Skats

Datenschutzerklärung Letzten 7 Tage (Beiträge) Stichworte Fussball Tippspiel Sakniff Impressum
Zurück   Skats > Interessant & Kontrovers > TV und Kino
Registrieren Hilfe Benutzerliste Kalender


 
 
13. July 2005, 19:21   #1
Ogino
 
Benutzerbild von Ogino
 
Registriert seit: January 2001
Beiträge: 1.996
Die verlorene Ehre der Katharina Blum

Heute 22.30 bei 3 Sat.
Ich muss ehrlich gestehen, von diesem Film schon eine ganze Menge gehört zu haben, gesehen habe ich ihn jedoch noch nie.

Lohnt es sich, ihn anzuschauen ?

Die Handlung spielt doch in den 70er Jahren, zur Zeit der Baader-Meinhof Bewegung, richtig ?

Vielleicht kann ja unser Alt-Revuluzzer Ben zu dem Film was sagen... .
 
13. July 2005, 22:12   #2
Akareyon
 
Registriert seit: November 2001
Beiträge: 2.823
Okay, zu spät, Film läuft schon - aber falls es danach noch eine Besprechung geben sollte, hier schonmal 2 Cent Vorschuß.

Habe das Buch gelesen, vor langer Zeit mal, und anschließend die Verfilmung - habe den Film daher vermutlich in etwas anderer Erinnerung als ein normaler Filmgucker. Worum es richtig ging, weiß ich auch nicht mehr. Jedenfalls steht auf dem Deckel meiner Ausgabe folgendes:
Zitat:
Am Vorabend von Weiberfastnacht verläßt eine junge Frau von siebenundzwanzig Jahren gegen 18:45 ihre Wohung, um an einem privaten Tanzvergnügen teilzunehmen. Vier Tage später klingelt sie an der Wohnungstür des Kriminaloberkommissars Walter Moeding und gibt zu Protokoll, sie habe mittags gegen 12:45 Uhr in ihrer Wohnung den Journalisten Werner Tötges erschossen...
Jedenfalls zieht das Buch ziemlich über die sogenannte Zeitung her. Kleine Anekdote: als das Buch die Bestsellerlisten stürmte, veröffentlichte gemeinte Zeitung mit den vier Buchstaben die Bestsellerlisten nicht mehr *g*

An eines meiner Lieblingszitate erinnere ich mich aber immer wieder gerne: "Bumsen, meinetwegen" - ist die ganze Geschichte wert. Und der Disclaimer am Anfang des Buches erklärt eigentlich die ganze profane, aber spannende Geschichte:
Zitat:
personen und Handlung dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der 'Bild'-Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.
Heinrich Böll, meine Damen und Herren.
 
14. July 2005, 01:31   #3
Ben-99
Ungültige E-Mail Angabe
 
Registriert seit: June 2003
Beiträge: 5.899
... das Buch hatte mir auch gefallen. Obwohl es mit vorher erschienenen Böll-Werken der Güteklasse "Ansichten eines Clowns" natürlich kaum verglichen werden kann. Aber mit der Zeit bekam Heinrich Böll halt Spaß daran, politisch auch mal konkreter zu werden und damit genau die Richtigen zu ärgern ;-)

Das hatte dann auch wunderbar geklappt. Und ich kann mich noch heute gut an den Krieg zwischen ihm und dem Springer-Verlag erinnern. Wobei die armen BILD-Redakteure es natürlich nicht leicht hatten, jemanden als üblen "Terroristen-Freund" zu brandmarken, einen ganz "gefährlichen" Linken, der dummerweise aber gerade den Friedensnobel-Preis erhalten hatte *g*.

Entsprechend locker sah es Böll, der sich von den Drecksschreibern überhaupt nicht aus der Ruhe bringen ließ. Von ihm stammt ja auch der seitdem berühmt-berüchtigte Begriff der "klammheimlichen Freude", die man möglicherweise in bezug auf einige der RAF-Opfer verspüren kann. Aber natürlich nicht, weil sie getötet wurden, wie es ihm manche seiner Feinde gern in die Schuhe schieben wollten, sondern er hatte wohl eher damit gemeint, daß jetzt auch mal die Leute Schiß haben müssen, die vorher genauso brutal über Leichen gegangen sind, dafür aber noch mit hochdotierten Posten und diversen Orden belohnt worden sind.

Wer sich mal neuere Dokumentationen über die verachtenswürdige Karriere von zum Beispiel Hanns Martin Schleyer angesehen hat, der kann vielleicht verstehen, was Böll damit meinte. Denn Schleyer war nicht etwa irgendein harmloser Mitläufer, sondern hatte als SS-Mitglied und aktiver Nazi in der Hitler-Zeit die Seilschaften geknüpft, von denen er dann nach dem Krieg profitierte, so daß seine Karriere auch keinen Knick bekam, sondern er später erst recht steil aufstieg - bis zum Vorsitzenden des Arbeitgeber-Verbandes.

So etwas macht nicht nur Linke wütend. Sondern dafür müßten sich eigentlich alle Deutschen schämen. Aber vor dem Attentat und auch noch Jahre später, hatte es ja angeblich niemand gewußt.

