschleiftechnik van Leeuwenhoeks Entdeckungen bestätigen, wird dem Autodidakten die Ehre einer Einladung der Royal Society zuteil. All seine Briefe werden ins Lateinische übersetzt und revolutionieren die Lehren von der Entstehung des Lebens. Hoch geehrt stirbt Antoni van Leeuwenhoek im Alter von über 90 Jahren in seiner Heimatstadt Delft.

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25. October 2007, 07:39   #330
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25. Oktober 1957: odestag des Architekten Henry van de Velde

Mit 26 Jahren fasst Karl Ernst Osthaus aus Hagen einen wichtigen Entschluss. Drei Millionen Mark hat der Bankierssohn geerbt; zwei Drittel will er in die Kunst investieren. "Folkwang" nennt er sein großes Museumsprojekt; sein neu zu errichtendes Wohnhaus soll ein Treffpunkt der geistigen Avantgarde werden. Zu diesem Zweck braucht Osterhaus einen geeigneten Architekten. Zur Jahrhundertwende fährt er nach Belgien, um den Architekten, Möbelgestalter und Designer Henry van de Velde für seine Ideen zu begeistern. 1906 wird das Wohnhaus - der Hohenhof in Hagen - fertiggestellt. Heute gilt der Hohenhof als ein Meisterwerk der frühen Moderne.

Henry van de Velde wird 1863 in Antwerpen geboren. Zunächst studiert er Malerei und feiert in Paris erste Erfolge im Kreis der Spätimpressionisten. Als Autodidakt wendet er sich schon früh der grafischen Gestaltung, später der Architektur und dem Möbeldesign zu. Gegen die mit Ornament und Plüsch überladene Architektur der Gründerzeit setzt van de Velde die fließende, aber klare Linie, die Raumelemente und Bauteile mit einander verbinden soll. Bei ihm ist selbst das dekorativste Element funktional. "Der Gebrauch fordert seine Form", sagt van de Velde: "Auf diese Weise erzeugt der Gebrauch die äußere Erscheinung."

Für Karl Ernst Osthaus gestaltet Henry van de Velde nicht nur den von außen eher schlichten Bau, der erst im Innern seine wahre Größe zeigt: Er entwirft auch jedes einzelne Möbelstück. Mehr noch: Sogar die Dame des Hauses trägt Van-de-Velde-Kleidung und geleitet die Gäste zum Tisch mit Van-de-Velde-Besteck und Van-de-Velde-Kaffeeservice.

Für van de Velde ist Architektur eine musikalische Komposition, in der alle Teile zu einem großen Ganzen verwoben sind: eine "Symphonie", die sich als harmonisches Gesamtkunstwerk versteht und nicht "durch falsche Töne geschändet" werden darf. Henry van de Velde stirbt am 25. Oktober 1957 in Zürich.

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26. October 2007, 12:24   #331
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26. Oktober 1757: Reichsfreiherr vom und zum Stein geboren

König Friedrich Wilhelm III. von Preußen ist wütend. Immer wieder hat er sich über seinen Finanzminister, den Freiherrn vom und zum Stein, echauffieren müssen. Mit seiner "Darstellung der fehlerhaften Organisation des Kabinetts und der Notwendigkeit der Bildung einer Ministerialkonferenz" aber ist er eindeutig zu weit gegangen. Aufgeblasen und geschwätzig seien des Königs Beamte schreibt der vom Stein. Und verweigert seinem Herrn sogar die verpflichtenden Zahlungen gegenüber Napoleon, der Preußen in der Schlacht bei Jena und Auerstedt kurz zuvor vernichtend geschlagen hatte. 1807 wird vom Stein entlassen. Da sieht es so aus, als sei seine Karriere beendet. Dabei hat sie gerade erst begonnen.

Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein wird am 25. Oktober 1757 als Spross eines evangelischen Reichsrittergeschlechts in Nassau an der Lahn geboren. In Göttingen studiert er Jura, Geschichte und Wirtschaftswissenschaften. Mit 23 Jahren tritt er in den Staatsdienst. Ein schwindelerregender Aufstieg über Verwaltungsposten in Wetzlar, Mainz, Kleve, Münster und Paderborn setzt ein. Für vom Stein ist Preußen ein "Land, wo die Herzen noch kälter als das Klima sind." Sein Ziel ist es, die Menschen trotzdem für ihre Heimat zu erwärmen. Der ehrgeizige Beamte und leidenschaftliche Patriot will aus den Untertanen Preußens Bürger machen. Adel und besitzendes Bürgertum sollen sich stärker mit dem Staat und seinen Pflichten identifizieren. Dazu gehört auch, das Land gegen Napoleon und seine Zahlungsforderungen zu vereinen.

Nur wenige Monate nach seiner Entlassung holt Friedrich Wilhelm III. seinen aufmüpfigsten und fähigsten Diener in den Staatsdienst zurück. Gemeinsam mit Karl August Freiherr von Hardenberg kann er nun den Grundstein für seine Reformen legen. Diese befreien die Bauern aus der Erbuntertänigkeit, führen die Wehrpflicht ein, schaffen die Kabinettsräte ab und stellen die Minister an die Spitze der Ressorts. 1808 stärkt ein Edikt die Selbstverwaltung und Mitverantwortung der Städte. Im selben Jahr verliert vom Stein auf Druck Napoleons erneut seinen Posten und wird in die Provinz versetzt, wo er bis zu seinem Tode bleibt. Er stirbt 1831 im westfälischen Cappenberg.

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27. October 2007, 08:40   #332
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27. Oktober 1782: Geigen-Virtuose Niccolo Paganini geboren

Übt sich der Konzertgeiger Demetrius Polyzoides in Pizzicati und Capricen von Niccolo Paganini, kommt ihm dabei häufiger ein klassisches "Scheiße" über die Lippen. Seit Tagen schon feilt der erfahrene Kölner Profi-Musiker daran, die Notenkaskaden des italienischen Meistergeigers und Komponisten mit der gebotenen Virtuosität in Töne zu verwandeln. Das Ergebnis sind Finger voller Blutergüsse und die Einsicht, an den eigenen Grenzen zu kratzen. Nicht nur Polyzoides tröstet sich damit, dass der am 27. Oktober 1782 in Genua geborene Paganini unter einer seltenen Krankheit, dem Marfan-Syndrom, gelitten haben könnte. Es bewirkt eine besondere Dehnbarkeit der Hände und hätte ihm so die atemberaubende Griffakrobatik auf den Saiten seiner Guarneri-Geige ermöglicht.

Das scheinbar diabolische Genie des "Teufelsgeigers" hat vor allem zwei ganz irdische Ursachen: natürliche Begabung und jahrzehntelanges Üben. Schon als Kleinkind wird Paganini von seinem ehrgeizigen Vater, einem mäßig begabten Mandolinenspieler, bis zur Verzweiflung gedrillt. Mit elf Jahren gilt der schmächtige Junge als Wunderkind. Für die Zeitgenossen steht deshalb Paganinis wahre Herkunft außer Frage. "Jedermann errät es jetzt ..., dass Paganini und der Satan in der engsten Beziehung stehen, wenn einer nicht sogar mit dem andern identisch ist", schreibt 1829 die "Zeitung für die elegante Welt." Dieses Hexenmeister-Image unterstützt Paganini mit seiner dämonischen Ausstrahlung, seinem bleichen Gesicht und der leichenhaft dürren Statur nach Kräften. Während seiner rastlosen Tourneen durch halb Europa lässt er sich als "Vampir mit der Violine" ankündigen und umgarnt seine zahllosen Bewunderer mit dem hypnotischen Charme eines Grafen Dracula.

