[Akareyon]

Und da heißt es, die Ossis seien rückständig.

Kolportiertermaßen besaß Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder nichtmal ein eigenes Handy, während seine Nachfolgerin schon früher durch ihr inniges Verhältnis zu den Wundern moderner Technik aufgefallen ist und wohl nicht selten Politik per SMS macht.

Frau Bundeskanzler Dr. Angela Merkel, Regierungschefin der Bundesrepublik Deutschland, hat sich sogar ein Sprachrohr aktuellster Technik schmieden lassen, in welches regelmäßig zu tönen sie gedenkt, um Volk und Pöbel über aktuelle Sachfragen und Diskussionen innerhalb der Regierung, auf den Ebenen der Staatsgewalt und der politischen Elite aufzuklären.

Unter Bundeskanzlerin.de vermag nunmehr jeder Deutsche, sei es mit oder ohne Migrationshintergrund, seine Lauscher ans andere Ende der Flüstertüte zu halten. Früher noch, da begab sich der König auf den Balkon seines Herrschaftssitzes, um die begierig auf seine weisen Äußerungen wartenden Volksmengen mit salbungsvollen Worten zu segnen. Man erfand das Fernsehen, und einher ging die jährliche Neujahrsansprache. Man erfand das Internet, und es durfte nicht allzulange dauern, bis die Machthabenden und Machthabenwollenden diesen Kanal für ihre Zwecke instrumentalisierten.

Kann man das kritisieren?

Insgeheim applaudiere ich meiner Kanzlerin zu dieser Entscheidung. Es zeugt von Bodennähe und dem Wunsch vom (wenn auch unidirektionalen) Kontakt zum Volk, Weitsicht und Erkenntnis des Fortschritts. Doch es zeugt auch von Mut, der unausweichlichen, immanenten Häme, Verballhornung und Lächerlichmachung durch Remixes, Zusammenschnitte und Nachsynchronisationen entgegenzutreten.

Entmystifiziert ist die bundesdeutsche Politik ohnehin schon seit langer Zeit, und das nicht erst seit den Privatkungeleien und Mauscheleien der beiden Vorgänger der Angela M.; es steht also nicht zu befürchten, der König/die Königin des Reiches könnte sich - statt vom Balkon herabzupredigen - mit uns in die Kneipe setzen und bei einem Frischgezapften die Probleme der Welt erörtern. Es mag persönlicher sein als die amtlichen Mitteilungen auf Bundestag.de, persönlicher gar als die Videomitschnitte präsidentischer Ansprachen auf whitehouse.gov.

Doch am Gefühl, daß sich die Staatsorgane nicht wirklich für die Sorgen, Nöte, Probleme, Einwände, Nörgeleien und Kritik des Volkes kümmern, wird auch Merkels Podcast nichts ändern, ebensowenig wie der bemühte Versuch, auf den Seiten von bundestag.de ein Forum einzurichten (wo die Beiträge in den zwei Unterforen einer administrativen Zensur unterliegen) und damit dem "Stimmvieh" das Gefühl zu geben, seine Meinung sei wichtig. Doch ein Indikator für das Bewußtsein der "gesamtdeutschen Stimmung" (wenn es so etwas gibt) innerhalb der Regierungsreihen wird der Podcast sicher sein. Mit anderen Worten: man wird sehen, ob "die da oben" checken, was "wir hier unten" zu sagen haben.

Obwohl, wer weiß. Vielleicht läßt sich Frau Dr. Merkel ja mal auf diesem Board blicken und diskutiert 'ne Runde mit dem Volk über das Geschick der Welt und die Rolle des deutschen Volkes beim Schaffen einer globalen Herrschaft des Friedens, des Respekts und der Gerechtigkeit, über die Kritik an der liberalen Marktwirtschaft und am Kapitalismus, über die Schaffung von Arbeitsplätzen, über Abgeordnetendiäten und den Abbau der Bürokratie, über den Einfluß der westlichen Geheimdienste auf die Politik und deren Verwicklung mit den Interessen internationaler Großkonzerne. Das wäre ein Format, das den Stempel "Bürgernahe Politik" tatsächlich verdient hätte.