Dennoch fand ich es nicht weniger ekelerregend, als ich damals die Meldung las, daß man ihn am Ende seiner Geiselhaft kaltblütig tötete. Und inzwischen weiß man ja auch, daß die Entscheidung, ihn hinzurichten, auch einige seiner Bewacher entsetzt hatte. Für mich war das schon damals ein Grund mehr, für die Hauptverantwortlichen der RAF-Morde nicht das geringste Verständnis aufzubringen. Was vor allem für den in jeder Hinsicht überschätzten Baader gilt. Bei seiner ihm intellektuell weit überlegenen Freundin Gudrun Ensslin sah das schon ganz anders aus.

Lediglich für Holger Meins und vor allem für Ulrike Meinhof kann ich Verständnis aufbringen. Das waren Menschen, die Gewalt immer verabscheuten und sich auch vorher schon für die Nöte anderer Menschen eingesetzt hatten. Beide waren nie wirklich das, was man als "Terroristen" bezeichnet, sondern sind da in etwas hineingeraten, das sie am Ende nicht mehr steuern konnten und es für sie auch keinen Ausweg mehr gab. Somit war ihr (Frei-)Tod mindestens genauso tragisch wie das Schicksal aller RAF-Opfer.

Und Heinrich Böll kannte eben einige der RAF-Leute persönlich, ließ manche sogar in seinem Haus wohnen und hat sich dann später Gedanken darüber gemacht, warum man für die Opfer der RAF so viel Tränen übrig hat, nicht aber für die Menschen, die der staatlichen Gewalt zum Opfer fallen. Dabei hatte er durch seinen frühen Tod gar nicht mal mitbekommen, wie die "Treuhand", deren Chef Rohwedder später ja auch erschossen wurde, auf kriminelle Art Menschen in den Ruin getrieben hat, indem man nur Wessis die Chance gab, sich die schönsten Stücke aus dem neuen frischen Ost-Kuchen auf ihren Teller zu legen. Und so wurden durch die "Treuhand" auch kleine Ganoven und Berufskriminelle zu Multimillionären - und zwar völlig "legal".

Das nur mal so zum Begriff "klammheimliche Freude", gegen die eigentlich nichts einzuwenden ist und die ich auch hin und wieder verspüre, wenn es mal Leute erwischt, die sich vorher auch keine Gedanken über die Not anderer Menschen gemacht haben oder sogar für deren Not maßgeblich verantwortlich waren.

Außerdem war Heinrich Böll einer der wenigen wirklich "liebenswerten" deutschen Schriftsteller, weil er auch in seiner Art ganz anders war, was jeder von den Älteren bestätigen wird, die ihm mal auf einer Lesung zuhörten oder ihn bei einem TV-Interview sahen. Denn er wirkte so gar nicht blasiert und abgehoben "intellektuell" wie die meisten berühmten Autoren, sondern mit seinem schnoddrigen Kölner Akzent und seiner herzlichen, humorvollen Art eher wie ein Teddybär zum Knuddeln.

Kein Wunder, daß es weder ein ultrarechtes Arschloch wie der CSU-Vorsitzende F.-J. Strauß, der Schriftsteller wie Heinrich Böll im Nazi-Jargon "Schmeißfliegen" nannte, noch die BILD-Zeitung schafften, ihm ans Bein zu pinkeln. Und so sah denn auch irgendwann der Springer-Verlag ein, daß er keine Chance gegen Böll hat.

Und natürlich verspüre auch ich gegenüber BILD und seinen anderen Feinden aus der rechten Ecke eine "klammheimliche Freude", wenn auch 20 Jahre nach dem Tod dieses großartigen Erzählers sein '74 erschienenes Buch "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" noch immer gelesen und der gleichnamige Film von Faßbinder hoffentlich irgendwann sogar zum 100. Mal im Fernsehen gezeigt wird ;-)

Gruß Ben
 
14. July 2005, 02:34   #4
Ben-99
Ungültige E-Mail Angabe
 
Registriert seit: June 2003
Beiträge: 5.899
... äh, war das nicht irgendwas Unstimmiges in meinem Beitrag? Richtig, jetzt habe ich es auch bemerkt: Denn Böll hatte natürlich nicht, wie ich es so locker flockig geschrieben habe, den "Friedens-Nobelpreis" erhalten. Ich konnte es wegen der Zeitsperre leider nicht mehr im Beitrag korrigieren, wollte es aber auch nicht so stehen lassen.

Zumal Friedensnobelpreis-Träger zum Beispiel Leute wie Henry Kissinger sind, an dessen Händen allein während des Vietnam-Kriegs so viel Blut klebte, daß ihm ein Schriftsteller wie Heinrich Böll wohl lieber nicht guten Tag gesagt hätte. Richtig ist deshalb, daß er 1972 nicht den Friedens-, sondern den Literatur-Nobelpreis erhielt.

Gruß Ben
 
Antwort

  Skats > Interessant & Kontrovers > TV und Kino

Stichworte
katharina, verlorene




Alle Zeitangaben in WEZ +1. Es ist jetzt 23:47 Uhr.


Powered by vBulletin, Copyright ©2000 - 2024, Jelsoft Enterprises Ltd.
Online seit 23.1.2001 um 14:23 Uhr

Die hier aufgeführten Warenzeichen und Markennamen sind Eigentum des jeweiligen Herstellers.