Nicht nur die Damenwelt erliegt scharenweise der Faszination des bleichen Meisters. Zu Paganinis größten Bewunderern zählen auch Künstlerkollegen wie Franz Schubert, Jakob Meyerbeer, Robert Schumann und Heinrich Heine. "Welch ein Mann, welch eine Geige, welch ein Künstler", seufzt der junge Franz Liszt. Menschlich allerdings eilt Paganini der Ruf eines arroganten, geizigen Blutsaugers voraus. Er kassiert horrende Eintrittspreise und fertigt sein Gefolge wie den letzten Dreck ab. Nur seinen einzigen Sohn Achille, der ihn auf allen Reisen begleitet, liebt Paganini abgöttisch. Achille pflegt ihn auch, als der größte Popstar seiner Zeit bereits mit 50 Jahren unter zahlreichen Krankheiten leidet. Kehlkopftuberkulose raubt ihm zudem in den letzten Jahren seines aufreibenden Lebens die Stimme. 1840 stirbt Paganini mit nur 57 Jahren in Nizza. Doch auch als Toter geht der im Leben so Rastlose noch einmal auf Tournee. Erst nach 55 Jahren und sechs Zwischenstationen findet der ohne kichlichen Segen gestorbene Niccolo Paganini in Parma endgültig seine letzte Ruhe.

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28. October 2007, 07:11   #333
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28. Oktober 1922: Marsch der Faschisten auf Rom

Benito Mussolini, der selbst ernannte "Duce" ("Führer") Italiens, liebt effektvolle Inszenierungen. Eine davon ist 1922 der "Marsch auf Rom", der zum zentralen Mythos des italienischen Faschismus wird. Das Ereignis wird als Stunde Null eines neuen römischen Imperiums verherrlicht und alljährlich mit Paraden und Reden gefeiert. Immer wieder beruft sich Mussolini auf antike Vorbilder: "Das wiedererstandene Imperium Roms ist das Werk dieses neuen Geistes, der Italien beseelt", sagt er beim Berlin-Besuch im September 1937. "Die deutsche Wiedergeburt ist gleichfalls das Werk einer geistigen Kraft."

Der Rückgriff auf römische Größe ist keine Erfindung des Faschismus. Bereits vorher leitet Italien aus seiner antiken Geschichte den Anspruch ab, in Europa eine führende Rolle zu spielen. Um diese Rolle sieht sich das Land nach dem Ersten Weltkrieg betrogen: Zusammen mit den Alliierten sind die Italiener gegen die Mittelmächte angetreten und haben als Kriegsgewinner zwar Gebiete wie das Veneto und Südtirol erhalten. Auf weitere Ansprüche wie Dalmatien oder nordafrikanische Kolonien hat Italien aber verzichten müssen. Aus Sicht des Historikers Thomas Schlemmer vom Münchner Institut für Zeitgeschichte ist so das Trauma vom "verstümmelten Sieg" entstanden, eine Art Minderwertigkeitskomplex.

Mussolini wandelt sich 1914 vom sozialistischen Agitator zum nationalistischen Kriegstreiber. 1919 gründet er die faschistische Bewegung und bekämpft die Sozialisten mit Gewalt. Sein Mittel sind rücksichtslose Schlägertrupps, die "sqadre d'azione". Ende 1921 wird eine Partei, "Partito Nazionale Fascista", gegründet. Sie hat enorme Erfolge in der Provinz. Was zur Machtübernahme noch fehlt, ist die Eroberung der politischen Schaltzentrale Rom. Der Count-down beginnt am 27. Oktober 1922, als die Schwarzhemden, wie die Faschisten wegen ihrer Bekleidung genannt werden, Verkehrsknotenpunkte und kommunale Verwaltungsgebäude besetzen. Etwa 40.000 Kämpfer gehen am 28. Oktober vor den Toren Roms in Stellung. Die liberale Regierung von Luigi Facta will den Ausnahmezustand verhängen. Doch das Staatsoberhaupt, König Vittorio Emanuele III., verweigert die Unterschrift unter den Kabinettsbeschluss. Daraufhin tritt die Regierung zurück. Der König beauftragt Mussolini mit der Bildung einer neuen Regierung. Als der "Duce" am 30. Oktober 1922 mit dem Nachtzug in Rom eintrifft, ist noch kein Schwarzhemd nach Rom einmarschiert. Erst nach seiner Ernennung zum Regierungschef dürfen die Wartenden in die Stadt einziehen - durchnässt und hungrig.

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30. October 2007, 08:49   #334
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29. Oktober 1917: Eddie Constantine wird geboren

Edward Constantinowsky ist am Ende. Alles Geld haben sein Vater und seine Mutter zusammengekratzt, um ihm in Wien eine Ausbildung zum Opernsänger zu ermöglichen. Und als er nach New York zurückkommt, will ihn niemand hören. Statt auf den Bühnen der Welt als Sänger Erfolg zu haben, muss er seine Frau auf einer Tanztournee begleiten. Mit 36 Jahren bewirbt sich der Mann mit dem pockennarbigen Gesicht eher durch Zufall für eine Rolle als Haudrauf in dem Hollywood-Streifen "Egypt by Three". Kritiker werden den Film später zu den schlechtesten 100 aller Zeiten zählen. Bis zum Erfolg unter dem Pseudonym Eddie Constantine ist es noch ein weiter Weg.

Constantine wird am 29. Oktober 1917 in Los Angeles geboren. Auf einer der Tourneereisen seiner Frau wird er der Geliebte Edith Piafs. Sie verschafft ihm Jobs, die ihn nicht weiter bringen. Erfolg hat er erst in seiner Rolle als hartgesottener FBI-Agent Lemmy Caution, der die Bösen auf die Bretter und die Frauen in die Betten schickt. Rund dreißig Lemmy-Caution-Filme dreht Eddie Constantine - und wird dabei laut Presse zur "bestbezahlten Filmfaust" in Europa. Besonders in Deutschland und Frankreich wird jeder seiner Filme unter Titeln wie "Morphium, Mord und kesse Motten" (1957), "Liebe, Lumpen, Leidenschaften" (1957), "Eddie, Tod und Teufel" (1958) oder "Rhapsodie in Blei" (1959) ein Kassenschlager. Will man den Legenden glauben, geht es im Kinosaal wie im Kasperletheater zu. "Mach ihn kalt!", ruft das Publikum, wenn Eddie auf einen Verbrecher trifft. "Vernasch' sie!", wenn er wie in dem Film "Eddie krault nur kesse Katzen" begehrenswerten Damen begegnet.

In den sechziger Jahren beginnt Constantines Stern zu sinken. Da holt ihn der Avantgarde-Regisseur Jean-Luc Godard für "Alphaville" (1965) aus der Versenkung. "Godard hat Lemmy Caution gehasst", wird Constantine später sagen. "Deshalb hat er gesagt: Niemals wieder wird man dich fragen, einen 'Lemmy Caution' zu drehen." Godard behält Recht. Nach der Zusammenarbeit mit dem intellektuellen französischen Filmemacher kann Constantine nur noch in Streifen des neuen deutschen Filmes punkten. Er stirbt 1993 in Wiesbaden.

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30. October 2007, 08:51   #335
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30. Oktober 1947: Brecht sagt vor McCarthy-Ausschuss aus

Bertolt Brecht ist in guter Gesellschaft. Die Liste all jener, die der US-Senator Joseph McCarthy vor den Kongressausschuss für "unamerikanische Umtriebe" lädt, liest sich wie ein Who is Who der zeitgenössischen Kultur. Charlie Chaplin ist darunter, Gary Cooper, Arthur Miller, Leonard Bernstein und Thomas Mann. Sie alle eint, dass sie verdächtigt werden, dem Kommunismus nahe zu stehen - und damit als feindliche Spione die USA untergraben zu wollen.

Brecht ist am Tag des Reichstagsbrands 1933 aus dem nationalsozialistischen Deutschland geflohen. Dann beginnt eine Odyssee im Exil. In einem seiner Gedichte wird er später schreiben, dass er "das Land häufiger als die Schuhe" wechsle. Über Dänemark, Schweden und Finnland gelangt er 1941 in die USA. Im kapitalistischen, von ihm als bigott und kleinbürgerlich empfundenen Amerika fühlt sich Brecht verlassen, als "Lehrer ohne Schüler". Aber er ist nicht allein: Von Beginn an steht er wegen Kommunismus-Verdachts unter Beobachtung. Sein Telefon wird abgehört, seine Akte umfasst schließlich über tausend Seiten. Obwohl sich darunter nichts politisch Belastendes findet, bittet FBI-Chef J. Edgar Hoover das Justizministerium im Oktober 1945 um eine Verlängerung der Abhöraktion: "Durch diese technische Überwachung zeigte sich, dass Brecht in regelmäßigem Kontakt steht mit Personen, die unter Verdacht stehen, für die Sowjetunion zu spionieren."

Am 30. Oktober 1947 muss Brecht vor dem Ausschuss für unamerikanische Umtriebe aussagen, um zu beweisen, dass er kein Staatsfeind ist. Auf Nachfrage gibt er zu, "revolutionäre Gedichte, Theaterstücke und andere Schriften" verfasst zu haben - "im Kampf gegen Hitler", wie er betont. Drei Stunden dauert das Verhör, dann muss Brecht entlassen werden. Der französische Schriftsteller Vladimir Pozner wird über die Veranstaltung schreiben, auf ihn habe es so gewirkt, als sei "ein Zoologe Gefangener von Affen" gewesen. In seiner ironischen Art fällt Brecht später ein milderes Urteil. "Sie waren nicht so schlimm wie die Nazis", wird er sagen. "Die Nazis hätten mich nie rauchen lassen."

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31. October 2007, 08:47   #336
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31. Oktober 1887: General Chiang Kai-shek in China geboren

Kurz und bündig vermeldet die Tagesschau vom 5. April 1975 den Tod des Präsidenten von Taiwan. Schon damals weiß kaum noch jemand, dass Generalissimus Chiang Kai-shek einst der mächtigste Führer Chinas war. Dass er das riesige Land militärisch geeint und, als Vertreter der Republik China, die Vereinten Nationen mitbegründet hat. Doch als er stirbt, besteht "sein" China nur noch aus einem kleinen Inselreich im ostchinesischen Meer. 26 Jahre lang hat Chiang Kai-shek auf den Tag gewartet, an dem er sein Exil auf Taiwan verlassen und die "Wiedereroberung" Rotchinas vollenden kann. Dass er die Vormachtstellung der ihm verhassten Kommunisten in Peking zu keiner Zeit erschüttern konnte, ist die größte Tragik im von Niederlagen geprägten Leben Chiang Kai-sheks.

Es ist das Leben eines Kämpfers, das der am 31. Oktober 1887 bei Shanghai geborene Sohn eines Salzhändlers führt. Chiang Kai-shek entscheidet sich früh für die Offizierslaufbahn. Als Militär und Politiker auf Seiten der revolutionären Demokraten um den Reformer Sun Yatsen erwirbt er sich große Verdienste. Nach dessen Tod 1924 übernimmt Chiang Kai-shek die Führung der Revolutionspartei Kuomintang. Mit dem Sieg seiner Armee im chinesischen Bürgerkrieg kann er das zerrissene Riesenreich wieder einigen. Doch als Präsident der Republik China reibt sich Chiang in einem blutigen Krieg an zwei Fronten auf - gegen den Feind von außen, die Japaner, und gegen den Feind im Innern: Die von Chiang als noch gefährlicher eingeschätzten Kommunisten um Mao Zedong.

Nach der Kapitulation Japans im Jahr 1945 gelingt es Mao zunehmend, die Regierung Chiang Kai-sheks zu entmachten und in den Süden des Landes abzudrängen. 1949 bleibt dem Regierungschef nur noch die Flucht nach Taiwan. Ihm folgen etwa zwei Millionen Chinesen, Soldaten wie Zivilisten, und Teile des Regierungsschatzes. Während Mao in Peking die rote Volksrepublik China ausruft, gründet Chiang Kai-shek in Taiwans Hauptstadt Taipeh die nationale Republik China. Oberstes Staatsziel: Die Vertreibung der Kommunisten. Beide Systeme erweisen sich als dauerhaft stabil. Peking gelingt es nicht, den lästigen Nebenbuhler zur Räson zu bringen, und Chiang kann die Macht der maoistischen Revolutionäre zu keiner Zeit gefährden. Mit Beginn des Tauwetters zwischen der Volksrepublik China und den USA Anfang der 1970er Jahre verliert der greise Generalissimus seine Schlüsselrolle im Ost-West-Machtpoker, die ihm 1953 der Koreakrieg zugespielt hatte. 2007 schließlich zieht das moderne Taiwan einen Schlussstrich unter die Ära Chiang Kai-shek. Der 120. Geburtstag des Republikgründers ist erstmals kein Feiertag mehr.

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1. November 2007, 09:09   #337
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01. November 1987: Gorbatschows Buch "Perestroika" erscheint

Moskau, 1. November 1987: Rechtzeitig zu den Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Oktoberrevolution wird das mit großem Aufwand angekündigte Buch "Perestroika" ("Umgestaltung") von Michail Gorbatschow der Öffenlichtkeit präsentiert. Auf Anfrage eines amerikanischen Verlages hat der KPdSU-Generalsekretär die Grundlagen seiner Politik niedergeschrieben: Er will die wirtschaftliche und soziale Situation in der Sowjetunion verbessern; er will mit "Glasnost" ("Offenheit") die Stalin-Vergangenheit aufarbeiten; er will das Ende des Kalten Krieges. Das Buch hat eine Startauflage von 300.000 Exemplaren. Es erscheint in russischer und - gleichzeitig in den USA - in englischer Sprache. Der erste Satz des Vorwortes lautet: "Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich mich direkt an die Bevölkerung in der UdSSR, in den USA und in anderen Ländern wenden möchte."

Der Westen reagiert auf Gorbatschows Buch mit einer Mischung aus Hoffnung und Skepsis. Der Kreml-Chef rechnet darin zwar mit der alten Parteiführung ab, schreibt aber auch von einer "neuen Revolution". Die "Perestroika" sei ein Sprung nach vorn in der Entwicklung des Sozialismus: "Wir sind überzeugt, dass der Sozialismus weit mehr erreichen kann als der Kapitalismus". Das Potenzial des Sozialismus müsse mobilisiert und die Vorteile der Planwirtschaft genutzt werden. Gleichzeitig widerspricht der Generalsekretär jedoch der Vermutung, den Kommunismus auf der ganzen Welt einführen zu wollen.

Gorbatschow, der seit 1985 an der Macht ist, ist auch in den eigenen Reihen umstritten. Die konservativen Kommunisten fürchten nicht nur um ihre Posten, sondern auch um die Einheit der Sowjetunion. Als Gorbatschow 1989 den Fall der Mauer zulässt, fühlen sich die alten Kader bestätigt. Zwei Jahre später versuchen sie, Gorbatschow zu stürzen. Obwohl der Putsch im August 1991 nach drei Tagen misslingt, ist auch Gorbatschows "Perestroika" am Ende. Er erreicht sein Ziel einer modernisierten sozialistischen Gesellschaft nicht. Die Sowjetunion zerfällt und bereits im Dezember 1991 gründet sich die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Für Gorbatschow ist es das Ende seiner politischen Karriere.

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2. November 2007, 08:27   #338
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02. November 1982: Prozessbeginn gegen Marianne Bachmeier

6. März 1981, Lübecker Landgericht: Eine Frau betritt den Großen Saal, greift in die Tasche ihrer Bundeswehrhose, richtet eine Waffe auf den Rücken des Angeklagten und feuert ein ganzes Magazin leer. Sechs von acht Schüssen treffen. Marianne Bachmeier erschießt Klaus Grabowski, den mutmaßlichen Mörder ihrer siebenjährigen Tochter Anna. Der gelernte Schlachter ist 19 Mal vorbestraft und wegen pädophiler Neigungen in die Psychiatrie eingewiesen worden. "Ich kann mir vorstellen, dass ich nicht hätte schießen können, wenn sich dieser Mensch umgedreht und gesagt hätte, ich bitte Sie um Verzeihung", sagt Bachmeier später.

Sie habe die Tat nicht geplant, sondern im Affekt gehandelt, behauptet Marianne Bachmeier nach ihrer Verhaftung. Die Waffe trage sie, weil sie sich damit sicherer fühle. Staatsanwalt Michael Gottschewski hat Zweifel: "Das kann man nur, wenn man geübt hat." Bachmeier wird schlagartig bekannt. Dem "Stern" verkauft sie ihre Lebensgeschichte. Rund 250.000 Mark soll sie dafür bekommen haben, dass Autor Heiko Gebhardt sie einmal wöchentlich im Frauengefängnis in Lübeck besuchen darf. Ihre Enthüllungen zeigen eine Frau, die sich auf der Suche nach Identität und Anerkennung immer wieder in zerstörerische Abhängigkeiten begeben hat. Die Folgen einer zerrütteten Kindheit, heißt es in einem psychiatrischen Gutachten: Vom Vater misshandelt, von einem Nachbarn missbraucht, mit 16 Jahren das erste Kind, mit 18 Jahren wieder schwanger und kurz vor der Entbindung vergewaltigt. Zwei ihrer drei Kinder gibt Bachmeier zur Adoption frei; mit dem Vater der jüngsten Tochter Anna betreibt sie ein Szenelokal in Lübeck. Anna wird vernachlässigt und bleibt sich selbst überlassen. So auch am 5. Mai 1980: Nachbar Grabowski nimmt sie mit in seine Wohnung und erdrosselt sie dort mit einer Strumpfhose.

Am 2. November 1982 beginnt der Prozess gegen Marianne Bachmeier. Sie ist des Mordes angeklagt. Verurteilt wird sie schließlich wegen Totschlags und unerlaubten Waffenbesitzes zu sechs Jahren Haft. Wegen Suizidgefahr verbringt sie einen Großteil ihrer Strafe in der Psychiatrie, wird nach drei Jahren entlassen und wandert nach Sizilien aus. Zwei Spielfilme werden über ihr Leben gedreht. Im September 1996 kehrt die 46-Jährige schwer krebskrank nach Lübeck zurück und lässt ihr Sterben von einem Kamerateam des NDR filmisch dokumentieren.

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5. November 2007, 08:49   #339
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03. November 1957: Sputnik II startet mit Hündin Laika an Bord

Im Oktober 1957 ruft der sowjetische Staatschef Nikita Chrustschow seinen Raketenkonstrukteur Sergej Pawlowitsch Koreljow zum Rapport in den Kreml. Soeben ist es Koreljow und seinem Team gelungen, die USA mit Sputnik I beim Wettlauf um den ersten Satelliten im All auszustechen. Chrustschow hatte dem Start nur widerwillig zugestimmt, jetzt ist er begeistert. Und er will mehr. "Nun bitte ich Sie", soll er gesagt haben, "starten Sie irgend etwas in den Weltraum zum nächsten Jahrestag der Revolution."

Knapp vier Wochen bleiben Koreljow, um Chrustschows Wunsch, der eigentlich ein Befehl ist, in die Tat umzusetzen. Das "irgend etwas" soll das erste Lebewesen im Weltraum werden. Mischlingshunde gelten als besonders zäh. Deshalb trainieren die Konstrukteure für Sputnik II drei Streuner von der Straße, um herauszufinden, ob ihre Körper den starken Beschleunigungskräften beim Start und der Schwerelosigkeit gewachsen sind. Eine Hündin namens Laika erweist sich dabei als besonders widerstandsfähig. Laika wird in eine Kapsel gesetzt, die in aller Eile aus den Teilen früherer Versuchsprogramme zusammengesetzt worden ist. Mit an Bord sind Vorrichtungen, um den Hund zu füttern, sein Verhalten zu überwachen und Messungen vorzunehmen. Eine Rückkehr Laikas zur Erde ist nicht vorgesehen.

Am 3. November 1957 startet Laika mit Sputnik II erfolgreich ins All. Auf der ganzen Welt empfangen die Völker die Signale des Satelliten. Einige glauben, in der Impulsfrequenz den Herzschlag des Hundes zu erkennen. Dies aber ist unmöglich: Weil die Temperaturregulierung versagt, stirbt Laika einige Stunden nach dem Start an Überhitzung. Offiziell wird das Tier nach zehn Tagen Schwerelosigkeit eingeschläfert. Trotzdem wird Laika ein Star. Zahlreiche Sondermarken erscheinen, Schokolade und Zigaretten tragen ihren Namen. Aber erst Sputnik IV wird mit Belka und Strelka eine Hundebesatzung tragen, die nach 18 Erdumdrehungen wohlbehalten zur Erde zurückkehrt.

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5. November 2007, 08:52   #340
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04. November 1997: Thyssen und Krupp-Hoesch beschließen Fusion

Der Plan trifft die deutsche Wirtschaft wie ein Schlag. Im März 1997 wird durch eine Indiskretion bekannt, dass der Essener Industriekonzern Krupp-Hoesch die doppelt so große und wirtschaftlich weitaus stärkere Thyssen AG in seiner direkten Nachbarschaft schlucken will. Eine derartige "feindliche Übernahme" hat es in Deutschland noch nie gegeben.

Hinter der Entscheidung steht der Wunsch der Krupp AG Hoesch-Krupp, ihrem angeschlagenen Stahlsektor wieder auf die Beine zu helfen. Die Thyssen-Belegschaft aber will dieses Problem nicht auf ihrem Rücken austragen lassen. Sie sieht ihre Arbeitsplätze in Gefahr und geht auf die Straße. "Dieser Deal war zu viel" steht auf einem der Plakate. "Es geht hier nicht um die Parkstraße", sagt einer der Demonstranten einem Reporter. "Es geht hier nicht um die Schlossallee. Es geht um unseren Arsch!"

Die feindliche Übernahme kommt nicht zustande: Die Landesregierung von NRW verhindert den Coup. Aber Gerhard Cromme, Vorstandsvorsitzender der Krupp AG Hoesch-Krupp, hat sein Minimalziel erreicht: Eine öffentliche Diskussion kommt in Gang, die in Gespräche über eine gemeinsame Zukunft übergeht. 19 streng paritätisch besetzte Arbeitsteams treiben den Zusammenschluss voran. Am Ende einigt man sich friedlich - so wie es sich die Regierung in Düsseldorf wünscht.

Am 4. November 1997 geben Thyssen und Krupp ihre Fusion bekannt. Betriebsräte und Gewerkschaften verhindern betriebsbedingte Kündigungen. Trotzdem werden Stellen abgebaut - außer in den Führungsetagen: Der neue Konzern, der 1999 als ThyssenKrupp AG Eingang ins Handelsregister findet, wird fortan von einer Doppelspitze geleitet.

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5. November 2007, 08:54   #341
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05. November 1977: Asterix-Autor René Goscinny gestorben

Als Zeichner hat René Goscinny kein Glück. 1945 ist der 19-Jährige nach New York gekommen, um Comicfiguren für Walt Disney zu zeichnen. In dessen Studios blitzt er jedoch ab. Auch andere Verleger sind von seinen Mappen nicht begeistert. Schließlich darf er zumindest Postkarten kolorieren und Bilderbücher illustrieren. Aber dann lernt er den Belgier Morris kennen, den Erfinder des einsamen Comiccowboys Lucky Luke, für dessen Abenteuer Goscinny die Szenarien und Texte schreiben darf. Es ist der Beginn einer bespiellosen Karriere als weltbester Sprechblasenautor, deren Höhepunkt die Alben von "Asterix und Obelix" sind.

Goscinny wird 1926 als Sohn jüdischer Eltern in Paris geboren und wächst in Buenos Aires auf. Nach dem Abitur wird er Hilfsbuchhalter und Zeichner in einer Werbeagentur, bevor er in die USA übersiedelt, um aus seinem grafischen Talent künstlerisches Kapital zu schlagen. Dort trifft Goscinny auf den späteren Gründer des Ulk-Magazins "MAD" - und beginnt erstmals, an seinen Fähigkeiten zu zweifeln. 1950 kehrt er nach Europa zurück und wird mit Albert Uderzo bekannt. Gemeinsam mit dem kongenialen Zeichner erfindet er als Drehbuchschreiber Comicserien rund um den kauzigen Indianerhäuptling Umpah-Pah ("Mein Totem: der Puma!"), den bösartigen Großwesir Isnogud ("Ich will Kalif werden anstelle des Kalifen!") und das unbesiegbare Gallierpaar Asterix und Obelix, das 1959 erstmals gegen die Römer kämpft. Darüber hinaus publiziert er Geschichten über die liebenswerten Streiche des kleinen Schülers Nick, die, von Sempé illustriert, fast so berühmt wie die Abenteuer der Gallier werden.

"Man kann auf Goscinny verzichten, aber nicht auf den Bäcker", merkt Goscinny einmal bescheiden an. Seine Kollegen sehen das anders. "Ich genieße das große Privileg, dass ich der erste war, für den Goscinny Szenarien geschrieben hat", wird Morris später sagen. "Und ich habe es nicht bereut." Als der Texter am 5. November 1977 völlig unerwartet während eines ärztlichen Belastungstests an einem Herzinfarkt stirbt, hinterlässt er in der Comic-Welt eine große Lücke. Niemand bekommt dies schmerzlicher zu spüren als Uderzo. Denn seit dem Tod von René Goscinny ist Asterix nicht mehr das, was er früher einmal war.

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6. November 2007, 12:45   #342
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06. November 1492: Erste Erwähnung des Rauchens

Am 6. November 1492 sitzt Christoph Kolumbus in der Kajüte der Santa Maria. Soeben sind seine Kundschafter aufs Festland der neu entdeckten Insel Kuba vorgedrungen, um Land und Leute zu erkunden. "Auf dem Weg ins Landesinnere trafen meine Männer viele Eingeborene, die unterwegs waren", schreibt Kolumbus in sein Tagebuch. "Männer und Frauen, welche ein verkohltes und ausgehöhltes Stück Holz in den Händen hielten und dazu Kräuter, um diese darin zu verrauchen, was ein Brauch bei ihnen ist." Diese Passage ist die erste Notiz über das Rauchen, die aus der neuen Welt überliefert ist.

Kolumbus selbst belässt es bei der Notiz. Einer seiner Späher aber versucht einen Zug - und entbrennt in Leidenschaft für den Tabak. Ebenso ergeht es anderen Rauchanfängern wie dem Dominikanermönch Bartholomé de las Casas, der mit der Familie Kolumbus befreundet ist und einige Zeit bei den Ureinwohnern wohnt. "Der Rauch machte die Indianer schläfrig", wird er später notieren, "und, wie sie behaupteten, berauschte sie und half ihnen, die Anstrengungen leichter zu ertragen."

1527 raucht bereits ein Teil der spanischsprachigen Welt. Ein gewisser Jean Nicot, französischer Gesandter in Lissabon, schickt Tabakblätter an den Pariser Hof. Von dort aus tritt Nikotin seinen Siegeszug durch Europa an. Nur für die Kirche ist der Tabak Teufelszeug, der stinkende Qualm der sündige Dampf des Fegefeuers. Die Päpste des 17. Jahrhunderts, denen der Tabak zum Himmel stinkt, erlassen Dekrete gegen das Rauchen. Aber da hat die Menschheit schon Feuer gefangen. Und die Staatsmänner haben längst entdeckt, dass sich mit der Besteuerung des Tabaks gutes Geld verdienen lässt. "Sie haben Recht, Madame. Rauchen und Schnupfen sind zwei Laster", entgegnet der französische Diplomat Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord einer sittenstrengen Dame der Gesellschaft. "Und ich werde mich gewiss dagegen einsetzen, sobald Sie mir zwei Tugenden nennen, die der Staatskasse 120 Millionen Franc einbringen."

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7. November 2007, 10:57   #343
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07. November 2002: Rudolf Augstein stirbt in Hamburg

"Früher, als ich noch eine gute Meinung von mir hatte, betrachtete ich mich als einen Kleinaufklärer", sagt Rudolf Augstein ironisch über sich selbst. Der am 5. November 1923 in Hannover geborene Herausgeber und Chefredakteur des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" wird geschmäht, gefürchtet, mit Lob überhäuft. Das mag daran liegen, dass er viele Dinge anfasst, von denen andere lieber die Finger lassen. Das fängt früh an: Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gibt die britische Militärregierung dem 23-Jährigen die Lizenz für das erste deutsche Nachrichtenmagazin. Den Titel entsteht spontan: "Der Spiegel". Augstein will darin Missstände "widerspiegeln". Die erste Ausgabe erscheint am 4. Januar 1947. Später wird bekannt, dass Augstein in der Anfangszeit auch ehemalige Nationalsozialisten in der Redaktion beschäftigt hat.

"Der Spiegel" etabliert den investigativen Journalismus in der Bundesrepublik. Der wohl bekannteste Skandal ist die "Spiegelaffäre" im Oktober 1962. Die Regierung unterstellt, das Nachrichtenmagazin habe in seiner Titelgeschichte "Bedingt abwehrbereit" Pläne der Bundeswehr, und damit Staatsgeheimnisse veröffentlicht. Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) lässt die Redaktion des "Spiegel" in Hamburg durchsuchen. Augstein wird verhaftet und kommt erst nach gut 100 Tagen wieder frei. Die Vorwürfe gegen ihn erweisen sich als haltlos. Strauß muss zurücktreten. Auch danach werden zahlreiche Skandale aufgedeckt - wie etwa die Flick-Affäre und die Barschel-Affäre. Augstein macht den "Spiegel" zum "Sturmgeschütz der Demokratie". Doch über die Jahrzehnte verblasst der Glanz. Längst bestimmen andere den "Spiegel" mit und wollen ihn inhaltlich verändern. Augstein hält an Bewährtem fest und stößt auf Widerstand. Spät regelt er die Nachfolge: 1994 wird Stefan Aust neuer Chefredakteur. "Ich konnte nicht aussteigen", sagt Augstein.

Freunde hat Augstein - nach eigener Aussage - nur wenige. Als "gespaltenen Menschen" beschreibt ihn die frühere "Zeit"-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff: "Er ist einerseits von großer warmer Freundschaft. Andererseits ist er von kühler Erbarmungslosigkeit." Augstein wird immer wieder als Zyniker bezeichnet. Er selbst bekennt sich dazu. Seine Tochter Franziska, eines seiner vier Kinder, selbst Journalistin, sieht das anders: "Tatsächlich war mein Vater ein Realist. Aber sein Realismus war von einer Konsequenz, die zu tragen nicht jeder bereit ist." Augstein gilt als Frauenheld und ist viermal geschieden. Im Alter wird er zunehmend durch seine Alkoholkrankheit gezeichnet. Zwei Tage nach seinem 79. Geburtstag stirbt Rudolf Augstein am 7. November 2002 in Hamburg an einer Lungenentzündung.

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9. November 2007, 08:51   #344
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08. November 397: Bischof Martin stirbt in Tours

Als der römische Militärtribun im ungarischen Sabaria um das Jahr 316 einen Sohn bekommt, nennt er ihn nach dem Kriegsgott: Martinus, der "kleine Mars". Einige Zeit später wird der Offizier nach Pavia versetzt. Hier kommt der kleine Martin mit Christen in Berührung, deren Religion Kaiser Konstantin erst wenige Jahre zuvor legalisiert hat. Dennoch schlägt Martin zunächst wie sein Vater eine militärische Karriere ein: Mit 15 tritt er in die Legion ein und wird bald Offizier der Oratorianer, der kaiserlichen Leibgarde - bekannt für ihre eleganten weißen Mäntel.

Durch dieses historische Detail weiß man, dass die bis heute bei jedem Martinszug gespielte Mantelteilung eigentlich kein rotes Kleidungsstück zeigen dürfte. Die Geschichte spielt im nordgallischen Amiens, wo Martin seit 334 stationiert ist. Eines Nachts auf dem Rückweg ins Quartier begegnet er einem frierenden Bettler am Wegrand und zerschneidet für ihn kurzerhand seinen Uniform-Mantel. Kurz darauf lässt sich Martin taufen und quittiert ausgerechnet in Worms auf einem Kriegszug gegen die Germanen den Dienst. Kaiser Julian, ein überzeugter Anhänger der alten römischen Religion, lässt Martin inhaftieren. Er kommt aber wieder frei - angeblich weil die Germanen wie durch ein Wunder kampflos abziehen.

Martin wird Schüler des Bischofs Hilarius von Poitiers, später Priester. Er führt ein asketisches Leben, wird als Missionar, Wohltäter und Ratgeber im Volk bekannt. Zahlreiche Wunder schreibt man dem verehrten Mann zu. Sogar drei Tote soll er erweckt haben. Im Jahr 372 machen ihn die Gläubigen von Tours zu ihrem Bischof - gegen den anfänglichen Widerstand Martins selbst und gegen das Misstrauen mancher Bischöfe. Denn Martin steht gegen das entstehende Kirchenfürstentum, lebt arm und volksnah. Er stirbt am 8. November 397. Seine Beerdigung am 11. November wird zu einem öffentlichen Ereignis und bleibt danach der Tag des Martinsfestes. Martin ist der erste christliche Heilige, der nicht als Märtyrer zu Tode kommt.

Der legendäre Mantel wird später von den Frankenkönigen als Nationalheiligtum verwahrt und in jeder Schlacht mitgeführt, bis er unter nicht bekannten Umständen verschwindet. Trotzdem kennt ihn bis heute (zumindest in "Martins-Regionen") jedes Kind. Nur hat ihn das Brauchtum rot gefärbt.

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9. November 2007, 08:53   #345
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09. November 1847: Erste Entbindung mit Chloroform-Narkose

Adam bleibt Einiges erspart, als er die Rippe hergeben muss, aus der Eva erwächst. Gottvater lässt ihm nämlich die erste Vollnarkose der Menschheit zuteil werden: "Da ließ der Herr einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen, und er schlief ein", berichtet die Bibel. Adams Weib ist schon weit übler dran. Mit dem Fluch "Unter Schmerzen sollst du Kinder gebären" wird sie von Gott aus dem Paradies vertrieben. Es soll noch eine Ewigkeit dauern, bis Evas Nachfahrinnen von der Verdammnis befreit werden, die ihnen die Urmutter mit dem Sündenfall eingebrockt hat. Erst vor 160 Jahren gelingt es einem schottischen Gynäkologen, einer werdenden Mutter zu einer schmerzfreien Geburt zu verhelfen.

Niemand in der feinen Gesellschaft Edinburghs lässt sich 1847 die Einladung zu einer Dinnerparty bei James Young Simpson entgehen. Der beliebte und vielseitig gebildete Arzt weiß seine Gäste stets durch naturwissenschaftliche Kabinettstückchen zu unterhalten. Besonders begehrt ist ein kleines braunes Fläschchen mit einer Substanz, die der deutsche Chemiker Justus Liebig 16 Jahre zuvor erstmals hergestellt hat: Chloroform. Immer wieder macht das Fläschchen die Runde und jeder, der daran riecht, sinkt zur Gaudi der Anderen schlafend auf dem Teppich nieder. So erstaunt es nicht weiter, dass der Gynäkologe schließlich auf die Idee kommt, die wundersame Partydroge in seinem Kreißsaal auf ihre Wirksamkeit als Narkosemittel zu testen.

Simpson konstruiert daraufhin ein mit Stoff bespanntes Drahtgestell. Am 9. November 1847 stülpt er die Maske erstmals einer werdenden Mutter über Mund und Nase, beträufelt sie mit Chloroform und entbindet die völlig narkotisierte Frau absolut schmerzfrei von einem gesunden Kind. Trotz des durchschlagenden Erfolgs muss Simpson jahrelang für die Verbreitung seiner Entdeckung kämpfen. Vor allem die anglikanische Kirche wettert gegen die vermeintliche Missachtung des göttlichen Willens. In den Qualen der Geburt sehen die Kleriker die gerechte Strafe für Evas Sündenfall. Der Durchbruch gelingt Simpson sechs Jahre später, als Königin Victoria, Oberhaupt der englischen Staatskirche, ihr achtes Kind unter einer Chloroform-Vollnarkose zur Welt bringt. Es dauert aber noch einmal Jahrzehnte, bis die schmerzfreie Geburt "à la reine" (nach Art der Königin) nicht nur den Damen der Upperclass zugute kommt, sondern weltweit die Geburtshilfe revolutionieren kann.

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10. November 2007, 12:56   #346
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10. November 1982: Erstes Länderspiel des deutschen Frauenfußballs

1980 erhält DFB-Abteilungsleiter Horst Schmidt in Taiwan eine Einladung zu einem Frauenfußball-Weltpokalturnier. Eigentlich müsste Schmidt geschmeichelt sein. Tatsächlich aber berührt ihn das Angebot eher peinlich. Denn Deutschland hat noch gar keine Frauenfußball-Nationalmannschaft. Erst zehn Jahre zuvor hatte der Deutsche Fußball-Bund ein offizielles Kickverbot für "Damen", das "aus grundsätzlichen Erwägungen und ästhetischen Gründen" ausgesprochen worden war, aufgehoben. Schmidt leitet die Einladung an die Frauenmannschaft von Bergisch-Gladbach weiter, die bereits mehrmals deutscher Meister geworden war. Zum Nationalteam umdeklariert, reist diese auf eigene Kosten nach Taiwan - und bringt im Herbst 1981 den Pokal mit nach Hause.

Nach dem Erfolg müssen die Männer vom DFB reagieren, zumal die europäische Dachorganisation UEFA für 1984 eine Europameisterschaft ausrichten will. Die damalige Trainerin von Bergisch-Gladbach, Anne Trabant, erhält einen Vertrag als DFB-Honorartrainerin, um eine Damenfußball-Nationalmannschaft aufzubauen. Am 10. November 1982 bestreitet das erste echte deutsche Nationalteam, in dessen Reihen immer noch acht Spielerinnen aus Bergisch-Gladbach stehen, sein erstes Länderspiel gegen die wettkampferfahrene Schweiz. Die Deutschen gewinnen 5:1.

Mit im Team ist auch die heutige Bundestrainerin der Frauenfußballnationalmannschaft Silvia Neid. Gleich nach ihrer Einwechselung schießt die damals 18-Jährige zwei Tore. Heute stehen Deutschlands Kickerinnen mit zwei Weltmeister- und sechs Europameistertiteln in der FIFA-Weltrangliste auf Platz eins. 2007 können sie ihren Weltmeisterschaftstitel erfolgreich verteidigen. Im selben Jahr gibt die FIFA bekannt, dass die Weltmeisterschaft im Frauenfußball 2011 in Deutschland stattfinden soll.

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11. November 2007, 09:44   #347
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11. November 1727: Johannes Andreas Eisenbarth gestorben

Trommelwirbel schallen über den Marktplatz, Hanswurste treiben ihre Späße, ein Tross von 120 Akrobaten, Feuerschluckern, Knechten und Helfern in Uniform kündigt seine Ankunft an. Ein Flugblatt teilt dem staunenden Publikum mit, dass "der Medicus und Hof-Ocultist" Johannes Andreas Eisenbarth nun bereit sei, "wegen vieler Curen sich eine geraume Zeit allhie auffzuhalten, weil einige Patienten lange Zeit schmertzlich nach ihm geseuffzet". Mehr als schmerzlich seufzen müssen die Patienten, die an grauem Star oder Blasensteinen erkrankt sind, allerdings auch noch im Behandlungszelt. Während der 15 Minuten, die der Arzt benötigt, um einen Stein herauszuschneiden, werden sie von vier bis fünf Helfern fixiert. Ihre Schreie übertönen Musikanten.

Eisenbarth wird 1663 geboren. Über seine Kindheit und Jugend ist wenig bekannt. Sein Vater ist ein Hospitalknecht, der sich als Kastrator von Schweinen ein Zubrot verdient. Vielleicht erwirbt der Sohn so an Tierkörpern erste Anatomiekenntnisse. Nach dem Tod des Vaters geht der 10-Jährige bei seinem Schwager, einem Bamberger Spezialisten für Blasensteine, in die Lehre; hier erlernt er die Technik für das spätere Handwerk des Steinschnitts. 1684 legt Eisenbarth mit der erfolgreichen Operation eines 50-jährigen Star-Patienten sein "Gesellenstück" ab. Danach macht er als Wanderarzt Karriere. Zwei Jahre später wird ihm durch eine akademische Prüfungskommission das Privileg erteilt, seine chirurgischen Fähigkeiten auf den Messen, Jahr- und Wochenmärkten des Herzogtums Sachsen-Gotha-Altenburg auszuüben. Später kommen weitere Titel wie der des "erzbischöflich Mainzischen Ocultisten, Bruch- und Steinschneiders" oder des Stadtarztes von Erfurt hinzu. So bekannt wird Eisenbarth schließlich, dass er in Flugblättern vor Scharlatanen warnt, die seinen Namen missbrauchen.

In mehr als 100 Orten praktiziert Eisenbarth nachweislich, immer bemüht, sein Metier durch Erfindungen wie einer Nadel zum Starstechen oder eines Hakens zur Polypenoperation zu verbessern. Er fertigt Arzneien, künstliche Zähne und Augen an. Arme Menschen behandelt er kostenlos. Von Wassersucht und Schwermut, Krebs und Schwindsucht, Gicht und Ohrensausen will er befreien können. Auch wenn ihn das Spottlied eines Göttinger Studenten 100 Jahre nach seinem Tod als Quacksalber zeigt, gilt Eisenbarth vielen Medizinern heute als ernsthafter Urvater ihres Stands. Eisenbarth stirbt am 11. November 1727 im Alter von 66 Jahren in Hannoversch Münden.

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12. November 2007, 10:43   #348
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12. November 1817: Baha Ullah wird geboren

Mitte des 19. Jahrhunderts leben viele Schiiten im Iran in gespannter Erwartung: Kehrt der verborgene 12. Imam nach tausend Jahren zurück - dieser letzte legitime Nachfolger Mohammeds, der im 9. Jahrhundert spurlos verschwand? Seit 1844 verkündet dies ein Prophet, der sich "Bab - Die Pforte" nennt. Dieser Bewegung schließen sich zwei Halbbrüder aus hohem iranischen Adel an: Subh-i Azal und Mirza Hussein Ali.

Bei einem Treffen am Kaspischen Meer 1848 beschließt die neue Bewegung, dass sie sich ab jetzt nicht mehr an die Grenzen des islamischen Gesetzes gebunden fühlt, sondern eine neue Offenbarung erwartet. Die Konsequenz: Die iranische Regierung lässt Bab hinrichten und seine Anhänger verfolgen. Sie fliehen in das religiös tolerantere osmanische Reich. Aber hier liefern sich die beiden Halbbrüder einen teilweise blutig ausgetragenen Kampf um die Führung der Gemeinde. Der Sultan verbannt daraufhin Azal nach Zypern, Ali jedoch nach Haifa im heutigen Israel.

Von Haifa aus gewinnt Ali, der am 12. November 1817 in Teheran geboren wurde, die Führung über seine Anhänger. Er vertritt das gegenüber seinem Halbbruder progressivere religiöse Konzept: Für ihn gibt es nur einen Gott, der alle Religionen inspiriert. Mose und Buddha, Zarathustra, Jesus und Mohammed verkündeten alle die eine göttliche Wahrheit jeweils für ihre Zeit und Welt. Auch Ali, der sich nun Baha Ullah ("Herrlichkeit Gottes") nennt, sieht sich als einen Offenbarer, dem weitere folgen werden. Seine Anhänger nennen sich nach ihm Bahai. Baha Ulla schickt Missionare bis nach Indien und Amerika und verfasst wichtige Bücher der neuen Religion, deren Ziel der Weltfrieden ist. 1892 stirbt Baha Ulla.

Zunächst bleibt die Führung der Bahai in den Händen seiner Nachkommen, später geht sie auf ein Gremium in Haifa über. Heute gibt es weltweit sechs Millionen Bahai, etwa 6.000 davon in Deutschland. In jedem Erdteil gibt es ein "Haus der Andacht", in dem aus den heiligen Schriften aller Weltreligionen vorgelesen wird. Eine verbindliche Lehre und leitende Priester kennen die Bahai nicht.

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13. November 2007, 08:46   #349
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13. November 1002: Englands König Ethelred lässt Dänen ermorden

In der Nacht zum 13. November 1002 reißen die Soldaten des englischen Königs Ethelred Hunderte ahnungsloser Bauern aus den Betten. Sie töten wahllos Männer, Frauen und Kinder, deren einziges Vergehen es ist, dänisches Blut in den Adern zu haben. "Der König ordnete an, sämtliche in England lebenden Dänen am Sankt-Briticus-Tag umzubringen, da er erfahren hatte, dass sie sich verschworen hatten, ihn und seine Ratgeber zu töten und sein Reich in den Besitz zu bringen", heißt es in einer angelsächsischen Chronik. Aber das ist wohl eher ein Vorwand für den hilflosen König, um sich von einer schweren Last zu befreien.

Mordend und brandschatzend waren die Dänen als Wikinger seit dem 8. Jahrhundert immer wieder über England hergefallen - und hatten sich allmählich an dessen Küste niedergelassen. Um das Jahr 1.000 sind sie so zahlreich, dass etwa ein Drittel Englands, der "Danelag", unter dänischer Gesetzgebung steht. Grund genug für den dänischen König Sven Gabelbart, von seinem englischen Amtskollegen das "Danegilt", eine Art Schutzgeld, zu erpressen. Ethelred lässt sich erpressen. Weder ist er in der Lage, militärisch gegen seinen nordmännischen Widersacher vorzugehen, noch einen Friedensvertrag mit ihm auszuhandeln. Bald schon kursieren in Skandinavien mehr angelsächsische Münzen als in ihrem Herkunftsland.

Das Land blutet aus, Ethelred muss handeln. Mit dem Gemetzel der friedlichen dänischen Siedler wählt er den denkbar schlechtesten Weg. Denn unter den Ermordeten ist Gunhild, die Schwester des Dänenkönigs. Sven Gabelbart schwört bittere Rache und überfällt so lange die englische Küste, bis der entnervte angelsächsische Adel ihm die Krone bietet. Ethelred wird abgesetzt und flieht in die Normandie. Er stirbt 1016. Unter dem dänischen König und seinem Sohn Knut dem Großen ist es mit den Wikingerüberfällen auf England endgültig vorbei.

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14. November 2007, 08:54   #350
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14. November 1912: Woolworth-Erbin Barbara Hutton wird geboren

Drei Prinzen, einen Grafen, einen Baron, einen Filmstar und einen Playboy - sieben Ehemänner hat Barbara Hutton. Glücklich wird sie mit ihnen nicht. Die amerikanische Millionen-Erbin bleibt stets auf der Suche nach der wahren Liebe. Ihr ausschweifendes Luxusleben gleicht einer Hollywood-Tragödie, das schließlich verfilmt wird und 1987 unter dem Titel "Armes reiches Mädchen" in die Kinos kommt. Geboren wird Barbara Hutton am 14. November 1912 in New York - als Enkeltochter des Kaufhausgründers Frank Winfield Woolworth. Ihre Eltern sind Edna Woolworth und Franklyn Hutton, ein viel beschäftigter Börsenmakler, der sich kaum um seine Tochter kümmert. Als Barbara vier Jahre alt ist, stirbt ihre Mutter. Der Vater heiratet wieder und gibt seine Tochter bei Großvater Woolworth ab. Doch bevor Barbara zwölf ist, sterben auch ihre Großeltern. Ihre Erziehung übernehmen Hausmädchen und Gouvernanten. Ihre Teenager-Jahre verbringt sie im Pensionat und auf Reisen: Rom, Paris, London. Dort trifft sie die englische Königin und verliebt sich in einen verheirateten Mann.

Barbara Hutton heiratet den georgischen Prinzen Alexis Mdivani, doch schon nach der Hochzeitsreise trennt sich das Paar. Nach zwei Jahren wird die Ehe 1935 geschieden. Noch im selben Jahr heiratet Hutton wieder: den Grafen Kurt von Haugwitz-Hardenberg-Reventlow. Sein Interesse gilt vor allem dem Geld seiner Frau und dem gemeinsamen Sohn Lance. Als die Ehe 1938 scheitert, nimmt er den Jungen mit. Auf der Suche nach einem neuen Partner trifft Hutton den US-Schauspieler Cary Crant. 1942 ist die Hochzeit, 1945 die Trennung. Grant hat sich mehr um seine Filme als um seine Frau gekümmert. Bei der Scheidung verlangt er allerdings kein Geld von Hutton, die ihren anderen Ex-Männern jeweils Abfindungen in Millionenhöhe zahlt.

Hutton zieht nach Paris. 1948 heiratet sie den russisch stämmigen Prinzen Igor Troubetzkoy. Doch schon nach drei Jahren übernimmt der dominikanische Playboy Porfirio Rubirosa den Platz des Prinzen - für zehn Wochen. Ihm zahlt Hutton rund drei Millionen Dollar Abfindung. Gatte Nummer sechs wird 1955 der ehemalige Tennisstar Gottfried Freiherr von Cramm. Das Paar kennt sich bereits seit 17 Jahren. 1961 werden sie geschieden. Ihre letzte Ehe mit dem laotischen Prinzen Raymond Doan Vinh dauert fünf Jahre. Ab 1969 lebt Hutton völlig zurückgezogen in Kalifornien. Sie leidet an Magersucht und hat Alkoholprobleme. Barbara Hutton stirbt am 11. Mai 1979 im Alter von 66 Jahren in Los Angeles. Von ihrem auf 50 Millionen Dollar geschätzten Vermögen sollen bei ihrem Tod nur noch rund 3.500 Dollar übrig geblieben sein.

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